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MINNA VON BARNHELM
von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
Die Erstausgabe wurde 1767 bei Christian Friedrich Voss in Berlin
herausgegeben.
(Just sitzet in einem Winkel, schlummert und redet im Traume.)
Just
Schurke von einem Wirte! Du, uns?—Frisch, Bruder!—Schlag zu,
Bruder! (Er holt aus und erwacht durch die Bewegung.) Heda! schon
wieder? Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum.
Haette er nur erst die Haelfte von allen den Schlaegen!—Doch sieh, es
ist Tag! Ich muss nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem
Willen soll er keinen Fuss mehr in das vermaledeite Haus setzen. Wo
wird er die Nacht zugebracht haben?
(Der Wirt. Just.)
Wirt
Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so frueh auf? Oder
soll ich sagen: noch so spaet auf?
Just
Sage Er, was Er will.
Wirt
Ich sage nichts als “Guten Morgen”; und das verdient doch wohl,
dass Herr Just “Grossen Dank” darauf sagt?
Just
Grossen Dank!
Wirt
Man ist verdriesslich, wenn man seine gehoerige Ruhe nicht haben
kann. Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er
hat hier auf ihn gelauert?
Just
Was der Mann nicht alles erraten kann!
Wirt
Ich vermute, ich vermute.
Just
(kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!
Wirt
(haelt ihn). Nicht doch, Herr Just!
Just
Nun gut; nicht Sein Diener!
Wirt
Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Dass Er noch
von gestern her boese ist? Wer wird seinen Zorn ueber Nacht behalten?
Just
Ich; und ueber alle folgende Naechte.
Wirt
Ist das christlich?
Just
Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich
bezahlen kann, aus dem Hause stossen, auf die Strasse werfen.
Wirt
Pfui, wer koennte so gottlos sein?
Just
Ein christlicher Gastwirt.—Meinen Herrn! so einen Mann! so einen
Offizier!
Wirt
Den haette ich aus dem Hause gestossen? auf die Strasse geworfen?
Dazu habe ich viel zu viel Achtung fuer einen Offizier und viel zu viel
Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer
einraeumen muessen.—Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in
die Szene.) Holla!—Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein
Junge koemmt.) Bring ein Glaeschen; Herr Just will ein Glaeschen haben;
und was Gutes!
Just
Mache Er sich keine Muehe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift
werden, den—Doch ich will nicht schwoeren; ich bin noch nuechtern!
Wirt
(zu dem Jungen, der eine Flasche Likoer und ein Glas bringt). Gib
her; geh!—Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich,
gesund. (Er fuellt und reicht ihm zu.) Das kann einen ueberwachten
Magen wieder in Ordnung bringen!
Just
Bald duerfte ich nicht!—Doch warum soll ich meiner Gesundheit
seine Grobheit entgelten lassen?—(Er nimmt und trinkt.)
Wirt
Wohl bekomm's, Herr Just!
Just
(indem er das Glaeschen wieder zurueckgibt). Nicht uebel!—Aber,
Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt
Nicht doch, nicht doch!—Geschwind noch eins; auf einem Beine ist
nicht gut stehen.
Just
(nachdem er getrunken). Das muss ich sagen: gut, sehr gut!—Selbst
gemacht, Herr Wirt?—
Wirt
Behuete! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!
Just
Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln koennte, so wuerde ich fuer
so was heucheln; aber ich kann nicht; es muss raus:—Er ist doch ein
Grobian, Herr Wirt!
Wirt
In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt.—Noch eins, Herr
Just; aller guten Dinge sind drei!
Just
Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding!—Aber auch
die Wahrheit ist gut Ding.—Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!
Wirt
Wenn ich es waere, wuerde ich das wohl so mit anhoeren?
Just
O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.
Wirt
Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur haelt desto
besser.
Just
Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf
den letzten Tropfen in der Flasche wuerde ich bei meiner Rede bleiben.
Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores!—
Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von dem
Er schon so manchen schoenen Taler gezogen, der in seinem Leben keinen
Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her nicht prompt
bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen laesst—in der Abwesenheit
das Zimmer auszuraeumen!
Wirt
Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussaehe, dass
der Herr Major es selbst gutwillig wuerde geraeumt haben, wenn wir nur
lange auf seine Zurueckkunft haetten warten koennen? Sollte ich denn so
eine fremde Herrschaft wieder von meiner Tuere wegfahren lassen? Sollte
ich einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen
jagen? Und ich glaube nicht einmal, dass sie sonstwo unterkommen waere.
Die Wirtshaeuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge,
schoene, liebenswuerdige Dame auf der Strasse bleiben? Dazu ist Sein
Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht
ein anderes Zimmer dafuer eingeraeumt?
Just
Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars
Feuermauern—
Wirt
Die Aussicht war wohl sehr schoen, ehe sie der verzweifelte Nachbar
verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert—
Just
Gewesen!
Wirt
Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stuebchen darneben,
Herr Just; was fehlt dem Stuebchen? Es hat einen Kamin, der zwar im
Winter ein wenig raucht—
Just
Aber doch im Sommer recht huebsch laesst.—Herr, ich glaube gar, Er
vexiert uns noch obendrein?—
Wirt
Nu, nu, Herr Just, Herr Just—
Just
Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder—
Wirt
Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's!—
Just
Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, dass ein
abgedankter Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals
brechen kann? Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren
Wirte? Warum war denn da jeder Offizier ein wuerdiger Mann und jeder
Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bisschen Friede schon
so uebermuetig?
Wirt
Was ereifert Er sich nun, Herr Just?—
Just
Ich will mich ereifern.—
(v. Tellheim. Der Wirt. Just.)
Tellheim
(im Hereintreten). Just!
Just
(in der Meinung, dass ihn der Wirt nenne). Just?—So bekannt sind
wir?—
Tellheim
Just!
Just
Ich daechte, ich waere wohl Herr Just fuer Ihn!
Wirt
(der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just—seh Er
sich doch um; Sein Herr—
Tellheim
Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?
Wirt
Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertaenigster
Knecht sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen
anzugehoeren, zu zanken?
Just
Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben duerfte!—
Wirt
Es ist wahr, Herr Just spricht fuer seinen Herrn, und ein wenig
hitzig. Aber daran tut er recht; ich schaetze ihn um so viel hoeher;
ich liebe ihn darum.—
Just
Dass ich ihm nicht die Zaehne austreten soll!
Wirt
Nur schade, dass er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiss
versichert, dass Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen
haben, weil—die Not—mich notwendig—
Tellheim
Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie raeumen mir in
meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie muessen bezahlt werden; ich muss
wo anders unterzukommen suchen. Sehr natuerlich!—
Wirt
Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnaediger Herr? Ich ungluecklicher
Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muss die Dame das
Quartier wieder raeumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer
nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muss fort; ich kann ihr nicht
helfen.—Ich gehe, gnaediger Herr—
Tellheim
Freund, nicht zwei dumme Streiche fuer einen! Die Dame muss in dem
Besitze des Zimmers bleiben.—
Wirt
Und Ihro Gnaden sollten glauben, dass ich aus Misstrauen, aus Sorge
fuer meine Bezahlung?—Als wenn ich nicht wuesste, dass mich Ihro
Gnaden bezahlen koennen, sobald Sie nur wollen.—Das versiegelte
Beutelchen— fuenfhundert Taler Louisdor stehet drauf—welches Ihro
Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt—ist in guter Verwahrung.—
Tellheim
Das will ich hoffen; so wie meine uebrige Sachen.—Just soll sie in
Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat.—
Wirt
Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand.—Ich
habe immer Ihro Gnaden fuer einen ordentlichen und vorsichtigen Mann
gehalten, der sich niemals ganz ausgibt.—Aber dennoch—wenn ich bar
Geld in dem Schreibepulte vermutet haette—
Tellheim
Wuerden Sie hoeflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe
Sie.—Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem
Bedienten zu sprechen.—
Wirt
Aber, gnaediger Herr—
Tellheim
Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, dass ich dir in seinem
Hause sage, was du tun sollst.—
Wirt
Ich gehe ja schon, gnaediger Herr!—Mein ganzes Haus ist zu Ihren
Diensten.
(v. Tellheim. Just.)
Just
(der mit dem Fusse stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!
Tellheim
Was gibt's?
Just
Ich ersticke vor Bosheit.
Tellheim
Das waere soviel als an Vollbluetigkeit.
Just
Und Sie—Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor
Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses haemischen,
unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad haette
ich ihn—haette ich ihn mit diesen Haenden erdrosseln, mit diesen
Zaehnen zerreissen wollen.—
Tellheim
Bestie!
Just
Lieber Bestie als so ein Mensch!
Tellheim
Was willst du aber?
Just
Ich will, dass Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie
beleidiget.
Tellheim
Und dann?
Just
Dass Sie sich raechten.—Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering.—
Tellheim
Sondern, dass ich es dir auftruege, mich zu raechen? Das war von
Anfang mein Gedanke. Er haette mich nicht wieder mit Augen sehen und
seine Bezahlung aus deinen Haenden empfangen sollen. Ich weiss, dass du
eine Handvoll Geld mit einer ziemlich veraechtlichen Miene einem
hinwerfen kannst.—
Just
So? eine vortreffliche Rache!—
Tellheim
Aber die wir noch verschieben muessen. Ich habe keinen Heller bares
Geld mehr; ich weiss auch keines aufzutreiben.
Just
Kein bares Geld? Und was ist denn das fuer ein Beutel mit
fuenfhundert Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte
gefunden?
Tellheim
Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.
Just
Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister
vor vier oder fuenf Wochen brachte?
Tellheim
Die naemlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?
Just
Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen koennen
Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung—
Tellheim
Wahrhaftig?
Just
Werner hoerte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an
die Generalkriegskasse aufzieht. Er hoerte—
Tellheim
Dass ich sicherlich zum Bettler werden wuerde, wenn ich es nicht
schon waere.—Ich bin dir sehr verbunden, Just.—Und diese Nachricht
vermochte Wernern, sein bisschen Armut mit mir zu teilen.—Es ist mir
doch lieb, dass ich es erraten habe.—Hoere, Just, mache mir zugleich
auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute.—
Just
Wie? was?
Tellheim
Kein Wort mehr; es koemmt jemand.—
(Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)
Dame
Ich bitte um Verzeihung, mein Herr!—
Tellheim
Wen suchen Sie, Madame?—
Dame
Eben den wuerdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen.
Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen
Stabsrittmeisters—
Tellheim
Um des Himmels willen, gnaedige Frau! welche Veraenderung!—
Dame
Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz ueber
den Verlust meines Mannes warf. Ich muss Ihnen frueh beschwerlich
fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige,
aber eben auch nicht glueckliche Freundin eine Zuflucht vors erste
angeboten.—
Tellheim
(zu Just). Geh, lass uns allein.—
(Die Dame. v. Tellheim.)
Tellheim
Reden Sie frei, gnaedige Frau! Vor mir duerfen Sie sich Ihres
Ungluecks nicht schaemen. Kann ich Ihnen worin dienen?
Dame
Mein Herr Major—
Tellheim
Ich beklage Sie, gnaedige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie
wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war
immer karg mit diesem Titel.
Dame
Wer weiss es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft
waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie wuerden sein letzter Gedanke,
Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, haette
nicht die staerkere Natur dieses traurige Vorrecht fuer seinen
ungluecklichen Sohn, fuer seine unglueckliche Gattin gefordert—
Tellheim
Hoeren Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich
habe heute keine Traenen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer
Stunde, wo ich leicht zu verleiten waere, wider die Vorsicht zu
murren.—O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnaedige Frau, was
haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich
es bin—
Dame
Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen.
Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, dass er als Ihr Schuldner
sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu
tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift
einzuloesen.—
Tellheim
Wie, gnaedige Frau? darum kommen Sie?
Dame
Darum. Erlauben Sie, dass ich das Geld aufzaehle.
Tellheim
Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein.
Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.)
Ich finde nichts.
Dame
Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut
nichts zur Sache.—Erlauben Sie—
Tellheim
Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie
nicht habe, so ist es ein Beweis, dass ich nie eine gehabt habe, oder
dass sie getilgt und von mir schon zurueckgegeben worden.
Dame
Herr Major!—
Tellheim
Ganz gewiss, gnaedige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig
gebleiben. Ich wuesste mich auch nicht zu erinnern, dass er mir jemals
etwas schuldig gewesen waere. Nicht anders, Madame; er hat mich
vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun
koennen, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glueck und
Unglueck, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht
vergessen, dass ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald
ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst
befinde—
Dame
Edelmuetiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein!
Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget.—
Tellheim
Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung,
dass mir dieses Geld nicht gehoeret? Oder wollen Sie, dass ich die
unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das
wuerde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehoert es, fuer
ihn legen Sie es an!—
Dame
Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht
weiss, wie man Wohltaten annehmen muss. Woher wissen es denn aber auch
Sie, dass eine Mutter mehr fuer ihren Sohn tut, als sie fuer ihr eigen
Leben tun wuerde? Ich gehe—
Tellheim
Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie gluecklich! Ich bitte Sie
nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie moechte mir zu einer Zeit
kommen, wo ich sie nicht nutzen koennte. Aber noch eines, gnaedige
Frau; bald haette ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der
Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fordern. Seine Forderungen sind so
richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so muessen auch die
seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafuer.—
Dame
Oh! Mein Herr—Aber ich schweige lieber.—Kuenftige Wohltaten so
vorbereiten, heisst sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben.
Empfangen Sie seine Belohnung und meine Traenen! (Geht ab.)
(v. Tellheim.)
Tellheim
Armes, braves Weib! Ich muss nicht vergessen, den Bettel zu
vernichten. (Er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er
zerreisst.) Wer steht mir dafuer, dass eigner Mangel mich nicht einmal
verleiten koennte, Gebrauch davon zu machen?
(Just. v. Tellheim.)
Tellheim
Bist du da?
Just
(indem er sich die Augen wischt). Ja!
Tellheim
Du hast geweint?
Just
Ich habe in der Kueche meine Rechnung geschrieben, und die Kueche
ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!
Tellheim
Gib her.
Just
Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiss wohl, dass
die Menschen mit Ihnen keine haben, aber—
Tellheim
Was willst du?
Just
Ich haette mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.
Tellheim
Ich kann dich nicht laenger brauchen; ich muss mich ohne Bedienten
behelfen lernen. (Schlaegt die Rechnung auf und lieset.) “Was der Herr
Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6
Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten
ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf.”—
Gut, und es ist billig, dass ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.
Just
Die andere Seite, Herr Major—
Tellheim
Noch mehr? (Lieset.) Was dem Herrn Major ich schuldig: An den
Feldscher fuer mich bezahlt 25 Taler. Fuer Wartung und Pflege waehrend
meiner Kur fuer mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und
gepluenderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei
Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum
114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem
Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf.”—Kerl, du bist toll!—
Just
Ich glaube es gern, dass ich Ihnen weit mehr koste. Aber es waere
verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen,
und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht
verdient habe—so wollte ich lieber, Sie haetten mich in dem Lazarette
krepieren lassen.
Tellheim
Wofuer siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will
dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben
sollst als bei mir.
Just
Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstossen?
Tellheim
Weil ich dir nichts schuldig werden will.
Just
Darum? nur darum?—So gewiss ich Ihnen schuldig bin, so gewiss Sie
mir nichts schuldig werden koennen, so gewiss sollen Sie mich nun nicht
verstossen.—Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei
Ihnen; ich muss bei Ihnen bleiben.—
Tellheim
Und deine Hartnaeckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestuemes
Wesen gegen alle, von denen du meinest, dass sie dir nichts zu sagen
haben, deine tueckische Schadenfreude, deine Rachsucht—
Just
Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch
nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter
ging ich in der Daemmerung an dem Kanale und hoerte etwas winseln. Ich
stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten,
und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam
mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort,
umsonst; ich pruegelte ihn von mir, umsonst. Ich liess ihn des Nachts
nicht in meine Kammer; er blieb vor der Tuere auf der Schwelle. Wo er
mir zu nahe kam, stiess ich ihn mit dem Fusse; er schrie, sahe mich an
und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus meiner
Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hoert, und der ihn
anruehren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine Kuenste
unbefohlen vor. Es ist ein haesslicher Pudel, aber ein gar zu guter
Hund. Wenn er es laenger treibt, so hoere ich endlich auf, den Pudeln
gram zu sein.
Tellheim
(beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine voelligen
Unmenschen! —Just, wir bleiben beisammen.
Just
Ganz gewiss!—Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie
vergessen Ihrer Blessuren und dass Sie nur eines Armes maechtig sind.
Sie koennen sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen
unentbehrlich; und bin— ohne mich selbst zu ruehmen, Herr Major—und
bin ein Bedienter, der— wenn das Schlimmste zum Schlimmen koemmt—fuer
seinen Herrn betteln und stehlen kann.
Tellheim
Just, wir bleiben nicht beisammen.
Just
Schon gut!
(Ein Bedienter. v. Tellheim. Just.)
Bediente
Bst! Kamerad!
Just
Was gibt's?
Bediente
Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in
diesem Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er
herkoemmt) gewohnt hat?
Just
Das duerfte ich leicht koennen. Was bringt Er ihm?
Bediente
Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment.
Meine Herrschaft hoert, dass er durch sie verdraengt worden. Meine
Herrschaft weiss zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung
bitten.
Just
Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.
Bediente
Was ist er? Wie nennt man ihn?
Tellheim
Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehoert. Es ist eine
ueberfluessige Hoeflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie
ich soll. Macht ihr meinen Empfehl.—Wie heisst Eure Herrschaft?—
Bediente
Wie sie heisst? Sie laesst sich gnaediges Fraeulein heissen.
Tellheim
Und ihr Familienname?
Bediente
Den habe ich noch nicht gehoert, und darnach zu fragen, ist meine
Sache nicht. Ich richte mich so ein, dass ich meistenteils alle sechs
Wochen eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen!—
Just
Bravo, Kamerad!
Bediente
Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie
sucht, glaube ich, hier ihren Braeutigam.—
Tellheim
Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen,
aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!
Bediente
Kamerad, das waere kein Herr fuer mich!
(v. Tellheim. Just.)
Tellheim
Mache, Just, mache, dass wir aus diesem Hause kommen! Die
Hoeflichkeit der fremden Dame ist mir empfindlicher als die Grobheit
des Wirts. Hier, nimm diesen Ring, die einzige Kostbarkeit, die mir
uebrig ist, von der ich nie geglaubt haette, einen solchen Gebrauch zu
machen!— Versetze ihn! Lass dir achtzig Friedrichsdor darauf geben;
die Rechnung des Wirts kann keine dreissig betragen. Bezahle ihn und
raeume meine Sachen—Ja, wohin?—Wohin du willst. Der wohlfeilste
Gasthof der beste. Du sollst mich hier nebenan auf dem Kaffeehause
treffen. Ich gehe, mache deine Sache gut.—
Just
Sorgen Sie nicht, Herr Major!—
Tellheim
(koemmt wieder zurueck). Vor allen Dingen, dass meine Pistolen, die
hinter dem Bette gehangen, nicht vergessen werden.
Just
Ich will nichts vergessen.
Tellheim
(koemmt nochmals zurueck). Noch eins: nimm mir auch deinen Pudel
mit; hoerst du, Just!—
(Just)
Just
Der Pudel wird nicht zurueckbleiben. Dafuer lass ich den Pudel
sorgen.— Hm! Auch den kostbaren Ring hat der Herr noch gehabt? Und
trug ihn in der Tasche, anstatt am Finger?—Guter Wirt, wir sind so
kahl noch nicht, als wir scheinen. Bei ihm, bei ihm selbst will ich
dich versetzen, schoenes Ringelchen! Ich weiss, er aergert sich, dass
du in seinem Hause nicht ganz sollst verzehrt werden!—Ah—
(Paul Werner. Just.)
Just
Sieh da, Werner! guten Tag, Werner! willkommen in der Stadt!
Werner
Das verwuenschte Dorf! Ich kann's unmoeglich wieder gewohne werden.
Lustig, Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld! Wo ist der Major?
Just
Er muss dir begegnet sein; er ging eben die Treppe herab.
Werner
Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich waere
schon vorige Woche bei euch gewesen, aber—
Just
Nun? was hat dich abgehalten?—
Werner
—Just—hast du von dem Prinzen Heraklius gehoert?
Just
Heraklius? Ich wuesste nicht.
Werner
Kennst du den grossen Helden im Morgenlande nicht?
Just
Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit
dem Sterne herumlaufen.—
Werner
Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als die
Bibel?—Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann nicht,
der Persien weggenommen und naechster Tage die Ottomanische Pforte
einsprengen wird? Gott sei Dank, dass doch noch irgendwo in der Welt
Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder
losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war
ich, Soldat muss ich wieder sein! Kurz—(indem er sich schuechtern
umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach
Persien, um unter Sr. Koeniglichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein
paar Feldzuege wider den Tuerken zu machen.
Just
Du?
Werner
Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleissig wider
den Tuerken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche Kerls und
gute Christen waeren. Freilich begreife ich wohl, dass ein Feldzug
wider den Tuerken nicht halb so lustig sein kann, als einer wider den
Franzosen; aber dafuer muss er auch desto verdienstlicher sein, in
diesem und in jenem Leben. Die Tuerken haben dir alle Saebels, mit
Diamanten besetzt—
Just
Um mir von so einem Saebel den Kopf spalten zu lassen, reise ich
nicht eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schoenes
Schulzengerichte verlasen?—
Werner
Oh, das nehme ich mit!—Merkst du was?—Das Guetchen ist verkauft—
Just
Verkauft?
Werner
St!—hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf
bekommen; die bring ich dem Major—
Just
Und was soll der damit?
Werner
Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken,
ver—, wie er will. Der Mann muss Geld haben, und es ist schlecht
genug, dass man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wuesste schon,
was ich taete, wenn ich an seiner Stelle waere! Ich daechte: hol euch
hier alle der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach
Persien!—Blitz!—Der Prinz Heraklius muss ja wohl von dem Major
Tellheim gehoert haben, wenn er auch schon seinen gewesenen
Wachtmeister, Paul Wernern, nicht kennt. Unsere Affaere bei den
Katzenhaeusern—
Just
Soll ich dir die erzaehlen?—
Werner
Du mir?—Ich merke wohl, dass eine schoene Disposition ueber deinen
Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Saeue werfen.—Da
nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm, er soll mir auch
die aufheben. Ich muss jetzt auf den Markt; ich habe zwei Winspel
Roggen hereingeschickt; was ich daraus loese, kann er gleichfalls
haben. —
Just
Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir moegen dein Geld
nicht. Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du auch
unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst.—
Werner
So? Hat denn der Major noch Geld?
Just
Nein.
Werner
Hat er sich wo welches geborgt?
Just
Nein.
Werner
Und wovon lebt ihr denn?
Just
Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben will
und uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch haben,
und ziehen weiter.—Hoere nur, Paul; dem Wirte hier muessen wir einen
Possen spielen.
Werner
Hat er dem Major was in den Weg gelegt?—Ich bin dabei!—
Just
Wie waer's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie
koemmt, aufpassten und ihn brav durchpruegelten?—
Werner
Des Abends?—aufpassten?—ihre zwei, einem?—Das ist nichts.—
Just
Oder wenn wir ihm das Haus ueber dem Kopf ansteckten?—
Werner
Sengen und brennen?—Kerl, man hoert's, dass du Packknecht gewesen
bist und nicht Soldat—pfui!
Just
Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar
verdammt haesslich—
Werner
Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch
hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?
Just
Komm nur, du sollst dein Wunder hoeren!
Werner
So ist der Teufel wohl hier gar los?
Just
Jawohl; komm nur!
Werner
Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!
(Die Szene ist in dem Zimmer des Fraeuleins.) (Minna von Barnhelm. Franziska.)
Fraeulein
(im Neglige, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr
frueh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.
Franziska
Wer kann denn in den verzweifelten grossen Staedten schlafen? Die
Karossen, die Nachtwaechter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals—
das hoert nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu
fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger waere als zur Ruhe.
—Eine Tasse Tee, gnaediges Fraeulein?—
Fraeulein
Der Tee schmeckt mir nicht.—
Franziska
Ich will von unserer Schokolade machen lassen.
Fraeulein
Lass machen, fuer dich!
Franziska
Fuer mich? Ich wollte ebensogern fuer mich allein plaudern als fuer
mich allein trinken.—Freilich wird uns die Zeit so lang werden.—Wir
werden vor langer Weile uns putzen muessen und das Kleid versuchen, in
welchem wir den ersten Sturm geben wollen.
Fraeulein
Was redest du von Stuermen, da ich bloss herkomme, die Haltung der
Kapitulation zu fordern?
Franziska
Und der Herr Offizier, den wir vertrieben, und dem wir das
Kompliment darueber machen lassen; er muss auch nicht die feinste
Lebensart haben; sonst haette er wohl um die Ehre koennen bitten
lassen, uns seine Aufwartung machen zu duerfen.—
Fraeulein
Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich
liess ihm das Kompliment auch bloss machen, um Gelegenheit zu haben,
mich nach diesem bei ihm zu erkundigen.—Franziska, mein Herz sagt es
mir, dass meine Reise gluecklich sein wird, dass ich ihn finden
werde.—
Franziska
Das Herz, gnaediges Fraeulein? Man traue doch ja seinem Herzen
nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn
das Maul ebenso geneigt waere, nach dem Herzen zu reden, so waere die
Mode laengst aufgekommen, die Maeuler unterm Schlosse zu tragen.
Fraeulein
Ha! ha! Mit deinen Maeulern unterm Schlosse! Die Mode waere mir
eben recht!
Franziska
Lieber die schoensten Zaehne nicht gezeigt, als alle Augenblicke
das Herz darueber springen lassen!
Fraeulein
Was? Bist du so zurueckhaltend?—
Franziska
Nein, gnaediges Fraeulein, sondern ich wollte es gern mehr sein.
Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto oeftrer von
der, die uns fehlt.
Fraeulein
Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung
gemacht.—
Franziska
Gemacht? Macht man das, was einem so einfaellt?—
Fraeulein
Und weisst du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde?
Sie hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.
Franziska
Was haette bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?
Fraeulein
Freund und Feind sagen, dass er der tapferste Mann von der Welt
ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hoeren? Er hat das
rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte,
die er nie auf die Zunge bringt.
Franziska
Von was fuer Tugenden spricht er denn?
Fraeulein
Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.
Franziska
Das wollte ich nur hoeren.
Fraeulein
Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von
Oekonomie. Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein
Verschwender.
Franziska
Noch eins, gnaediges Fraeulein. Ich habe ihn auch sehr oft der
Treue und Bestaendigkeit gegen Sie erwaehnen hoeren. Wie, wenn der Herr
auch ein Flattergeist waere?
Fraeulein
Du Unglueckliche!—Aber meinest du das im Ernste, Franziska?
Franziska
Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?
Fraeulein
Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.
Franziska
Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte
nur das Boese wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er
zerruettet auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch
veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein!—Und wie
lange haben wir schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn
es so wenig Neuigkeiten gibt.—Umsonst gehen die Posten wieder richtig;
niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.
Fraeulein
“Es ist Friede", schrieb er mir, “und ich naehere mich der
Erfuellung meiner Wuensche.” Aber dass er mir dieses nur einmal, nur
ein einziges Mal geschrieben—
Franziska
Dass er uns zwingt, dieser Erfuellung der Wuensche selbst
entgegenzueilen: finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten!—Wenn
indes der Mann doch Wuensche erfuellt haette, und wir erfuehren hier—
Fraeulein
(aengstlich und hitzig). Dass er tot waere?
Franziska
Fuer Sie, gnaediges Fraeulein, in den Armen einer andern.—
Fraeulein
Du Quaelgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken!—Doch
schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein.—Sein Regiment ward nach
dem Frieden zerrissen. Wer weiss, in welche Verwirrung von Rechnungen
und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiss, zu welchem andern
Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiss,
welche Umstaende—Es pocht jemand.
Franziska
Herein!
(Der Wirt. Die Vorigen.)
Wirt
(den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnaedige
Herrschaft?—
Franziska
Unser Herr Wirt?—Nur vollends herein.
Wirt
(mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein
Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnaediges Fraeulein, Ihnen einen
untertaenigen guten Morgen zu wuenschen—(zur Franziska) und auch Ihr,
mein schoenes Kind—
Franziska
Ein hoeflicher Mann!
Fraeulein
Wir bedanken uns.
Franziska
Und wuenschen Ihm auch einen guten Morgen.
Wirt
Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste
Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet?—
Franziska
Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten haetten
besser sein koennen.
Wirt
Was hoere ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, dass die gar zu
grosse Ermuedung von der Reise—
Fraeulein
Es kann sein.
Wirt
Gewiss, gewiss! denn sonst—Indes sollte etwas nicht vollkommen
nach Ihro Gnaden Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur
zu befehlen.
Franziska
Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht bloede; und am wenigsten
muss man im Gasthofe bloede sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es
gern haetten.
Wirt
Hiernaechst komme ich zugleich—(indem er die Feder hinter dem Ohr
hervorzieht).
Franziska
Nun?—
Wirt
Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen
unserer Polizei.
Fraeulein
Nicht im geringsten, Herr Wirt—
Wirt
Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und
Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne
seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige Geschaefte, vermutliche Dauer
des Aufenthalts und so weiter gehoerigen Orts schriftlich einzureichen.
Fraeulein
Sehr wohl.
Wirt
Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen—(indem er an einen
Tisch tritt und sich fertig macht zu schreiben).
Fraeulein
Sehr gern—Ich heisse—
Wirt
Einen kleinen Augenblick Geduld!—(Er schreibt.) “Dato, den 22.
August a.c. allhier zum Koenige von Spanien angelangt”—Nun Dero Namen,
gnaediges Fraeulein?
Fraeulein
Das Fraeulein von Barnhelm.
Wirt
(schreibt). “von Barnhelm”—Kommend? woher, gnaediges Fraeulein?
Fraeulein
Von meinen Guetern aus Sachsen.
Wirt
(schreibt). “Guetern aus Sachsen”—Aus Sachsen! Ei, ei, aus
Sachsen, gnaediges Fraeulein? aus Sachsen?
Franziska
Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Suende, aus
Sachsen zu sein?
Wirt
Eine Suende? Behuete! das waere ja eine ganz neue Suende!—Aus
Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen!—Aber wo mir
recht ist, gnaediges Fraeulein, Sachsen ist nicht klein und hat
mehrere—wie soll ich es nennen?—Distrikte, Provinzen.—Unsere Polizei
ist sehr exakt, gnaediges Fraeulein.—
Fraeulein
Ich verstehe: von meinen Guetern aus Thueringen also.
Wirt
Aus Thueringen! Ja, das ist besser, gnaediges Fraeulein, das ist
genauer. —(Schreibt und liest.) “Das Fraeulein von Barnhelm, kommend
von ihren Guetern aus Thueringen, nebst einer Kammerfrau und zwei
Bedienten”—
Franziska
Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?
Wirt
Ja, mein schoenes Kind.—
Franziska
Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau
Kammerjungfer.—Ich hoere, die Polizei ist sehr exakt; es moechte ein
Missverstaendnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Haendel
machen koennte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer und heisse
Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin
auch aus Thueringen. Mein Vater war Mueller auf einem von den Guetern
des gnaedigen Fraeuleins. Es heisst Klein-Rammsdorf. Die Muehle hat
jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem
gnaedigen Fraeulein erzogen. Wir sind von einem Alter, kuenftige
Lichtmess einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnaedige
Fraeulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei
recht kennt.
Wirt
Gut, mein schoenes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage
merken. —Aber nunmehr, gnaediges Fraeulein, Dero Verrichtungen
allhier?—
Fraeulein
Meine Verrichtungen?
Wirt
Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Koenigs Majestaet?
Fraeulein
O nein!
Wirt
Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?
Fraeulein
Auch nicht.
Wirt
Oder—
Fraeulein
Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten
hier.
Wirt
Ganz wohl, gnaediges Fraeulein, aber wie nennen sich diese eigne
Angelegenheiten?
Fraeulein
Sie nennen sich—Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.
Franziska
Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines
Frauenzimmers zu wissen verlangen?
Wirt
Allerdings, mein schoenes Kind: die Polizei will alles, alles
wissen; und besonders Geheimnisse.
Franziska
Ja nun, gnaediges Fraeulein; was ist zu tun?—So hoeren Sie nur,
Herr Wirt—aber dass es ja unter uns und der Polizei bleibt!—
Fraeulein
Was wird ihm die Naerrin sagen?
Franziska
Wir kommen, dem Koenige einen Offizier wegzukapern—
Wirt
Wie? was? Mein Kind! mein Kind!—
Franziska
Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.
Fraeulein
Franziska, bist du toll?—Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum
besten. —
Wirt
Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen
so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei—
Fraeulein
Wissen Sie was, Herr Wirt?—Ich weiss mich in dieser Sache nicht zu
nehmen. Ich daechte, Sie liessen die ganze Schreiberei bis auf die
Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er
nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglueckte zwei Meilen von
hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, dass mich dieser
Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich musste also voran. Wenn er
vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das laengste.
Wirt
Nun ja, gnaediges Fraeulein, so wollen wir ihn erwarten.
Fraeulein
Er wird auf Ihre Fragen besser antworten koennen. Er wird wissen,
wem und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen
Geschaeften anzeigen muss und was er davon verschweigen darf.
Wirt
Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Maedchen
(die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen,
dass es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft
traktiere—
Fraeulein
Und die Zimmer fuer ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?
Wirt
Voellig, gnaediges Fraeulein, voellig; bis auf das eine—
Franziska
Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann
vertreiben muessen?
Wirt
Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnaediges Fraeulein, sind wohl sehr
mitleidig.—
Fraeulein
Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber haetten
Sie uns nicht einnehmen sollen.
Wirt
Wieso, gnaediges Fraeulein, wieso?
Fraeulein
Ich hoere, dass der Offizier, welcher durch uns verdraengt worden—
Wirt
Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnaediges Fraeulein.—
Fraeulein
Wenn schon!—
Wirt
Mit dem es zu Ende geht.—
Fraeulein
Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.
Wirt
Ich sage Ihnen ja, dass er abgedankt ist.
Fraeulein
Der Koenig kann nicht alle verdiente Maenner kennen.
Wirt
O gewiss, er kennt sie, er kennt sie alle.—
Fraeulein
So kann er sie nicht alle belohnen.
Wirt
Sie waeren alle belohnt, wenn sie darnach gelebt haetten. Aber so
lebten die Herren waehrend des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben
wuerde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein wuerde. Jetzt
liegen alle Wirtshaeuser und Gasthoefe von ihnen voll, und ein Wirt hat
sich wohl mit ihnen in acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so
ziemlich weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch
noch Geldeswert, und zwei, drei Monate haette ich ihn freilich noch
ruhig koennen sitzen lassen. Doch besser ist besser.—Apropos,
gnaediges Fraeulein; Sie verstehen sich doch auf Juwelen?—
Fraeulein
Nicht sonderlich.
Wirt
Was sollten Ihro Gnaden nicht?—Ich muss Ihnen einen Ring zeigen,
einen kostbaren Ring. Zwar gnaediges Fraeulein haben da auch einen sehr
schoenen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muss ich
mich wundern, dass er dem meinigen so aehnlich ist.—Oh! sehen Sie
doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem Futteral herausnimmt und
dem Fraeulein zureicht.) Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein
wiegt ueber fuenf Karat.
Fraeulein
(ihn betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring—
Wirt
Ist seine fuenfzehnhundert Taler unter Bruedern wert.
Fraeulein
Franziska!—Sieh doch!—
Wirt
Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen
darauf zu leihen.
Fraeulein
Erkennst du ihn nicht, Franziska?
Franziska
Der naemliche!—Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her?—
Wirt
Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?
Franziska
Wir kein Recht an diesem Ringe?—Inwaerts auf dem Kasten muss des
Fraeuleins verzogener Name stehn.—Weisen Sie doch, Fraeulein.
Fraeulein
Er ist's er ist's!—Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?
Wirt
Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt.—Gnaediges Fraeulein,
gnaediges Fraeulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglueck
bringen wollen? Was weiss ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt?
Waehrend des Krieges hat manches seinen Herrn sehr oft, mit und ohne
Vorbewusst des Herrn, veraendert. Und Krieg war Krieg. Es werden mehr
Ringe aus Sachsen ueber die Grenze gegangen sein.—Geben Sie mir ihn
wieder, gnaediges Fraeulein, geben Sie mir ihn wieder!
Franziska
Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?
Wirt
Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann, von einem
sonst guten Manne—
Fraeulein
Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem
Eigentuemer haben.—Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es
selbst, oder wenigstens muss er ihn kennen.
Wirt
Wer denn? wen denn, gnaediges Fraeulein?
Franziska
Hoeren Sie denn nicht? unsern Major.
Wirt
Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt
hat, und von dem ich ihn habe.
Fraeulein
Major von Tellheim.
Wirt
Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?
Fraeulein
Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er hat in
diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt
der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen
schuldig?—Franziska, die Schatulle her! Schliess auf! (Indem sie
Franziska auf den Tisch setzet und oeffnet.) Was ist er Ihnen schuldig?
Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir alle seine Schuldner. Hier
ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!
Wirt
Was hoere ich?
Fraeulein
Wo ist er? wo ist er?
Wirt
Noch vor einer Stunde war er hier.
Fraeulein
Haesslicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so
hart, so grausam sein?
Wirt
Ihro Gnaden verzeihen—
Fraeulein
Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.
Wirt
Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, dass
er ihn aufsuchen soll?
Fraeulein
Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; fuer diesen Dienst allein will
ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind.—
Franziska
Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stoesst ihn heraus.)
(Das Fraeulein. Franziska)
Fraeulein
Nun habe ich ihn wieder, Franziska! Siehst du, nun habe ich ihn
wieder! Ich weiss nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit,
liebe Franziska. Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich, du musst
dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will dich beschenken, damit du
dich mit mir freuen kannst. Sprich, Franziska, was soll ich dir geben?
Was steht dir von meinen Sachen an? Was haettest du gern? Nimm, was du
willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du wirst dir nichts nehmen.
Warte! (sie fasst in die Schatulle) da, liebe Franziska (und gibt ihr
Geld), kaufe dir, was du gern haettest. Fordere mehr, wenn es nicht
zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es ist so traurig, sich allein zu
freuen. Nun, so nimm doch—
Franziska
Ich stehle es Ihnen, Fraeulein; Sie sind trunken, von Froehlichkeit
trunken.—
Fraeulein
Maedchen, ich habe einen zaenkischen Rausch, nimm oder—(Sie zwingt
ihr das Geld in die Hand.) Und wenn du dich bedankest!—Warte; gut,
dass ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle nach Geld.)
Das, liebe Franziska, stecke beiseite, fuer den ersten blessierten
armen Soldaten, der uns anspricht.—
(Der Wirt. Das Fraeulein. Franziska.)
Fraeulein
Nun? Wird er kommen?
Wirt
Der widerwaertige, ungeschliffene Kerl!
Fraeulein
Wer?
Wirt
Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm zu gehen.
Franziska
Bringen Sie doch den Schurken her.—Des Majors Bediente kenne ich
ja wohl alle. Welcher waere denn das?
Fraeulein
Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn er uns sieht, wird er schon
gehen. (Der Wirt geht ab.)
(Das Fraeulein. Franziska.)
Fraeulein
Ich kann den Augenblick nicht erwarten. Aber, Franziska, du bist
noch immer so kalt? Du willst dich noch nicht mit mir freuen?
Franziska
Ich wollte von Herzen gern, wenn nur—
Fraeulein
Wenn nur?
Franziska
Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn
wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hoeren, muss es ihm uebel
gehn. Er muss ungluecklich sein, das jammert mich.
Fraeulein
Jammert dich?—Lass dich dafuer umarmen, meine liebste Gespielin!
das will ich dir nie vergessen!—Ich bin nur verliebt, und du bist
gut.—
(Der Wirt. Just. Die Vorigen.)
Wirt
Mit genauer Not bring ich ihn.
Franziska
Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.
Fraeulein
Mein Freund, ist Er bei dem Major von Tellheim?
Just
Ja.
Fraeulein
Wo ist Sein Herr?
Just
Nicht hier.
Fraeulein
Aber Er weiss ihn zu finden?
Just
Ja.
Fraeulein
Will Er ihn nicht geschwind herholen?
Just
Nein.
Fraeulein
Er erweiset mir damit einen Gefallen.—
Just
Ei!
Fraeulein
Und Seinem Herrn einen Dienst.—
Just
Vielleicht auch nicht.—
Fraeulein
Woher vermutet Er das?
Just
Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn schon diesen Morgen
komplimentieren lassen?
Fraeulein
Ja.
Just
So bin ich schon recht.
Fraeulein
Weiss Sein Herr meinen Namen?
Just
Nein; aber er kann die allzu hoeflichen Damen ebensowenig leiden
als die allzu groben Wirte.
Wirt
Das soll wohl mit auf mich gehn?
Just
Ja.
Wirt
So lass Er es doch dem gnaedigen Fraeulein nicht entgelten, und
hole Er ihn geschwind her.
Fraeulein
(leise zur Franziska). Franziska, gib ihm etwas—
Franziska
(die dem Just Geld in die Hand druecken will). Wir verlangen Seine
Dienste nicht umsonst.—
Just
Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.
Franziska
Eines fuer das andere.
Just
Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuraeumen. Das tu
ich jetzt, und daran bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn
ich fertig bin, so will ich es ihm ja wohl sagen, dass er herkommen
kann. Er ist nebenan auf dem Kaffeehause; und wenn er da nichts Bessers
zu tun findet, wird er auch wohl kommen. (Will fortgehen.)
Franziska
So warte Er doch.—Das gnaedige Fraeulein ist des Herrn Majors—
Schwester.—
Fraeulein
Ja, ja, seine Schwester.
Just
Das weiss ich besser, dass der Major keine Schwestern hat. Er hat
mich in sechs Monaten zweimal an seine Familie nach Kurland
geschickt.— Zwar es gibt mancherlei Schwestern—
Franziska
Unverschaemter!
Just
Muss man es nicht sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen?
(Geht ab.)
Franziska
Das ist ein Schlingel!
Wirt
Ich sagt' es ja. Aber lassen Sie ihn nur! Weiss ich doch nunmehr,
wo sein Herr ist. Ich will ihn gleich selbst holen.—Nur, gnaediges
Fraeulein, bitte ich untertaenigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major
zu entschuldigen, dass ich so ungluecklich gewesen, wider meinen Willen
einen Mann von seinen Verdiensten—
Fraeulein
Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt. Das will ich alles wieder
gutmachen. (Der Wirt geht ab und hierauf) Franziska, lauf ihm nach: er
soll ihm meinen Namen nicht nennen! (Franziska, dem Wirte nach.)
(Das Fraeulein und hierauf Franziska)
Fraeulein
Ich habe ihn wieder!—Bin ich allein?—Ich will nicht umsonst
allein sein.(Sie faltet die Haende.) Auch bin ich nicht allein! (Und
blickt aufwaerts.) Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel ist das
willkommenste Gebet!—Ich hab ihn, ich hab ihn! (Mit ausgebreiteten
Armen.) Ich bin gluecklich! und froehlich! Was kann der Schoepfer
lieber sehen als ein froehliches Geschoepf!—(Franziska koemmt.) Bist
du wieder da, Franziska?—Er jammert dich? Mich jammert er nicht.
Unglueck ist auch gut. Vielleicht, dass ihm der Himmel alles nahm, um
ihm in mir alles wiederzugeben!
Franziska
Er kann den Augenblick hier sein.—Sie sind noch in Ihrem Neglige,
gnaediges Fraeulein. Wie, wenn Sie sich geschwind ankleideten?
Fraeulein
Geh! ich bitte dich. Er wird mich von nun an oeftrer so als geputzt
sehen.
Franziska
Oh, Sie kennen sich, mein Fraeulein.
Fraeulein
(nach einem kurzen Nachdenken). Wahrhaftig, Maedchen, du hast es
wiederum getroffen.
Franziska
Wenn wir schoen sind, sind wir ungeputzt am schoensten.
Fraeulein
Muessen wir denn schoen sein?—Aber dass wir uns schoen glauben,
war vielleicht notwendig.—Nein, wenn ich ihm, ihm nur schoen bin!—
Franziska, wenn alle Maedchens so sind, wie ich mich jetzt fuehle, so
sind wir—sonderbare Dinger.—Zaertlich und stolz, tugendhaft und
eitel, wolluestig und fromm—Du wirst mich nicht verstehen. Ich
verstehe mich wohl selbst nicht.—Die Freude macht drehend,
wirblicht.—
Franziska
Fassen Sie sich, mein Fraeulein; ich hoere kommen—
Fraeulein
Mich fassen? Ich sollte ihn ruhig empfangen?
(v. Tellheim. Der Wirt. Die Vorigen.)
Tellheim
(tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu).
Ah! meine Minna!—
Fraeulein
(ihm entgegenfliehend). Ah! mein Tellheim!—
Tellheim
(stutzt auf einmal und tritt wieder zurueck). Verzeihen Sie,
gnaediges Fraeulein—das Fraeulein von Barnhelm hier zu finden—
Fraeulein
Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein?—(Indem sie ihm
naeher tritt und er mehr zurueckweicht.) Verzeihen? Ich soll Ihnen
verzeihen, dass ich noch Ihre Minna bin? Verzeih' Ihnen der Himmel,
dass ich noch das Fraeulein von Barnhelm bin!—
Tellheim
Gnaediges Fraeulein—(Sieht starr auf den Wirt und zuckt die
Schultern.)
Fraeulein
(wird den Wirt gewahr und winkt der Franziska). Mein Herr—
Tellheim
Wenn wir uns beiderseits nicht irren—Franziska. Je, Herr Wirt, wen
bringen Sie uns denn da? Geschwind, kommen Sie, lassen Sie uns den
Rechten suchen.
Wirt
Ist es nicht der Rechte? Ei ja doch!
Franziska
Ei nicht doch! Geschwind, kommen Sie; ich habe Ihrer Jungfer
Tochter noch keinen guten Morgen gesagt.
Wirt
Oh! viel Ehre—(Doch ohne von der Stelle zu gehn.)
Franziska
(fasst ihn an). Kommen Sie, wir wollen den Kuechenzettel machen.—
Lassen Sie sehen, was wir haben werden—
Wirt
Sie sollen haben, vors erste—
Franziska
Still, ja stille! Wenn das Fraeulein jetzt schon weiss, was sie zu
Mittag speisen soll, so ist es um ihren Appetit geschehen. Kommen Sie,
das muessen Sie mir allein sagen. (Fuehret ihn mit Gewalt ab.)
(v. Tellheim. Das Fraeulein)
Fraeulein
Nun? irren wir uns noch?
Tellheim
Dass es der Himmel wollte!—Aber es gibt nur eine, und Sie sind
es.—
Fraeulein
Welche Umstaende! Was wir uns zu sagen haben, kann jedermann
hoeren.
Tellheim
Sie hier? Was suchen Sie hier, gnaediges Fraeulein?
Fraeulein
Nichts suche ich mehr. (Mit offnen Armen auf ihn zugehend.) Alles,
was ich suchte, habe ich gefunden.
Tellheim
(zurueckweichend). Sie suchten einen gluecklichen, einen Ihrer
Liebe wuerdigen Mann, und finden—einen Elenden.
Fraeulein
So lieben Sie mich nicht mehr?—Und lieben eine andere?
Tellheim
Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fraeulein, der eine andere nach
Ihnen lieben kann.
Fraeulein
Sie reissen nur einen Stachel aus meiner Seele.—Wenn ich Ihr Herz
verloren habe, was liegt daran, ob mich Gleichgueltigkeit oder
maechtigere Reize darum gebracht?—Sie lieben mich nicht mehr: und
lieben auch keine andere?—Ungluecklicher Mann, wenn Sie gar nichts
lieben!—
Tellheim
Recht, gnaediges Fraeulein; der Unglueckliche muss gar nichts
lieben. Er verdient sein Unglueck, wenn er diesen Sieg nicht ueber sich
selbst zu erhalten weiss; wenn er es sich gefallen lassen kann, dass
die, welche er liebt, an seinem Unglueck Anteil nehmen duerfen.—Wie
schwer ist dieser Sieg!—Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit
befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was fuer Muehe habe ich
angewandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, dass diese Muehe nicht
ewig vergebens sein wuerde:—und Sie erscheinen, mein Fraeulein!—
Fraeulein
Versteh ich Sie recht?—Halten Sie, mein Herr; lassen Sie sehen, wo
wir sind, ehe wir uns weiter verirren!—Wollen Sie mir die einzige
Frage beantworten?
Tellheim
Jede, mein Fraeulein—
Fraeulein
Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit
nichts als einem trockenen Ja oder Nein?
Tellheim
Ich will es—wenn ich kann.
Fraeulein
Sie koennen es.—Gut: ohngeachtet der Muehe, die Sie angewendet,
mich zu vergessen—lieben Sie mich noch, Tellheim?
Tellheim
Mein Fraeulein, diese Frage—
Fraeulein
Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.
Tellheim
Und hinzugesetzt: wenn ich kann.
Fraeulein
Sie koennen; Sie muessen wissen, was in Ihrem Herzen
vorgeht.—Lieben Sie mich noch, Tellheim?—Ja oder Nein.
Tellheim
Wenn mein Herz—
Fraeulein
Ja oder Nein!
Tellheim
Nun, Ja!
Fraeulein
Ja?
Tellheim
Ja, ja!—Allein—
Fraeulein
Geduld!—Sie lieben mich noch: genug fuer mich.—In was fuer einen
Ton bin ich mit Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer,
ansteckender Ton.—Ich nehme den meinigen wieder an.—Nun, mein lieber
Ungluecklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind
ungluecklich? Hoeren Sie doch, was Ihre Minna fuer ein eingebildetes,
albernes Ding war—ist. Sie liess, sie lasst sich traeumen, Ihr ganzes
Glueck sei sie.—Geschwind, kramen Sie Ihr Unglueck aus. Sie mag
versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt.—Nun?
Tellheim
Mein Fraeulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.
Fraeulein
Sehr wohl. Ich wuesste auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach
dem Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse
kalte, nachlaessige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Ungluecke
zu sprechen—
Tellheim
Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.
Fraeulein
Oh, mein Rechthaber, so haetten Sie sich auch gar nicht
ungluecklich nennen sollen.—Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache
heraus.— Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu
vergessen befiehlt?—Ich bin eine grosse Liebhaberin von Vernunft, ich
habe sehr viel Ehrerbietung fuer die Notwendigkeit.—Aber lassen Sie
doch hoeren, wie vernuenftig diese Vernunft, wie notwendig diese
Notwendigkeit ist.
Tellheim
Wohl denn; so hoeren Sie, mein Fraeulein.—Sie nennen mich
Tellheim; der Name trifft ein.—Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim,
den Sie in Ihrem Vaterlande gekannt haben; der bluehende Mann, voller
Ansprueche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Koerpers, seiner
ganzen Seele maechtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des
Glueckes eroeffnet standen, der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er
schon Ihrer noch nicht wuerdig war, taeglich wuerdiger zu werden hoffen
durfte.—Dieser Tellheim bin ich ebensowenig, als ich mein Vater bin.
Beide sind gewesen.—Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an
seiner Ehre Gekraenkte, der Krueppel, der Bettler.—Jenem, mein
Fraeulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem Wort halten?—
Fraeulein
Das klingt sehr tragisch!—Doch, mein Herr, bis ich jenen
wiederfinde— in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret—, dieser
wird mir schon aus der Not helfen muessen.—Deine Hand, lieber Bettler!
(Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)
Tellheim
(der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlaegt und sich
von ihr abwendet). Das ist zu viel!—Wo bin ich?—Lassen Sie mich,
Fraeulein! Ihre Guete foltert mich!—Lassen Sie mich.
Fraeulein
Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?
Tellheim
Von Ihnen!—
Fraeulein
Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Traeumer!
Tellheim
Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Fuessen werfen.
Fraeulein
Von mir?
Tellheim
Von Ihnen.—Sie nie, nie wiederzusehen.—Oder doch so entschlossen,
so fest entschlossen—keine Niedertraechtigkeit zu begehen—Sie keine
Unbesonnenheit begehen zu lasen.—Lassen Sie mich, Minna! (Reisst sich
los und ab.)
Fraeulein
(ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!
(Die Szene: Der Saal.) (Just, einen Brief in der Hand)
Just
Muss ich doch noch einmal in das verdammte Haus kommen!—Ein
Briefchen von meinem Herrn an das gnaedige Fraeulein, das seine
Schwester sein will.—Wenn sich nur da nichts anspinnt!—Sonst wird des
Brieftragens kein Ende werden.—Ich waer es gern los, aber ich moechte
auch nicht gern ins Zimmer hinein.—Das Frauenszeug fragt so viel, und
ich antworte so ungern!—Ha, die Tuere geht auf. Wie gewuenscht! das
Kammerkaetzchen!
(Franziska. Just)
Franziska
(zur Tuere herein, aus der sie koemmt). Sorgen Sie nicht; ich will
schon aufpassen.—Sieh! (indem sie Justen gewahr wird) da stiesse mir
ja gleich was auf. Aber mit dem Vieh ist nichts anzufangen.
Just
Ihr Diener, Jungfer—
Franziska
Ich wollte so einen Diener nicht—
Just
Nu, nu, verzeih Sie mir die Redensart!—Da bring ich ein Briefchen
von meinem Herrn an Ihre Herrschaft, das gnaedige
Fraeulein—Schwester.— War's nicht so? Schwester.
Franziska
Geb Er her! (Reisst ihm den Brief aus der Hand.)
Just
Sie soll so gut sein, laesst mein Herr bitten, und es uebergeben.
Hernach soll Sie so gut sein, laesst mein Herr bitten—dass Sie nicht
etwa denkt, ich bitte was!—
Franziska
Nun denn?
Just
Mein Herr versteht den Rummel. Er weiss, dass der Weg zu den
Fraeuleins durch die Kammermaedchen geht:—bild ich mir ein!—Die
Jungfer soll also so gut sein—laesst mein Herr bitten—und ihm sagen
lassen, ob er nicht das Vergnuegen haben koennte, die Jungfer auf ein
Viertelstuendchen zu sprechen.
Franziska
Mich?
Just
Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten Titel gebe.—Ja,
Sie!— Nur auf ein Viertelstuendchen; aber allein, ganz allein,
insgeheim, unter vier Augen. Er haette Ihr was sehr Notwendiges zu
sagen.
Franziska
Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen.—Er kann nur kommen, ich
werde zu seinem Befehle sein.
Just
Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am gelegensten, Jungfer?
So in der Daemmerung?—
Franziska
Wie meint Er das?—Sein Herr kann kommen, wenn er will—und damit
packe Er sich nur!
Just
Herzlich gern! (Will fortgehen.)
Franziska
Hoer Er doch; noch auf ein Wort.—Wo sind denn die andern Bedienten
des Majors?
Just
Die andern? Dahin, dorthin, ueberallhin.
Franziska
Wo ist Wilhelm?
Just
Der Kammerdiener? den laesst der Major reisen.
Franziska
So? Und Philipp, wo ist der?
Just
Der Jaeger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.
Franziska
Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel.—Aber Martin?
Just
Der Kutscher? der ist weggeritten.
Franziska
Und Fritz?
Just
Der Laeufer? der ist avanciert.
Franziska
Wo war Er denn, als der Major bei uns in Thueringen im
Winterquartiere stand? Er war wohl noch nicht bei ihm?
Just
O ja, ich war Reitknecht bei ihm, aber ich lag im Lazarett.
Franziska
Reitknecht? Und jetzt is Er?
Just
Alles in allem; Kammerdiener und Jaeger, Laeufer und Reitknecht.
Franziska
Das muss ich gestehen! So viele gute, tuechtige Leute von sich zu
lassen und gerade den Allerschlechtesten zu behalten! Ich moechte doch
wissen, was Sein Herr an Ihm faende!
Just
Vielleicht findet er, dass ich ein ehrlicher Kerl bin.
Franziska
Oh, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist als
ehrlich.—Wilhelm war ein andrer Mensch—Reisen laesst ihn der Herr?
Just
Ja, er laesst ihn—da er's nicht hindern kann.
Franziska
Wie?
Just
Oh, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen machen. Er hat
des Herrn ganze Garderobe mit.
Franziska
Was? Er ist doch nicht damit durchgegangen?
Just
Das kann man nun eben nicht sagen; sondern als wir von Nuernberg
weggingen, ist er uns nur nicht damit nachgekommen.
Franziska
Oh, der Spitzbube!
Just
Es war ein ganzer Mensch! Er konnte frisieren und rasieren und
parlieren—und scharmieren—Nicht wahr?
Franziska
Sonach haette ich den Jaeger nicht von mir getan, wenn ich wie der
Major gewesen waere. Konnte er ihn schon nicht als Jaeger nuetzen, so
war es doch sonst ein tuechtiger Bursche.—Wem hat er ihn denn
aufzuheben gegeben?
Just
Dem Kommandanten von Spandau.
Franziska
Der Festung? Die Jagd auf den Waellen kann doch da auch nicht gross
sein.
Just
Oh, Philipp jagt auch da nicht.
Franziska
Was tut er denn?
Just
Er karrt.
Franziska
Er karrt?
Just
Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines Komplott unter des
Herrn Kompanie und wollte sechs Mann durch die Vorposten bringen.—
Franziska
Ich erstaune, der Boesewicht!
Just
Oh, es ist ein tuechtiger Kerl! Ein Jaeger, der funfzig Meilen in
der Runde durch Waelder und Moraeste alle Fusssteige, alle Schleifwege
kennt. Und schiessen kann er!
Franziska
Gut, dass der Major nur noch den braven Kutscher hat!
Just
Hat er ihn noch?
Franziska
Ich denke, Er sagte, Martin waere weggeritten? So wird er doch wohl
wiederkommen?
Just
Meint Sie?
Franziska
Wo ist er denn hingeritten?
Just
Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem
und letztem Reitpferde—nach der Schwemme.
Franziska
Und ist noch nicht wieder da? Oh, der Galgenstrick!
Just
Die Schwemme kann den braven Kutscher auch wohl verschwemmt
haben!—Es war gar ein rechter Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre
gefahren. So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im
vollen Rennen waren, so durfte er nur machen: “Burr!” und auf einmal
standen sie wie die Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Rossarzt!
Franziska
Nun ist mir fuer das Avancement des Laeufers bange.
Just
Nein, nein, damit hat's seine Richtigkeit. Er ist Trommelschlaeger
bei einem Garnisonregimente geworden.
Franziska
Dacht ich's doch!
Just
Fritz hing sich an ein liederliches Mensch, kam des Nachts niemals
nach Hause, machte auf des Herrn Namen ueberall Schulden und tausend
infame Streiche. Kurz, der Major sahe, dass er mit aller Gewalt hoeher
wollte: (das Haengen pantomimisch anzeigend) er brachte ihn also auf
guten Weg.
Franziska
Oh, der Bube!
Just
Aber ein perfekter Laeufer ist er, das ist gewiss. Wenn ihm der
Herr funfzig Schritte vorgab, so konnte er ihn mit seinem besten Renner
nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte
vorgeben und, ich wette mein Leben, er holt ihn ein.—Es waren wohl
alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der Philipp, der
Martin und der Fritz?—Nun, Just empfiehlt sich! (Geht ab.)
(Franziska und hernach der Wirt.)
Franziska
(die ihm ernsthaft nachsieht). Ich verdiene den Biss!—Ich bedanke
mich, Just. Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die
Lehre nicht vergessen.—Ah! der unglueckliche Mann! (Kehrt sich um und
will nach dem Zimmer des Fraeuleins gehen, indem der Wirt koemmt.)
Wirt
Warte Sie doch, mein schoenes Kind.
Franziska
Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt—
Wirt
Nun ein kleines Augenblickchen!—Noch keine Nachricht weiter von
dem Herrn Major? Das konnte doch unmoeglich sein Abschied sein!—
Franziska
Was denn?
Wirt
Hat es Ihr das gnaedige Fraeulein nicht erzaehlt?—Als ich Sie,
mein schoenes Kind, unten in der Kueche verliess, so kam ich von
ungefaehr wieder hier in den Saal—
Franziska
Von ungefaehr, in der Absicht, ein wenig zu horchen.
Wirt
Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirte laesst
nichts uebler als Neugierde.—Ich war nicht lange hier, so prellte auf
einmal die Tuere bei dem gnaedigen Fraeulein auf. Der Major stuerzte
heraus, das Fraeulein ihm nach, beide in einer Bewegung, mit Blicken,
in einer Stellung—so was laesst sich nur sehen. Sie ergriff ihn, er
riss sich los, sie ergriff ihn wieder. “Tellheim!”—Fraeulein, lassen
Sie mich!”—“Wohin?”—So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon
bange, er wuerde sie mit herabreissen. Aber er wand sich noch los. Das
Fraeulein blieb an der obersten Schwelle stehn, sah ihm nach, rief ihm
nach, rang die Haende. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem
Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale
hin und wider. Hier stand ich, hier ging sie dreimal bei mir vorbei,
ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob sie mich saehe, aber, Gott
sei bei uns! ich glaube, das Fraeulein sahe mich fuer Sie an, mein
Kind. “Franziska", rief sie, die Augen auf mich gerichtet, “bin ich nun
gluecklich?” Darauf sahe sie steif an die Decke und wiederum: “Bin ich
nun gluecklich?” Darauf wischte sie sich Traenen aus dem Auge und
laechelte und fragte mich wiederum: “Franziska, bin ich nun
gluecklich?”—Wahrhaftig, ich wusste nicht, wie mir war. Bis sie nach
ihrer Tuere lief, da kehrte sie sich nochmals nach mir um: “So komm
doch, Franziska; wer jammert dich nun?”—Und damit hinein.
Franziska
Oh, Herr Wirt, das hat Ihnen getraeumt.
Wirt
Getraeumt? Nein, mein schoenes Kind, so umstaendlich traeumt man
nicht.— Ja, ich wollte wieviel drum geben—ich bin nicht
neugierig—aber ich wollte wieviel drum geben, wenn ich den Schluessel
dazu haette.
Franziska
Den Schluessel? zu unsrer Tuere? Herr Wirt, der steckt innerhalb;
wir haben ihn zur Nacht hereingezogen; wir sind furchtsam.
Wirt
Nicht so einen Schluessel; ich will sagen, mein schoenes Kind, den
Schluessel, die Auslegung gleichsam, so den eigentlichen Zusammenhang
von dem, was ich gesehen.—
Franziska
Ja so!—Nun, adieu, Herr Wirt. Werden wir bald essen, Herr Wirt?
Wirt
Mein schoenes Kind, nicht zu vergessen, was ich eigentlich sagen
wollte.
Franziska
Nun? aber nur kurz—
Wirt
Das gnaedige Fraeulein hat noch meinen Ring; ich nenne ihn meinen—
Franziska
Er soll Ihnen unverloren sein.
Wirt
Ich trage darum auch keine Sorge; ich will's nur erinnern, sieht
Sie, ich will ihn gar nicht einmal wiederhaben. Ich kann mir doch wohl
an den Fingern abzaehlen, woher sie den Ring kannte, und woher er dem
ihrigen so aehnlich sah. Er ist in ihren Haenden am besten aufgehoben.
Ich mag ihn gar nicht mehr und will indes die hundert Pistolen, die ich
darauf gegeben habe, auf des gnaedigen Fraeuleins Rechnung setzen.
Nicht so recht, mein schoenes Kind?
(Paul Werner. Der Wirt. Franziska.)
Werner
Da ist er ja!
Franziska
Hundert Pistolen? Ich meinte, nur achtzig.
Wirt
Es ist wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das will ich tun, mein
schoenes Kind, das will ich tun.
Franziska
Alles das wird sich finden, Herr Wirt.
Werner
(der ihnen hinterwaerts naeher koemmt und auf einmal der Franziska
auf die Schulter klopft). Frauenzimmerchen! Frauenzimmerchen!
Franziska
(erschrickt). He!
Werner
Erschrecke Sie nicht!—Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, ich
sehe, Sie ist huebsch und ist wohl gar fremd—Und huebsche fremde Leute
muessen gewarnet werden—Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, nehm Sie
sich vor dem Manne in acht! (Auf den Wirt zeigend.)
Wirt
Je, unvermutete Freude! Herr Paul Werner! Willkommen bei uns,
willkommen!—Ah, es ist doch immer noch der lustige, spasshafte,
ehrliche Werner!—Sie soll sich vor mir in acht nehmen, mein schoenes
Kind! Ha, ha, ha!
Werner
Geh Sie ihm ueberall aus dem Wege!
Wirt
Mir! mir!—Bin ich denn so gefaehrlich?—Ha, ha, ha! Hoer' Sie
doch, mein schoenes Kind! Wie gefaellt Ihr der Spass?
Werner
Dass es doch immer Seinesgleichen fuer Spass erklaeren, wenn man
ihnen die Wahrheit sagt.
Wirt
Die Wahrheit! ha, ha, ha!—Nicht wahr, mein schoenes Kind, immer
besser! Der Mann kann spassen! Ich gefaehrlich?—ich?—So vor zwanzig
Jahren war was dran. Ja, ja, mein schoenes Kind, da war ich
gefaehrlich; da wusste manche davon zu sagen; aber jetzt—
Werner
Oh, ueber den alten Narrn!
Wirt
Da steckt's eben! Wenn wir alt werden, ist es mit unsrer
Gefaehrlichkeit aus. Es wird Ihm auch nicht besser gehen, Herr Werner!
Werner
Potz Geck und kein Ende!—Frauenzimmerchen, so viel Verstand wird
Sie mir wohl zutrauen, dass ich von der Gefaehrlichkeit nicht rede. Der
eine Teufel hat ihn verlassen, aber es sind dafuer sieben andre in ihn
gefahren—
Wirt
Oh, hoer Sie doch, hoer Sie doch! Wie er das nun wieder so
herumzubringen weiss!—Spass ueber Spass und immer was Neues! Oh, es
ist ein vortrefflicher Mann, der Herr Paul Werner!—(Zur Franziska, als
ins Ohr.) Ein wohlhabender Mann und noch ledig. Er hat drei Meilen von
hier ein schoenes Freischulzengerichte. Der hat Beute gemacht im
Kriege!—Und ist Wachtmeister bei unserm Herrn Major gewesen. Oh, das
ist ein Freund von unserm Herrn Major! das ist ein Freund! der sich
fuer ihn totschlagen liesse!—
Werner
Ja! und das ist ein Freund von meinem Major! das ist ein Freund!—
den der Major sollte totschlagen lassen.
Wirt
Wie? was?—Nein, Herr Werner, das ist nicht guter Spass.—Ich kein
Freund vom Herrn Major?—Nein, den Spass versteh ich nicht.
Werner
Just hat mir schoene Dinge erzaehlt.
Wirt
Just? Ich dacht's wohl, dass Just durch Sie spraeche. Just ist ein
boeser, garstiger Mensch. Aber hier ist ein schoenes Kind zur Stelle;
das kann reden; das mag sagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major
bin? Ob ich ihm keine Dienste erwiesen habe? Und warum sollte ich nicht
sein Freund sein? Ist er nicht ein verdienter Mann? Es ist wahr, er hat
das Unglueck gehabt, abgedankt zu werden: aber was tut das? Der Koenig
kann nicht alle verdiente Maenner kennen, und wenn er sie auch alle
kennte, so kann er sie nicht alle belohnen.
Werner
Das heisst Ihn Gott sprechen!—Aber Just—freilich ist an Justen
auch nicht viel Besonders, doch ein Luegner ist Just nicht; und wenn
das wahr waere, was er mir gesagt hat—
Wirt
Ich will von Justen nichts hoeren! Wie gesagt: das schoene Kind
hier mag sprechen! (Zu ihr ins Ohr.) Sie weiss, mein Kind, den Ring!—
Erzaehl' Sie es doch Herrn Wernern. Da wird er mich besser
kennenlernen. Und damit es nicht herauskoemmt, als ob Sie mir nur zu
Gefallen rede, so will ich nicht einmal dabei sein. Ich will nicht
dabei sein; ich will gehn; aber Sie sollen mir es wiedersagen, Herr
Werner, Sie sollen mir es wiedersagen, ob Just nicht ein garstiger
Verleumder ist.
(Paul Werner. Franziska)
Werner
Frauenzimmerchen, kennt Sie denn meinen Major?
Franziska
Den Major von Tellheim? Jawohl kenn ich den braven Mann.
Werner
Ist es nicht ein braver Mann? Ist Sie dem Manne wohl gut?—
Franziska
Vom Grund meines Herzens.
Werner
Wahrhaftig? Sieht Sie, Frauenzimmerchen; nun koemmt Sie mir noch
einmal so schoen vor.—Aber was sind denn das fuer Dienste, die der
Wirt unserm Major will erwiesen haben?
Franziska
Ich wuesste eben nicht; es waere denn, dass er sich das Gute
zuschreiben wollte, welches gluecklicherweise aus seinem schurkischen
Betragen entstanden.
Werner
So waere es ja wahr, was mir Just gesagt hat?—(Gegen die Seite, wo
der Wirt abgegangen.) Dein Glueck, dass du gegangen bist!—Er hat ihm
wirklich die Zimmer ausgeraeumt?—So einem Manne so einen Streich zu
spielen, weil sich das Eselsgehirn einbildet, dass der Mann kein Geld
mehr habe! Der Major kein Geld?
Franziska
So? Hat der Major Geld?
Werner
Wie Heu! Er weiss nicht, wieviel er hat. Er weiss nicht, wer ihm
alles schuldig ist. Ich bin ihm selber schuldig und bringe ihm hier ein
altes Restchen. Sieht Sie, Frauenzimmerchen, hier in diesem Beutelchen
(das er aus der einen Tasche zieht) sind hundert Louisdor und in diesem
Roellchen (das er aus der andern zieht) hundert Dukaten. Alles sein
Geld!
Franziska
Wahrhaftig? Aber warum versetzt denn der Major? Er hat ja einen
Ring versetzt—
Werner
Versetzt! Glaub Sie doch so was nicht. Vielleicht, dass er den
Bettel hat gern wollen los sein.
Franziska
Es ist kein Bettel! Es ist ein sehr kostbarer Ring, den er wohl
noch dazu von lieben Haenden hat.
Werner
Das wird's auch sein. Von lieben Haenden; ja, ja! So was erinnert
einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will. Drum schafft
man's aus den Augen.
Franziska
Wie?
Werner
Dem Soldaten geht's in Winterquartieren wunderlich. Da hat er
nichts zu tun und pflegt sich und macht vor langer Weile
Bekanntschaften, die er nur auf den Winter meinet und die das gute
Herz, mit dem er sie macht, fuer zeitlebens annimmt. Husch ist ihm denn
ein Ringelchen an den Finger praktiziert; er weiss selbst nicht, wie es
dran koemmt. Und nicht selten gaeb' er gern den Finger mit drum, wenn
er es nur wieder loswerden koennte.
Franziska
Ei! und sollte es dem Major auch so gegangen sein?
Werner
Ganz gewiss. Besonders in Sachsen; wenn er zehn Finger an jeder
Hand gehabt haette, er haette sie alle zwanzig voller Ringe gekriegt.
Franziska
(beiseite). Das klingt ja ganz besonders und verdient untersucht zu
werden.—Herr Freischulze oder Herr Wachmeister—
Werner
Frauenzimmerchen, wenn's Ihr nichts verschlaegt:—Herr
Wachtmeister, hoere ich am liebsten.
Franziska
Nun, Herr Wachtmeister, hier habe ich ein Briefchen von dem Herrn
Major an meine Herrschaft. Ich will es nur geschwind hereintragen und
bin gleich wieder da. Will Er wohl so gut sein und so lange hier
warten? Ich moechte gar zu gern mehr mit Ihm plaudern.
Werner
Plaudert Sie gern, Frauenzimmerchen? Nun meinetwegen: geh Sie nur;
ich plaudre auch gern; ich will warten.
Franziska
Oh, warte Er doch ja! (Geht ab.)
(Paul Werner.)
Werner
Das ist kein unebenes Frauenzimmerchen!—Aber ich haette ihr doch
nicht versprechen sollen zu warten.—Denn das Wichtigste waere wohl,
ich suchte den Major auf.—Er will mein Geld nicht und versetzt
lieber?— Daran kenn ich ihn.—Es faellt mir ein Schneller ein.—Als
ich vor vierzehn Tagen in der Stadt war, besuchte ich die Rittmeisterin
Marloff. Das arme Weib lag krank und jammerte, dass ihr Mann dem Major
vierhundert Taler schuldig geblieben waere, die sie nicht wuesste, wie
sie sie bezahlen sollte. Heute wollte ich sie wieder besuchen—ich
wollte ihr sagen, wenn ich das Geld fuer mein Guetchen ausgezahlt
kriegte, dass ich ihr fuenfhundert Taler leihen koennte.—Denn ich muss
ja wohl was davon in Sicherheit bringen, wenn's in Persien nicht
geht.— Aber sie war ueber alle Berge. Und ganz gewiss wird sie dem
Major nicht haben bezahlen koennen.—Ja, so will ich's machen; und das
je eher, je lieber.—Das Frauenzimmerchen mag mir's nicht uebelnehmen;
ich kann nicht warten. (Geht in Gedanken ab und stoesst fast auf den
Major, der ihm entgegenkoemmt.)
(v. Tellheim. Paul Werner)
Tellheim
So in Gedanken, Werner?
Werner
Da sind Sie ja! ich wollte eben gehen und Sie in Ihrem neuen
Quartiere besuchen, Herr Major.
Tellheim
Um mir auf den Wirt des alten die Ohren vollzufluchen. Gedenke mir
nicht daran.
Werner
Das haette ich beiher getan; ja. Aber eigentlich wollte ich mich
nur bei Ihnen bedanken, dass Sie so gut gewesen und mir die hundert
Louisdor aufgehoben. Just hat mir sie wiedergegeben. Es waere mir wohl
freilich lieb, wenn Sie mir sie noch laenger aufheben koennten. Aber
Sie sind in ein neu Quartier gezogen, das weder Sie noch ich kennen.
Wer weiss, wie's da ist. Sie koennten Ihnen da gestohlen werden, und
Sie muessten mir sie ersetzen; da huelfe nichts davor. Also kann ich's
Ihnen freilich nicht zumuten.
Tellheim
(laechelnd). Seit wenn bist du so vorsichtig, Werner?
Werner
Es lernt sich wohl. Man kann heutezutage mit seinem Gelde nicht
vorsichtig genug sein.—Darnach hatte ich noch was an Sie zu bestellen,
Herr Major; von der Rittmeisterin Marloff; ich kam eben von ihr her.
Ihr Mann ist Ihnen ja vierhundert Taler schuldig geblieben; hier
schickt sie Ihnen auf Abschlag hundert Dukaten. Das uebrige will sie
kuenftige Woche schicken. Ich mochte wohl selber Ursache sein, dass sie
die Summe nicht ganz schickt. Denn sie war mir auch ein Taler achtzig
schuldig; und weil sie dachte, ich waere gekommen, sie zu mahnen—wie's
denn auch wohl wahr war—, so gab sie mir sie und gab sie mir aus dem
Roellchen, das sie fuer Sie schon zurechtgelegt hatte.—Sie koennen
auch schon eher Ihre hundert Taler ein acht Tage noch missen als ich
meine paar Groschen.—Da nehmen Sie doch! (Reicht ihm die Rolle
Dukaten.)
Tellheim
Werner!
Werner
Nun? Warum sehen Sie mich so starr an?—So nehmen Sie doch, Herr
Major!—
Tellheim
Werner!
Werner
Was fehlt Ihnen? Was aergert Sie?
Tellheim
(bitter, indem er sich vor die Stirne schlaegt und mit dem Fusse
auftritt). Dass es—die vierhundert Taler nicht ganz sind!
Werner
Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verstanden?
Tellheim
Eben weil ich dich verstanden habe!—Dass mich doch die besten
Menschen heut am meisten quaelen muessen!
Werner
Was sagen Sie?
Tellheim
Es geht dich nur zur Haelfte an!—Geh, Werner! (Indem er die Hand,
mit der ihm Werner die Dukaten reichet, zurueckstoesst.)
Werner
Sobald ich das los bin!
Tellheim
Werner, wenn du nun von mir hoerst, dass die Marloffin heute ganz
frueh selbst bei mir gewesen ist?
Werner
So?
Tellheim
Dass sie mir nichts mehr schuldig ist?
Werner
Wahrhaftig?
Tellheim
Dass sie mich bei Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirst du denn
sagen?
Werner
(der sich einen Augenblick besinnt). Ich werde sagen, dass ich
gelogen habe, und dass es eine hundsfoett'sche Sache ums Luegen ist,
weil man drueber ertappt werden kann.
Tellheim
Und wirst dich schaemen? Aber er, der mich so zu luegen zwingt, was
sollte der? Sollte der sich nicht auch schaemen? Sehen Sie, Herr Major,
wenn ich sagte, dass mich Ihr Verfahren nicht verdroesse, so haette ich
wieder gelogen, und ich will nicht mehr luegen.—
Tellheim
Sei nicht verdriesslich, Werner! Ich erkenne dein Herz und deine
Liebe zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.
Werner
Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber und versetzen lieber
und bringen sich lieber in der Leute Maeuler?
Tellheim
Die Leute moegen es immer wissen, dass ich nichts mehr habe. Man
muss nicht reicher scheinen wollen, als man ist.
Werner
Aber warum aermer?—Wir haben, solange unser Freund hat.
Tellheim
Es ziemt sich nicht, dass ich dein Schuldner bin.
Werner
Ziemt sich nicht?—Wenn an einem heissen Tage, den uns die Sonne
und der Feind heiss machte, sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen
verloren hatte, und Sie zu mir kamen und sagten: “Werner, hast du
nichts zu trinken?” und ich Ihnen meine Feldflasche reichte, nicht
wahr, Sie nahmen und tranken?—Ziemte sich das?—Bei meiner armen
Seele, wenn ein Trunk faules Wasser damals nicht oft mehr wert war als
alle der Quark! (Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren
herauszieht und ihm beides hinreicht.) Nehmen Sie, lieber Major! Bilden
Sie sich ein, es ist Wasser. Auch das hat Gott fuer alle geschaffen.
Tellheim
Du marterst mich; du hoerst es ja, ich will dein Schuldner nicht
sein.
Werner
Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja, das ist was
anders. (Etwas aergerlich.) Sie wollen mein Schuldner nicht sein? Wenn
Sie es denn aber schon waeren, Herr Major? Oder sind Sie dem Manne
nichts schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den Kopf
spalten sollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben
losdruecken und Ihnen die Kugel durch die Brust jagen wollte?—Was
koennen Sie diesem Manne mehr schuldig werden? Oder hat es mit meinem
Halse weniger zu sagen als mit meinem Beutel?—Wenn das vornehm gedacht
ist, bei meiner armen Seele, so ist es auch sehr abgeschmackt gedacht!
Tellheim
Mit wem sprichst du so, Werner? Wir sind allein; jetzt darf ich es
sagen; wenn uns ein Dritter hoerte, so waere es Windbeutelei. Ich
bekenne es mit Vergnuegen, dass ich dir zweimal mein Leben zu danken
habe. Aber, Freund, woran fehlte mir es, dass ich bei Gelegenheit nicht
ebensoviel fuer dich wuerde getan haben? He!
Werner
Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt, Herr Major? Habe
ich Sie nicht hundertmal fuer den gemeinsten Soldaten, wenn er ins
Gedraenge gekommen war, Ihr Leben wagen sehen?
Tellheim
Also!
Werner
Aber—
Tellheim
Warum verstehst du mich nicht recht? Ich sage: es ziemt sich nicht,
dass ich dein Schuldner bin; ich will dein Schuldner nicht sein.
Naemlich in den Umstaenden nicht, in welchen ich mich jetzt befinde.
Werner
So, so! Sie wollen es versparen bis auf bessre Zeiten; Sie wollen
ein andermal Geld von mir borgen, wenn Sie keines brauchen, wenn Sie
selbst welches haben und ich vielleicht keines.
Tellheim
Man muss nicht borgen, wenn man nicht widerzugeben weiss.
Werner
Einem Manne wie Sie kann es nicht immer fehlen.
Tellheim
Du kennst die Welt!—Am wenigsten muss man sodann von einem borgen,
der sein Geld selbst braucht.
Werner
O ja, so einer bin ich! Wozu braucht' ich's denn?—Wo man einen
Wachtmeister noetig hat, gibt man ihm auch zu leben.
Tellheim
Du brauchst es, mehr als Wachtmeister zu werden, dich auf einer
Bahn weiterzubringen, auf der ohne Geld auch der Wuerdigste
zurueckbleiben kann.
Werner
Mehr als Wachtmeister zu werden? Daran denke ich nicht. Ich bin ein
guter Wachtmeister und duerfte leicht ein schlechter Rittmeister und
sicherlich noch ein schlechtrer General werden. Die Erfahrung hat man.
Tellheim
Mache nicht, dass ich etwas Unrechtes von dir denken muss, Werner!
Ich habe es nicht gern gehoert, was mir Just gesagt hat. Du hast dein
Gut verkauft und willst wieder herumschwaermen. Lass mich nicht von dir
glauben, dass du nicht sowohl das Metier als die wilde, liederliche
Lebensart liebest, die ungluecklicherweise damit verbunden ist. Man
muss Soldat sein fuer sein Land oder aus Liebe zu der Sache, fuer die
gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da dienen, heisst wie
ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts.
Werner
Nun ja doch, Herr Major, ich will Ihnen folgen. Sie wissen besser,
was sich gehoert. Ich will bei Ihnen bleiben.—Aber, lieber Major,
nehmen Sie doch auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muss Ihre
Sache aus sein. Sie muessen Geld die Menge bekommen. Sie sollen mir es
sodann mit Interessen wiedergeben. Ich tu es ja nur der Interessen
wegen.
Tellheim
Schweig davon!
Werner
Bei meiner armen Seele, ich tu es nur der Interessen wegen!—Wenn
ich manchmal dachte: Wie wird es mit dir aufs Alter werden? wenn du
zuschanden gehauen bist? wenn du nichts haben wirst? wenn du wirst
betteln gehen muessen? so dachte ich wieder: Nein, du wirst nicht
betteln gehn; du wirst zum Major Tellheim gehn; der wird seinen letzten
Pfennig mit dir teilen; der wird dich zu Tode fuettern; bei dem wirst
du als ein ehrlicher Kerl sterben koennen.
Tellheim
(indem er Werners Hand ergreift). Und, Kamerad, das denkst du nicht
noch?
Werner
Nein, das denk ich nicht mehr.—Wer von mir nichts nehmen will,
wenn er's bedarf, und ich's habe, der will mir auch nichts geben, wenn
er's hat, und ich's bedarf.—Schon gut! (Will gehen.)
Tellheim
Mensch, mache mich nicht rasend! Wo willst du hin? (Haelt ihn
zurueck.) Wenn ich dich nun auf meine Ehre versichere, dass ich noch
Geld habe; wenn ich dir auf meine Ehre verspreche, dass ich dir es
sagen will, wenn ich keines mehr habe; dass du der erste und einzige
sein sollst, bei dem ich mir etwas borgen will:—bist du dann
zufrieden?
Werner
Muss ich nicht?—Geben Sie mir die Hand darauf, Herr Major.
Tellheim
Da, Paul!—Und nun genug davon. Ich kam hieher, um ein gewisses
Maedchen zu sprechen—
(Franziska, aus dem Zimmer des Fraeuleins. v. Tellheim. Paul Werner.)
Franziska
(im Hereintreten). Sind Sie noch da, Herr Wachtmeister?—(Indem sie
den Tellheim gewahr wird.) Und Sie sind auch da, Herr Major?—Den
Augenblick bin ich zu Ihren Diensten. (Geht geschwind wieder in das
Zimmer.)
(v. Tellheim. Paul Werner.)
Tellheim
Das war sie!—Aber ich hoere ja, du kennst sie, Werner?
Werner
Ja, ich kenne das Frauenzimmerchen.—
Tellheim
Gleichwohl, wenn ich mich recht erinnere, als ich in Thueringen
Winterquartier hatte, warst du nicht bei mir?
Werner
Nein, da besorgte ich in Leipzig Mundierungsstuecke.
Tellheim
Woher kennst du sie denn also?
Werner
Unsere Bekanntschaft ist noch blutjung. Sie ist von heute. Aber
junge Bekanntschaft ist warm.
Tellheim
Also hast du ihr Fraeulein wohl auch schon gesehen?
Werner
Ist ihre Herrschaft ein Fraeulein? Sie hat mir gesagt, Sie kennten
ihre Herrschaft.
Tellheim
Hoerst du nicht? aus Thueringen her.
Werner
Ist das Fraeulein jung?
Tellheim
Ja.
Werner
Schoen?
Tellheim
Sehr schoen.
Werner
Reich?
Tellheim
Sehr reich.
Werner
Ist Ihnen das Fraeulein auch so gut wie das Maedchen? Das waere ja
vortrefflich!
Tellheim
Wie meinst du?
(Franziska wieder heraus, mit einem Brief in der Hand. v Tellheim. Paul Werner.)
Franziska
Herr Major—
Tellheim
Liebe Franziska, ich habe dich noch nicht willkommen heissen
koennen.
Franziska
In Gedanken werden Sie es doch schon getan haben. Ich weiss, Sie
sind mir gut. Ich Ihnen auch. Aber das ist gar nicht artig, dass Sie
Leute, die Ihnen gut sind, so aengstigen.
Werner
(vor sich). Ha, nun merk ich. Es ist richtig!
Tellheim
Mein Schicksal, Franziska!—Hast du ihr den Brief uebergeben?
Franziska
Ja, und hier uebergebe ich Ihnen—(Reicht ihm den Brief.)
Tellheim
Eine Antwort?—
Franziska
Nein, Ihren eignen Brief wieder.
Tellheim
Was? Sie will ihn nicht lesen?
Franziska
Sie wollte wohl, aber—wir koennen Geschriebenes nicht gut lesen.
Tellheim
Schaekerin!
Franziska
Und wir denken, dass das Briefschreiben fuer die nicht erfunden
ist, die sich muendlich miteinander unterhalten koennen, sobald sie
wollen.
Tellheim
Welcher Vorwand! Sie muss ihn lesen. Er enthaelt meine
Rechtfertigung— alle die Gruende und Ursachen—
Franziska
Die will das Fraeulein von Ihnen selbst hoeren, nicht lesen.
Tellheim
Von mir selbst hoeren? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr
verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Groesse meines
Verlusts empfinde?—
Franziska
Ohne Barmherzigkeit!—Nehmen Sie! (Sie gibt ihm den Brief.) Sie
erwartet Sie um drei Uhr. Sie will ausfahren und die Stadt besehen. Sie
sollen mit ihr fahren?
Tellheim
Mit ihr fahren?
Franziska
Und was geben Sie mir, so lass ich Sie beide ganz allein fahren?
Ich will zu Hause bleiben.
Tellheim
Ganz allein?
Franziska
In einem schoenen verschlossnen Wagen.
Tellheim
Unmoeglich!
Franziska
Ja, ja; im Wagen muss der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns
nicht entwischen. Darum geschieht es eben.—Kurz, Sie kommen, Herr
Major; und Punkte drei.—Nun? Sie wollten mich ja auch allein sprechen.
Was haben Sie mir denn zu sagen?—Ja so, wir sind nicht allein. (Indem
sie Wernern ansieht.)
Tellheim
Doch, Franziska, wir waeren allein. Aber da das Fraeulein den Brief
nicht gelesen hat, so habe ich dir noch nichts zu sagen.
Franziska
So? waeren wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachtmeister
keine Geheimnisse?
Tellheim
Nein, keine.
Franziska
Gleichwohl, duenkt mich, sollten Sie welche vor ihm haben.
Tellheim
Wie das?
Werner
Warum das, Frauenzimmerchen?
Franziska
Besonders Geheimnisse von einer gewissen Art.—Alle zwanzig, Herr
Wachtmeister? (Indem sie beide Haende mit gespreizten Fingern in die
Hoehe haelt.)
Werner
St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!
Tellheim
Was heisst das?
Franziska
Husch ist's am Finger, Herr Wachtmeister? (Als ob sie einen Ring
geschwind ansteckte.)
Tellheim
Was habt ihr?
Werner
Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie wird ja wohl Spass
verstehn?
Tellheim
Werner, du hast doch nicht vergessen, was ich dir mehrmal gesagt
habe, dass man ueber einen gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie
scherzen muss?
Werner
Bei meiner armen Seele, ich kann's vergessen
haben!—Frauenzimmerchen, ich bitte—
Franziska
Nun, wenn es Spass gewesen ist; dasmal will ich es Ihm verzeihen.
Tellheim
Wenn ich denn durchaus kommen muss, Franziska: so mache doch nur,
dass das Fraeulein den Brief vorher noch lieset. Das wird mir die
Peinigung ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu sagen,
die ich so gern vergessen moechte. Da, gib ihr ihn! (Indem er den Brief
umkehrt und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, dass er erbrochen
ist.) Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.
Franziska
Das kann wohl sein. (Besieht ihn.) Wahrhaftig, er ist erbrochen.
Wer muss ihn denn erbrochen haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich
nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht lesen,
denn der Schreiber koemmt selbst. Kommen Sie ja; und wissen Sie was,
Herr Major? Kommen Sie nicht so, wie Sie da sind, in Stiefeln, kaum
frisiert. Sie sind zu entschuldigen, Sie haben uns nicht vermutet.
Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisieren.—So sehen Sie mir
gar zu brav, gar zu preussisch aus!
Tellheim
Ich danke dir, Franziska.
Franziska
Sie sehen aus, als ob Sie vorige Nacht kampiert haetten.
Tellheim
Du kannst es erraten haben.
Franziska
Wir wollen uns gleich auch putzen und sodann essen. Wir behielten
Sie gern zum Essen, aber Ihre Gegenwart moechte uns an dem Essen
hindern; und sehen Sie, so gar verliebt sind wir nicht, dass uns nicht
hungerte.
Tellheim
Ich geh! Franziska, bereite sie indes ein wenig vor, damit ich
weder in ihren noch in meinen Augen veraechtlich werden darf.—Komm,
Werner, du sollst mit mir essen.
Werner
An der Wirtstafel hier im Hause? Da wird mir kein Bissen schmecken.
Tellheim
Bei mir auf der Stube.
Werner
So folge ich Ihnen gleich. Nur noch ein Wort mit dem
Frauenzimmerchen.
Tellheim
Das gefaellt mir nicht uebel! (Geht ab.)
(Paul Werner. Franziska.)
Franziska
Nun, Herr Wachtmeister?—
Werner
Frauenzimmerchen, wenn ich wiederkomme, soll ich auch geputzter
kommen?
Franziska
Komm Er, wie Er will, Herr Wachtmeister; meine Augen werden nichts
wider Ihn haben. Aber meine Ohren werden desto mehr auf ihrer Hut gegen
Ihn sein muessen.—Zwanzig Finger, alle voller Ringe! Ei, ei, Herr
Wachtmeister!
Werner
Nein, Frauenzimmerchen; eben das wollt' ich Ihr noch sagen: die
Schnurre fuhr mir mir so heraus! Es ist nichts dran. Man hat ja wohl an
einem Ringe genug. Und hundert—und aberhundertmal habe ich den Major
sagen hoeren: “Das muss ein Schurke von einem Soldaten sein, der ein
Maedchen anfuehren kann!”—So denk ich auch, Frauenzimmerchen. Verlass
Sie sich darauf!—Ich muss machen, dass ich ihm nachkomme.—Guten
Appetit, Frauenzimmerchen! (Geht ab.)
Franziska
Gleichfalls, Herr Wachtmeister!—Ich glaube, der Mann gefaellt mir!
(Indem sie hineingehen will, koemmt ihr das Fraeulein entgegen.)
(Das Fraeulein. Franziska.)
Fraeulein
Ist der Major schon wieder fort?—Franziska, ich glaube, ich waere
jetzt schon wieder ruhig genug, dass ich ihn haette hierbehalten
koennen.
Franziska
Und ich will Sie noch ruhiger machen.
Fraeulein
Desto besser! Sein Brief, oh, sein Brief! Jede Zeile sprach den
ehrlichen, edlen Mann. Jede Weigerung, mich zu besitzen, beteuerte mir
seine Liebe.—Er wird es wohl gemerkt haben, dass wir den Brief
gelesen.—Mag er doch, wenn er nur koemmt. Er koemmt doch
gewiss?—Bloss ein wenig zu viel Stolz, Franziska, scheint mir in
seiner Auffuehrung zu sein. Denn auch seiner Geliebten sein Glueck
nicht wollen zu danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn er
mir diesen zu stark merken laesst, Franziska—
Franziska
So wollen Sie seiner entsagen?
Fraeulein
Ei, sieh doch! Jammert er dich nicht schon wieder? Nein, liebe
Naerrin, eines Fehlers wegen entsagt man keinem Manne. Nein, aber ein
Streich ist mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit aehnlichem
Stolze ein wenig zu martern.
Franziska
Nun, da muessen Sie ja recht sehr ruhig sein, mein Fraeulein, wenn
Ihnen schon wieder Streiche beifallen.
Fraeulein
Ich bin es auch; komm nur. Du wirst deine Rolle dabei zu spielen
haben. (Sie gehen herein.)
(Die Szene: Das Zimmer des Fraeuleins.) (Das Fraeulein voellig und reich, aber mit Geschmack gekleidet. Franziska. Sie stehen vom Tische auf, den ein Bedienter abraeumt.)
Franziska
Sie koennen unmoeglich satt sein, gnaediges Fraeulein.
Fraeulein
Meinst du, Franziska? Vielleicht, dass ich mich nicht hungrig
niedersetzte.
Franziska
Wir hatten ausgemacht, seiner waehrend der Mahlzeit nicht zu
erwaehnen. Aber wir haetten uns auch vornehmen sollen, an ihn nicht zu
denken.
Fraeulein
Wirklich, ich habe an nichts als an ihn gedacht.
Franziska
Das merkte ich wohl. Ich fing von hundert Dingen an zu sprechen,
und Sie antworteten mir auf jedes verkehrt. (Ein andrer Bedienter
traegt Kaffee auf.) Hier koemmt eine Nahrung, bei der man eher Grillen
machen kann. Der liebe melancholische Kaffee!
Fraeulein
Grillen? Ich mache keine. Ich denke bloss der Lektion nach, die ich
ihm geben will. Hast du mich recht begriffen, Franziska?
Franziska
O ja; am besten aber waere es, er ersparte sie uns.
Frauelein
Du wirst sehen, dass ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der
mich jetzt mit allen Reichtuemern verweigert, wird mich der ganzen Welt
streitig machen, sobald er hoert, dass ich ungluecklich und verlassen
bin.
Franziska
(sehr ernsthaft). Und so was muss die feinste Eigenliebe unendlich
kitzeln.
Fraeulein
Sittenrichterin! Seht doch! Vorhin ertappte sie mich auf Eitelkeit,
jetzt auf Eigenliebe.—Nun, lass mich nur, liebe Franziska. Du sollst
mit deinem Wachtmeister auch machen koennen, was du willst.
Franziska
Mit meinem Wachtmeister?
Fraeulein
Ja, wenn du es vollends leugnest, so ist es richtig.—Ich habe ihn
noch nicht gesehen, aber aus jedem Worte, das du mir von ihm gesagt
hast, prophezeie ich dir deinen Mann.
(Riccaut de la Marliniere. Das Fraeulein. Franziska.) Riccaut (noch innerhalb der Szene). Est-il permis, Monsieur le Major?
Franziska
Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Tuere gehend.)
Riccaut
Parbleu! Ik bin unriktig.—Mais non—Ik bin nit unriktig—C'est sa
chambre—
Franziska
Ganz gewiss, gnaediges Fraeulein, glaubt dieser Herr, den Major von
Tellheim noch hier zu finden.
Riccaut
Iss so!—Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui
que je cherche. Ou est-il?
Franziska
Er wohnt nicht mehr hier.
Riccaut
Comment? nok vor vier un swansik Stund hier logier? Und logier nit
mehr hier? Wo logier er denn?
Fraeulein
(die auf ihn zukoemmt). Mein Herr-Riccaut. Ah,
Madame—Mademoiselle— Ihro Gnad verzeih—
Fraeulein
Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung
sehr natuerlich. Der Herr Major hat die Guete gehabt, mir als einer
Fremden, die nicht unterzukommen wusste, sein Zimmer zu ueberlassen.
Raccaut
Ah, voila de ses politesses! C'est un tres galant-homme que ce
Major!
Fraeulein
Wo er indes hingezogen—wahrhaftig, ich muss mich schaemen, es
nicht zu wissen.
Riccaut
Ihro Gnad nit wiss? C'est dommage; j'en suis fache.
Fraeulein
Ich haette mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich
werden ihn seine Freunde noch hier suchen.
Riccaut
Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad—
Fraeulein
Franziska, wisst du es nicht?
Franziska
Nein, gnaediges Fraeulein.
Riccaut
Ik haett ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine
Nouvelle, davon er sehr froelik sein wird.
Fraeulein
Ich bedauere um so viel mehr.—Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn
zu sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute
Nachricht erfaehrt, so erbiete ich mich, mein Herr—
Riccaut
Ik versteh.—Mademoiselle parle francais? Mais sans doute; telle
que je la vois!—La demande etait bien impolie; vous me pardonnerez,
Mademoiselle.—
Fraeulein
Mein Herr—
Riccaut
Nit? Sie sprek nit Franzoesisch, Ihro Gnad?
Fraeulein
Mein Herr, in Frankreich wuerde ich es zu sprechen suchen. Aber
warum hier? Ich hoere ja, dass Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich,
mein Herr, werde Sie gewiss auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen
beliebt.
Riccaut
Gutt, gutt! Ik kann auk mik auf Deutsch explizier.—Sachez donc,
Mademoiselle—Ihro Gnad soll also wiss, dass ik komm von die Tafel bei
der Minister—Minister von—Minister von—wie heiss der Minister da
drauss?—in der lange Strass?—auf die breite Platz?—
Fraeulein
Ich bin hier noch voellig unbekannt.
Riccaut
Nun, die Minister von der Kriegsdepartement.—Da haben ik zu Mittag
gespeisen—ik speisen a l'ordinaire bei ihm—und da iss man gekommen
reden auf der Major Tellheim; et le ministre m'a dit en confidence, car
Son Excellence est de mes amis, et il n'y a point de mysteres entre
nous—Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, dass die Sak von
unserm Major sei auf den Point zu enden und gutt zu enden. Er habe
gemakt ein Rapport an den Koenik, und der Koenik habe darauf resolvier,
tout-a-fait en faveur du Major.—Monsieur, m'a dit Son Excellence, vous
comprenez bien, que tout depend de la maniere, dont on fait envisager
les choses au roi, et vous me connaissez. Cela fait un tres joli garcon
que ce Tellheim, et ne sais-je pas que vous l'aimez? Les amis de mes
amis sont aussi les miens. Il coute un peu cher au roi ce Tellheim,
mais est-ce que l'on sert les rois pour rien? Il faut s'entr'aider en
ce monde; et quand il s'agit de pertes, que ce soit le roi, qui en
fasse, et non pas un honnete-homme de nous autres. Voila le principe,
dont je ne me depars jamais.—Was sag Ihro Gnad hierzu? Nit wahr, das
iss ein brav Mann? Ah que Son Excellence a le coer bien place! Er hat
mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une
Lettre de la main—eine Koenikliken Handbrief, dass er heut
infailliblement muesse bekommen einen.
Fraeulein
Gewiss, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim
hoechst angenehm sein. Ich wuenschte nur, ihm den Freund zugleich mit
Namen nennen zu koennen, der so viel Anteil an seinem Gluecke nimmt—
Riccaut
Mein Namen wuenscht Ihro Gnad?—Vous voyez en moi—Ihro Gnad seh in
mik le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de
la branche de Prensd'or.—Ihro Gnad? steh verwundert, mik aus so ein
gross, gross Familie zu hoeren, qui est veritablement du sang
Royal.—Il faut le dire; je suis sans doute le cadet le plus
avantureux, que la maison a jamais eu.—Ik dien von meiner elfte Jahr.
Ein Affaire d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr.
Papstliken Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen und den
Staaten- General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah,
Mademoiselle, que je voudrais n'avoir jamais vu ce pays-la! Haette man
mik gelass im Dienst von den Staaten-General, so muesst ik nun sein
aufs wenikst Oberst. Aber so hier immer und ewik Capitaine geblieben,
und nun gar sein ein abgedankte Capitaine—
Fraeulein
Das ist viel Unglueck.
Riccaut
Qui, Mademoiselle, me voila reforme, et par-la mis sur le pave!
Fraeulein
Ich beklage sehr.
Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle.—Nein, man kenn sik hier nit
auf den Verdienst. Einen Mann wie mik su reformir! Einen Mann, der sik
nok dasu in diesem Dienst hat rouinir!—Ik haben dabei sugesetzt mehr
als swansik tausend Livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot; je n'ai
pas le sou, et me voila exactement vis-a-vis du rien.—
Fraeulein
Es tut mir ungemein leid.
Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg su sagen:
ein jeder Unglueck schlepp nak sik seine Bruder; qu'un malheur ne vient
jamais seul: so mit mir arrivir. Was ein Honnete-homme von mein
Extraction kann anders haben fuer Ressource als das Spiel? Nun hab ik
immer gespielen mit Glueck, solang ik hatte nit vonnoeten der Glueck.
Nun ik ihr haette vonnoeten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui
surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iss vergangen keine, wo sie
mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je
sais bien, qu'il y avait quelque chose de plus que le jeu. Car parmi
mes pontes se trouvaient certaines dames—Ik will niks weiter sag. Man
muss sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir
su geben revanche; mais—vous m'entendez, Mademoiselle.—Man muss erst
wiss, wovon leben, ehe man haben kann, wovon su spielen—
Fraeulein
Ich will nicht hoffen, mein Herr—
Riccaut
Vous etes bien bonne, Mademoiselle—
Fraeulein
(nimmt die Franziska beiseite). Franziska, der Mann dauert mich im
Ernste. Ob er mir es wohl uebelnehmen wuerde, wenn ich ihm etwas
anboete?
Franziska
Der sieht mir nicht darnach aus.
Fraeulein
Gut!—Mein Herr, ich hoere—dass Sie spielen, dass Sie Bank machen;
ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muss Ihnen
bekennen, dass ich—gleichfalls das Spiel sehr liebe—
Riccaut
Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux! Tous les gens d'esprit aiment
le jeu a la fureur.
Fraeulein
Dass ich sehr gern gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Mann
wage, der—zu spielen weiss.—Waeren Sie wohl geneigt, mein Herr, mich
in Gesellschaft zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank zu goennen?
Riccaut
Comment, Mademoiselle, vous voulez etre de moitie avec moi? De tout
mon coeur.
Fraeulein
Vors erste nur mit einer Kleinigkeit—(Geht und langt Geld aus
ihrer Schatulle.)
Riccaut
Ah, Mademoiselle, que vous etes charmante!—
Fraeulein
Hier habe ich, was ich ohnlaengst gewonnen, nur zehn Pistolen—ich
muss mich zwar schaemen, so wenig—
Riccaut
Donnez toujours, Mademoiselle, donnez. (Nimmt es.)
Fraeulein
Ohne Zweifel, dass Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist—
Riccaut
Jawohl, sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihr Gnad soll sein dafuer
interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf
ein Dreiteil sollen sein—etwas mehr. Dok mit einer schoene Damen muss
man es nehmen nit so genau. Ik gratulir mik, su kommen dadurk in
liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence a bien augurer de
ma fortune.
Fraeulein
Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.
Riccaut
Was brauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike
Leut untereinander.
Fraeulein
Wenn wir gluecklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen
Anteil schon bringen. Sind wir aber ungluecklich—
Riccaut
So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?
Fraeulein
Auf die Laenge duerften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser
Geld daher ja wohl, mein Herr.
Riccaut
Wofuer seh mik Ihro Gnad an? Fuer ein Einfalspinse? fuer ein dumme
Teuf?
Fraeulein
Verzeihen Sie mir—
Riccaut
Je suis des bons, Mademoiselle. Savez-vous ce que cela veut dire?
Ik bin von die Ausgelernt—
Fraeulein
Aber doch wohl, mein Herr—
Riccaut
Je sais monter un coup—
Fraeulein
(verwundernd). Sollten Sie?
Riccaut
Je file la carte avec une adresse—
Fraeulein
Nimmermehr!
Riccaut
Je fais sauter la coupe avec une dexterite—
Fraeulein
Sie werden doch nicht, mein Herr?—
Riccaut
Was nit? Ihro Gnade, was nit? Donnez-moi un pigeonneau a plumer,
et—
Fraeulein
Falsch spielen? betruegen?
Riccaut
Comment, Mademoiselle? Vous appellez cela betruegen? Corriger la
fortune, l'enchainer sous ses doigts, etre sur de son fait, das nenn
die Deutsch betruegen? Betruegen! Oh, was ist die deutsch Sprak fuer
ein arm Sprak! fuer ein plump Sprak!
Fraeulein
Nein, mein Herr, wenn Sie so denken—
Riccaut
Laissez-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik! Was gehn Sie
an, wie ik spiel?—Gnug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit
hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit—Votre tres-humble,
Mademoiselle, votre tres-humble—(Eilends ab.)
Fraeulein
(die ihm mit Erstaunen und Verdruss nachsieht). Ich wuensche das
letzte, mein Herr, das letzte!
(Das Fraeulein. Franziska)
Franziska
(erbittert). Kann ich noch reden? O schoen! o schoen!
Fraeulein
Spotte nur; ich verdiene es. (Nach einem kleinen Nachdenken und
gelassener.) Spotte nicht, Franziska; ich verdiene es nicht.
Franziska
Vortrefflich! Da haben Sie etwas Allerliebstes getan, einen
Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.
Fraeulein
Es war einem Ungluecklichen zugedacht.
Franziska
Und was das beste dabei ist: der Kerl haelt Sie fuer
seinesgleichen.—Oh, ich muss ihm nach und ihm das Geld wieder
abnehmen. (Will fort.)
Fraeulein
Franziska, lass den Kaffee nicht vollends kalt werden, schenk ein.
Franziska
Er muss es Ihnen wiedergeben; Sie haben spielen. Zehn Pistolen! Sie
hoerten ja, Fraeulein, dass es ein Bettler war! (Das Fraeulein schenkt
indes selbst ein.) Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch
dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den
Mildtaetigen, der den Bettler aus Grossmut verkennen will, verkennt der
Bettler wieder. Nun moegen Sie es haben, Fraeulein, wenn er Ihre Gabe,
ich weiss nicht wofuer, ansieht.—(Und reicht der Franziska eine
Tasse.) Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag
nicht trinken. (Das Fraeulein setzt sie wieder weg.) “Parbleu, Ihro
Gnad, man kenn sik hier nit auf den Verdienst.” (In dem Tone des
Franzosen.) Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen
herumlaufen laesst.
Fraeulein
(kalt und nachdenkend, indem sie trinkt). Maedchen, du verstehst
dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die
schlechten ertragen lernen?—Und sie sind doch auch Menschen.—Und
oefters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen.—Man
muss ihre gute Seite nur aufsuchen.—Ich bilde mir ein, dieser Franzose
ist nichts als eitel. Aus blosser Eitelkeit macht er sich zum falschen
Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen, er will sich den Dank
ersparen. Vielleicht, dass er nun hingeht, seine kleine Schulden
bezahlt, von dem Reste, soweit er reicht, still und sparsam lebt und an
das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so lass ihn
Rekruten holen, wenn er will.—(Gibt ihr die Tasse.) Da, setz weg!—
Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?
Franziska
Nein, gnaediges Fraeulein, ich kann beides nicht, weder an einem
schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die boese
Seite aufsuchen.
Fraeulein
Er koemmt doch ganz gewiss?—
Franziska
Er sollte wegbleiben!—Sie bemerken an ihm, dem besten Manne, ein
wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?
Fraeulein
Koemmst du da wieder hin?—Schweig, das will ich nun einmal so. Wo
du mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir
es abgeredet haben!—Ich will dich schon allein mit ihm lassen, und
dann— Jetzt koemmt er wohl.
(Paul Werner (der in einer steifen Stellung, gleichsam im Dienste, hereintritt). Das Fraeulein. Franziska.)
Franziska
Nein, es ist nur sein lieber Wachtmeister.
Fraeulein
Lieber Wachtmeister? Auf wen bezieht sich dieses Lieber?
Franziska
Gnaediges Fraeulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt.—Ihre
Dienerin, Herr Wachtmeister; was bringen Sie uns?
Werner
(geht, ohne auf die Franziska zu achten, an das Fraeulein). Der
Major von Tellheim laesst an das gnaedige Fraeulein von Barnhelm durch
mich, den Wachtmeister Werner, seinen untertaenigen Respekt vermelden
und sagen, dass er sogleich hier sein werde.
Fraeulein
Wo bleibt er denn?
Werner
Ihro Gnaden werden verzeihen; wir sind noch vor dem Schlage drei
aus dem Quartier gegangen, aber da hat ihn der Kriegszahlmeister
unterwegens angeredt, und weil mit dergleichen Herren des Redens immer
kein Ende ist: so gab er mir einen Wink, dem gnaedigen Fraeulein den
Vorfall zu rapportieren.
Fraeulein
Recht wohl, Herr Wachtmeister. Ich wuensche nur, dass der
Kriegszahlmeister dem Major etwas Angenehmes moege zu sagen haben.
Werner
Das haben dergleichen Herren den Offizieren selten.—Haben Ihro
Gnaden etwas zu befehlen? (Im Begriffe wieder zu gehen.)
Franziska
Nun, wo denn schon wieder hin, Herr Wachtmeister? Haetten wir denn
nichts miteinander zu plaudern?
Werner
(sachte zur Franziska und ernsthaft). Hier nicht, Frauenzimmerchen.
Es ist wider den Respekt, wider die Subordination.—Gnaediges
Fraeulein—
Fraeulein
Ich danke fuer Seine Bemuehung, Herr Wachtmeister.—Es ist mir lieb
gewesen, Ihn kennenzulernen. Franziska hat mir viel Gutes von Ihm
gesagt. (Werner macht eine steife Verbeugung und geht ab.)
(Das Fraeulein. Franziska.)
Fraeulein
Das ist dein Wachtmeister, Franziska?
Franziska
Wegen des spoettischen Tones habe ich nicht Zeit, dieses dein
nochmals aufzumutzen.—Ja, gnaediges Fraeulein, das ist mein
Wachtmeister. Sie finden ihn ohne Zweifel ein wenig steif und hoelzern.
Jetzt kam er mir fast auch so vor. Aber ich merke wohl, er glaubte, vor
Ihro Gnaden auf die Parade ziehen zu muessen. Und wenn die Soldaten
paradieren—ja freilich scheinen sie da mehr Drechslerpuppen als
Maenner. Sie sollten ihn hingegen nur sehn und hoeren, wenn er sich
selbst gelassen ist.
Fraeulein
Das muesste ich denn wohl!
Franziska
Er wird noch auf dem Saale sein. Darf ich nicht gehn und ein wenig
mit ihm plaudern?
Fraeulein
Ich versage dir ungern dieses Vergnuegen. Du musst hierbleiben,
Franziska. Du muss bei unserer Unterredung gegenwaertig sein!—Es
faellt mir noch etwas bei. (Sie zieht ihren Ring vom Finger.) Da, nimm
meinen Ring, verwahre ihn, und gib mir des Majors seinen dafuer.
Franziska
Warum das?
Fraeulein
(indem Franziska den andern Ring holt). Recht weiss ich es selbst
nicht, aber mich duenkt, ich sehe so etwas voraus, wo ich ihn brauchen
koennte.—Man pocht—Geschwind gib her! (Sie steckt ihn an.) Er ist's!
(v. Tellheim in dem naemlichen Kleide, aber sonst so, wie es Franziska verlangt. Das Fraeulein. Franziska.)
Tellheim
Gnaediges Fraeulein, Sie werden mein Verweilen entschuldigen—
Fraeulein
Oh, Herr Major, so gar militaerisch wollen wir es miteinander nicht
nehmen. Sie sind ja da! Und ein Vergnuegen erwarten, ist auch ein
Vergnuegen.—Nun? (indem sie ihm laechelnd ins Gesicht sieht) lieber
Tellheim, waren wir nicht vorhin Kinder?
Tellheim
Jawohl, Kinder, gnaediges Fraeulein; Kinder, die sich sperren, wo
sie gelassen folgen sollten.
Fraeulein
Wir wollen ausfahren, lieber Major—die Stadt ein wenig zu
besehen—, und hernach meinem Oheim entgegen.
Tellheim
Wie?
Fraeulein
Sehen Sie, auch das Wichtigste haben wir einander noch nicht sagen
koennen. Ja, er trifft noch heut hier ein. Ein Zufall ist schuld, dass
ich einen Tag frueher ohne ihn angekommen bin.
Tellheim
Der Graf von Bruchsall? Ist er zurueck?
Fraeulein
Die Unruhen des Krieges verscheuchten ihn nach Italien; der Friede
hat ihn wieder zurueckgebracht.—Machen Sie sich keine Gedanken,
Tellheim. Besorgten wir schon ehemals das staerkste Hindernis unsrer
Verbindung von seiner Seite—
Tellheim
Unserer Verbindung?
Fraeulein
Er ist Ihr Freund. Er hat von zu vielen zu viel Gutes von Ihnen
gehoert, um es nicht zu sein. Er brennet, den Mann von Antlitz zu
kennen, den seine einzige Erbin gewaehlt hat. Er koemmt als Oheim, als
Vormund, als Vater, mich Ihnen zu uebergeben.
Tellheim
Ah, Fraeulein, warum haben Sie meinen Brief nicht gelesen? Warum
haben Sie ihn nicht lesen wollen?
Fraeulein
Ihren Brief? Ja, ich erinnere mich, Sie schickten mir einen. Wie
war es denn mit diesem Briefe, Franziska? Haben wir ihn gelesen, oder
haben wir ihn nicht gelesen? Was schrieben Sie mir denn, lieber
Tellheim?—
Tellheim
Nichts, als was mir die Ehre befiehlt.
Fraeulein
Das ist, ein ehrliches Maedchen, die Sie liebt, nicht sitzen zu
lassen. Freilich befiehlt das die Ehre. Gewiss, ich haette den Brief
lesen sollen. Aber was ich nicht gelesen habe, das hoere ich ja.
Tellheim
Ja, Sie sollen es hoeren—
Fraeulein
Nein, ich brauch es auch nicht einmal zu hoeren. Es versteht sich
von selbst. Sie koennten eines so haesslichen Streiches faehig sein,
dass Sie mich nun nicht wollten? Wissen Sie, dass ich auf Zeit meines
Lebens beschimpft waere? Meine Landsmaenninnen wuerden mit Fingern auf
mich weisen.—“Das ist sie", wuerde es heissen, “das ist das Fraeulein
von Barnhelm, die sich einbildete, weil sie reich sei, den wackern
Tellheim zu bekommen: als ob die wackern Maenner fuer Geld zu haben
waeren!” So wuerde es heissen: denn meine Landsmaenninnen sind alle
neidisch auf mich. Dass ich reich bin, koennen sie nicht leugnen; aber
davon wollen sie nichts wissen, dass ich auch sonst noch ein ziemlich
gutes Maedchen bin, das seines Mannes wert ist. Nicht wahr, Tellheim?
Tellheim
Ja, ja, gnaediges Fraeulein, daran erkenne ich Ihr Landsmanninnen.
Sie werden Ihnen einen abgedankten, an seiner Ehre gekraenkten
Offizier, einen Krueppel, einen Bettler, trefflich beneiden.
Fraeulein
Und das alles waeren Sie? Ich hoerte so was, wenn ich mich nicht
irre, schon heute vormittage. Da ist Boeses und Gutes untereinander.
Lassen Sie uns doch jedes naeher beleuchten.—Verabschiedet sind Sie?
So hoere ich. Ich glaubte, Ihr Regiment sei bloss untergesteckt worden.
Wie ist es gekommen, dass man einen Mann von Ihren Verdiensten nicht
beibehalten?
Tellheim
Es ist gekommen, wie es kommen muessen. Die Grossen haben sich
ueberzeugt, dass ein Soldat aus Neigung fuer sie ganz wenig, aus
Pflicht nicht viel mehr, aber alles seiner eignen Ehre wegen tut. Was
koennen sie ihm also schuldig zu sein glauben? Der Friede hat ihnen
mehrere meinesgleichen entbehrlich gemacht, und am Ende ist ihnen
niemand unentbehrlich.
Fraeulein
Sie sprechen, wie ein Mann sprechen muss, dem die Grossen
hinwiederum sehr entbehrlich sind. Und niemals waren sie es mehr als
jetzt. Ich sage den Grossen meinen grossen Dank, dass sie ihre
Ansprueche auf einen Mann haben fahren lassen, den ich doch nur sehr
ungern mit ihnen geteilet haette.—Ich bin Ihre Gebieterin, Tellheim;
Sie brauchen weiter keinen Herrn.—Sie verabschiedet zu finden, das
Glueck haette ich mir kaum traeumen lassen!—Doch Sie sind nicht bloss
verabschiedet: Sie sind noch mehr. Was sind Sie noch mehr? Ein
Krueppel: sagten Sie? Nun (indem sie ihn von oben bis unten
betrachtet), der Krueppel ist doch noch ziemlich ganz und gerade;
scheinet doch noch ziemlich gesund und stark.—Lieber Tellheim, wenn
Sie auf den Verlust Ihrer gesunden Gliedmassen betteln zu gehen denken:
so prophezeie ich Ihnen voraus, dass Sie vor den wenigsten Tueren etwas
bekommen werden; ausgenommen vor den Tueren der gutherzigen Maedchen
wie ich.
Tellheim
Jetzt hoere ich nur das mutwillige Maedchen, liebe Minna.
Fraeulein
Und ich hoere in Ihrem Verweise nur das Liebe Minna—Ich will nicht
mehr mutwillig sein. Denn ich besinne mich, dass Sie allerdings ein
kleiner Krueppel sind. Ein Schuss hat Ihnen den rechten Arm ein wenig
gelaehmt.—Doch alles wohl ueberlegt: so ist auch das so schlimm nicht.
Um soviel sichrer bin ich vor Ihren Schlaegen.
Tellheim
Fraeulein!
Fraeulein
Sie wollen sagen: Aber Sie um soviel weniger vor meinen. Nun, nun,
lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen lassen.
Tellheim
Sie wollen lachen, mein Fraeulein. Ich beklage nur, dass ich nicht
mitlachen kann.
Fraeulein
Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn
auch nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen
erhaelt uns vernuenftiger als der Verdruss. Der Beweis liegt vor uns.
Ihre lachende Freundin beurteilet Ihre Umstaende weit richtiger als Sie
selbst. Weil Sie verabschiedet sind, nennen Sie sich an Ihrer Ehre
gekraenkt; weil Sie einen Schuss in dem Arme haben, machen Sie sich zu
einem Krueppel. Ist das so recht? Ist das keine Uebertreibung? Und ist
es meine Einrichtung, dass alle Uebertreibungen des Laecherlichen so
faehig sind? Ich wette, wenn ich Ihren Bettler nun vornehme, dass auch
dieser ebensowenig Stich halten wird. Sie werden einmal, zweimal,
dreimal Ihre Equipage verloren haben; bei dem oder jenem Bankier werden
einige Kapitale jetzt mitschwinden; Sie werden diesen und jenen
Vorschuss, den Sie im Dienste getan, keine Hoffnung haben
wiederzuerhalten: aber sind Sie darum ein Bettler? Wenn Ihnen auch
nichts uebriggeblieben ist, als was mein Oheim fuer Sie mitbringt—
Tellheim
Ihr Oheim, gnaediges Fraeulein, wird fuer mich nichts mitbringen.
Fraeulein
Nichts als die zweitausend Pistolen, die Sie unsern Staenden so
grossmuetig vorschossen.
Tellheim
Haetten Sie doch nur meinen Brief gelesen, gnaediges Fraeulein!
Fraeulein
Nun ja, ich habe ihn gelesen. Aber was ich ueber diesen Punkt darin
gelesen, ist mir ein wahres Raetsel. Unmoeglich kann man Ihnen aus
einer edlen Handlung ein Verbrechen machen wollen.—Erklaeren Sie mir
doch, lieber Major—
Tellheim
Sie erinnern sich, gnaediges Fraeulein, dass ich Ordre hatte, in
den Aemtern Ihrer Gegend die Kontribution mit der aeussersten Strenge
bar beizutreiben. Ich wollte mir diese Strenge ersparen und schoss die
fehlende Summe selbst vor.—
Fraeulein
Jawohl erinnere ich mich.—Ich liebte Sie um dieser Tat willen,
ohne Sie noch gesehen zu haben.
Tellheim
Die Staende gaben mir ihren Wechsel, und diesen wollte ich bei
Zeichnung des Friedens unter die zu ratihabierende Schulden eintragen
lassen. Der Wechsel ward fuer gueltig erkannt, aber mir ward das
Eigentum desselben streitig gemacht. Man zog spoettisch das Maul, als
ich versicherte, die Valute bar hergegeben zu haben. Man erklaerte ihn
fuer eine Bestechung, fuer das Gratial der Staende, weil ich so bald
mit ihnen auf die niedrigste Summe einig geworden war, mit der ich mich
nur im aeussersten Notfalle zu begnuegen Vollmacht hatte. So kam der
Wechsel aus meinen Haenden, und wenn er bezahlt wird, wird er
sicherlich nicht an mich bezahlt.—Hierdurch, mein Fraeulein, halte ich
meine Ehre fuer gekraenkt; nicht durch den Abschied, den ich gefordert
haben wuerde, wenn ich ihn nicht bekommen haette.—Sie sind ernsthaft,
mein Fraeulein? Warum lachen Sie nicht? Ha, ha, ha! Ich lache ja.
Fraeulein
Oh, ersticken Sie dieses Lachen, Tellheim! Ich beschwoere Sie! Es
ist das schreckliche Lachen des Menschenhasses! Nein, Sie sind der Mann
nicht, den eine gute Tat reuen kann, weil sie ueble Folgen fuer ihn
hat. Nein, unmoeglich koennen diese ueble Folgen dauren! Die Wahrheit
muss an den Tag kommen. Das Zeugnis meines Oheims, aller unsrer
Staende—
Tellheim
Ihres Oheims! Ihrer Staende! Ha, Ha, ha!
Fraeulein
Ihr Lachen toetet mich, Tellheim! Wenn Sie an Tugend und Vorsicht
glauben, Tellheim, so lachen Sie so nicht! Ich habe nie fuerchterlicher
fluchen hoeren, als Sie lachen.—Und lassen Sie uns das Schlimmste
setzen! Wenn man Sie hier durchaus verkennen will: so kann man Sie bei
uns nicht verkennen. Nein, wir koennen, wir werden Sie nicht verkennen,
Tellheim. Und wenn unsere Staende die geringste Empfindung von Ehre
haben, so weiss ich, was sie tun muessen. Doch ich bin nicht klug: was
waere das noetig? Bilden Sie sich ein, Tellheim, Sie haetten die
zweitausend Pistolen an einem wilden Abende verloren. Der Koenig war
eine unglueckliche Karte fuer Sie: die Dame (auf sich weisend) wird
Ihnen desto guenstiger sein.—Die Vorsicht, glauben Sie mir, haelt den
ehrlichen Mann immer schadlos; und oefters schon im voraus. Die Tat,
die Sie einmal um zweitausend Pistolen bringen sollte, erwarb mich
Ihnen. Ohne diese Tat wuerde ich nie begierig gewesen sein, Sie
kennenzulernen. Sie wissen, ich kam uneingeladen in die erste
Gesellschaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich kam bloss Ihrentwegen.
Ich kam in dem festen Vorsatze, Sie zu lieben—ich liebte Sie
schon!—in dem festen Vorsatze, Sie zu besitzen, wenn ich Sie auch so
schwarz und haesslich finden sollte als den Mohr von Venedig. Sie sind
so schwarz und haesslich nicht; auch so eifersuechtig werden Sie nicht
sein. Aber Tellheim, Tellheim, Sie haben doch noch viel Aehnliches mit
ihm! Oh, ueber die wilden, unbiegsamen Maenner, die nur immer ihr
stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! fuer alles andere
Gefuehl sich verhaerten!—Hierher Ihr Auge! auf mich, Tellheim! (Der
indes vertieft und unbeweglich mit starren Augen immer auf eine Stelle
gesehen.) Woran denken Sie? Sie hoeren mich nicht?
Tellheim
(zerstreut). O ja! Aber sagen Sie mir doch, mein Fraeulein: wie kam
der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum
vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate?—
Fraeulein
(erschrocken). Wo sind Sie, Tellheim?—Nun ist es Zeit, dass wir
abbrechen.—Kommen Sie! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)—
Franziska, lass den Wagen vorfahren.
Tellheim
(der sich von dem Fraeulein losreisst und der Franziska nachgeht).
Nein, Franziska, ich kann nicht die Ehre haben, das Fraeulein zu
begleiten.— Mein Fraeulein, lassen Sie mir noch heute meinen gesunden
Verstand, und beurlauben Sie mich. Sie sind auf dem besten Wege, mich
darum zu bringen. Ich stemme mich, soviel ich kann.—Aber weil ich noch
bei Verstande bin: so hoeren Sie, mein Fraeulein, was ich fest
beschlossen habe, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll.—Wenn
nicht noch ein gluecklicher Wurf fuer mich im Spiele ist, wenn sich das
Blatt nicht voellig wendet, wenn—
Fraeulein
Ich muss Ihnen ins Wort fallen, Herr Major.—Das haetten wir ihm
gleich sagen sollen, Franziska. Du erinnerst mich auch an gar
nichts.—Unser Gespraech wuerde ganz anders gefallen sein, Tellheim,
wenn ich mit der guten Nachricht angefangen haette, die Ihnen der
Chevalier de la Marliniere nur eben zu bringen kam.
Tellheim
Der Chevalier de la Marliniere? Wer ist das?
Franziska
Es mag ein ganz guter Mann sein, Herr Major, bis auf—
Fraeulein
Schweig, Franziska!—Gleichfalls ein verabschiedeter Offizier, der
aus hollaendischen Diensten—
Tellheim
Ha! der Leutnant Riccaut!
Fraeulein
Er versicherte, dass er Ihr Freund sei.
Tellheim
Ich versichere, dass ich seiner nicht bin.
Fraeulein
Und dass ihm, ich weiss nicht welcher Minister, vertrauet habe,
Ihre Sache sei dem gluecklichsten Ausgange nahe. Es muesse ein
koenigliches Handschreiben an Sie unterwegens sein—
Tellheim
Wie kaemen Riccaut und ein Minister zusammen?—Etwas zwar muss in
meiner Sache geschehen sein. Denn nur jetzt erklaerte mir der
Kriegszahlmeister, dass der Koenig alles niedergeschlagen habe, was
wider mich urgieret worden, und dass ich mein schriftlich gegebenes
Ehrenwort, nicht eher von hier zu gehen, als bis man mich voellig
entladen habe, wieder zurueck- nehmen koenne.—Das wird es aber auch
alles sein. Man wird mich wollen laufen lassen. Allein man irrt sich;
ich werde nicht laufen. Eher soll mich hier das aeusserste Elend vor
den Augen meiner Verleumder verzehren—
Fraeulein
Hartnaeckiger Mann!
Tellheim
Ich brauche keine Gnade, ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre—
Fraeulein
Die Ehre eines Mannes wie Sie—
Tellheim
(hitzig). Nein, mein Fraeulein, Sie werden von allen Dingen recht
gut urteilen koennen, nur hierueber nicht. Die Ehre ist nicht die
Stimme unsers Gewissen, nicht das Zeugnis weniger Rechtschaffnen—
Fraeulein
Nein, nein, ich weiss wohl.—Die Ehre ist—die Ehre.
Tellheim
Kurz, mein Fraeulein—Sie haben mich nicht ausreden lassen.—Ich
wollte sagen: wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthaelt, wenn
meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht, so kann ich,
mein Fraeulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der
Welt nicht wert zu sein. Das Fraeulein von Barnhelm verdienet einen
unbescholtenen Mann. Es ist eine nichtswuerdige Liebe, die kein
Bedenken traegt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist
ein nichtswuerdiger Mann, der sich nicht schaemet, sein ganzes Glueck
einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zaertlichkeit—
Fraeulein
Und das ist Ihr Ernst, Herr Major?—(Indem sie ihm ploetzlich den
Ruecken wendet.) Franziska!
Tellheim
Werden Sie nicht ungehalten, mein Fraeulein—
Fraeulein
(beiseite zur Franziska). Jetzt waere es Zeit! Was raetst du mir,
Franziska?—
Franziska
Ich rate nichts. Aber freilich macht er es Ihnen ein wenig zu
bunt.—
Tellheim
(der sie zu unterbrechen koemmt). Sie sind ungehalten, mein
Fraeulein—
Fraeulein
(hoehnisch). Ich? im geringsten nicht.
Tellheim
Wenn ich Sie weniger liebte, mein Fraeulein—
Fraeulein
(noch in diesem Tone). O gewiss, es waere mein Unglueck!—Und sehen
Sie, Herr Major, ich will Ihr Unglueck auch nicht.—Mann muss ganz
uneigennuetzig lieben.—Ebensogut, dass ich nicht offenherziger gewesen
bin! Vielleicht wuerde mir Ihr Mitleid gewaehret haben, was mir Ihre
Liebe versagt.—(Indem sie den Ring langsam vom Finger zieht.)
Tellheim
Was meinen Sie damit, Fraeulein?
Fraeulein
Nein, keines muss das andere weder gluecklicher noch ungluecklicher
machen. So will es die wahre Liebe! Ich glaube Ihnen, Herr Major; und
Sie haben zuviel Ehre, als dass Sie die Liebe verkennen sollten.
Tellheim
Spotten Sie, mein Fraeulein?
Fraeulein
Hier! Nehmen Sie den Ring wieder zurueck, mit dem Sie mir Ihre
Treue verpflichtet. (Ueberreicht ihm den Ring.) Es sei drum! Wir wollen
einander nicht gekannt haben!
Tellheim
Was hoere ich?
Fraeulein
Und das befremdet Sie?—Nehmen Sie, mein Herr.—Sie haben sich doch
wohl nicht bloss gezieret?
Tellheim
(indem er den Ring aus ihrer Hand nimmt). Gott! So kann Minna
sprechen!—
Fraeulein
Sie koennen der Meinige in einem Falle nicht sein: ich kann die
Ihrige in keinem sein. Ihr Unglueck ist wahrscheinlich; meines ist
gewiss.— Leben Sie wohl! (Will fort.)
Tellheim
Wohin, liebste Minna?
Fraeulein
Mein Herr, Sie beschimpfen mich jetzt mit dieser vertraulichen
Benennung.
Tellheim
Was ist Ihnen, mein Fraeulein? Wohin?
Fraeulein
Lassen Sie mich.—Meine Traenen vor Ihnen zu verbergen, Verraeter!
(Geht ab.)
(v. Tellheim. Franziska.)
Tellheim
Ihre Traenen? Und ich sollte sie lassen? (Will ihr nach.)
Franziska
(die ihn zurueckhaelt). Nicht doch, Herr Major! Sie werden ihr ja
nicht in ihr Schlafzimmer folgen wollen?
Tellheim
Ihr Unglueck? Sprach sie nicht von Unglueck?
Franziska
Nun freilich, das Unglueck, Sie zu verlieren, nachdem—
Tellheim
Nachdem? was nachdem? Hierhinter steckt mehr. Was ist es,
Franziska? Rede, sprich—
Franziska
Nachdem sie, wollte ich sagen—Ihnen so vieles aufgeopfert.
Tellheim
Mir aufgeopfert?
Franziska
Hoeren Sie nur kurz.—Es ist fuer Sie recht gut, Herr Major, dass
Sie auf diese Art von ihr losgekommen sind.—Warum soll ich es Ihnen
nicht sagen? Es kann doch laenger kein Geheimnis bleiben.—Wir sind
entflohen!—Der Graf von Bruchsall hat das Fraeulein enterbt, weil sie
keinen Mann von seiner Hand annehmen wollte. Alles verliess, alles
verachtete sie hierauf. Was sollten wir tun? Wir entschlossen uns,
denjenigen aufzusuchen, dem wir—
Tellheim
Ich habe genug!—Komm, ich muss mich zu ihren Fuessen werfen.
Franziska
Was denken Sie? Gehen Sie vielmehr und danken Ihrem guten
Geschicke—
Tellheim
Elende! fuer wen haeltst du mich?—Nein, liebe Franziska, der Rat
kam nicht aus deinem Herzen. Vergib meinem Unwillen!
Franziska
Halten Sie mich nicht laenger auf. Ich muss sehen, was sie macht.
Wie leicht koennte ihr etwas zugestossen sein.—Gehen Sie! Kommen Sie
lieber wieder, wenn Sie wiederkommen wollen. (Geht dem Fraeulein nach.)
(v. Tellheim)
Tellheim
Aber, Franziska!—Oh, ich erwarte euch hier!—Nein, das ist
dringender! —Wenn sie Ernst sieht, kann mir ihre Vergebung nicht
entstehen.—Nun brauch ich dich, ehrlicher Werner!—Nein, Minna, ich
bin kein Verraeter! (Eilends ab.)
(Die Szene: Der Saal.) (v. Tellheim von der einen und Werner von der andern Seite.)
Tellheim
Ha, Werner! ich suche dich ueberall. Wo steckst du?
Werner
Und ich habe Sie gesucht, Herr Major; so geht's mit dem
Suchen.—Ich bringe Ihnen gar eine gute Nachricht.
Tellheim
Ah, ich brauche jetzt nicht deine Nachrichten: ich brauche dein
Geld. Geschwind, Werner, gib mir, soviel du hast; und denn suche so
viel aufzubringen, als du kannst.
Werner
Herr Major?—Nun, bei meiner armen Seele, habe ich's doch gesagt:
er wird Geld von mir borgen, wenn er selber welches zu verleihen hat.
Tellheim
Du suchst doch nicht Ausfluechte?
Werner
Damit ich ihm nichts vorzuwerfen habe, so nimmt er mir's mit der
Rechten und gibt mir's mit der Linken wieder.
Tellheim
Halte mich nicht auf, Werner!—Ich habe den guten Willen, dir es
wiederzugeben, aber wenn und wie?—Das weiss Gott!
Werner
Sie wissen es also noch nicht, dass die Hofstaatskasse Ordre hat,
Ihnen Ihre Gelder zu bezahlen? Eben erfuhr ich es bei—
Tellheim
Was plauderst du? Was laessest du dir weismachen? Begreifst du denn
nicht, dass, wenn es wahr waere, ich es doch wohl am ersten wissen
muesste?—Kurz, Werner, Geld! Geld!
Werner
Je nu, mit Freuden! hier ist was!—das sind die hundert Louisdor
und das die hundert Dukaten. / (gibt ihm beides.)
Tellheim
Die hundert Louisdor, Werner, geh und bringe Justen. Er soll
sogleich den Ring wieder einloesen, den er heute frueh versetzt
hat.—Aber wo wirst du mehr hernehmen, Werner?—Ich brauche weit mehr.
Werner
Dafuer lassen Sie mich sorgen.—Der Mann, der mein Gut gekauft hat,
wohnt in der Stadt. Der Zahlungstermin waere zwar erst in vierzehn
Tagen, aber das Geld liegt parat, und ein halb Prozentchen Abzug—
Tellheim
Nun ja, lieber Werner!—Siehst du, dass ich meine einzige Zuflucht
zu dir nehme?—Ich muss dir auch alles vertrauen. Das Fraeulein
hier—du hast sie gesehn—ist ungluecklich—
Werner
O Jammer!
Tellheim
Aber morgen ist sie meine Frau—
Werner
O Freude!
Tellheim
Und uebermorgen geh ich mit ihr fort. Ich darf fort, ich will fort.
Lieber hier alles im Stiche gelassen! Wer weiss, wo mir sonst ein
Glueck aufgehoben ist. Wenn du willst, Werner, so komm mit. Wir wollen
wieder Dienste nehmen.
Werner
Wahrhaftig?—Aber doch wo's Krieg gibt, Herr Major?
Tellheim
Wo sonst?—Geh, lieber Werner, wir sprechen davon weiter.
Werner
O Herzensmajor!—Uebermorgen? Warum nicht lieber morgen?—Ich will
schon alles zusammenbringen—In Persien, Herr Major, gibt's einen
trefflichen Krieg; was meinen Sie?
Tellheim
Wir wollen das ueberlegen; geh nur, Werner!—
Werner
Juchhe! es lebe der Prinz Heraklius! (Geht ab.)
(v. Tellheim)
Tellheim
Wie is mir?—Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen. Mein
eignes Unglueck schlug mich nieder, machte mich aergerlich,
kurzsichtig, schuechtern, laessig: ihr Unglueck hebt mich empor, ich
sehe wieder frei um mich und fuehle mich willig und stark, alles fuer
sie zu unternehmen— Was verweile ich? (Will nach dem Zimmer des
Fraeuleins, aus dem ihm Franziska entgegenkoemmt.)
(Franziska. v. Tellheim.)
Franziska
Sind Sie es doch?—Es war mir, als ob ich Ihre Stimme hoerte.—Was
wollen Sie, Herr Major?
Tellheim
Was ich will?—Was macht dein Fraeulein?—Komm!—
Franziska
Sie will den Augenblick ausfahren.
Tellheim
Und allein? ohne mich? wohin?
Franziska
Haben Sie vergessen, Herr Major?—
Tellheim
Bist du nicht klug, Franziska?—Ich habe sie gereizt, und sie ward
empfindlich: ich werde sie um Vergebung bitten, und sie wird mir
vergeben.
Franziska
Wie?—Nachdem Sie den Ring zurueckgenommen, Herr Major?
Tellheim
Ha!—Das tat ich in der Betaeubung.—Jetzt denk ich erst wieder an
den Ring.—Wo habe ich ihn hingesteckt?—(Er sucht ihn.) Hier ist er.
Franziska
Ist er das? (Indem er ihn wieder einsteckt, beiseite.) Wenn er ihn
doch genauer besehen wollte!
Tellheim
Sie drang mir ihn auf mit einer Bitterkeit—Ich habe diese
Bitterkeit schon vergessen. Ein volles Herz kann die Worte nicht
waegen.—Aber sie wird sich auch keinen Augenblick weigern, den Ring
wieder anzunehmen.—Und habe ich nicht noch ihren?
Franziska
Den erwartet sie dafuer zurueck.—Wo haben Sie ihn denn, Herr
Major? Zeigen Sie mir ihn doch.
Tellheim
(etwas verlegen). Ich habe—ihn anzustecken vergessen.—Just—Just
wird mir ihn gleich nachbringen.
Franziska
Es ist wohl einer ziemlich wie der andere; lassen Sie mich doch
diesen sehen; ich sehe so was gar zu gern.
Tellheim
Ein andermal, Franziska. Jetzt komm—Franziska (beiseite). Er will
sich durchaus nicht aus seinem Irrtume bringen lassen.
Tellheim
Was sagst du? Irrtume?
Franziska
Es ist ein Irrtum, sag ich, wenn Sie meinen, dass das Fraeulein
doch noch eine gute Partie sei. Ihr eigenes Vermoegen ist gar nicht
betraechtlich; durch ein wenig eigennuetzige Rechnungen koennen es ihr
die Vormuender voellig zu Wasser machen. Sie erwartete alles von dem
Oheim, aber dieser grausame Oheim—
Tellheim
Lass ihn doch!—Bin ich nicht Manns genug, ihr einmal alles zu
ersetzen?—
Franziska
Hoeren Sie? Sie klingelt; ich muss herein.
Tellheim
Ich gehe mit dir.
Franziska
Um des Himmels willen nicht! Sie hat mir ausdruecklich verboten,
mit Ihnen zu sprechen. Kommen Sie wenigstens mir erst nach.—(Geht
herein.)
(v. Tellheim ihr nachrufend.) Melde mich ihr!—Sprich fuer mich, Franziska!—Ich folge dir sogleich!—Was werde ich ihr sagen?—Wo das Herz reden darf, braucht es keiner Vorbereitung.—Das einzige moechte eine studierte Wendung beduerfen: ihre Zurueckhaltung, ihre Bedenklichkeit, sich als ungluecklich in meine Arme zu werfen; ihre Beflissenheit, mir ein Glueck vorzuspiegeln, das sie durch mich verloren hat. Dieses Misstrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Wert vor ihr selbst zu entschuldigen, vor ihr selbst—Vor mir ist es schon entschuldiget!—Ha! hier koemmt sie.—
(Das Fraeulein. Franziska. v. Tellheim.)
Fraeulein
(im Heraustreten, als ob sie den Major nicht gewahr wuerde). Der
Wagen ist doch vor der Tuere, Franziska?—Meinen Faecher!
Tellheim
(auf sie zu). Wohin, mein Fraeulein?
Fraeulein
(mit einer affektierten Kaelte). Aus, Herr Major.—Ich errate,
warum Sie sich nochmals herbemuehet haben: mir auch meinen Ring wieder
zurueckzugeben.—Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Guete, ihn der
Franziska einzuhaendigen.—Franziska, nimm dem Herrn Major den Ring ab!
—Ich habe keine Zeit zu verlieren. (Will fort.)
Tellheim
(der ihr vortritt). Mein Fraeulein!—Ah, was habe ich erfahren,
mein Fraeulein! Ich war so vieler Liebe nicht wert.
Fraeulein
So, Franziska? Du hast dem Herrn Major—
Franziska
Alles entdeckt.
Tellheim.
Zuernen Sie nicht auf mich, mein Fraeulein. Ich bin kein Verraeter.
Sie haben um mich in den Augen der Welt viel verloren, aber nicht in
den meinen. In meinen Augen haben Sie unendlich durch diesen Verlust
gewonnen. Er war Ihnen noch zu neu; Sie fuerchteten, er moechte einen
allzu nachteiligen Eindruck auf mich machen; Sie wollten mir ihn vors
erste verbergen. Ich beschwere mich nicht ueber dieses Misstrauen. Es
entsprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieses Verlangen ist
mein Stolz! Sie fanden mich selbst ungluecklich; und Sie wollten
Unglueck nicht mit Unglueck haeufen. Sie konnten nicht vermuten, wie
sehr mich Ihr Unglueck ueber das meinige hinaussetzen wuerde.
Fraeulein
Alles recht gut, Herr Major! Aber es ist nun einmal geschehen. Ich
habe Sie Ihrer Verbindlichkeit erlassen; Sie haben durch Zuruecknehmung
des Ringes—
Tellheim
In nichts gewilliget!—Vielmehr halte ich mich jetzt fuer
gebundener als jemals.—Sie sind die Meinige, Minna, auf ewig die
Meinige. (Zieht den Ring heraus.) Hier, empfangen Sie es zum zweiten
Male, das Unterpfand meiner Treue—
Fraeulein
Ich diesen Ring wiedernehmen? diesen Ring?
Tellheim
Ja, liebste Minna, ja!
Fraeulein
Was muten Sie mir zu? diesen Ring?
Tellheim
Diesen Ring nahmen Sie das erstemal aus meiner Hand, als unser
beider Umstaende einander gleich und gluecklich waren. Sie sind nicht
mehr gluecklich, aber wiederum einander gleich. Gleichheit ist immer
das festeste Band der Liebe.—Erlauben Sie, liebste Minna!—(Ergreift
ihre Hand, um ihr den Ring anzustecken.)
Fraeulein
Wie? mit Gewalt, Herr Major?—Nein, da ist keine Gewalt in der
Welt, die mich zwingen soll, diesen Ring wieder anzunehmen!—Meinen Sie
etwa, dass es mir an einem Ringe fehlt?—Oh, Sie sehen ja wohl (auf
ihren Ring zeigend), dass ich hier noch einen habe, der Ihrem nicht das
geringste nachgibt?—
Franziska
Wenn er es noch nicht merkt!—
Tellheim
(indem er die Hand des Fraeuleins fahren laesst). Was ist das?—Ich
sehe das Fraeulein von Barnhelm, aber ich hoere es nicht.—Sie zieren
sich, mein Fraeulein.—Vergeben Sie, dass ich Ihnen dieses Wort
nachbrauche.
Fraeulein
(in ihrem wahren Tone). Hat Sie dieses Wort beleidiget, Herr,
Major?
Tellheim
Es hat mir weh getan.
Fraeulein
(geruehrt). Das sollte es nicht, Tellheim.—Verzeihen Sie mir,
Tellheim.
Tellheim
Ha, dieser vertrauliche Ton sagt mir, dass Sie wieder zu sich
kommen, mein Fraeulein, dass Sie mich noch lieben, Minna.—
Franziska
(herausplatzend). Bald waere der Spass auch zu weit gegangen.—
Fraeulein
(gebieterisch). Ohne dich in unser Spiel zu mengen, Franziska, wenn
ich bitten darf!
Franziska
(beiseite und betroffen). Noch nicht genug?
Fraeulein
Ja, mein Herr, es waere weibliche Eitelkeit, mich kalt und
hoehnisch zu stellen. Weg damit! Sie verdienen es, mich ebenso wahrhaft
zu finden, als Sie selbst sind.—Ich liebe Sie noch, Tellheim, ich
liebe Sie noch, aber demohngeachtet—
Tellheim
Nicht weiter, liebste Minna, nicht weiter! (Ergreift ihre Hand
nochmals, ihr den Ring anzustecken.)
Fraeulein
(die ihre Hand zurueckzieht). Demohngeachtet—um so viel mehr werde
ich dieses nimmermehr geschehen lassen; nimmermehr!—Wo denken Sie hin,
Herr Major?—Ich meinte, Sie haetten an Ihrem eigenen Ungluecke
genug.— Sie muessen hierbleiben; Sie muessen sich die
allervollstaendigste Genugtuung—ertrotzen. Ich weiss in der
Geschwindigkeit kein ander Wort.—Ertrotzen—und sollte Sie auch das
aeusserste Elend, vor den Augen Ihrer Verleumder, darueber verzehren!
Tellheim
So dacht' ich, so sprach ich, als ich nicht wusste, was ich dachte
und sprach. Aergernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele
umnebelt; die Liebe selbst in dem vollesten Glanze des Glueckes konnte
sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das
Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel
zerstreuet und alle Zugaenge meiner Seele den Eindruecken der
Zaertlichkeit wiederum oeffnet. Der Trieb der Selbsterhaltung erwacht,
da ich etwas Kostbarers zu erhalten habe als mich und es durch mich zu
erhalten habe. Lassen Sie mich, mein Fraeulein, das Wort Mitleid nicht
beleidigen. Von der unschuldigen Ursache unsers Ungluecks koennen wir
es ohne Erniedrigung hoeren. Ich bin diese Ursache; durch mich, Minna,
verlieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermoegen und Vaterland. Durch
mich, in mir muessen Sie alles dieses wiederfinden, oder ich habe das
Verderben der Liebenswuerdigsten Ihres Geschlechts auf meiner Seele.
Lassen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich selbst hassen
muesste. —Nein, nichts soll mich hier laenger halten. Von diesem
Augenblicke an will ich dem Unrechte, das mir hier widerfaehrt, nichts
als Verachtung entgegensetzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier
allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird
man mir verweigern? Und muesste ich sie unter dem entferntesten Himmel
suchen: folgen Sie mir nur getrost, liebste Minna; es soll uns an
nichts fehlen.—Ich habe einen Freund, der mich gern unterstuetzet.
(Ein Feldjaeger. v. Tellheim. Das Fraeulein. Franziska.)
Franziska
(indem sie den Feldjaeger gewahr wird). St! Herr Major—
Tellheim
(gegen den Feldjaeger). Zu wem wollen Sie?
Feldjaeger
Ich suche den Herrn Major von Tellheim.—Ah, Sie sind es ja selbst.
Mein Herr Major, dieses koenigliche Handschreiben (das er aus seiner
Brieftasche nimmt) habe ich an Sie zu uebergeben.
Tellheim
An mich?
Feldjaeger
Zufolge der Aufschrift—
Fraeulein
Franziska, hoerst du?—Der Chevalier hat doch wahr geredet!
Feldjaeger
(indem Tellheim den Brief nimmt). Ich bitte um Verzeihung, Herr
Major; Sie haetten es bereits gestern erhalten sollen, aber es ist mir
nicht moeglich gewesen, Sie auszufragen. Erst heute auf der Parade habe
ich Ihre Wohnung von dem Leutnant Riccaut erfahren.
Franziska
Gnaediges Fraeulein, hoeren Sie?—Das ist des Chevaliers
Minister.—“Wie heissen der Minister da drauss auf die breite Platz?”—
Tellheim
Ich bin Ihnen fuer Ihre Muehe sehr verbunden.
Feldjaeger
Es ist meine Schuldigkeit, Herr Major. (Geht ab.)
(v. Tellheim. Das Fraeulein. Franziska.)
Tellheim
Ah, mein Fraeulein, was habe ich hier? Was enthaelt dieses
Schreiben?
Fraeulein.
Ich bin nicht befugt, meine Neugierde so weit zu erstrecken.
Tellheim
Wie? Sie trennen mein Schicksal noch von dem Ihrigen?—Aber warum
steh ich an, es zu erbrechen?—Es kann mich nicht ungluecklicher
machen, als ich bin; nein, liebste Minna, es kann uns nicht
ungluecklicher machen—wohl aber gluecklicher!—Erlauben Sie, mein
Fraeulein! (Erbricht und lieset den Brief, indes dass der Wirt an die
Szene geschlichen koemmt.)
(Der Wirt. Die Vorigen.)
Wirt
(gegen die Franziska). Bst! mein schoenes Kind! auf ein Wort!
Franziska
(die sich ihm naehert). Herr Wirt?—Gewiss, wir wissen selbst noch
nicht, was in dem Briefe steht.
Wirt
Wer will vom Briefe wissen?—Ich komme des Ringes wegen. Das
gnaedige Fraeulein muss mir ihn gleich wiedergeben. Just ist da, er
soll ihn wieder einloesen.
Fraeulein
(das sich indes gleichfalls dem Wirte genaehert). Sagen Sie Justen
nur, dass er schon eingeloeset sei; und sagen Sie ihm nur, von wem; von
mir.
Wirt
Aber—
Fraeulein
Ich nehme alles auf mich; gehen Sie doch! (Der Wirt geht ab.)
(v. Tellheim. Das Fraeulein. Franziska.)
Franziska
Und nun, gnaediges Fraeulein, lassen Sie es mit dem armen Major gut
sein.
Fraeulein
Oh, ueber die Vorbitterin! Als ob der Knoten sich nicht von selbst
bald loesen muesste.
Tellheim
(nachdem er gelesen, mit der lebhaftesten Ruehrung). Ha! er hat
sich auch hier nicht verleugnet!—Oh, mein Fraeulein, welche
Gerechtigkeit!— welche Gnade!—Das ist mehr, als ich erwartet!—Mehr,
als ich verdiene! —Mein Glueck, meine Ehre, alles ist
wiederhergestellt!—Ich traeume doch nicht? (Indem er wieder in den
Brief sieht, als um sich nochmals zu ueberzeugen.) Nein, kein Blendwerk
meiner Wuensche!—Lesen Sie selbst, mein Fraeulein, lesen Sie selbst!
Fraeulein
Ich bin nicht so unbescheiden, Herr Major.
Tellheim
Unbescheiden? Der Brief ist an mich, an Ihren Tellheim, Minna. Er
enthaelt—was Ihnen Ihr Oheim nicht nehmen kann. Sie muessen ihn lesen;
lesen Sie doch!
Fraeulein
Wenn Ihnen ein Gefalle damit geschieht, Herr Major—(Sie nimmt den
Brief und lieset.) (“Mein lieber Major von Tellheim!) Ich tue Euch zu
wissen, dass der Handel, der mich um Eure Ehre besorgt machte, sich zu
Eurem Vorteil aufgeklaeret hat. Mein Bruder war des naehern davon
unterrichtet, und sein Zeugnis hat Euch fuer mehr als unschuldig
erklaeret. Die Hofstaatskasse hat Ordre, Euch den bewussten Wechsel
wieder auszuliefern und die getanen Vorschuesse zu bezahlen; auch habe
ich befohlen, dass alles, was die Feldkriegskassen wider Eure
Rechnungen urgieren, niedergeschlagen werde. Meldet mir, ob Euch Eure
Gesundheit erlaubet, wieder Dienste zu nehmen. Ich moechte nicht gern
einen Mann von Eurer Bravour und Denkungsart entbehren. Ich bin Euer
wohlaffektionierter Koenig” etc.
Tellheim
Nun, was sagen Sie hierzu, mein Fraeulein?
Fraeulein
(indem sie den Brief wieder zusammenschlaegt und zurueckgibt). Ich?
Nichts.
Tellheim
Nichts?
Fraeulein
Doch ja: dass Ihr Koenig, der ein grosser Mann ist, auch wohl ein
guter Mann sein mag.—Aber was geht mich das an? Er ist nicht mein
Koenig.
Tellheim
Und sonst sagen Sie nichts? Nichts in Ruecksicht auf uns selbst?
Fraeulein
Sie treten wieder in seine Dienste; der Herr Major wird
Oberstleutnant, Oberster vielleicht. Ich gratuliere von Herzen.
Tellheim
Und Sie kennen mich nicht besser?—Nein, da mir das Glueck so viel
zurueckgibt, als genug ist, die Wuensche eines vernuenftigen Mannes zu
befriedigen, soll es einzig von meiner Minna abhangen, ob ich sonst
noch jemanden wieder zugehoeren soll als ihr. Ihrem Dienste allein sei
mein ganzes Leben gewidmet! Die Dienste der Grossen sind gefaehrlich
und lohnen der Muehe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die sie
kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren Maennern nichts
als den Titel und die Ehrenstelle lieben. Sie wird mich um mich selbst
lieben; und ich werde um sie die ganze Welt vergessen. Ich ward Soldat
aus Parteilichkeit, ich weiss selbst nicht fuer welche politische
Grundsaetze, und aus der Grille, dass es fuer jeden ehrlichen Mann gut
sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit
allem, was Gefahr heisst, vertraulich zu machen und Kaelte und
Entschlossenheit zu lernen. Nur die aeusserste Not haette mich zwingen
koennen, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser gelegentlichen
Beschaeftigung ein Handwerk zu machen. Aber nun, da mich nichts mehr
zwingt, nun ist mein ganzer Ehrgeiz wiederum einzig und allein, ein
ruhiger und zufriedener Mensch zu sein. Der werde ich mit Ihnen,
liebste Minna, unfehlbar werden; der werde ich in Ihrer Gesellschaft
unveraenderlich bleiben.—Morgen verbinde uns das heiligste Band; und
sodann wollen wir um uns sehen und wollen in der ganzen weiten
bewohnten Welt den stillsten, heitersten, lachendsten Winkel suchen,
dem zum Paradiese nichts fehlt als ein glueckliches Paar. Da wollen wir
wohnen; da soll jeder unserer Tage—Was ist Ihnen, mein Fraeulein? (Die
sich unruhig hin und her wendet und ihre Ruehrung zu verbergen sucht.)
Fraeulein
(sich fassend). Sie sind sehr grausam, Tellheim, mir ein Glueck so
reizend darzustellen, dem ich entsagen muss. Mein Verlust—
Tellheim
Ihr Verlust?—Was nennen Sie Ihren Verlust? Alles, was Minna
verlieren konnte, ist nicht Minna. Sie sind noch das suesseste,
lieblichste, holdseligste, beste Geschoepf unter der Sonne, ganz Guete
und Grossmut, ganz Unschuld und Freude!—Dann und wann ein kleiner
Mutwille; hier und da ein wenig Eigensinn—Desto besser! desto besser!
Minna waere sonst ein Engel, den ich mit Schaudern verehren muesste,
den ich nicht lieben koennte. (Ergreift ihre Hand, sie zu kuessen.)
Fraeulein
(die ihre Hand zurueckzieht). Nicht so, mein Herr!—(Wie auf einmal
so veraendert?—Ist dieser schmeichelnde, stuermische Liebhaber der
kalte Tellheim?—Konnte nur sein wiederkehrendes Glueck ihn in dieses
Feuer setzen?—Er erlaube mir, dass ich bei seiner fliegenden Hitze
fuer uns beide Ueberlegung behalte.—Als er selbst ueberlegen konnte,
hoerte ich ihn sagen, es sei eine nichtswuerdige Liebe, die kein
Bedenken trage, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen.—Recht,
aber ich bestrebe mich einer ebenso reinen und edeln Liebe als
er.—Jetzt, da ihn die Ehre ruft, da sich ein grosser Monarch um ihn
bewirbt, sollte ich zugeben, dass er sich verliebten Traeumereien mit
mir ueberliesse? dass der ruhmvolle Krieger in einen taendelnden
Schaefer ausarte?—Nein, Herr Major, folgen Sie dem Wink Ihres bessern
Schicksals—)
Tellheim
Nun wohl! Wenn Ihnen die grosse Welt reizender ist, Minna—wohl! so
behalte uns die grosse Welt!—Wie klein, wie armselig ist diese grosse
Welt!—Sie kennen sie nur erst von ihrer Flitterseite. Aber gewiss,
Minna, Sie werden—Es sei! Bis dahin, wohl! Es soll Ihren
Vollkommenheiten nicht an Bewundrern fehlen, und meinem Gluecke wird es
nicht an Neidern gebrechen.
Fraeulein
Nein, Tellheim, so ist es nicht gemeint! Ich weise Sie in die
grosse Welt, auf die Bahn der Ehre zurueck, ohne Ihnen dahin folgen zu
wollen. —Dort braucht Tellheim eine unbescholtene Gattin! Ein
saechsisches verlaufenes Fraeulein, das sich ihm an den Kopf geworfen—
Tellheim
(auffahrend und wild um sich sehend). Wer darf so sprechen?—Ah,
Minna, ich erschrecke vor mir selbst, wenn ich mir vorstelle, dass
jemand anders dieses gesagt haette als Sie. Meine Wut gegen ihn wuerde
ohne Grenzen sein.
Fraeulein
Nun da! Das eben besorge ich. Sie wuerden nicht die geringste
Spoetterei ueber mich dulden, und doch wuerden Sie taeglich die
bittersten einzunehmen haben.—Kurz, hoeren Sie also, Tellheim, was ich
fest beschlossen, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll—
Tellheim
Ehe Sie ausreden, Fraeulein—ich beschwoere Sie, Minna!—ueberlegen
Sie es noch einen Augenblick, dass Sie mir das Urteil ueber Leben und
Tod sprechen!—
Fraeulein
Ohne weitere Ueberlegung!—So gewiss ich Ihnen den Ring
zurueckgegeben, mit welchem Sie mir ehemals Ihre Treue verpflichtet, so
gewiss Sie diesen naemlichen Ring zurueckgenommen: so gewiss soll die
unglueckliche Barnhelm die Gattin des gluecklichern Tellheims nie
werden!
Tellheim
Und hiermit brechen Sie den Stab, Fraeulein?
Fraeulein
Gleichheit ist allein das feste Band der Liebe.—Die glueckliche
Barnhelm wuenschte, nur fuer den gluecklichen Tellheim zu leben. Auch
die unglueckliche Minna haette sich endlich ueberreden lassen, das
Unglueck ihres Freundes durch sich, es sei zu vermehren oder zu
lindern. —Er bemerkte es ja wohl, ehe dieser Brief ankam, der alle
Gleichheit zwischen uns wieder aufhebt, wie sehr zum Schein ich mich
nur noch weigerte.
Tellheim
Ist das wahr, mein Fraeulein?—Ich danke Ihnen, Minna, dass Sie den
Stab noch nicht gebrochen.—Sie wollen nur den ungluecklichen Tellheim?
Er ist zu haben. (Kalt.) Ich empfinde eben, dass es mir unanstaendig
ist, diese spaete Gerechtigkeit anzunehmen, dass es besser sein wird,
wenn ich das, was man durch einen so schimpflichen Verdacht entehrt
hat, gar nicht wiederverlange.—Ja, ich will den Brief nicht bekommen
haben. Das sei alles, was ich darauf antworte und tue! (Im Begriffe,
ihn zu zerreissen.)
Fraeulein
(das ihm in die Haende greift). Was wollen Sie, Tellheim?
Tellheim
Sie besitzen.
Fraeulein
Halten Sie!
Tellheim
Fraeulein, er ist unfehlbar zerrissen, wenn Sie nicht bald sich
anders erklaeren.—Alsdann wollen wir doch sehen, was Sie noch wider
mich einzuwenden haben!
Fraeulein
Wie? In diesem Tone?—So soll ich, so muss ich in meinen eigenen
Augen veraechtlich werden? Nimmermehr! Es ist eine nichtswuerdige
Kreatur, die sich nicht schaemet, ihr ganzes Glueck der blinden
Zaertlichkeit eines Mannes zu verdanken!
Tellheim
Falsch, grundfalsch!
Fraeulein
Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten?
Tellheim
Sophistin! So entehrt sich das schwaechere Geschlecht durch alles,
was dem staerkern nicht ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben,
was dem Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur Stuetze des
andern?
Fraeulein
Beruhigen Sie sich, Tellheim!—Ich werde nicht ganz ohne Schutz
sein, wenn ich schon die Ehre des Ihrigen ausschlagen muss. So viel
muss mir immer noch werden, als die Not erfordert. Ich habe mich bei
unserm Gesandten melden lassen. Er will mich noch heute sprechen.
Hoffentlich wird er sich meiner annehmen. Die Zeit verfliesst. Erlauben
Sie, Herr Major—
Tellheim
Ich werde Sie begleiten, gnaediges Fraeulein.—
Fraeulein
Nicht doch, Herr Major, lassen Sie mich—
Tellheim
Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen! Kommen Sie nur, mein
Fraeulein, wohin Sie wollen, zu wem Sie wollen. Ueberall, an Bekannte
und Unbekannte, will ich es erzaehlen, in Ihrer Gegenwart des Tages
hundertmal erzaehlen, welche Bande Sie an mich verknuepfen, aus welchem
grausamen Eigensinne Sie diese Bande trennen wollen—
(Just. Die Vorigen.)
Just
(mit Ungestuem). Herr Major! Herr Major!
Tellheim
Nun?
Just
Kommen Sie doch geschwind, geschwind!
Tellheim
Was soll ich? Zu mir her! Sprich, was ist's?
Just
Hoeren Sie nur—(Redet ihm heimlich ins Ohr.)
Fraeulein
(indes beiseite zur Franziska). Merkst du was, Franziska?
Franziska
Oh, Sie Unbarmherzige! Ich habe hier gestanden wie auf Kohlen!
Tellheim
(zu Justen). Was sagst du?—Das ist nicht moeglich!—Sie? (Indem er
das Fraeulein wild anblickt.)—sag es laut; sag es ihr ins Gesicht!—
Hoeren Sie doch, mein Fraeulein!—
Just
Der Wirt sagt, das Fraeulein von Barnhelm habe den Ring, welchen
ich bei ihm versetzt, zu sich genommen; sie habe ihn fuer den ihrigen
erkannt und wolle ihn nicht wieder herausgeben.—
Tellheim
Ist das wahr, mein Fraeulein?—Nein, das kann nicht wahr sein!
Fraeulein
(laechelnd). Und warum nicht, Tellheim?—Warum kann es nicht wahr
sein?
Tellheim
(heftig). Nun, so sei es wahr!—Welch schreckliches Licht, das mir
auf einmal aufgegangen!—Nun erkenne ich Sie, die Falsche, die
Ungetreue!
Fraeulein
(erschrocken). Wer? wer ist diese Ungetreue?
Tellheim
Sie, die ich nicht mehr nennen will!
Fraeulein
Tellheim!
Tellheim
Vergessen Sie meinen Namen!—Sie kamen hierher, mit mir zu brechen.
Es ist klar!—Dass der Zufall so gern dem Treulosen zustatten koemmt!
Er fuehrte Ihnen Ihren Ring in die Haende. Ihre Arglist wusste mir den
meinigen zuzuschanzen.
Fraeulein
Tellheim, was fuer Gespenster sehen Sie! Fassen Sie sich doch, und
hoeren Sie mich.
Franziska
(vor sich). Nun mag sie es haben!
(Werner mit einem Beutel Gold. v. Tellheim. (Das Fraeulein. Franziska. Just.)
Werner
Hier bin ich schon, Herr Major!—
Tellheim
(ohne ihn anzusehen). Wer verlangt dich?—
Werner
Hier ist Geld! tausend Pistolen!
Tellheim
Ich will sie nicht!
Werner
Morgen koennen Sie, Herr Major, ueber noch einmal so viel befehlen.
Tellheim
Behalte dein Geld!
Werner
Es ist ja Ihr Geld, Herr Major.—Ich glaube, Sie sehen nicht, mit
wem Sie sprechen?
Tellheim
Weg damit! sag ich.
Werner
Was fehlt Ihnen?—Ich bin Werner.
Tellheim
Alle Guete ist Verstellung, alle Dienstfertigkeit Betrug.
Werner
Gilt das mir?
Tellheim
Wie du willst!
Werner
Ich habe ja nur Ihren Befehl vollzogen.—
Tellheim
So vollziehe auch den und packe dich!
Werner
Herr Major! (aergerlich) ich bin ein Mensch—
Tellheim
Da bist du was Rechts!
Werner
Der auch Galle hat—
Tellheim
Gut! Galle ist noch das Beste, was wir haben.
Werner
Ich bitte Sie, Herr Major—
Tellheim
Wievielmal soll ich dir es sagen? Ich brauche dein Geld nicht!
Werner
(zornig). Nun, so brauch es, wer da will! (Indem er ihm den Beutel
vor die Fuesse wirft und beiseite geht.)
Fraeulein
(zur Franziska). Ah, liebe Franziska, ich haette dir folgen sollen.
Ich habe den Scherz zu weit getrieben.—Doch er darf mich ja nur hoeren
—(Auf ihn zugehend.)
Franziska
(die, ohne dem Fraeulein zu antworten, sich Wernern naehert). Herr
Wachtmeister!—
Werner
(muerrisch). Geh Sie!—
Franziska
Hu! was sind das fuer Maenner!
Fraeulein
Tellheim!—Tellheim! (Der vor Wut an den Fingern naget, das Gesicht
wegwendet und nichts hoeret.)—Nein, das ist zu arg!—Hoeren Sie mich
doch!—Sie betruegen sich!—Ein blosses
Missverstaendnis—Tellheim!—Sie wollen Ihre Minna nicht
hoeren?—Koennen Sie einen solchen Verdacht fassen?—Ich mit Ihnen
brechen wollen?—Ich darum hergekommen?— Tellheim!
(Zwei Bediente nacheinander, von verschiedenen Seiten ueber den Saal laufend. Die Vorigen.)
eine Bediente
Gnaediges Fraeulein, Ihro Exzellenz, der Graf!—
andere Bediente
Er koemmt, gnaediges Fraeulein!—
Franziska
(die ans Fenster gelaufen). Er ist es! er ist es!
Fraeulein
Ist er's?—Oh, nun geschwind, Tellheim—
Tellheim
(auf einmal zu sich selbst kommend). Wer? wer koemmt? Ihr Oheim,
Fraeulein? dieser grausame Oheim?—Lassen Sie ihn nur kommen, lassen
Sie ihn nur kommen!—Fuerchten Sie nichts! Er soll Sie mit keinem
Blicke beleidigen duerfen! Er hat es mit mir zu tun.—Zwar verdienen
Sie es um mich nicht—
Fraeulein
Geschwind umarmen Sie mich, Tellheim, und vergessen Sie alles—
Tellheim
Ha, wenn ich wuesste, dass Sie es bereuen koennten!—
Fraeulein
Nein, ich kann es nicht bereuen, mir den Anblick Ihres ganzen
Herzens verschafft zu haben!—Ah, was sind Sie fuer ein Mann!—Umarmen
Sie Ihre Minna, Ihre glueckliche Minna; aber durch nichts gluecklicher
als durch Sie! (Sie faellt ihm in die Arme.) Und nun, ihm entgegen!—
Tellheim
Wem entgegen?
Fraeulein
Dem besten Ihrer unbekannten Freunde.
Tellheim
Wie?
Fraeulein
Dem Grafen, meinem Oheim, meinem Vater, Ihrem Vater—Meine Flucht,
sein Unwille, meine Enterbung—hoeren Sie denn nicht, dass alles
erdichtet ist?—Leichtglaeubiger Ritter!
Tellheim
Erdichtet?—Aber der Ring? der Ring?
Fraeulein
Wo haben Sie den Ring, den ich Ihnen zurueckgegeben?
Tellheim
Sie nehmen ihn wieder?—Oh, so bin ich gluecklich!—Hier,
Minna!—(Ihn herausziehend.)
Fraeulein
So besehen Sie ihn doch erst!—Oh, ueber die Blinden, die nicht
sehen wollen!—Welcher Ring ist es denn? Den ich von Ihnen habe, oder
den Sie von mir?—Ist es denn nicht eben der, den ich in den Haenden
des Wirts nicht lassen wollen?
Tellheim
Gott! was seh ich? was hoer ich?
Fraeulein
Soll ich ihn nun wiedernehmen? soll ich?—Geben Sie her, geben Sie
her! (Reisst ihn ihm aus der Hand und steckt ihn ihm selbst an den
Finger.) Nun? ist alles richtig?
Tellheim
Wo bin ich?—(Ihre Hand kuessend.) O boshafter Engel!—mich so zu
quaelen!
Fraeulein
Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, dass Sie mir nie einen
Streich spielen sollen, ohne dass ich Ihnen nicht gleich darauf wieder
einen spiele.—Denken Sie, dass Sie mich nicht auch gequaelet hatten?
Tellheim
O Komoediantinnen, ich haette euch doch kennen sollen.
Franziska
Nein, wahrhaftig; ich bin zur Komoediantin verdorben. Ich habe
gezittert und gebebt und mir mit der Hand das Maul zuhalten muessen.
Fraeulein
Leicht ist mir meine Rolle auch nicht geworden.—Aber so kommen Sie
doch!
Tellheim
Noch kann ich mich nicht erholen.—Wie wohl, wie aengstlich ist
mir! So erwacht man ploetzlich aus einem schreckhaften Traume!
Fraeulein
Wir zaudern.—Ich hoere ihn schon.
(Der Graf von Bruchsall, von verschiedenen Bedienten und dem Wirte begleitet. Die Vorigen.)
Graf
(im Hereintreten). Sie ist doch gluecklich angelangt?
Fraeulein
(die ihm entgegenspringt). Ah, mein Vater!—
Graf
Da bin ich, liebe Minna! (Sie umarmend.) Aber was, Maedchen? (Indem
er den Tellheim gewahr wird.) Vierundzwanzig Stunden erst hier und
schon Bekanntschaft und schon Gesellschaft?
Fraeulein
Raten Sie, wer es ist?—
Graf
Doch nicht dein Tellheim?
Fraeulein
Wer sonst als er?—Kommen Sie, Tellheim! (Ihn dem Grafen
zufuehrend.)
Graf
Mein Herr, wir haben uns nie gesehen, aber bei dem ersten Anblicke
glaubte ich, Sie zu erkennen. Ich wuenschte, dass Sie es sein
moechten.— Umarmen Sie mich.—Sie haben meine voellige Hochachtung.
Ich bitte um Ihre Freundschaft.—Meine Nichte, meine Tochter liebet
Sie.—
Fraeulein
Das wissen Sie, mein Vater!—Und ist sie blind, meine Liebe?
Graf
Nein, Minna, deine Liebe ist nicht blind, aber dein Liebhaber—ist
stumm.
Tellheim
(sich ihm in die Arme werfend). Lassen Sie mich zu mir selbst
kommen, mein Vater!—
Graf
So recht, mein Sohn! Ich hoere es; wenn dein Mund nicht plaudern
kann, so kann dein Herz doch reden.—Ich bin sonst den Offizieren von
dieser Farbe (auf Tellheims Uniform weisend) eben nicht gut. Doch Sie
sind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken,
in welchem Kleide er will, man muss ihn lieben.
Fraeulein
Oh, wenn Sie alles wuessten!—
Graf
Was hindert's, dass ich nicht alles erfahre?—Wo sind meine Zimmer,
Herr Wirt?
Wirt
Wollen Ihro Exzellenz nur die Gnade haben, hier hereinzutreten.
Graf
Komm, Minna! Kommen Sie, Herr Major! (Geht mit dem Wirte und den
Bedienten ab.)
Fraeulein
Kommen Sie, Tellheim!
Tellheim
Ich folge Ihnen den Augenblick, mein Fraeulein. Nur noch ein Wort
mit diesem Manne! (Gegen Wernern sich wendend.)
Fraeulein
Und ja ein recht gutes; mich duenkt, Sie haben es
noetig.—Franziska, nicht wahr? (Dem Grafen nach.)
(v. Tellheim. Werner. Just. Franziska.)
Tellheim
(auf den Beutel weisend, den Werner weggeworfen). Hier, Just!—Hebe
den Beutel auf, und trage ihn nach Hause. Geh!—(Just damit ab.)
Werner
(der noch immer muerrisch im Winkel gestanden und an nichts
teilzunehmen geschienen, indem er das hoert). Ja, nun!
Tellheim
(vertraulich auf ihn zugehend). Werner, wann kann ich die andern
tausend Pistolen haben?
Werner
(auf einmal wieder in seiner guten Laune). Morgen, Herr Major,
morgen. —
Tellheim
Ich brauche dein Schuldner nicht zu werden, aber ich will dein
Rentmeister sein. Euch gutherzigen Leuten sollte man allen einen
Vormund setzen. Ihr seid eine Art Verschwender.—Ich habe dich vorhin
erzuernt, Werner!—
Werner
Bei meiner armen Seele, ja!—Ich haette aber doch so ein Toelpel
nicht sein sollen. Nun seh ich's wohl. Ich verdiente hundert Fuchtel.
Lassen Sie mir sie auch schon geben; nur weiter Keinen Groll, lieber
Major!—
Tellheim
Groll?—(Ihm die Hand drueckend.) Lies es in meinen Augen, was ich
dir nicht alles sagen kann.—Ha! wer ein besseres Maedchen und einen
redlichern Freund hat als ich, den will ich sehen!—Franziska, nicht
wahr? (Geht ab.)
(Werner. Franziska)
Franziska
(vor sich). Ja gewiss, es ist ein gar zu guter Mann!—So einer
koemmt mir nicht wieder vor.—Es muss heraus! (Schuechtern und
verschaemt sich Wernern naehernd.) Herr Wachtmeister!—
Werner
(der sich die Augen wischt). Nu?—
Franziska
Herr Wachtmeister—
Werner
Was will Sie denn, Frauenzimmerchen?
Franziska
Seh Er mich einmal an, Herr Wachtmeister.—
Werner
Ich kann noch nicht; ich weiss nicht, was mir in die Augen
gekommen.
Franziska
So seh Er mich doch an!
Werner
Ich fuerchte, ich habe Sie schon zuviel angesehen,
Frauenzimmerchen!— Nun, da seh ich Sie ja! Was gibt's denn?
Franziska
Herr Wachtmeister—braucht Er keine Frau Wachtmeisterin?
Werner
Ist das Ihr Ernst, Frauenzimmerchen?
Franziska
Mein voelliger!
Werner
Zoege Sie wohl auch mit nach Persien?
Franziska
Wohin Er will!
Werner
Gewiss?—Holla! Herr Major! nicht gross getan! Nun habe ich
wenigstens ein ebenso gutes Maedchen und einen ebenso redlichen Freund
als Sie!—Geben Sie mir Ihre Hand, Frauenzimmerchen! Topp!—Ueber zehn
Jahr' ist Sie Frau Generalin oder Witwe!