Satyros oder Der vergoetterte Waldteufel

J.W. Goethe

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  • Der Tempel
  • Andrew Sly



    “Satyros oder Der vergoetterte Waldteufel” by Johann Wolfgang Goethe
    [in German]


    Johann Wolfgang Goethe

    Satyros
    oder
    Der vergoetterte Waldteufel

    Drama


    Erster Akt

    Einsiedler.
    Ihr denkt, ihr Herrn, ich bin allein,
    Weil ich nicht mag in Staedten sein.
    Ihr irrt euch, liebe Herren mein!
    Ich hab' mich nicht hierher begeben,
    Weil sie in Staedten so ruchlos leben
    Und alle wandeln nach ihrem Trieb,
    Der Schmeichler, Heuchler und der Dieb:
    Das haett mich immerfort ergetzt,
    Wollten sie nur nicht sein hochgeschaetzt,
    Bestehlen und bescheissen mich, wie die Raben,
    Und noch dazu Reverenzen haben!
    Ihrer langweiligen Narrheit satt,
    Bin herausgezogen in Gottes Stadt,
    Wo's freilich auch geht drueber und drunter
    Und geht demohngeacht nicht unter.
    Ich sah im Fruehling ohne Zahl
    Blueten und Knospen durch Berg und Tal,
    Wie alles draengt und alles treibt,
    Kein Plaecklein ohne Keimlein bleibt.
    Da denkt nun gleich der steif Philister:
    Das ist fuer mich und meine Geschwister.
    Unser Herrgott ist so gnaedig heuer;
    Haett ich's doch schon in Fach und Scheuer!
    Unser Herrgott spricht: Aber mir nit so;
    Es sollen's ander auch werden froh.
    Da lockt uns denn der Sonnenschein
    Stoerch und Schwalb aus der Fremd herein,
    Den Schmetterling aus seinem Haus,
    Die Fliegen aus den Ritzen 'raus,
    Und bruetet das Raupenvoelklein aus.
    Das quillt all von Erzeugungskraft,
    Wie sich's hat aus dem Schlaf gerafft;
    Voegel und Froesch und Tier' und Muecken
    Begehn sich zu allen Augenblicken,
    Hinten und vorn, auf Bauch und Ruecken,
    Dass man auf jeder Bluet und Blatt
    Ein Eh- und Wochenbettlein hat.
    Und sing ich denn im Herzen mein
    Lob Gott mit allen Wuermelein.
    Das Volk will dann zu essen haben,
    Verzehren bescherte Gottesgaben.
    So frisst's Wuermlein frisch Keimlein-Blatt,
    Das Wuermlein macht das Lerchlein satt,
    Und weil ich auch bin zu essen hier,
    Mir das Lerchlein zu Gemuete fuehr.
    Ich bin denn auch ein haeuslich Mann,
    Hab Haus und Stall und Garten dran.
    Mein Gaertlein, Fruechtlein ich beschuetz
    Vor Kaelt und Raupen und duerrer Hitz.
    Kommt aber herein der Kieselschlag
    Und furaschiert mir an einem Tag,
    So aergert mich der Streich fuerwahr;
    Doch leb ich noch am End vom Jahr,
    Wo mancher Werwolf ist schon tot
    Aus Aengsten vor der Hungersnot.

    [Man hoert von ferne heulen:
    U! U! Au! Au! Weh! Weh! Ai! Ai!]

    Einsiedler.
    Welch ein erbaermlich Wehgeschrei!
    Muss eine verwundte Besti' sein.

    Satyros.
    O weh, mein Ruecken! o weh, mein Bein!

    Einsiedler.
    Gut Freund, was ist Euch Leids geschehn?

    Satyros.
    Dumme Frag! Ihr koennt's ja sehn.
    Ich bin gestuerzt—entzwei mein Bein!

    Einsiedler.
    Hockt auf! Hier in die Huetten 'rein.
    [Einsiedler hockt ihn auf, traegt ihn in die Huette und legt ihn aufs
    Bett.]

    Einsiedler.
    Halt still, dass ich die Wund beseh!

    Satyros.
    Ihr seid ein Flegel! Ihr tut mir weh.

    Einsiedler.
    Ihr seid ein Fratz! so halt denn still!
    Wie Teufel ich Euch da schindeln will?
    [Verbindet ihn.]
    So bleibt nur wenigstens in Ruh!

    Satyros.
    Schafft mir Wein und Obst dazu.

    Einsiedler.
    Milch und Brot, sonst nichts auf der Welt.

    Satyros.
    Eure Wirtschaft ist schlecht bestellt.

    Einsiedler.
    Des vornehm Gasts mich nicht versah.
    Da kostet von dem Topfe da!

    Satyros.
    Pfui! was ist das ein ae Geschmack
    Und magrer als ein Bettelsack.
    Da droben im G'birg die wilden Ziegen,
    Wenn ich eine bei'n Hoernern tu kriegen,
    Fass mit dem Maul ihre vollen Zitzen,
    Tu mir mit Macht die Gurgel bespritzen,
    Das ist, bei Gott! ein ander Wesen.

    Einsiedler.
    Drum eilt Euch, wieder zu genesen.

    Satyros.
    Was blast Ihr da so in die Hand?

    Einsiedler.
    Seid Ihr nicht mit der Kunst bekannt?
    Ich hauch die Fingerspitzen warm.

    Satyros.
    Ihr seid doch auch verteufelt arm.

    Einsiedler.
    Nein, Herr! ich bin gewaltig reich:
    Meinem eignen Mangel helf ich gleich.
    Wollt Ihr von Supp und Kraut nicht was?

    Satyros.
    Das warm Geschlapp, was soll mir das?

    Einsiedler.
    So legt Euch denn einmal zur Ruh,
    Bringt ein paar Stund mit Schlafen zu.
    Will sehen, ob ich nicht etwan
    Fuer Euren Gaum was finden kann.

    Ende des ersten Akts.


    Zweiter Akt

    Satyros [erwachend].
    Das ist ein Hunde-Lagerstaett'!
    Ein's Missetaeters Folterbett!
    Aufliegen hab' ich tan mein'n Ruecken,
    Und die Unzahl verfluchte Muecken!
    Bin kommen in ein garstig Loch.
    In meiner Hoehl, da lebt man doch;
    Hat Wein im wohlgeschnitzten Krug
    Und fette Milch und Kaes' genug.—
    Kann doch wohl wieder den Fuss betreten?—
    Da ist dem Kerl sein Platz, zu beten.
    Es tut mir in den Augen weh,
    Wenn ich dem Narren seinen Herrgott seh'.
    Wollt' lieber eine Zwiebel anbeten,
    Bis mir die Traen in die Augen traeten,
    Als oeffnen meines Herzens Schrein
    Einem Schnitzbildlein, Querhoelzelein.
    Mir geht in der Welt nichts ueber mich:
    Denn Gott ist Gott, und ich bin ich.
    Ich denk, ich schleiche so hinaus;
    Der Teufel hol den Herrn vom Haus!
    Koennt' ich nicht etwa brauchen was?
    Das Leinwand nu waer' so ein Spass.
    Die Maidels laufen so vor mir;
    Ich denk, ich bind's so etwa fuer.
    Seinen Herrgott will ich runter reissen
    Und draussen in den Giessbach schmeissen.

    Ende des zweiten Akts.


    Dritter Akt

    Satyros.
    Ich bin doch mued; 's ist hoellisch schwuel.
    Der Brunn, der ist so schattenkuehl.
    Hier hat mir einen Koenigsthron
    Der Rasen ja bereitet schon;
    Und die Lueftelein laden mich all
    Wie lose Buhlen ohne Zahl.
    Natur ist rings so liebebang;
    Ich will dich letzen mit Floet und Sang.

    [Zwei Maegdlein mit Wasserkruegen.]

    Arsinoe.
    Hoer, wie's daher so lieblich schallt!
    Es koemmt vom Brunn oder aus 'm Wald.

    Psyche.
    Es ist kein Knab von unsrer Flur;
    So singen Himmelsgoetter nur.
    Komm, lass uns lauschen!

    Arsinoe.
    Mir ist bang.

    Psyche.
    Mein Herz, ach! lechzt nach dem Gesang.

    Satyros [singt].
    Dein Leben, Herz, fuer wen erglueht's?
    Dein Adlerauge, was ersieht's?
    Dir huldigt ringsum die Natur,
    's ist alles dein;
    Und bist allein,
    Bist elend nur!

    Arsinoe.
    Der singt wahrhaftig gar zu schoen!

    Psyche.
    Mir will das Herz in meiner Brust vergehn.

    Satyros [singt].
    Hast Melodie vom Himmel gefuehrt
    Und Fels und Wald und Fluss geruehrt;
    Und wonnlicher war dein Lied der Flur
    Als Sonneschein;
    Und bist allein,
    Bist elend nur!

    Psyche.
    Welch goettlich hohes Angesicht!

    Arsinoe.
    Siehst denn seine langen Ohren nicht?

    Psyche.
    Wie gluehend stark umher er schaut!

    Arsinoe.
    Moecht drum nicht sein des Wunders Braut.

    Satyros.
    O Maedchen hold, der Erde Zier!
    Ich bitt euch, fliehet nicht vor mir.

    Psyche.
    Wie kommst du an den Brunnen hier?

    Satyros.
    Woher ich komm, kann ich nicht sagen,
    Wohin ich geh, muesst ihr nicht fragen.
    Gebenedeit sind mir die Stunden,
    Da ich dich, liebes Paar! gefunden.

    Psyche.
    O lieber Fremdling! sag uns recht,
    Welch ist dein Nam und dein Geschlecht?

    Satyros.
    Meine Mutter hab ich nie gekannt,
    Hat niemand mir mein'n Vater genannt.
    Im fernen Land hoch Berg und Wald
    Ist mein beliebter Aufenthalt.
    Hab weit und breit meinen Weg genommen.

    Psyche.
    Sollt er wohl gar vom Himmel kommen?

    Arsinoe.
    Von was, o Fremdling, lebst du dann?

    Satyros.
    Vom Leben, wie ein andrer Mann.
    Mein ist die ganze weite Welt,
    Ich wohne, wo mir's wohlgefaellt.
    Ich herrsch uebers Wild und Voegelheer,
    Fruecht auf der Erden und Fisch im Meer.
    Auch ist auf'm ganzen Erdenstrich
    Kein Mensch so weis und klug als ich.
    Ich kenn die Kraeuter ohne Zahl,
    Der Sterne Namen allzumal,
    Und mein Gesang, der dringt ins Blut
    Wie Weines Geist und Sonnen Glut.

    Psyche.
    Ach Gott! ich weiss, wie's einem tut.

    Arsinoe.
    Hoer, das waer meines Vaters Mann.

    Psyche.
    Ja freilich!

    Satyros.
    Wer ist dein Vater dann?

    Arsinoe.
    Er ist der Priester und Aeltest im Land,
    Hat viele Buecher und viel Verstand,
    Versteht sich auch auf Kraeuter und Sternen;
    Ihr muesst ihn wahrhaftig kennen lernen.

    Psyche.
    So lauf und bring ihn schwind herbei!

    [Arsinoe ab.]

    Satyros.
    So sind wir denn allein und frei.
    O Engelskind! Dein himmlisch Bild
    Hat meine Seel mit Wonn erfuellt.

    Psyche.
    O Gott! seitdem ich dich gesehn,
    Kann kaum auf meinen Fuessen stehn.

    Satyros.
    Von dir glaenzt Tugend-Wahrheits-Licht
    Wie aus eines Engels Angesicht.

    Psyche.
    Ich bin ein armes Maegdelein,
    Dem du, Herr! wollest gnaedig sein.

    [Er umfasst sie.]

    Satyros.
    Hab alles Glueck der Welt im Arm
    So Liebe-Himmels-Wonne warm!

    Psyche.
    Dies Herz mir schon viel Weh bereit't,
    Nun aber stirbt's in Seligkeit.

    Satyros.
    Du hast nie gewusst, wo mit hin?

    Psyche.
    Nie,—als seitdem ich bei dir bin.

    Satyros.
    Es war so ahnungsvoll und schwer,
    Dann wieder aengstlich arm und leer;
    Es trieb dich oft in Wald hinaus,
    Dort Bangigkeit zu atmen aus;
    Und wollustvolle Traenen flossen,
    Und heilge Schmerzen sich ergossen,
    Und um dich Himmel und Erd verging?

    Psyche.
    O Herr! Du weissest alle Ding.
    Und aller Seligkeit Wahntraumbild
    Fuehl ich erbebend voll erfuellt.

    [Er kuesst sie maechtig.]

    Psyche.
    Lass ab!—mich schaudert's—Wonn und Weh—
    O Gott im Himmel! ich vergeh—

    [Hermes und Arsinoe kommen.]

    Hermes.
    Willkommen, Fremdling, in unserm Land!

    Satyros.
    Ihr tragt ein verflucht weites Gewand.

    Hermes.
    Das ist nun so die Landesart.

    Satyros.
    Und einen laecherlich krausen Bart.

    Arsinoe [leise zu Psyche].
    Dem Fratzen da ist gar nichts recht.

    Psyche.
    O Kind! er ist von einem Goettergeschlecht.

    Hermes.
    Ihr scheint mir auch so wunderbar.

    Satyros.
    Siehst an mein ungekaemmtes Haar,
    Meine nackte Schultern, Brust und Lenden,
    Meine lange Naegel an den Haenden;
    Da ekelt dir's vielleicht dafuer?

    Hermes.
    Mir nicht!

    Psyche.
    Mir auch nicht.

    Arsinoe [fuer sich].
    Aber mir!

    Satyros.
    Ich wollt sonst schnell von hinnen eilen
    Und in dem Wald mit den Woelfen heulen,
    Wenn ihr euer unselig Geschick
    Wolltet waehnen fuer Gut und Glueck,
    Eure Kleider, die euch beschimpfen,
    Mir als Vorzug entgegenruempfen.

    Hermes.
    Herr! es ist eine Notwendigkeit.

    Psyche.
    O, wie beschwert mich schon mein Kleid!

    Satyros.
    Was Not! Gewohnheitsposse nur,
    Fernt euch von Wahrheit und Natur,
    Drin doch alleine Seligkeit
    Besteht, und Lebens-Liebens-Freud;
    Seid all zur Sklaverei verdammt,
    Nichts Ganzes habt ihr allzusamt!

    [Es draengt sich allerlei Volks zusammen.]

    Einer aus dem Volk.
    Wer mag der maechtig Redner sein?

    Ein Anderer.
    Einem dringt das Wort durch Mark und Bein.

    Satyros.
    Habt eures Ursprungs vergessen,
    Euch zu Sklaven versessen,
    Euch in Haeuser gemauert,
    Euch in Sitten vertrauert,
    Kennt die goldnen Zeiten
    Nur aus Maerchen, von weiten.

    Das Volk.
    Weh uns! Weh!

    Satyros.
    Da eure Vaeter neugeboren
    Vom Boden aufsprangen,
    In Wonnetaumel verloren
    Willkommelied sangen,
    An mitgeborner Gattin Brust,
    Der rings aufkeimenden Natur,
    Ohne Neid gen Himmel blickten,
    Sich zu Goettern entzueckten.
    Und ihr—wo ist sie hin, die Lust
    An sich selbst? Siechlinge, verbannet nur!

    Das Volk.
    Weh! Weh!

    Satyros.
    Selig, wer fuehlen kann,
    Was sei :Gott sein! Mann!
    Seinem Busen vertraut,
    Entaeussert bis auf die Haut
    Sich alles fremden Schmucks,
    Und nun ledig des Drucks
    Gehaeufter Kleinigkeiten, frei
    Wie Wolken, fuehlt was Leben sei!
    Stehn auf seinen Fuessen,
    Der Erde geniessen,
    Nicht kraenklich erwaehlen,
    Mit Bereiten sich quaelen;
    Der Baum wird zum Zelte,
    Zum Teppich das Gras,
    Und rohe Kastanien
    Ein herrlicher Frass!

    Das Volk.
    Rohe Kastanien! O haetten wir's schon!

    Satyros.
    Was haelt euch zuruecke
    Vom himmlischen Gluecke?
    Was haelt euch davon?

    Das Volk.
    Rohe Kastanien! Jupiters Sohn!

    Satyros.
    Folgt mir, ihr Werten!
    Herren der Erden!
    Alle gesellt!

    Das Volk.
    Rohe Kastanien! Unser die Welt!

    Ende des dritten Aktes.


    Vierter Akt

    Im Wald

    [Satyros, Hermes, Psyche, Arsinoe, Das Volk sitzen in einem Kreise
    alle gekauert wie die Eichhoernchen, haben Kastanien in den Haenden und
    nagen daran.]

    Hermes [fuer sich].
    Sackerment! ich habe schon
    Von der neuen Religion
    Eine verfluchte Indigestion!

    Satyros.
    Und bereitet zu dem tiefen Gang
    Aller Erkenntnis, horchet meinem Gesang!
    Vernehmet, wie im Unding
    Alles durcheinander ging;
    Im verschlossnen Hass die Elemente tosend,
    Und Kraft an Kraeften widrig von sich stossend,
    Ohne Feindsband, ohne Freundsband,
    Ohne Zerstoeren, ohne Vermehren.

    Das Volk.
    Lehr uns, wir hoeren!

    Satyros.
    Wie im Unding das Urding erquoll,
    Lichtsmacht durch die Nacht scholl,
    Durchdrang die Tiefen der Wesen all,
    Dass aufkeimte Begehrungsschwall
    Und die Elemente sich erschlossen,
    Mit Hunger ineinander ergossen,
    Alldurchdringend, alldurchdrungen.

    Hermes.
    Des Mannes Geist ist von Goettern entsprungen.

    Satyros.
    Wie sich Hass und Lieb gebar
    Und das All nun ein Ganzes war,
    Und das Ganze klang
    In lebend wirkendem Ebengesang,
    Sich taete Kraft in Kraft verzehren,
    Sich taete Kraft in Kraft vermehren,
    Und auf und ab sich rollend ging
    Das all und ein und ewig Ding,
    Immer veraendert, immer bestaendig!

    Das Volk.
    Es ist ein Gott!

    Hermes.
    Wie wird die Seele lebendig
    Vom Feuer seiner Rede!

    Das Volk.
    Gott! Gott!

    Psyche.
    Heiliger Prophete!
    Gottheit! an deinen Worten, an deinen Blicken
    Ich sterbe fuer Entzuecken!

    Das Volk.
    Sinkt nieder!
    Betet an!

    Einer.
    Sei uns gnaedig!

    Ein Andrer.
    Wundertaetig
    Und herrlich!

    Das Volk.
    Nimm dies Opfer an!

    Einer.
    Die Finsternis ist vergangen.

    Das Volk.
    Nimm dies Opfer an!

    Einer.
    Der Tag bricht herein.

    Das Volk.
    Wir sind dein!
    Gott, dein! ganz dein!

    [Der Einsiedler kommt durch den Wald gerade auf den Satyros zu.]

    Einsiedler.
    Ah, saubrer Gast! find' ich dich hier,
    Du ungezogen schaendlich Tier!

    Satyros.
    Mit wem sprichst du?

    Einsiedler.
    Mit dir!
    Wer hat bestohlen mich undankbar?
    Meines Gottes Bild geraubet gar?
    Du hinkender Teufel!

    Das Volk.
    Hoellenspott!
    Er laestert unsern herrlichen Gott!

    Einsiedler.
    Du wirst von keiner Schande rot.

    Das Volk.
    Der Laestrer hat verdient den Tod.
    Steinigt ihn!

    Satyros.
    Haltet ein!
    Ich will nicht dabei zu gegen sein.

    Das Volk.
    Sein unrein Blut, du himmlisch Licht,
    Fliess fern von deinem Angesicht!

    Satyros.
    Ich gehe!

    Das Volk.
    Doch verlass uns nicht!

    [Satyros ab.]

    Einsiedler.
    Seid ihr toll?

    Hermes.
    Unseliger, kein Wort!
    Bringt ihn an einen sichern Ort!
    Geht, verschliesst ihn in meine Wohnung.

    [Sie fuehren den Einsiedler ab.]

    Das Volk.
    Sterben soll er!

    Hermes.
    Er verdient keine Schonung.
    Und zu versuehnen den himmlischen Geist,
    Der uns sich so gnaedig und liebreich erweist,
    Wollen wir ihm unsern Tempel weihn
    Und mit dem blutigen Opfer erfreun.

    Das Volk.
    Wohl! Wohl!

    Hermes.
    Zur Gottheit Fuessen
    Den Frevel zu buessen.

    Das Volk.
    Das Verbrechen
    Zu raechen,
    Zu tilgen den Spott.

    Alle.
    Zernichtet die Laestrer,
    Verherrlichet Gott!

    Ende des vierten Akts.


    Fuenfter Akt

    Wohnung des Hermes

    [Eudora, Hermes' Frau. Der Einsiedler.]

    Eudora.
    Nimm, guter Mann, dies Brot und Milch von mir,
    Es ist das Letzte.

    Einsiedler.
    Weib! ich danke dir.
    Und weine nicht, lass mich in Ruhe scheiden;
    Dies Herz ist wohlgewoehnt, zu leiden,
    Allein zu leiden maenniglich.
    Dein Mitleid ueberwaeltigt mich.

    Eudora.
    Ich bin betruebt, wie Blutdurst meinen Mann,
    Das ganze Volk der Schwindel fassen kann!

    Einsiedler.
    Sie glauben. Lass sie! Du wirst nichts gewinnen.
    Das Schicksal spielt
    Mit unserm armen Kopf und Sinnen.

    Eudora.
    Dich um des Tiers willen toeten!

    Einsiedler.
    Tiers! Wer sein Herz beduerftig fuehlt,
    Findt ueberall einen Propheten.
    Ich bin der erste Maertyrer nicht,
    Aber gewiss der harmlosen einer;
    Um keiner Meinungen, keiner
    Willkuerlichen Grillen,
    Um eines armen Lappens willen,
    Eines Lappens, bei Gott! den ich brauchte.
    Mein Andachtsbild, den Schutzgott meiner Ruh,
    Raubt mir das Ungeheuer dazu.

    Eudora.
    O Freund! ich kenn sein Goetterblut wie du.
    Mein Mann ward Knecht in seiner eignen Wohnung,
    Und Ihre borstge Majestaet sah zur Belohnung
    Mich Hausfrau fuer einen arkadischen Schwan,
    Mein Ehbett fuer einen Rasen an,
    Sich drauf zu tummeln.

    Einsiedler.
    Ich erkenn ihn dran.

    Eudora.
    Ich schickt ihn mit Verachtung weg. Er hing
    Sich fester an Psyche, das arme Ding,
    Um mich zu trotzen! Und seit der Zeit
    Sterb ich oder seh dich befreit.

    Einsiedler.
    Sie bereiten das Opfer heut.

    Eudora.
    Die Gefahr lehrt uns bereit sein.
    Ich geb nichts verloren;
    Mit einem Blicke lenk ich ein
    Bei dem kuehnen eingebild'ten Toren.

    Einsiedler.
    Und dann?

    Eudora.
    Wann sie dich zum Opfer fuehren,
    Lock ich ihn an, sich zu verlieren
    In die innern heiligen Hallen,
    Aus Grossmut-Sanftmut-Schein.
    Da dring auf das Volk ein,
    Uns zu ueberfallen.

    Einsiedler.
    Ich fuerchte—

    Eudora.
    Fuerchte nicht!
    Einer, der um sein Leben spricht,
    Hat Gewalt. Ich wage, und du sollst reden.
    [Ab.]

    Einsiedler.
    Geht's nicht, so moegen sie mich toeten.


    Der Tempel

    [Satyros sitzt ernst wild auf dem Altar. Das Volk vor ihm auf Knieen.
    Psyche an ihrer Spitze.]

    Das Volk. Chorus.
    Geist des Himmels, Sohn der Goetter,
    Zuerne nicht!
    Frevlern deiner Stirne Wetter,
    Uns ein gnaedig Angesicht!
    Hat der Laestrer das verbrochen,
    Sieh herab, du wirst gerochen!
    Schroecklich nahet sein Gericht.

    [Hermes. Ihm folgt ein Trupp, den Einsiedler gebunden fuehrend.]

    Das Volk.
    Hoell und Tod dem Uebertreter!
    Geist des Himmels, Sohn der Goetter,
    Zuerne deinen Kindern nicht!

    Satyros [herabsteigend].
    Ich hab ihm seine Missetat verziehn!
    Der Gerechtigkeit ueberlass ich ihn.
    Moegt den Toren schlachten, befrein,
    Ich will nicht dawider sein.

    Das Volk.
    O Edelmut!
    Es fliesse sein Blut!

    Satyros.
    Ich geh' ins Heiligtum hinein;
    Und keiner soll sich unterstehn,
    Bei Lebensstraf', mir nachzugehn!

    Einsiedler [fuer sich].
    Weh mir! Ihr Goetter, wollet bei mir stehn!

    [Satyros ab.]

    Einsiedler.
    Mein Leben ist in euren Haenden,
    Ich bin nicht unbereitet, es zu enden.
    Ich habe schon seit manchen langen Tagen
    Nicht genossen, nur das Leben so ausgetragen.
    Es mag! Mich haelt der traenenvolle Blick
    Des Freundes, eines lieben Weibes Not
    Und unversorgter Kinder Elend nicht zurueck.
    Mein Haus versinkt nach meinem Tod,
    Das dem Beduerfnis meines Lebens
    Allein gebaut war. Doch das schmerzt mich nur,
    Dass ich die tiefe Kenntnis der Natur
    Mit Mueh geforscht und, leider! nun vergebens;
    Dass hohe Menschenwissenschaft,
    Manche geheimnisvolle Kraft,
    Mit diesem Geist der Erd entschwinden soll.

    Einer des Volks.
    Ich kenn ihn; er ist der Kuenste voll.

    Ein Andrer.
    Was Kuenste! Unser Gott weiss das all.

    Ein Dritter.
    Ob er sie sagt, das ist ein andrer Fall.

    Einsiedler.
    Ihr seid ueber hundert. Wenn's zwei-, dreihundert waeren,
    Ich wollte jeden sein eigen Kunststueck lehren,
    Einen jeden eins,
    Denn was alle wissen, ist keins.

    Das Volk.
    Er will uns beschwaetzen. Fort! Fort!

    Einsiedler.
    Noch ein Wort!
    So erlaube, dass ich dir
    Ein Geheimnis eroeffne, das fuer und fuer
    Dich gluecklich machen soll.

    Hermes.
    Und wie soll's heissen?

    Einsiedler [leise].
    Nichts weniger als den Stein der Weisen.
    Komm von der Menge
    Nur einen Schritt in diese Gaenge.

    [Sie wollen gehn.]

    Das Volk.
    Verwegner, keinen Schritt!

    Psyche.
    Ins Heiligtum! Und, Hermes, du gehst mit?
    Vergissest des Gottes Gebot?

    Das Volk.
    Auf! Auf! Des Frevlers Blut und Tod!

    [Sie reissen den Einsiedler zum Altare. Einer dringt dem Hermes das
    Messer auf.]

    Eudora [inwendig].
    Huelfe! Huelfe!

    Das Volk.
    Welche Stimme?

    Hermes.
    Das ist mein Weib!

    Einsiedler.
    Gebietet eurem Grimme
    Einen Augenblick!

    Eudora [inwendig].
    Huelfe, Hermes! Huelfe!

    Hermes.
    Mein Weib! Goetter, mein Weib!

    [Er stoesst die Tueren des Heiligtums auf. Man sieht Eudora sich gegen des
    Satyros Umarmungen verteidigend.]

    Hermes.
    Es ist nicht moeglich!

    [Satyros laesst Eudoren los.]

    Eudora.
    Da seht ihr euren Gott!

    Das Volk.
    Ein Tier! Ein Tier!

    Satyros.
    Von euch Schurken keinen Spott!
    Ich taet euch Eseln eine Ehr' an,
    Wie mein Vater Jupiter vor mir getan;
    Wollt' eure dumme Koepf' belehren
    Und euren Weibern die Muecken wehren,
    Die ihr nicht gedenkt ihnen zu vertreiben;
    So moegt ihr denn im Dreck bekleiben.
    Ich zieh meine Hand von euch ab,
    Lasse zu edleren Sterblichen mich herab.

    Hermes.
    Geh! wir begehren deiner nit.

    [Satyros ab.]

    Einsiedler.
    Es geht doch wohl eine Jungfrau mit.

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