Ein Ring

Paul Heyse

This page copyright © 2003 Blackmask Online.

http://www.blackmask.com

Produced by Delphine Lettau
Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom “Gutenberg Projekt-DE"
zur Verfuegung gestellt.  Das Projekt ist unter der Internet-Adresse
http://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.

Ein Ring

Paul Heyse

Novelle

(1904)

Wie bist du zu dem seltsamen Ringe gekommen, liebe Tante? Einen so massiven, mit grossen schwarzen Buchstaben habe ich nie gesehen. Ist's ein Trauerring? Und was steht in der Inschrift?

Die kleine alte Frau, an die ich diese Fragen richtete, war eine aeltere Schwester meiner Mutter, nur Tante Klaerchen von uns genannt. Vor siebzehn Jahren hatte sie ihren Mann verloren, den Bankier Herz, dessen grosse, schwerfaellige Figur mit dem feinen juedischen Kopfe mir noch aus meiner fruehesten Kinderzeit vor Augen steht, da meine Eltern, als ich zwei Jahre alt war, die Frankfurter Verwandten besucht hatten. Nun war diese Lieblingsschwester meiner Mutter nach einem glaenzenden Leben an der Seite des wohlhabenden Gatten, dem sie schoene Toechter geboren, in eine unscheinbare Dunkelheit versunken, hatte aber ihre Wohnung an der “Schoenen Aussicht” behalten und sie nur selten verlassen, teils weil ihre aeussere Lage ihr den frueheren Aufwand nicht mehr gestattete und zunehmende Kraenklichkeit sie oft ans Bett fesselte, teils weil sie in diesem Hause die freundliche Pflege und Gesellschaft ihres aeltesten Bruders genoss, meines Onkels Louis Saaling und seiner Frau, von denen ich in meinen “Jugenderinnerungen" ein mehreres erzaehlt habe.

Als ich nun in meinem neunzehnten Jahre als fahrender Schueler von Bonn aus den Rhein hinauf wallfahrtete und einige Tage von meinem Onkel beherbergt wurde, ehe ich in die Schweiz weiterzog, fasste ich eine lebhafte Neigung zu dieser Tante Klaerchen, die auch mich, schon um meiner Mutter willen, mit einer ruehrenden Zaertlichkeit ins Herz schloss.

Sie lag damals schon fest auf dem Krankenbette, das sie nicht mehr verlassen sollte. Aber wer von ihren Schmerzen nichts wusste und das feine, edelgebildete Gesichtchen unter dem kostbaren Spitzentuch betrachtete, noch von schwarzen, glaenzenden Locken trotz ihrer sechzig Jahre eingefasst, die Augen von einer seltsamen Onyxfarbe in dem blaeulichen Weiss unter den breiten Lidern, dazu das Gruebchen in der glatten linken Wange, das bei jedem Laecheln sich vertiefte—konnte sich nicht vorstellen, dass die Tage dieser lieblichen alten Frau gezaehlt sein sollten.

Klaerchen hat immer einen “Chain” gehabt, pflegte meine Mutter zu sagen—der juedische Ausdruck fuer das, was wir mit den Franzosen Charme nennen. Diesem Zauber weiblicher Anmut, der aus dem ganzen Naturell der Tante hervorging und bis ins hohe Alter ihr treu blieb, konnte auch ich nicht widerstehen. Ich sass stundenlang an ihrem Bette und liess mir von ihren Erlebnissen aus der Zeit, da sie mit meiner Mutter jung und lustig gewesen war, erzaehlen. Sie war nie witzig gewesen, wie “Julchen", aber ein dankbares Publikum fuer den Humor der Schwester, und hatte eine Menge der drolligen Einfaelle meiner Mutter im Gedaechtnis behalten. Dagegen musste ich ihr von meinem Studentenleben berichten, meine kleinen romantischen Abenteuer und Herzensangelegenheiten beichten, und da es kein Geheimnis war, dass ich Verse machte, ihr auch ein und das andere dieser jugendlichen Exerzitien vorlesen. Sie sagte mir nichts darueber, hoerte aber mit zugedrueckten Augen und einer traeumerischen Miene zu, und als ich aufhoerte, zog sie meinen Kopf an ihr Gesicht heran, kuesste mich auf die Augen und sagte ganz leise: Ich danke dir, lieb Kind. Du bist ein gebenschter (gesegneter) Mensch.

Gewoehnlich ruhten ihre beiden kleinen Haende regungslos auf der gruenseidenen Decke, die mit kostbaren Spitzen eingefasst war. Die ungemein zarte Haut war bleich wie alter, weisser Atlas, der etwas vergilbt ist und seinen Glanz verloren hat, wie auch ueber ihrem Gesicht kein Schimmer von Roete lag. An beiden Haenden aber blitzten die kostbarsten Ringe, zwischen deren Juwelen der dicke Trauerring sich wie ein schlichter Fremdling ausnahm, der sich in eine vornehme Gesellschaft verirrt hatte.

Als ich sie nach ihm fragte, hob die Tante sacht die linke Hand, die ihn trug, und hielt sie nahe vor die Augen, deren Sehkraft schon ein wenig geschwaecht war.

Es ist auch ein Trauerring, sagte sie mit ihrer weichen Stimme, nachdem sie ihn eine Weile still betrachtet hatte. Der, von dem ich ihn habe, ist lange schon nicht mehr auf der Erde. Neben den anderen nimmt er sich nicht glaenzend aus, und doch ist er mir der liebste von allen. Dass er so dick ist, kommt davon her, weil er eine kleine Haarlocke einschliesst, die man sieht, wenn man die innere Kapsel oeffnet. Ich habe es seit vielen Jahren nicht mehr getan, will's auch jetzt nicht, es greift mich zu sehr an. Die Emailinschrift aber kannst du selbst lesen.

Sie hielt mir den Ring wieder hin, und ich buchstabierte: Lebe wohl! Dann sank die Hand wieder auf die seidene Decke.

Wir schwiegen eine Weile.

Ich begriff, dass an dem Ringe ein Stueck Leben hing, das ich nicht heraufbeschwoeren wollte, da es traurig war und ich die liebe Kranke schonen wollte. Ich war aber doch zu neugierig, um nicht auf Umwegen die Enthuellung des Geheimnisses zu versuchen, und so sagte ich nach einiger Zeit ganz unschuldig: Du musst viele Anbeter gehabt haben, Tante, in deiner frueheren Zeit, noch da du schon grosse Toechter hattest. Mutter hat mir gesagt, wenn du mit ihnen in einen Ballsaal getreten seiest, habe man dich fuer ihre aelteste Schwester gehalten.

Sie nickte still vor sich hin.

Jawohl, lieb Kind, sagte sie, ich wusste das selbst, es waere kindisch gewesen, mir's verleugnen zu wollen. Aber Anbeter, was man so nennt, die sich einbildeten, sie koennten sich Hoffnungen machen, in besondere Gunst bei mir zu kommen, die hatte ich eigentlich nicht. Es wusst's alle Welt, dass ich meinen Mann lieb hatte und in Ehren hielt, obgleich ich gar keine schwaermerische Neigung zu ihm fuehlte, als ich mit siebzehn Jahren ihm angetraut wurde. Ich hatte ihn kaum sechsmal vorher gesehen, und schoen war er ja nicht, und dass er mir immer treu bleiben wuerde, machte ich mir auch keine Hoffnung. Ich weiss auch nicht, wie's spaeter damit stand, wollt's auch nicht wissen. Du weisst aber, bei uns Juden versteht sich's von selbst, dass die Frauen ihren Maennern treu bleiben, und die etwa eine Ausnahme von der Regel machten, wurden nicht zum besten darum angesehen, selbst in der damaligen Zeit, wo die guten alten Sitten sehr ins Wackeln kamen.

Damals freilich kam's nicht gar selten vor, und gerade von den Reichsten und Schoensten erzaehlte man sich allerlei Skandale. Ich hoerte nicht viel danach hin. Ich hatte meine Kinder, und viel Freude daran, auch an meinem Hause, wo damals ein gross Leben war, da all die fremden Gesandten beim Bundestage bei uns eingefuehrt waren.

Natuerlich wurde auch mir die Cour gemacht, aber immer auf Franzoesisch, wobei man ja wusste, all die schoenen Redensarten durfte man nicht au pied de la lettre nehmen. Ich konnt's um so leichter, weil Herz gar keine Ader von Eifersucht hatte, sondern nur schmunzelte, wenn man auch seine Frau noch schoen fand, obwohl sie auf die Vierzig losging und drei grosse Toechter hatte, eine immer schoener als die andere. Die Adelheid heiratete denn auch bald den Rothschild, die Helene, die die huebscheste war, den Fenelon Salingnac, und die Marianne den Baron Haber. Da hatte ich mit den Ausstattungen, Hochzeiten und bald hernach auch mit Grossmutterpflichten alle Haende voll zu tun und das Herz auch, denn dass es auch viel zu sorgen und zu seufzen gab, kannst du dir wohl denken, lieb Kind.

Einen wirklichen, richtigen “Anbeter", wie du's meinst, hatt' ich aber doch.

Das war kein eleganter, galanter Herr, der mir auf Franzoesisch erklaerte, dass er mich reizend, unwiderstehlich und grausam fand, sondern ein haesslicher, schuechterner alter Jude, der bei uns im Hause wohnte und mit zur Familie gehoerte.

Alt war er nicht gerade, kaum fuenfzig, aber er machte den Eindruck, als waere er nie jung gewesen. Julchen sagte, er sehe aus “wie alt gekauft”. Er hiess deshalb nur der alte Ebi, war Buchhalter bei meinem Manne gewesen und hatte dann seinen Abschied nehmen muessen, weil er den Star auf dem linken Auge bekam und das gesunde rechte geschont werden musste. Herz wollte ihn wegen seiner treuen Dienste mit einer reichlichen Pension entlassen, er bat aber, man solle ihm nur die Haelfte geben, ihm aber erlauben, im Hause zu bleiben, an das er sich einmal so gewoehnt habe, dass er draussen keinen frohen Tag leben werde. Herz lachte so mit seinem tiefen Bass und sagte: Das Haus, an das er gewoehnt ist, das bist du, Klaerchen, denn der alte Bursche, das sieht ein Blinder, ist in dich verliebt. Obwohl er aber sonst meschugge ist, die Narrheit kann ich ihm ja nachempfinden—dabei kuesste er mir die Hand—und darum will ich ihm, als ein Muster von nachsichtigem Ehemann, den Gefallen tun und er mag im Hause bleiben, bis er mal was ganz Verruecktes anstellt und dich durch seine Narrheit kompromittiert. Dann hat er sich's selbst zuzuschreiben, wenn wir geschiedene Leute sind.

Der Ebi aber nahm sich wohl in acht, irgend so was anzustellen, was mir auch nur unbequem gewesen waere.

Er sass die meiste Zeit ganz still in seinem Stuebchen, das wir ihm eingeraeumt hatten, las durch eine grosse Brille in allerlei hebraeischen Schriften, denn bevor er die Kaufmannschaft lernte, war er ein Bocher gewesen und wusste im Talmud Bescheid, und dazwischen schrieb er allerlei auf grossen Bogen, was er niemand zeigte. Marianne behauptete, er mache Gedichte. Ich fuerchtete, wenn ich ihn danach fragte, wuerde er sie mir zeigen wollen, und sie seien am Ende an mich gerichtet.

Uebrigens machte er sich im Hause nuetzlich, wo er nur konnte, fuehrte meinen Viktor spazieren, blieb, wenn die Toechter Musikstunden hatten, als Anstandswaechter dabei und liess sich zu jeder Kommission, die ihm einer auftrug, bereit finden, so dass wir ohne unseren alten Ebi ein paar Dienstboten mehr haetten halten muessen. Er ass nie mit uns, sondern in einem kleinen koscheren Gasthause, da er die Speisegesetze hielt, und nur zum Tee kam er manchmal, wo er dann immer sehr reinlich gekleidet erschien, in einem langen schwarzen Rock, der ein bisschen an den Kaftan oder Schubbiz erinnerte, wie ihn die richtigen polnischen Juden tragen, eine weisse Krawatte umgeknuepft, das Haar sorgfaeltig frisiert. Schoen sah er dann erst recht nicht aus, eher komisch, aber bei alledem auch wieder ehrwuerdig, mit der grossen Nase in dem glattrasierten gelblichen Gesicht, dem feinen blassen Munde und den kleinen, tiefliegenden Augen, die aber, wenn er sich einmal in Eifer sprach, ganz merkwuerdig leuchteten.

Man fuehlte ueberhaupt, dass ein ganz eigener Geist in ihm steckte, der die Menschen gruendlich durchschaute, und vor vielem, was der grossen Menge imponiert, gar keinen Respekt hatte, am wenigsten vor dem goldenen Kalbe. So gesteh' ich auch, dass mir seine stumme Huldigung heimlich schmeichelte und ich jede Gelegenheit ergriff, mich guetig gegen ihn zu erweisen. Er nahm es als eine besondere Ehre auf, dass ich ihn bat, sich in mein Stammbuch einzuschreiben. Am anderen Tage brachte er mir's wieder, ich las, was er geschrieben, in seiner Gegenwart: “Werde, was du bist, dann bist du, was noetig ist.” Er war aber nicht zu bewegen, mir den Sinn, der mir dunkel blieb, zu erklaeren. Herz lachte wieder, da ich's ihm zeigte. Er sagte aber nur, es sei die feinste Schmeichelei, und ich wuerde eitel werden, wenn ich's verstuende.

Damals hatte ich eine Haushaelterin, Mamsell Zipora, keine ueble Person und nicht viel ueber vierzig, die sich in der Zeit, wo sie in unserm Dienste stand, auf rechtem oder unrechtem Wege ein ganz artiges Suemmchen erspart, auch eine Erbschaft zu erwarten hatte. Die hatte sich's in den Kopf gesetzt, den Ebi zu heiraten, und ich beguenstigte ihr Projekt, da mir's doch manchmal unheimlich war, wenn die Augen meines Verehrers so schwaermerisch auf mich gerichtet waren, wie die Katholen (so sagte die Tante immer fuer die Katholiken) zu ihrer Gottesmutter aufblicken. Ebi aber blieb unerschuetterlich. Wenn das gute Wesen ihre Karten gar zu offen vor ihn hinlegte, mit Schmeicheln und Streicheln und allerhand aufdringlichen Liebesdiensten wie ein Kaetzchen um ihn herumstrich, zog er die dicken, schwarzen Brauen zusammen und sagte im Tone des tiefsten Abscheues: Ich bitt' Sie, Mamsell Zipora, kriechen Sie von mer 'runter!

Worauf die so schnoede Abgewiesene mit einem Ausrufe heftigster Kraenkung fortrannte, ohne jedoch die Belagerung ein fuer allemal aufzugeben.

Ich machte ihm einmal Vorstellungen ueber seine Herzenskaelte. Er sah mich wehmuetig an. Madame Herz, sagte er, verzeihen Sie, jeder Mensch hat sein Schicksal. Den meisten kommt's von boesen Menschen, ich hab' meine Not mit den guten—die mir nicht lassen meine Ruh'. Was ich lieb', das bekomme ich nicht, und was mich liebt, das mag ich nicht. Glauben Sie, Madame Herz: Wenn der Mensch ein Schlemihl ist, nimmt sich der Unglueck en Kuetsch und fahrt em nach.

Die Marianne, die ihn einmal in seinem Zimmer aufgesucht hatte mit irgendeinem Auftrage, erzaehlte mir sehr belustigt, sie habe ihn beim Schreiben an einem grossen Hefte betroffen und wohl gesehen, dass es Verse seien mit dazwischengeschriebenen Namen, und habe ihn gefragt, was fuer ein Stueck er dichte. Er habe es ihr aber nicht gestehen wollen.

Beim naechsten Begegnen fragt' ich ihn selbst darum. Da er mir nun nichts abschlagen konnte, gestand er mit einem schuechternen Erroeten, es sei ein Trauerspiel, die Tochter Jephthas, das dichte er aber nicht, um es irgendeinem Theater anzubieten, da er wohl wisse, er verstehe sich nicht auf die richtige dramatische Kunst, sondern nur fuer sich, zu seinem eignen Vergnuegen.

Das muessen Sie uns aber mitteilen, Ebi, sagt' ich. Wenn's fertig ist, muessen Sie mir's vorlesen. Versprechen Sie mir's!

Er erroetete noch tiefer, verbeugte sich, ohne ein Wort zu sagen, und ich konnte nicht erkennen, ob meine Bitte ihm lieb oder leid sei. Auch vergass ich sie selbst. Ich hatte es nur gesagt, um ihn damit zu erfreuen, dass ich mich fuer sein Tun und Treiben interessierte.

Die gute Tante schwieg eine Weile. Sie hatte den Kopf gegen das Kissen zurueckgelegt und die schwarzen Augen still nach der Zimmerdecke hinaufgerichtet. Ich fragte sie, ob sie das Sprechen nicht zu sehr angreife. Sie moege mir das uebrige morgen oder ein andermal erzaehlen, wenn sie sich frischer fuehle.

Nein, lieb Kind, sagte sie, ich fuehle mich morgen nicht frischer als jetzt. Alte Leute werden ueberhaupt nur noch ein bisschen aufgefrischt, wenn sie an ihre jungen Tage denken. Aber gib mir das Flaeschchen dort von dem Toilettentisch!

Ich reichte ihr das Kristallflacon mit dem silbernen Verschlusse, und sie goss von der Eau de Cologne ueber ihre Haende und hielt sie dann vors Gesicht. Meine Nase bleibt mir am laengsten treu, laechelte sie. Die Zunge ist nicht mehr viel wert, Augen und Ohren lassen mich im Stich, aber an Blumenduft und feinem Parfuem erquick' ich mich noch.

Sie behielt das Flaeschchen in der Hand und sah wieder auf den Ring herab.

Nun kommt erst die Geschichte, sagte sie. Ich hab' sie noch keinem Menschen erzaehlt, nicht mal meinem Mann. Du aber sollst sie hoeren, weil du ein gutes Kind bist und Schwester Julchen aehnlich siehst und schoene Verse machst. Also pass auf und hoer auch, was ich verschweige.

Denn 's ist fuer eine alte Frau nicht leicht, so recht zu sagen, was sie viele Jahre auf den Herzen gehabt hat, und obwohl's eine Schwaeche war, nicht hat loswerden koennen. Aber du wirst es schon verstehen.

Also, vor etwa einundzwanzig Jahren war's, im Herbst, auf dem ersten Ball, mit dem die Saison wieder eroeffnet wurde, im Bethmannschen Hause. Herzens waren natuerlich eingeladen und erschienen en grande tenue, Mutter Klaerchen und die drei grossen Toechter, die juengste allerdings erst sechzehnjaehrig. Und die Maedchen sahen wirklich wie die drei Grazien aus, das heisst, wenn deren Toilette nicht von Mutter Natur, sondern von einer Pariser Schneiderin besorgt worden waere. Das Wort von drei Grazien aber musst' ich an dem Abend wohl ein dutzendmal hoeren.

Wir waren natuerlich in unserem Anzuge, wie immer, die einfachsten; Herz liebte es nicht, dass ich mich oder die Kinder “putzte", da wir an Schmuck und anderem Luxus doch nicht mit den grossen Haeusern rivalisieren konnten. So hatte ich nur meine Perlen um den Hals und in den Ohren, die Maedchen nichts als frische Blumen, freilich von den zu dieser Jahreszeit teuersten, die weissen Tuellkleider nach der neuesten Mode, aber ohne kostbare Spitzen, ich in einer ganz hellen, pfirsichfarbenen Robe, ziemlich dekolletiert, wie man eben damals ging, und eine kleine Federagraffe im Haar. Ich wusste, es stand mir gut, doch war's schon laengst mein Bestreben, mich zu eklipsieren, um meine Maedchen glaenzen zu lassen.

Sie machten auch Sensation, als sie den Saal betraten, und hatten im Umsehen alle Taenze vergeben. Ich selbst gesellte mich zu ein paar aelteren Damen, die mir allerlei Schoenes ueber meine Kinder und auch ueber mich sagten, und ergab mich dann in das allgemeine Mutterschicksal, mich nur noch an fremdem Vergnuegen zu amuesieren.

Das hatte ich aber schon zu oft getan, als dass mich's nicht bald ermuedet haette, und da auch die Damen neben mir mich langweilten, versank ich endlich in eine Art Halbschlaf mit offenen Augen, in dem nur die tanzenden Paare mit der lebhaften Musik wie Schatten, die man im Traum sieht, vorueberschwebten.

Auf einmal aber, in einer Tanzpause, weckte mich aus diesem Daemmerzustand eine bekannte Stimme, die des Grafen Fenelon, der mir einen Freund vorstellte, den Vicomte Gaston de—auch ein sehr aristokratischer Name—, der gestern in Frankfurt angekommen sei als Attache bei der franzoesischen Gesandtschaft und um die Ehre bitte—und so weiter.

Ich machte, ein wenig verwirrt, die Augen weit auf und sah einen jungen Herrn vor uns stehen, der auch einer getraeumten Erscheinung aehnlicher sah als einem leibhaftigen Menschen. Denn so ein schoenes, glaenzendes Gesicht, mit so maedchenhaft zarten Zuegen und doch ganz ernsthaften und feurigen Augen, eine so tadellose maennliche Gestalt, dazu angezogen wie ein Gott, doch ohne Stutzerhaftigkeit, war mir noch nicht vorgekommen.

Ich will ihn dir nicht beschreiben. Du koenntest dir doch keine Vorstellung von ihm machen.

Dazu seine Stimme, die durchs Ohr gleich ins Herz drang, obwohl sie gar nichts Insinuantes hatte, sondern ganz schlicht und treuherzig klang, und ein Franzoesisch, wie man's nur in den besten Pariser Kreisen spricht.

Ich war so benommen von alldem, dass ich nicht imstande war, meinen usage du monde zu zeigen, auf den ich mir sonst was zugute tat. Als ich das merkte, wurde ich erst recht ungeschickt, stammelte mein sonst so gelaeufiges Franzoesisch wie ein Schulkind heraus und dachte: Wenn er nur wieder ginge! Was soll er von dir denken? Im stillen lacht er ueber dich!

Es schien aber nicht, als ob ihm etwas Laecherliches an mir auffiel. Vielmehr unterhielt er mich auf die geistreichste Art und bat endlich, da ein Platz neben mir frei wurde, um die Erlaubnis, sich zu mir setzen zu duerfen. Fenelon hatte sich verabschiedet und ihm noch etwas zugeraunt. Ich glaubte, gehoert zu haben: Elle a quarante ans! und er darauf, so dass ich's hoeren musste: Mais elle est ravissante, mille fois plus belle ques ses filles!—was meine Verlegenheit natuerlich noch steigerte, so sanft mir's einging.

Die Musik setzte wieder ein. Sie werden Pflichten gegen die jungen Damen haben, sagte ich, denen Sie eine alte Mama nicht abtruennig machen darf.—Er habe sich fuer diesmal mit dieser corvee schon abgefunden; mit seinen dreissig Jahren koenne man nicht verlangen, dass er einen ganzen Abend herumwirble—, wenn ich erlaubte, moechte er um die Ehre bitten, mich zu Tische zu fuehren.

Wie gern ich's erlaubte, kannst du denken.

Es war lange her, dass sich jemand ernstlich um mich bemueht hatte, meine Jugend lag weit hinter mir, nun war's, als stuende sie aus ihrem Grabe wieder auf, ich vergass, dass ich erwachsene Toechter hatte und keine Ansprueche mehr auf eine Eroberung—und eine solche!—Es war wie ein Maerchen!

Aber ich kannte ihn ja noch gar nicht. Er ist zehn Jahre juenger als du, dacht' ich. Eine Laune wird es von ihm sein, einmal einer femme de quarante ans so beflissen den Hof zu machen, als sei es ihm Ernst damit, vielleicht bloss um eine andere, mit der er gerade boudiert, zu kraenken. Morgen denkt er nicht mehr daran.

Gleichviel! Das Heute war reizend, und ich genoss es, ohne mir Sorgen darueber zu machen, dass es nur ein Traum sein koenne. Ich merkte, dass ich zum erstenmal in meinem Leben erfuhr, was es heisst, sich verlieben, und zwar, was ich immer fuer eine Fabel gehalten hatte, so auf den ersten Blick, wie ein Blitz aus blauem Himmel. Ich erfuhr auch, dass Liebe blind macht. Wenigstens dachte ich waehrend des ganzen Soupers und auch, als er nachher mir immer zur Seite blieb, keinen Augenblick daran, was man von unserem langem Tete-a-tete mitten in der grossen Gesellschaft sagen wuerde, und erst als die Toechter beim Nachhausefahren mich mit diesem Verehrer neckten, kam ich ein wenig zur Besinnung.

Herz war nicht auf dem Ball gewesen. Baelle langweilten ihn, wir wechselten also ab, da auch ich wenig Vergnuegen an der Rolle der Ballmutter fand, und so chaperonierte der Papa die Kinder bei anderen Gelegenheiten, wo ich dann zu Hause blieb.

Die Nacht schlief ich nur wenig. Ich war aber so voller Freude ueber das Erlebte, dass mich gar nicht danach verlangte, von mir selbst nichts mehr zu wissen. So muss einem ganz jungen Maedchen zumute sein nach seinem ersten Ball, wo sein Herzchen zum erstenmal gesprochen hat.

Er hatte um die Erlaubnis gebeten, sich meinem Manne vorzustellen. Dass er gleich am folgenden Tage davon Gebrauch machen wuerde, wagte ich kaum zu hoffen. Aber wirklich kam er gleich am naechsten Abend, wo wir en petit comite waren, und betrug sich so taktvoll Herz gegenueber, dass der die beste Meinung von ihm fasste und mir zu diesem Anbeter gratulierte. Die Adelheid hatte mich verpetzt, was er aber in seiner gewohnten Manier mit Lachen aufnahm.

Auch wie er nun immer oefter kam und sich als Hausfreund en titre bei uns etablierte, hatte mein Mann nicht das geringste dagegen einzuwenden.

Wir waren auch nie allein, eins oder das andere der Kinder war immer zugegen, mit einer Haekelarbeit oder am Klavier, und oft brachte er auch seinen Freund Fenelon mit, der sich damals eifrig um Helene bewarb. So zu vieren war mir's am liebsten. Jedes Paar gehoerte sich dann allein an und hoerte nicht nach dem anderen hin. Aber du musst nicht glauben, dass wir dann zaertliche Gespraeche fuehrten. Nie hoerte ich ein Wort von ihm, was nicht auch mein Mann haette hoeren duerfen, und nur seine Augen und zuweilen sein Verstummen sagten mir alles, was in ihm vorging.

Auch brachte er zuweilen Buecher mit, die mir noch unbekannt waren, da ich ziemlich ungebildet war, und wir sprachen hernach darueber. Oder er las uns eine Racinesche Tragoedie vor, was er ganz herrlich konnte, oder Gedichte von Viktor Hugo, der damals eben erst bekannt zu werden anfing. In der Sprache der Dichter machte er mir die feurigsten Erklaerungen, und an der Art, wie ich zuhoerte, konnte er erraten, wie es um mein eigenes Herz stand.

In der Gesellschaft erzaehlte man sich, er sei in Paris als ein gefaehrlicher mangeur de coeurs bekannt gewesen, und man wunderte sich, dass er in Frankfurt gar keinen Abenteuern nachging. Dass er mein Haus so fleissig besuchte, erklaerte man sich durch eine Verliebtheit in eine meiner Toechter. Die ehrbare “alte” Madame Herz hatte niemand im Verdacht, dem leichtfertigen jungen Vogel die Fluegel beschnitten zu haben.

So dauerte das den ganzen Winter. Es war die seligste Zeit meines Lebens.

Auch dadurch wurde das Glueck nicht etwa getruebt, dass ich mir Vorwuerfe gemacht haette. Ich verstand nicht, dass es Suende haette sein koennen, das Liebenswuerdige zu lieben und das Schoene schoen zu finden. Meinen Pflichten als Gattin und Mutter wurde ich darum nicht untreu, wenn ich in dem Umgang mit diesem reizenden jungen Freunde mein Herz lebhafter schlagen fuehlte. Ich wollte und hoffte auch wirklich nichts weiter, als dass es immer so fortgehen moechte, er einen Tag wie den andern ueber meine Schwelle treten, um sich dann zu mir zu setzen und eine Stunde lang ganz ernsthaft mit mir zu plaudern. Ich hoere noch, wie er beim Eintreten sagte: Guten Tag, Madame Herz. Wie geht es ihnen? Und dann beim Scheiden: Leben Sie wohl! Auf Wiedersehen!

Das waren die einzigen deutschen Saetze, die ich ihm beigebracht hatte, und die er mit so drolligem Akzent von sich gab, dass die unartigen Maedchen immer darueber lachten.

Und so ging der Winter hin. Keines von uns machte sich Gedanken ueber die Zukunft.

Ende Maerz aber kam das Unglueck.

Es war bei einem Diner im Hause Guaita, zu dem auch die Herren von der franzoesischen Gesandtschaft geladen waren. Die Frau vom Hause, die mein Faible fuer ihn kannte, hatte ihm den Platz neben mir angewiesen. Ich erschrak aber heftig, als er mir den Arm bot, mich zu Tisch zu fuehren.

Denn er war totenblass, und auf meine Frage, ob er sich krank fuehle, schuettelte er nur stumm den Kopf. Erst als wir nebeneinander Platz genommen hatten, fluesterte er mir zu, er habe vor einer Stunde sein Todesurteil vernommen. Sein Chef habe ihm mitgeteilt, dass er, der Gesandte, nach Konstantinopel versetzt sei. Er, Gaston, muesste schon in der folgenden Nacht dorthin vorausreisen, um allerhand Praeliminarien abzumachen und gewisse Weisungen fuer das Gesandtschaftshotel persoenlich zu ueberbringen. Leider koenne der Gesandte ihm nur vierundzwanzig Stunden bewilligen, um sich zur Abreise zu ruesten und sein Zelt in Frankfurt abzubrechen.

Du kannst denken, lieb Kind, wie diese Eroeffnung auf mich wirkte. Ich war einer Ohnmacht nahe, und nur ein Glas Sherry, das Gaston mich auszutrinken noetigte, gab mir wieder ein wenig Contenance.

Aber der Rest des Diners verlief so traurig, wie eine Henkersmahlzeit. Wir sprachen fast nichts miteinander und assen kaum einen Bissen. Zuletzt kamen wir ueberein, dass er morgen noch einmal kommen sollte, um Abschied zu nehmen. Am naechsten Abend war eine Soiree, ich entsinne mich nicht, bei wem, nur dass schon ausgemacht war, Herz sollte diesmal die Maedchen hinbegleiten und ich zu Hause bleiben. Um halb neun fuhren sie zusammen fort. Wenn Gaston um neun kam, traf er mich allein, und da er um zehn zu seinem Chef bestellt war, um noch Briefe und Depeschen in Empfang zu nehmen, blieb eine volle Stunde, die uns gehoerte. Ich werde Ihnen Briefe an Wiener Damen mitgeben, mit denen ich befreundet bin: Frau Arnstein und Eskeles und die Baronin Pereira. Da Sie sich einige Zeit in der Kaiserstadt aufhalten sollen, kann Ihnen die Einfuehrung bei diesen sehr angesehenen Damen vielleicht irgendwie nuetzlich sein, und jedenfalls wird es Ihnen wohltun, mit irgend jemand von Ihrer alten Frankfurter Freundin sprechen zu koennen.

So ueberstanden wir dies martervolle Diner. Aber die folgende Nacht und der Tag darauf vermehrten nur meinen Schmerz, der manchmal zu voelliger Verzweiflung wurde. Jetzt erst kam mir so recht zum Bewusstsein, dass ich ihn liebte, immer geliebt hatte, und wie ich ihn liebte! Von ihm getrennt zu werden, stand mir vor Augen wie der schlimmste Tod, mein Leben hernach wie eine Wueste, in der nichts Gruenes, Troestliches fuer mich spriessen koennte!

Und so schrieb ich die Empfehlungsbriefe unter stroemenden Traenen und erwartete die letzte Stunde wie eine zum Tode Verurteilte.

Um halb neun kam Herz mit den Kindern, mir gute Nacht zu sagen. Sie fanden mich blass und angegriffen. Du hast Fieber, Frau, sagte Herz. Du musst frueh zu Bett gehen.—Freilich hatte ich den ganzen Tag wie im Fieber zugebracht, es brannte und gluehte mir im Blut, wenn ich an den Abend dachte, an den Abgrund, in den mich's dann fortreissen konnte. Aber obwohl mir bei dem Gedanken schwindelte, fuerchtete ich's doch nicht und sehnte es herbei. Mir war wie einem Fieberkranken, der am Rande eines tiefen Meeres hingeht. Bloss um sich endlich zu kuehlen, moecht' er sich hineinstuerzen, wenn ihm die Wellen auch ueber den Kopf zusammenschluegen, dass er in eine bodenlose Tiefe versaenke.

Gleich nachdem die anderen fortgefahren waren—ich lag auf dem Sofa und zaehlte die Minuten—, da klopft's. Ich fahre auf und denke: Sollt' er's schon sein?—Ich hatte meiner Kammerjungfer gesagt, ich sei fuer niemand zu Hause, bloss wenn der Vicomte kaeme, der verreise, und ich haette ihm noch Briefe mitzugeben.—Aber wie ich Herein! rufe und die Tuer sich oeffnet, wer tritt ueber die Schwelle? Der Ebi.

Sie haben mir erlaubt, Madame Herz, wenn ich mit dem Trauerspiel fertig waer', sollt' ich kommen und's Ihnen vorlesen. Da Sie heute bleiben zu Haus, hab' ich mir gedacht-Ich nickte bloss, und er kam herein. Ich fand nicht gleich einen Vorwand, ihn fortzuschicken, und dann dacht ich: Lass ihn nur lesen, das hilft mir ueber die Pein der Erwartung hinweg, und wenn Gaston dann kommt, wird er von selbst wieder aufbrechen. Er bleibt ja nie, wenn ich Besuch habe. Also setzte er sich auf ein Fauteuil neben dem Sofa, schlug sein grosses Heft auf und fing an zu lesen, wobei seine Stimme vor Aufregung zitterte und auch die Haende, die die Blaetter umschlugen. Er las mit einer eintoenigen, leisen Stimme, und zuweilen geriet er in einen singenden Ton, wie die Vorbeter im Tempel, die ich als Kind gehoert hatte. Denn seit meiner Verheiratung war ich nicht mehr in die Synagoge gekommen.

Was er las, wusste ich nicht, auch nicht, ob es Verse waren oder ueberhaupt Sinn und Verstand hatte. Nur so viel wurde mir allmaehlich klar, dass es eine Liebesgeschichte war, die er zu der biblischen Historie hinzuerfunden hatte. Ein junger Ammoniter, der unter den Gefangenen mit Jephtha nach Hause gekommen war, hatte sich in die unglueckliche Tochter verliebt, die nach dem uebereilten Geluebde des Vaters sterben sollte, weil sie die erste gewesen war, die dem heimkehrenden Sieger aus seinem Hause entgegengekommen war. Auch das Maedchen hatte zu dem Juengling eine Neigung gefasst, obwohl er aus dem Stamm der Feinde ihres Volkes war und nicht zu dem Gott ihrer Vaeter betete. Als er aber in sie drang, waehrend der Todesfrist von zwei Monaten, die sie auf dem Berge zubrachte, um ihr verlorenes Leben zu beweinen, sich zu retten und mit ihm zu entfliehen, widerstand sie ihrem Herzen und blieb beharrlich dabei, sich zu opfern, da ihr Vater “seinen Mund aufgetan habe gegen den Herrn", und sie sein Geluebde heilig halten muesse.

Das Beste an der Dichtung schien nur, soviel ich davon begriff, dass sie kurz war und viele Psalmenstellen und fromme Sprueche aus der Schrift enthielt, und so kam der Vorleser fast bis ans Ende, zu dem schwaermerischen Lobgesange der Jungfrau kurz vor ihrem Tode, als es wieder an die Tuer klopfte. Und diesmal war er's.

Seine schoenen Augen verfinsterten sich, als er den Alten bei mir fand. Auch brachte er nicht seine paar deutschen Redensarten vor, mit denen er mich sonst begruesste, sondern sagte: “Bon soir, Madame! Vous allez bien? Mais vous n'etes pas seule. Si je vous derange—”

Ich fasste mich so gut ich konnte, stellte die Herren vor, wobei Gaston dem armen Ebi einen Blick zuwarf, wie einem todeswuerdigen Verbrecher, und sagte, unser alter Hausgenosse habe mir ein selbstverfasstes Drama vorgelesen, wir seien eben zum Schlusse gelangt.

Ich dachte nicht anders, als dass der Alte nun gehen wuerde. Er sprach auch nicht Franzoesisch, obwohl er es verstand. Er machte aber keine Miene, aufzubrechen, nur dass er seinen Platz mit einem anderen Sitz etwas weiter vertauschte.

Sie lesen mir den Schluss wohl ein andermal, Ebi, sagte ich. Das Stueck ist sehr schoen. Vielleicht kann es sogar aufgefuehrt werden.

Auch das half nicht. Er antwortete mit einer stummen Verbeugung, blieb dann aber stocksteif sitzen, das Heft auf den Knien, die Augen gegen das Teppichmuster gerichtet.

Ich dachte, er wuerde doch endlich merken, dass er zuviel sei, wenn ich gar keine Notiz mehr von ihm naehme und die Konversation franzoesisch weiterginge. Also bat ich den Vicomte, Platz zu nehmen, fragte, wann er reiten wuerde—diese Nacht noch um Mitternacht—, ob er auch mit warmen Decken versorgt waere—eine von mir muesse er durchaus mitnehmen—und sprach dann von den Briefen an die Wiener Damen, das gleichgueltigste Geplauder von der Welt, waehrend mir das Herz klopfte, als ob es aus der Brust springen wollte.

Und der Alte dabei immer regungslos wie eine Bildsaeule!

Noch jetzt weiss ich nicht, warum ich's nicht ueber die Lippen brachte, zu sagen: Lassen Sie uns allein, Ebi. Ich habe dem Herrn Vicomte noch etwas unter vier Augen zu sagen. Aber ich wusste, bei den Worten wuerde ich rot werden, wie ein ertapptes Schulkind, und er wuerde mir meine suendhafte Leidenschaft am Gesicht ablesen.

So quaelte ich mich, den Faden des Gespraechs fortzuspinnen, wobei Gaston mir wenig half. Denn er war dermassen verzweifelt ueber sein Unglueck, mich zum letztenmal nicht ohne Zeugen sehen zu koennen, dass ihn alle Geistesgegenwart verliess und er die sonderbarsten Antworten auf meine Fragen gab. Zuweilen sprang er auf, tat ein paar hastige Schritte durchs Zimmer, blieb vor der Uhr auf dem Kaminsims stehen und warf sich dann wieder in den Sessel, mit einem Seufzer, der einen Stein haette erweichen koennen, an dem alten Cerberus aber ohne jeden Eindruck abglitt.

Je laenger es dauerte, je mehr sank mir der Mut, je laenger wurden auch die Pausen in unsrer Konversation. Endlich schlug die Uhr zehn. Da stand er auf, er konnte sich kaum auf den Knien halten. Es ist Zeit, stammelte er. Der Graf erwartet mich. Oh Madame...

Die Stimme versagte ihm. Auch ich hatte mich erhoben, obwohl ich mich nur mit Muehe aufrecht erhielt. Ich begleite Sie noch hinaus, sagte ich, Herr Ebi wird mich einen Augenblick entschuldigen.

So ging ich ihm voran nach der Tuer. Ah, Madame, j'ai la la mort au coeur. Vous quitter, sans vous dire.—Oh si vous saviez—!

Je sais tout, mon ami, fluesterte ich, et croyez—moi, si vous souffrez—moi aussi, j'ai le coeur si plein—je suis au desespoir!

Damit oeffnete ich die Tuer und dachte, draussen—wenn auch nur auf kurze Minuten—wuerd' ich mich ihm an die Brust werfen und ihm sagen, was ich um ihn gelitten. Als ich aber hinaustrat, sah ich eine andere Feindin meines letzten schmerzlichen Gluecks bei einer Lampe am Pfeilertischchen sitzen, eine Naeharbeit in den Haenden—Mamsell Zipora!

Ich habe nachher erfahren, meine Kammerjungfer hatte der tueckischen Person, ohne sich was dabei zu denken, erzaehlt, ich erwartete heute abend den Vicomte, der Abschied zu nehmen komme. Das hatte die sich zunutze gemacht, um es dem Ebi, den sie immer noch zu fangen hoffte, schadenfroh beizubringen, die Frau, die er heimlich vergoetterte, sei auch nicht besser als alle anderen, um sich und ihre Tugend dadurch in ein vorteilhaftes Licht zu setzen. Und der unselige Mensch hatte sich von einer Eifersucht, die er sich selbst vielleicht nicht eingestand, verleiten lassen, den Waechter zu machen und den Rivalen aus dem Felde zu schlagen.

Sie war von der Erinnerung an diese schmerzlichste Stunde ihres Lebens so erschuettert, dass sie lange nicht fortfahren konnte, sondern immer sich mit dem Koelnischen Wasser die Stirn benetzte und mit geschlossenen Augen dalag.

Endlich sagte sie: Wie ich den Weg in mein Zimmer zurueckfand und bis zu dem Sofa gehen konnte, ist mir ein Raetsel. Ich fuehlte mich wie vernichtet, was jetzt noch werden konnte, war mir unfassbar, ich sank auf das Polster nieder, drueckte mein Tuch gegen die Augen, und brach in krankhaftes Schluchzen aus.

Dass Ebi im Zimmer war, hatte ich voellig vergessen.

Da hoerte ich ploetzlich seine Stimme, in dem feierlich singenden Tone, wie bei den Psalmenversen seines Trauerspieles: Madame Herz, ich habe Sie immer verehrt, heute bewundere ich Sie. Der Sieg, den Sie ueber sich selbst davongetragen, ist groesser als der von Jephthas Tochter. Sagen Sie nicht, dass ich Ihnen dabei geholfen hab'. Wenn Sie nur gesagt haetten ein einzig Wort: Ebi, verlassen Sie mich,—so wahr Gott lebt—ich waere gegangen, so sehr es mich haett' geschmerzt, aber Sie wissen, ich bin ihrem Wort gehorsam, wie ein Huendlein seinem Herrn. Dass Sie nicht gesagt haben das eine Wort, das macht Ihnen mehr Ehre als einem Koenig, der grosse Laender erobert, oder einem gewappneten Mann, der allein ein ganzes Heer besiegt. Denn wie es im Prediger Salomonis heisst: Lieblich und schoen sein ist nichts, aber ein Weib, das den Herrn fuerchtet, das soll man loben, und in Jesus Sirach: Ein schoenes Weib, das fromm bleibt, ist wie die helle Lampe auf dem heiligen Leuchter. Erlauben Sie, Madame Herz, dass ich den Saum kuesse an Ihrem Gewande.

Ich fuehlte dunkel, wie er es tat, und hoerte, wie er dann das Zimmer verliess. Da brach es erst recht bei mir aus, und ich weinte und weinte—bis eine Ohnmacht sich meines armen gefolterten Herzens erbarmte.

Am folgenden Tage und auch den naechsten darauf konnte ich das Bett nicht verlassen. Es war keine Krankheit, meinte der Arzt, aber eine Erschoepfung all meiner Lebenskraft. Als ich wieder aufstehen konnte, dauerte es noch Wochen, bis ich den Anblick von Menschen wieder ertragen konnte. Ebi und Mamsell Zipora durften mir nicht vor Augen kommen.

Dann erhielt ich von Konstantinopel aus seinen Ring und einen Brief dabei, voll schmerzlichster Gestaendnisse. Ich zeigte beides meinem Manne, ohne ein Wort dabei zu sagen, und er gab es mir ebenso schweigend zurueck. Ich wusste, dass er ein zu kluger Kenner des weiblichen Herzens war, um es als eine Suende anzusehen, wenn meines gegen das liebenswuerdigste, was die Erde trug, schwach gewesen war.

Dass ich einen ganz aehnlichen Ring machen liess mit der Inschrift: “Pour toujours", sagte ich Herz nicht. Er haette die Devise, die zweideutig war und ewige Liebe oder ewige Trennung bedeuten konnte, doch vielleicht in dem ersten Sinne verstanden. Zugleich schrieb ich ein paar Zeilen, die die Bitte enthielten, mir nicht wieder zu schreiben. Er erfuellte diesen Wunsch. Ich hoerte nur selten einmal durch Dritte von ihm. Schon nach fuenf Jahren kam die Nachricht von seinem Tode.

Das ist die Geschichte von diesem Ringe, die du hast wissen wollen, lieb Kind. Dass ich sie dir erzaehlt hab', mag dir beweisen, wie lieb du mir bist. Nicht einmal deine Mutter weiss das Genauere davon. Du magst es ihr einmal wiedererzaehlen.-Ich war sehr ergriffen von dieser ruehrenden Geschichte und wusste nicht, was ich sagen sollte, meinen Anteil auszudruecken. Als der naive Juengling, der ich war, sagte ich endlich das Ungeschickteste: So schmerzlich es dir sein muss, Tante, so oft du den Ring betrachtest, du kannst es wenigstens ohne Reue tun.

Sie sah still vor sich hin. O Kind, sagte sie leise, du bist noch jung. Du hast noch nicht erfahren, dass es manchmal am bittersten schmerzt, wenn man bereut, dass man nichts zu bereuen hat. Das sag aber nicht weiter!

Am folgenden Tage setzte ich meine Reise fort. Als ich einen Monat spaeter wieder nach Frankfurt kam, fand ich die geliebte Tante nicht mehr unter den Lebenden. Der Onkel haendigte mir eine kleine Schachtel ein, die sie ihm fuer mich uebergeben hatte, und deren Inhalt er nicht kannte. Der Ring lag darin und ein zaertliches Segenswort, das sie mit zitternder Hand noch auf ihrem Sterbebette geschrieben hatte.

Seitdem ist dies teure Andenken nicht von meiner Hand gekommen. Die Emailbuchstaben sind ausgewaschen, der Goldreif ist bruechig geworden, die kleine Hand, an der ich das Kleinod zuerst gesehen, ist laengst vermodert, doch was mir der sanfte Mund vertraut, lebt unvergesslich in meiner Erinnerung fort.