Minna von Barnhelm

Gotthold Ephraim Lessing

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    MINNA VON BARNHELM

    von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

    Die Erstausgabe wurde 1767 bei Christian Friedrich Voss in Berlin
    herausgegeben.


    1. Akt


    1. Szene

    (Just sitzet in einem Winkel, schlummert und redet im Traume.)

    Just
    Schurke von einem Wirte! Du, uns?—Frisch, Bruder!—Schlag zu, Bruder! (Er holt aus und erwacht durch die Bewegung.) Heda! schon wieder? Ich mache kein Auge zu, so schlage ich mich mit ihm herum. Haette er nur erst die Haelfte von allen den Schlaegen!—Doch sieh, es ist Tag! Ich muss nur bald meinen armen Herrn aufsuchen. Mit meinem Willen soll er keinen Fuss mehr in das vermaledeite Haus setzen. Wo wird er die Nacht zugebracht haben?


    2. Szene

    (Der Wirt. Just.)

    Wirt
    Guten Morgen, Herr Just, guten Morgen! Ei, schon so frueh auf? Oder soll ich sagen: noch so spaet auf?

    Just
    Sage Er, was Er will.

    Wirt
    Ich sage nichts als “Guten Morgen”; und das verdient doch wohl, dass Herr Just “Grossen Dank” darauf sagt?

    Just
    Grossen Dank!

    Wirt
    Man ist verdriesslich, wenn man seine gehoerige Ruhe nicht haben kann. Was gilt's, der Herr Major ist nicht nach Hause gekommen, und Er hat hier auf ihn gelauert?

    Just
    Was der Mann nicht alles erraten kann!

    Wirt
    Ich vermute, ich vermute.

    Just
    (kehrt sich um und will gehen). Sein Diener!

    Wirt
    (haelt ihn). Nicht doch, Herr Just!

    Just
    Nun gut; nicht Sein Diener!

    Wirt
    Ei, Herr Just! ich will doch nicht hoffen, Herr Just, Dass Er noch von gestern her boese ist? Wer wird seinen Zorn ueber Nacht behalten?

    Just
    Ich; und ueber alle folgende Naechte.

    Wirt
    Ist das christlich?

    Just
    Ebenso christlich, als einen ehrlichen Mann, der nicht gleich bezahlen kann, aus dem Hause stossen, auf die Strasse werfen.

    Wirt
    Pfui, wer koennte so gottlos sein?

    Just
    Ein christlicher Gastwirt.—Meinen Herrn! so einen Mann! so einen Offizier!

    Wirt
    Den haette ich aus dem Hause gestossen? auf die Strasse geworfen? Dazu habe ich viel zu viel Achtung fuer einen Offizier und viel zu viel Mitleid mit einem abgedankten! Ich habe ihm aus Not ein ander Zimmer einraeumen muessen.—Denke Er nicht mehr daran, Herr Just. (Er ruft in die Szene.) Holla!—Ich will's auf andere Weise wiedergutmachen. (Ein Junge koemmt.) Bring ein Glaeschen; Herr Just will ein Glaeschen haben; und was Gutes!

    Just
    Mache Er sich keine Muehe, Herr Wirt. Der Tropfen soll zu Gift werden, den—Doch ich will nicht schwoeren; ich bin noch nuechtern!

    Wirt
    (zu dem Jungen, der eine Flasche Likoer und ein Glas bringt). Gib her; geh!—Nun, Herr Just, was ganz Vortreffliches; stark, lieblich, gesund. (Er fuellt und reicht ihm zu.) Das kann einen ueberwachten Magen wieder in Ordnung bringen!

    Just
    Bald duerfte ich nicht!—Doch warum soll ich meiner Gesundheit seine Grobheit entgelten lassen?—(Er nimmt und trinkt.)

    Wirt
    Wohl bekomm's, Herr Just!

    Just
    (indem er das Glaeschen wieder zurueckgibt). Nicht uebel!—Aber, Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!

    Wirt
    Nicht doch, nicht doch!—Geschwind noch eins; auf einem Beine ist nicht gut stehen.

    Just
    (nachdem er getrunken). Das muss ich sagen: gut, sehr gut!—Selbst gemacht, Herr Wirt?—

    Wirt
    Behuete! veritabler Danziger! echter, doppelter Lachs!

    Just
    Sieht Er, Herr Wirt; wenn ich heucheln koennte, so wuerde ich fuer so was heucheln; aber ich kann nicht; es muss raus:—Er ist doch ein Grobian, Herr Wirt!

    Wirt
    In meinem Leben hat mir das noch niemand gesagt.—Noch eins, Herr Just; aller guten Dinge sind drei!

    Just
    Meinetwegen! (Er trinkt.) Gut Ding, wahrlich gut Ding!—Aber auch die Wahrheit ist gut Ding.—Herr Wirt, Er ist doch ein Grobian!

    Wirt
    Wenn ich es waere, wuerde ich das wohl so mit anhoeren?

    Just
    O ja, denn selten hat ein Grobian Galle.

    Wirt
    Nicht noch eins, Herr Just? Eine vierfache Schnur haelt desto besser.

    Just
    Nein, zu viel ist zu viel! Und was hilft's Ihn, Herr Wirt? Bis auf den letzten Tropfen in der Flasche wuerde ich bei meiner Rede bleiben. Pfui, Herr Wirt, so guten Danziger zu haben und so schlechte Mores!— Einem Manne wie meinem Herrn, der Jahr und Tag bei Ihm gewohnt, von dem Er schon so manchen schoenen Taler gezogen, der in seinem Leben keinen Heller schuldig geblieben ist; weil er ein paar Monate her nicht prompt bezahlt, weil er nicht mehr so viel aufgehen laesst—in der Abwesenheit das Zimmer auszuraeumen!

    Wirt
    Da ich aber das Zimmer notwendig brauchte? da ich voraussaehe, dass der Herr Major es selbst gutwillig wuerde geraeumt haben, wenn wir nur lange auf seine Zurueckkunft haetten warten koennen? Sollte ich denn so eine fremde Herrschaft wieder von meiner Tuere wegfahren lassen? Sollte ich einem andern Wirte so einen Verdienst mutwillig in den Rachen jagen? Und ich glaube nicht einmal, dass sie sonstwo unterkommen waere. Die Wirtshaeuser sind jetzt alle stark besetzt. Sollte eine so junge, schoene, liebenswuerdige Dame auf der Strasse bleiben? Dazu ist Sein Herr viel zu galant! Und was verliert er denn dabei? Habe ich ihm nicht ein anderes Zimmer dafuer eingeraeumt?

    Just
    Hinten an dem Taubenschlage; die Aussicht zwischen des Nachbars Feuermauern—

    Wirt
    Die Aussicht war wohl sehr schoen, ehe sie der verzweifelte Nachbar verbaute. Das Zimmer ist doch sonst galant und tapeziert—

    Just
    Gewesen!

    Wirt
    Nicht doch, die eine Wand ist es noch. Und Sein Stuebchen darneben, Herr Just; was fehlt dem Stuebchen? Es hat einen Kamin, der zwar im Winter ein wenig raucht—

    Just
    Aber doch im Sommer recht huebsch laesst.—Herr, ich glaube gar, Er vexiert uns noch obendrein?—

    Wirt
    Nu, nu, Herr Just, Herr Just—

    Just
    Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm, oder—

    Wirt
    Ich macht' ihn warm? der Danziger tut's!—

    Just
    Einen Offizier wie meinen Herrn! Oder meint Er, dass ein abgedankter Offizier nicht auch ein Offizier ist, der Ihm den Hals brechen kann? Warum waret ihr im Kriege so geschmeidig, ihr Herren Wirte? Warum war denn da jeder Offizier ein wuerdiger Mann und jeder Soldat ein ehrlicher, braver Kerl? Macht euch das bisschen Friede schon so uebermuetig?

    Wirt
    Was ereifert Er sich nun, Herr Just?—

    Just
    Ich will mich ereifern.—


    3. Szene

    (v. Tellheim. Der Wirt. Just.)

    Tellheim
    (im Hereintreten). Just!

    Just
    (in der Meinung, dass ihn der Wirt nenne). Just?—So bekannt sind wir?—

    Tellheim
    Just!

    Just
    Ich daechte, ich waere wohl Herr Just fuer Ihn!

    Wirt
    (der den Major gewahr wird). St! st! Herr, Herr, Herr Just—seh Er sich doch um; Sein Herr—

    Tellheim
    Just, ich glaube, du zankst? Was habe ich dir befohlen?

    Wirt
    Oh, Ihro Gnaden! zanken? da sei Gott vor! Ihr untertaenigster Knecht sollte sich unterstehen, mit einem, der die Gnade hat, Ihnen anzugehoeren, zu zanken?

    Just
    Wenn ich ihm doch eins auf den Katzenbuckel geben duerfte!—

    Wirt
    Es ist wahr, Herr Just spricht fuer seinen Herrn, und ein wenig hitzig. Aber daran tut er recht; ich schaetze ihn um so viel hoeher; ich liebe ihn darum.—

    Just
    Dass ich ihm nicht die Zaehne austreten soll!

    Wirt
    Nur schade, dass er sich umsonst erhitzt. Denn ich bin gewiss versichert, dass Ihro Gnaden keine Ungnade deswegen auf mich geworfen haben, weil—die Not—mich notwendig—

    Tellheim
    Schon zuviel, mein Herr! Ich bin Ihnen schuldig; Sie raeumen mir in meiner Abwesenheit das Zimmer aus; Sie muessen bezahlt werden; ich muss wo anders unterzukommen suchen. Sehr natuerlich!—

    Wirt
    Wo anders? Sie wollen ausziehen, gnaediger Herr? Ich ungluecklicher Mann! ich geschlagner Mann! Nein, nimmermehr! Eher muss die Dame das Quartier wieder raeumen. Der Herr Major kann ihr, will ihr sein Zimmer nicht lassen; das Zimmer ist sein; sie muss fort; ich kann ihr nicht helfen.—Ich gehe, gnaediger Herr—

    Tellheim
    Freund, nicht zwei dumme Streiche fuer einen! Die Dame muss in dem Besitze des Zimmers bleiben.—

    Wirt
    Und Ihro Gnaden sollten glauben, dass ich aus Misstrauen, aus Sorge fuer meine Bezahlung?—Als wenn ich nicht wuesste, dass mich Ihro Gnaden bezahlen koennen, sobald Sie nur wollen.—Das versiegelte Beutelchen— fuenfhundert Taler Louisdor stehet drauf—welches Ihro Gnaden in dem Schreibepulte stehen gehabt—ist in guter Verwahrung.—

    Tellheim
    Das will ich hoffen; so wie meine uebrige Sachen.—Just soll sie in Empfang nehmen, wenn er Ihnen die Rechnung bezahlt hat.—

    Wirt
    Wahrhaftig, ich erschrak recht, als ich das Beutelchen fand.—Ich habe immer Ihro Gnaden fuer einen ordentlichen und vorsichtigen Mann gehalten, der sich niemals ganz ausgibt.—Aber dennoch—wenn ich bar Geld in dem Schreibepulte vermutet haette—

    Tellheim
    Wuerden Sie hoeflicher mit mir verfahren sein. Ich verstehe Sie.—Gehen Sie nur, mein Herr; lassen Sie mich; ich habe mit meinem Bedienten zu sprechen.—

    Wirt
    Aber, gnaediger Herr—

    Tellheim
    Komm, Just, der Herr will nicht erlauben, dass ich dir in seinem Hause sage, was du tun sollst.—

    Wirt
    Ich gehe ja schon, gnaediger Herr!—Mein ganzes Haus ist zu Ihren Diensten.


    4. Szene

    (v. Tellheim. Just.)

    Just
    (der mit dem Fusse stampft und dem Wirte nachspuckt). Pfui!

    Tellheim
    Was gibt's?

    Just
    Ich ersticke vor Bosheit.

    Tellheim
    Das waere soviel als an Vollbluetigkeit.

    Just
    Und Sie—Sie erkenne ich nicht mehr, mein Herr. Ich sterbe vor Ihren Augen, wenn Sie nicht der Schutzengel dieses haemischen, unbarmherzigen Rackers sind! Trotz Galgen und Schwert und Rad haette ich ihn—haette ich ihn mit diesen Haenden erdrosseln, mit diesen Zaehnen zerreissen wollen.—

    Tellheim
    Bestie!

    Just
    Lieber Bestie als so ein Mensch!

    Tellheim
    Was willst du aber?

    Just
    Ich will, dass Sie es empfinden sollen, wie sehr man Sie beleidiget.

    Tellheim
    Und dann?

    Just
    Dass Sie sich raechten.—Nein, der Kerl ist Ihnen zu gering.—

    Tellheim
    Sondern, dass ich es dir auftruege, mich zu raechen? Das war von Anfang mein Gedanke. Er haette mich nicht wieder mit Augen sehen und seine Bezahlung aus deinen Haenden empfangen sollen. Ich weiss, dass du eine Handvoll Geld mit einer ziemlich veraechtlichen Miene einem hinwerfen kannst.—

    Just
    So? eine vortreffliche Rache!—

    Tellheim
    Aber die wir noch verschieben muessen. Ich habe keinen Heller bares Geld mehr; ich weiss auch keines aufzutreiben.

    Just
    Kein bares Geld? Und was ist denn das fuer ein Beutel mit fuenfhundert Taler Louisdor, den der Wirt in Ihrem Schreibpulte gefunden?

    Tellheim
    Das ist Geld, welches mir aufzuheben gegeben worden.

    Just
    Doch nicht die hundert Pistolen, die Ihnen Ihr alter Wachtmeister vor vier oder fuenf Wochen brachte?

    Tellheim
    Die naemlichen, von Paul Wernern. Warum nicht?

    Just
    Diese haben Sie noch nicht gebraucht? Mein Herr, mit diesen koennen Sie machen, was Sie wollen. Auf meine Verantwortung—

    Tellheim
    Wahrhaftig?

    Just
    Werner hoerte von mir, wie sehr man Sie mit Ihren Forderungen an die Generalkriegskasse aufzieht. Er hoerte—

    Tellheim
    Dass ich sicherlich zum Bettler werden wuerde, wenn ich es nicht schon waere.—Ich bin dir sehr verbunden, Just.—Und diese Nachricht vermochte Wernern, sein bisschen Armut mit mir zu teilen.—Es ist mir doch lieb, dass ich es erraten habe.—Hoere, Just, mache mir zugleich auch deine Rechnung; wir sind geschiedene Leute.—

    Just
    Wie? was?

    Tellheim
    Kein Wort mehr; es koemmt jemand.—


    5. Szene

    (Eine Dame in Trauer. v. Tellheim. Just.)

    Dame
    Ich bitte um Verzeihung, mein Herr!—

    Tellheim
    Wen suchen Sie, Madame?—

    Dame
    Eben den wuerdigen Mann, mit welchem ich die Ehre habe zu sprechen. Sie kennen mich nicht mehr? Ich bin die Witwe Ihres ehemaligen Stabsrittmeisters—

    Tellheim
    Um des Himmels willen, gnaedige Frau! welche Veraenderung!—

    Dame
    Ich stehe von dem Krankenbette auf, auf das mich der Schmerz ueber den Verlust meines Mannes warf. Ich muss Ihnen frueh beschwerlich fallen, Herr Major. Ich reise auf das Land, wo mir eine gutherzige, aber eben auch nicht glueckliche Freundin eine Zuflucht vors erste angeboten.—

    Tellheim
    (zu Just). Geh, lass uns allein.—


    6. Szene

    (Die Dame. v. Tellheim.)

    Tellheim
    Reden Sie frei, gnaedige Frau! Vor mir duerfen Sie sich Ihres Ungluecks nicht schaemen. Kann ich Ihnen worin dienen?

    Dame
    Mein Herr Major—

    Tellheim
    Ich beklage Sie, gnaedige Frau! Worin kann ich Ihnen dienen? Sie wissen, Ihr Gemahl war mein Freund; mein Freund, sage ich; ich war immer karg mit diesem Titel.

    Dame
    Wer weiss es besser als ich, wie wert Sie seiner Freundschaft waren, wie wert er der Ihrigen war? Sie wuerden sein letzter Gedanke, Ihr Name der letzte Ton seiner sterbenden Lippen gewesen sein, haette nicht die staerkere Natur dieses traurige Vorrecht fuer seinen ungluecklichen Sohn, fuer seine unglueckliche Gattin gefordert—

    Tellheim
    Hoeren Sie auf, Madame! Weinen wollte ich mit Ihnen gern; aber ich habe heute keine Traenen. Verschonen Sie mich! Sie finden mich in einer Stunde, wo ich leicht zu verleiten waere, wider die Vorsicht zu murren.—O mein rechtschaffner Marloff! Geschwind, gnaedige Frau, was haben Sie zu befehlen? Wenn ich Ihnen zu dienen imstande bin, wenn ich es bin—

    Dame
    Ich darf nicht abreisen, ohne seinen letzten Willen zu vollziehen. Er erinnerte sich kurz vor seinem Ende, dass er als Ihr Schuldner sterbe, und beschwor mich, diese Schuld mit der ersten Barschaft zu tilgen. Ich habe seine Equipage verkauft und komme, seine Handschrift einzuloesen.—

    Tellheim
    Wie, gnaedige Frau? darum kommen Sie?

    Dame
    Darum. Erlauben Sie, dass ich das Geld aufzaehle.

    Tellheim
    Nicht doch, Madame! Marloff mir schuldig? das kann schwerlich sein. Lassen Sie doch sehen. (Er ziehet sein Taschenbuch heraus und sucht.) Ich finde nichts.

    Dame
    Sie werden seine Handschrift verlegt haben, und die Handschrift tut nichts zur Sache.—Erlauben Sie—

    Tellheim
    Nein, Madame! so etwas pflege ich nicht zu verlegen. Wenn ich sie nicht habe, so ist es ein Beweis, dass ich nie eine gehabt habe, oder dass sie getilgt und von mir schon zurueckgegeben worden.

    Dame
    Herr Major!—

    Tellheim
    Ganz gewiss, gnaedige Frau. Nein, Marloff ist mir nichts schuldig gebleiben. Ich wuesste mich auch nicht zu erinnern, dass er mir jemals etwas schuldig gewesen waere. Nicht anders, Madame; er hat mich vielmehr als seinen Schuldner hinterlassen. Ich habe nie etwas tun koennen, mich mit einem Manne abzufinden, der sechs Jahre Glueck und Unglueck, Ehre und Gefahr mit mir geteilet. Ich werde es nicht vergessen, dass ein Sohn von ihm da ist. Er wird mein Sohn sein, sobald ich sein Vater sein kann. Die Verwirrung, in der ich mich jetzt selbst befinde—

    Dame
    Edelmuetiger Mann! Aber denken Sie auch von mir nicht zu klein! Nehmen Sie das Geld, Herr Major; so bin ich wenigstens beruhiget.—

    Tellheim
    Was brauchen Sie zu Ihrer Beruhigung weiter als meine Versicherung, dass mir dieses Geld nicht gehoeret? Oder wollen Sie, dass ich die unerzogene Waise meines Freundes bestehlen soll? Bestehlen, Madame; das wuerde es in dem eigentlichsten Verstande sein. Ihm gehoert es, fuer ihn legen Sie es an!—

    Dame
    Ich verstehe Sie; verzeihen Sie nur, wenn ich noch nicht recht weiss, wie man Wohltaten annehmen muss. Woher wissen es denn aber auch Sie, dass eine Mutter mehr fuer ihren Sohn tut, als sie fuer ihr eigen Leben tun wuerde? Ich gehe—

    Tellheim
    Gehen Sie, Madame, gehen Sie! Reisen Sie gluecklich! Ich bitte Sie nicht, mir Nachricht von Ihnen zu geben. Sie moechte mir zu einer Zeit kommen, wo ich sie nicht nutzen koennte. Aber noch eines, gnaedige Frau; bald haette ich das Wichtigste vergessen. Marloff hat noch an der Kasse unsers ehemaligen Regiments zu fordern. Seine Forderungen sind so richtig wie die meinigen. Werden meine bezahlt, so muessen auch die seinigen bezahlt werden. Ich hafte dafuer.—

    Dame
    Oh! Mein Herr—Aber ich schweige lieber.—Kuenftige Wohltaten so vorbereiten, heisst sie in den Augen des Himmels schon erwiesen haben. Empfangen Sie seine Belohnung und meine Traenen! (Geht ab.)


    7. Szene

    (v. Tellheim.)

    Tellheim
    Armes, braves Weib! Ich muss nicht vergessen, den Bettel zu vernichten. (Er nimmt aus seinem Taschenbuche Briefschaften, die er zerreisst.) Wer steht mir dafuer, dass eigner Mangel mich nicht einmal verleiten koennte, Gebrauch davon zu machen?


    8. Szene

    (Just. v. Tellheim.)

    Tellheim
    Bist du da?

    Just
    (indem er sich die Augen wischt). Ja!

    Tellheim
    Du hast geweint?

    Just
    Ich habe in der Kueche meine Rechnung geschrieben, und die Kueche ist voll Rauch. Hier ist sie, mein Herr!

    Tellheim
    Gib her.

    Just
    Haben Sie Barmherzigkeit mit mir, mein Herr. Ich Weiss wohl, dass die Menschen mit Ihnen keine haben, aber—

    Tellheim
    Was willst du?

    Just
    Ich haette mir ehr den Tod als meinen Abschied vermutet.

    Tellheim
    Ich kann dich nicht laenger brauchen; ich muss mich ohne Bedienten behelfen lernen. (Schlaegt die Rechnung auf und lieset.) “Was der Herr Major mir schuldig: Drei und einen halben Monat Lohn, den Monat 6 Taler, macht 21 Taler. Seit dem Ersten dieses an Kleinigkeiten ausgelegt 1 Taler 7 Gr. 9 Pf. Summa Summarum 22 Taler 7 Gr. 9 Pf.”— Gut, und es ist billig, dass ich diesen laufenden Monat ganz bezahle.

    Just
    Die andere Seite, Herr Major—

    Tellheim
    Noch mehr? (Lieset.) Was dem Herrn Major ich schuldig: An den Feldscher fuer mich bezahlt 25 Taler. Fuer Wartung und Pflege waehrend meiner Kur fuer mich bezahlt 39 Taler. Meinem abgebrannten und gepluenderten Vater auf meine Bitte vorgeschossen, ohne die zwei Beutepferde zu rechnen, die er ihm geschenkt, 50 Taler. Summa Summarum 114 Taler. Davon abgezogen vorstehende 22 Taler 7 Gr. 9 Pf., bleibe dem Herrn Major schuldig 91 Taler 16 Gr. 3 Pf.”—Kerl, du bist toll!—

    Just
    Ich glaube es gern, dass ich Ihnen weit mehr koste. Aber es waere verlorne Tinte, es dazuzuschreiben. Ich kann Ihnen das nicht bezahlen, und wenn Sie mir vollends die Liverei nehmen, die ich auch noch nicht verdient habe—so wollte ich lieber, Sie haetten mich in dem Lazarette krepieren lassen.

    Tellheim
    Wofuer siehst du mich an? Du bist mir nichts schuldig, und ich will dich einem von meinen Bekannten empfehlen, bei dem du es besser haben sollst als bei mir.

    Just
    Ich bin Ihnen nichts schuldig, und doch wollen Sie mich verstossen?

    Tellheim
    Weil ich dir nichts schuldig werden will.

    Just
    Darum? nur darum?—So gewiss ich Ihnen schuldig bin, so gewiss Sie mir nichts schuldig werden koennen, so gewiss sollen Sie mich nun nicht verstossen.—Machen Sie, was Sie wollen, Herr Major; ich bleibe bei Ihnen; ich muss bei Ihnen bleiben.—

    Tellheim
    Und deine Hartnaeckigkeit, dein Trotz, dein wildes, ungestuemes Wesen gegen alle, von denen du meinest, dass sie dir nichts zu sagen haben, deine tueckische Schadenfreude, deine Rachsucht—

    Just
    Machen Sie mich so schlimm, wie Sie wollen; ich will darum doch nicht schlechter von mir denken als von meinem Hunde. Vorigen Winter ging ich in der Daemmerung an dem Kanale und hoerte etwas winseln. Ich stieg herab und griff nach der Stimme und glaubte, ein Kind zu retten, und zog einen Pudel aus dem Wasser. Auch gut, dachte ich. Der Pudel kam mir nach, aber ich bin kein Liebhaber von Pudeln. Ich jagte ihn fort, umsonst; ich pruegelte ihn von mir, umsonst. Ich liess ihn des Nachts nicht in meine Kammer; er blieb vor der Tuere auf der Schwelle. Wo er mir zu nahe kam, stiess ich ihn mit dem Fusse; er schrie, sahe mich an und wedelte mit dem Schwanze. Noch hat er keinen Bissen Brot aus meiner Hand bekommen, und doch bin ich der einzige, dem er hoert, und der ihn anruehren darf. Er springt vor mir her und macht mir seine Kuenste unbefohlen vor. Es ist ein haesslicher Pudel, aber ein gar zu guter Hund. Wenn er es laenger treibt, so hoere ich endlich auf, den Pudeln gram zu sein.

    Tellheim
    (beiseite). So wie ich ihm! Nein, es gibt keine voelligen Unmenschen! —Just, wir bleiben beisammen.

    Just
    Ganz gewiss!—Sie wollten sich ohne Bedienten behelfen? Sie vergessen Ihrer Blessuren und dass Sie nur eines Armes maechtig sind. Sie koennen sich ja nicht allein ankleiden. Ich bin Ihnen unentbehrlich; und bin— ohne mich selbst zu ruehmen, Herr Major—und bin ein Bedienter, der— wenn das Schlimmste zum Schlimmen koemmt—fuer seinen Herrn betteln und stehlen kann.

    Tellheim
    Just, wir bleiben nicht beisammen.

    Just
    Schon gut!


    9. Szene

    (Ein Bedienter. v. Tellheim. Just.)

    Bediente
    Bst! Kamerad!

    Just
    Was gibt's?

    Bediente
    Kann Er mir nicht den Offizier nachweisen, der gestern noch in diesem Zimmer (auf eines an der Seite zeigend, von welcher er herkoemmt) gewohnt hat?

    Just
    Das duerfte ich leicht koennen. Was bringt Er ihm?

    Bediente
    Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: ein Kompliment. Meine Herrschaft hoert, dass er durch sie verdraengt worden. Meine Herrschaft weiss zu leben, und ich soll ihn deshalb um Verzeihung bitten.

    Just
    Nun, so bitte Er ihn um Verzeihung; da steht er.

    Bediente
    Was ist er? Wie nennt man ihn?

    Tellheim
    Mein Freund, ich habe Euern Auftrag schon gehoert. Es ist eine ueberfluessige Hoeflichkeit von Eurer Herrschaft, die ich erkenne, wie ich soll. Macht ihr meinen Empfehl.—Wie heisst Eure Herrschaft?—

    Bediente
    Wie sie heisst? Sie laesst sich gnaediges Fraeulein heissen.

    Tellheim
    Und ihr Familienname?

    Bediente
    Den habe ich noch nicht gehoert, und darnach zu fragen, ist meine Sache nicht. Ich richte mich so ein, dass ich meistenteils alle sechs Wochen eine neue Herrschaft habe. Der Henker behalte alle ihre Namen!—

    Just
    Bravo, Kamerad!

    Bediente
    Zu dieser bin ich erst vor wenig Tagen in Dresden gekommen. Sie sucht, glaube ich, hier ihren Braeutigam.—

    Tellheim
    Genug, mein Freund. Den Namen Eurer Herrschaft wollte ich wissen, aber nicht ihre Geheimnisse. Geht nur!

    Bediente
    Kamerad, das waere kein Herr fuer mich!


    10. Szene

    (v. Tellheim. Just.)

    Tellheim
    Mache, Just, mache, dass wir aus diesem Hause kommen! Die Hoeflichkeit der fremden Dame ist mir empfindlicher als die Grobheit des Wirts. Hier, nimm diesen Ring, die einzige Kostbarkeit, die mir uebrig ist, von der ich nie geglaubt haette, einen solchen Gebrauch zu machen!— Versetze ihn! Lass dir achtzig Friedrichsdor darauf geben; die Rechnung des Wirts kann keine dreissig betragen. Bezahle ihn und raeume meine Sachen—Ja, wohin?—Wohin du willst. Der wohlfeilste Gasthof der beste. Du sollst mich hier nebenan auf dem Kaffeehause treffen. Ich gehe, mache deine Sache gut.—

    Just
    Sorgen Sie nicht, Herr Major!—

    Tellheim
    (koemmt wieder zurueck). Vor allen Dingen, dass meine Pistolen, die hinter dem Bette gehangen, nicht vergessen werden.

    Just
    Ich will nichts vergessen.

    Tellheim
    (koemmt nochmals zurueck). Noch eins: nimm mir auch deinen Pudel mit; hoerst du, Just!—


    11. Szene

    (Just)

    Just
    Der Pudel wird nicht zurueckbleiben. Dafuer lass ich den Pudel sorgen.— Hm! Auch den kostbaren Ring hat der Herr noch gehabt? Und trug ihn in der Tasche, anstatt am Finger?—Guter Wirt, wir sind so kahl noch nicht, als wir scheinen. Bei ihm, bei ihm selbst will ich dich versetzen, schoenes Ringelchen! Ich weiss, er aergert sich, dass du in seinem Hause nicht ganz sollst verzehrt werden!—Ah—


    12. Szene

    (Paul Werner. Just.)

    Just
    Sieh da, Werner! guten Tag, Werner! willkommen in der Stadt!

    Werner
    Das verwuenschte Dorf! Ich kann's unmoeglich wieder gewohne werden. Lustig, Kinder, lustig; ich bringe frisches Geld! Wo ist der Major?

    Just
    Er muss dir begegnet sein; er ging eben die Treppe herab.

    Werner
    Ich komme die Hintertreppe herauf. Nun, wie geht's ihm? Ich waere schon vorige Woche bei euch gewesen, aber—

    Just
    Nun? was hat dich abgehalten?—

    Werner
    —Just—hast du von dem Prinzen Heraklius gehoert?

    Just
    Heraklius? Ich wuesste nicht.

    Werner
    Kennst du den grossen Helden im Morgenlande nicht?

    Just
    Die Weisen aus dem Morgenlande kenn ich wohl, die ums Neujahr mit dem Sterne herumlaufen.—

    Werner
    Mensch, ich glaube, du liesest ebensowenig die Zeitungen als die Bibel?—Du kennst den Prinzen Heraklius nicht? den braven Mann nicht, der Persien weggenommen und naechster Tage die Ottomanische Pforte einsprengen wird? Gott sei Dank, dass doch noch irgendwo in der Welt Krieg ist! Ich habe lange genug gehofft, es sollte hier wieder losgehen. Aber da sitzen sie und heilen sich die Haut. Nein, Soldat war ich, Soldat muss ich wieder sein! Kurz—(indem er sich schuechtern umsieht, ob ihn jemand behorcht) im Vertrauen, Just, ich wandere nach Persien, um unter Sr. Koeniglichen Hoheit, dem Prinzen Heraklius, ein paar Feldzuege wider den Tuerken zu machen.

    Just
    Du?

    Werner
    Ich, wie du mich hier siehst! Unsere Vorfahren zogen fleissig wider den Tuerken, und das sollten wir noch tun, wenn wir ehrliche Kerls und gute Christen waeren. Freilich begreife ich wohl, dass ein Feldzug wider den Tuerken nicht halb so lustig sein kann, als einer wider den Franzosen; aber dafuer muss er auch desto verdienstlicher sein, in diesem und in jenem Leben. Die Tuerken haben dir alle Saebels, mit Diamanten besetzt—

    Just
    Um mir von so einem Saebel den Kopf spalten zu lassen, reise ich nicht eine Meile. Du wirst doch nicht toll sein und dein schoenes Schulzengerichte verlasen?—

    Werner
    Oh, das nehme ich mit!—Merkst du was?—Das Guetchen ist verkauft—

    Just
    Verkauft?

    Werner
    St!—hier sind hundert Dukaten, die ich gestern auf den Kauf bekommen; die bring ich dem Major—

    Just
    Und was soll der damit?

    Werner
    Was er damit soll? Verzehren soll er sie, verspielen, vertrinken, ver—, wie er will. Der Mann muss Geld haben, und es ist schlecht genug, dass man ihm das Seinige so sauer macht! Aber ich wuesste schon, was ich taete, wenn ich an seiner Stelle waere! Ich daechte: hol euch hier alle der Henker, und ginge mit Paul Wernern, nach Persien!—Blitz!—Der Prinz Heraklius muss ja wohl von dem Major Tellheim gehoert haben, wenn er auch schon seinen gewesenen Wachtmeister, Paul Wernern, nicht kennt. Unsere Affaere bei den Katzenhaeusern—

    Just
    Soll ich dir die erzaehlen?—

    Werner
    Du mir?—Ich merke wohl, dass eine schoene Disposition ueber deinen Verstand geht. Ich will meine Perlen nicht vor die Saeue werfen.—Da nimm die hundert Dukaten; gib sie dem Major. Sage ihm, er soll mir auch die aufheben. Ich muss jetzt auf den Markt; ich habe zwei Winspel Roggen hereingeschickt; was ich daraus loese, kann er gleichfalls haben. —

    Just
    Werner, du meinest es herzlich gut; aber wir moegen dein Geld nicht. Behalte deine Dukaten, und deine hundert Pistolen kannst du auch unversehrt wiederbekommen, sobald als du willst.—

    Werner
    So? Hat denn der Major noch Geld?

    Just
    Nein.

    Werner
    Hat er sich wo welches geborgt?

    Just
    Nein.

    Werner
    Und wovon lebt ihr denn?

    Just
    Wir lassen anschreiben, und wenn man nicht mehr anschreiben will und uns zum Hause hinauswirft, so versetzen wir, was wir noch haben, und ziehen weiter.—Hoere nur, Paul; dem Wirte hier muessen wir einen Possen spielen.

    Werner
    Hat er dem Major was in den Weg gelegt?—Ich bin dabei!—

    Just
    Wie waer's, wenn wir ihm des Abends, wenn er aus der Tabagie koemmt, aufpassten und ihn brav durchpruegelten?—

    Werner
    Des Abends?—aufpassten?—ihre zwei, einem?—Das ist nichts.—

    Just
    Oder wenn wir ihm das Haus ueber dem Kopf ansteckten?—

    Werner
    Sengen und brennen?—Kerl, man hoert's, dass du Packknecht gewesen bist und nicht Soldat—pfui!

    Just
    Oder wenn wir ihm seine Tochter zur Hure machten? Sie ist zwar verdammt haesslich—

    Werner
    Oh, da wird sie's lange schon sein! Und allenfalls brauchst du auch hierzu keinen Gehilfen. Aber was hast du denn? Was gibt's denn?

    Just
    Komm nur, du sollst dein Wunder hoeren!

    Werner
    So ist der Teufel wohl hier gar los?

    Just
    Jawohl; komm nur!

    Werner
    Desto besser! Nach Persien also, nach Persien!


    2. Akt


    1. Szene

    (Die Szene ist in dem Zimmer des Fraeuleins.) (Minna von Barnhelm. Franziska.)

    Fraeulein
    (im Neglige, nach ihrer Uhr sehend). Franziska, wir sind auch sehr frueh aufgestanden. Die Zeit wird uns lang werden.

    Franziska
    Wer kann denn in den verzweifelten grossen Staedten schlafen? Die Karossen, die Nachtwaechter, die Trommeln, die Katzen, die Korporals— das hoert nicht auf zu rasseln, zu schreien, zu wirbeln, zu mauen, zu fluchen; gerade, als ob die Nacht zu nichts weniger waere als zur Ruhe. —Eine Tasse Tee, gnaediges Fraeulein?—

    Fraeulein
    Der Tee schmeckt mir nicht.—

    Franziska
    Ich will von unserer Schokolade machen lassen.

    Fraeulein
    Lass machen, fuer dich!

    Franziska
    Fuer mich? Ich wollte ebensogern fuer mich allein plaudern als fuer mich allein trinken.—Freilich wird uns die Zeit so lang werden.—Wir werden vor langer Weile uns putzen muessen und das Kleid versuchen, in welchem wir den ersten Sturm geben wollen.

    Fraeulein
    Was redest du von Stuermen, da ich bloss herkomme, die Haltung der Kapitulation zu fordern?

    Franziska
    Und der Herr Offizier, den wir vertrieben, und dem wir das Kompliment darueber machen lassen; er muss auch nicht die feinste Lebensart haben; sonst haette er wohl um die Ehre koennen bitten lassen, uns seine Aufwartung machen zu duerfen.—

    Fraeulein
    Es sind nicht alle Offiziere Tellheims. Die Wahrheit zu sagen, ich liess ihm das Kompliment auch bloss machen, um Gelegenheit zu haben, mich nach diesem bei ihm zu erkundigen.—Franziska, mein Herz sagt es mir, dass meine Reise gluecklich sein wird, dass ich ihn finden werde.—

    Franziska
    Das Herz, gnaediges Fraeulein? Man traue doch ja seinem Herzen nicht zu viel. Das Herz redet uns gewaltig gern nach dem Maule. Wenn das Maul ebenso geneigt waere, nach dem Herzen zu reden, so waere die Mode laengst aufgekommen, die Maeuler unterm Schlosse zu tragen.

    Fraeulein
    Ha! ha! Mit deinen Maeulern unterm Schlosse! Die Mode waere mir eben recht!

    Franziska
    Lieber die schoensten Zaehne nicht gezeigt, als alle Augenblicke das Herz darueber springen lassen!

    Fraeulein
    Was? Bist du so zurueckhaltend?—

    Franziska
    Nein, gnaediges Fraeulein, sondern ich wollte es gern mehr sein. Man spricht selten von der Tugend, die man hat; aber desto oeftrer von der, die uns fehlt.

    Fraeulein
    Siehst du, Franziska? Da hast du eine sehr gute Anmerkung gemacht.—

    Franziska
    Gemacht? Macht man das, was einem so einfaellt?—

    Fraeulein
    Und weisst du, warum ich eigentlich diese Anmerkung so gut finde? Sie hat viel Beziehung auf meinen Tellheim.

    Franziska
    Was haette bei Ihnen nicht auch Beziehung auf ihn?

    Fraeulein
    Freund und Feind sagen, dass er der tapferste Mann von der Welt ist. Aber wer hat ihn von Tapferkeit jemals reden hoeren? Er hat das rechtschaffenste Hertz, aber Rechtschaffenheit und Edelmut sind Worte, die er nie auf die Zunge bringt.

    Franziska
    Von was fuer Tugenden spricht er denn?

    Fraeulein
    Er spricht von keiner; denn ihm fehlt keine.

    Franziska
    Das wollte ich nur hoeren.

    Fraeulein
    Warte, Franziska, ich besinne mich. Er spricht sehr oft von Oekonomie. Im Vertrauen, Franziska, ich glaube, der Mann ist ein Verschwender.

    Franziska
    Noch eins, gnaediges Fraeulein. Ich habe ihn auch sehr oft der Treue und Bestaendigkeit gegen Sie erwaehnen hoeren. Wie, wenn der Herr auch ein Flattergeist waere?

    Fraeulein
    Du Unglueckliche!—Aber meinest du das im Ernste, Franziska?

    Franziska
    Wie lange hat er Ihnen nun schon nicht geschrieben?

    Fraeulein
    Ach! seit dem Frieden hat er mir nur ein einziges Mal geschrieben.

    Franziska
    Auch ein Seufzer wider den Frieden! Wunderbar! Der Friede sollte nur das Boese wieder gutmachen, das der Krieg gestiftet, und er zerruettet auch das Gute, was dieser, sein Gegenpart, etwa noch veranlasset hat. Der Friede sollte so eigensinnig nicht sein!—Und wie lange haben wir schon Friede? Die Zeit wird einem gewaltig lang, wenn es so wenig Neuigkeiten gibt.—Umsonst gehen die Posten wieder richtig; niemand schreibt; denn niemand hat was zu schreiben.

    Fraeulein
    “Es ist Friede", schrieb er mir, “und ich naehere mich der Erfuellung meiner Wuensche.” Aber dass er mir dieses nur einmal, nur ein einziges Mal geschrieben—

    Franziska
    Dass er uns zwingt, dieser Erfuellung der Wuensche selbst entgegenzueilen: finden wir ihn nur, das soll er uns entgelten!—Wenn indes der Mann doch Wuensche erfuellt haette, und wir erfuehren hier—

    Fraeulein
    (aengstlich und hitzig). Dass er tot waere?

    Franziska
    Fuer Sie, gnaediges Fraeulein, in den Armen einer andern.—

    Fraeulein
    Du Quaelgeist! Warte, Franziska, er soll dir es gedenken!—Doch schwatze nur; sonst schlafen wir wieder ein.—Sein Regiment ward nach dem Frieden zerrissen. Wer weiss, in welche Verwirrung von Rechnungen und Nachweisungen er dadurch geraten? Wer weiss, zu welchem andern Regimente, in welche entlegne Provinz er versetzt worden? Wer weiss, welche Umstaende—Es pocht jemand.

    Franziska
    Herein!


    2. Szene

    (Der Wirt. Die Vorigen.)

    Wirt
    (den Kopf voransteckend). Ist es erlaubt, meine gnaedige Herrschaft?—

    Franziska
    Unser Herr Wirt?—Nur vollends herein.

    Wirt
    (mit einer Feder hinter dem Ohre, ein Blatt Papier und ein Schreibezeug in der Hand). Ich komme, gnaediges Fraeulein, Ihnen einen untertaenigen guten Morgen zu wuenschen—(zur Franziska) und auch Ihr, mein schoenes Kind—

    Franziska
    Ein hoeflicher Mann!

    Fraeulein
    Wir bedanken uns.

    Franziska
    Und wuenschen Ihm auch einen guten Morgen.

    Wirt
    Darf ich mich unterstehen zu fragen, wie Ihro Gnaden diese erste Nacht unter meinem schlechten Dache geruhet?—

    Franziska
    Das Dach ist so schlecht nicht, Herr Wirt, aber die Betten haetten besser sein koennen.

    Wirt
    Was hoere ich? Nicht wohl geruht? Vielleicht, dass die gar zu grosse Ermuedung von der Reise—

    Fraeulein
    Es kann sein.

    Wirt
    Gewiss, gewiss! denn sonst—Indes sollte etwas nicht vollkommen nach Ihro Gnaden Bequemlichket gewesen sein, so geruhen Ihro Gnaden nur zu befehlen.

    Franziska
    Gut, Herr Wirt, gut! Wir sind auch nicht bloede; und am wenigsten muss man im Gasthofe bloede sein. Wir wollen schon sagen, wie wir es gern haetten.

    Wirt
    Hiernaechst komme ich zugleich—(indem er die Feder hinter dem Ohr hervorzieht).

    Franziska
    Nun?—

    Wirt
    Ohne Zweifel kennen Ihro Gnaden schon die weisen Verordnungen unserer Polizei.

    Fraeulein
    Nicht im geringsten, Herr Wirt—

    Wirt
    Wir Wirte sind angewiesen, keinen Fremden, wes Standes und Geschlechts er auch sei, vierundzwanzig Stunden zu behausen, ohne seinen Namen, Heimat, Charakter, hiesige Geschaefte, vermutliche Dauer des Aufenthalts und so weiter gehoerigen Orts schriftlich einzureichen.

    Fraeulein
    Sehr wohl.

    Wirt
    Ihro Gnaden werden also sich gefallen lassen—(indem er an einen Tisch tritt und sich fertig macht zu schreiben).

    Fraeulein
    Sehr gern—Ich heisse—

    Wirt
    Einen kleinen Augenblick Geduld!—(Er schreibt.) “Dato, den 22. August a.c. allhier zum Koenige von Spanien angelangt”—Nun Dero Namen, gnaediges Fraeulein?

    Fraeulein
    Das Fraeulein von Barnhelm.

    Wirt
    (schreibt). “von Barnhelm”—Kommend? woher, gnaediges Fraeulein?

    Fraeulein
    Von meinen Guetern aus Sachsen.

    Wirt
    (schreibt). “Guetern aus Sachsen”—Aus Sachsen! Ei, ei, aus Sachsen, gnaediges Fraeulein? aus Sachsen?

    Franziska
    Nun? warum nicht? Es ist doch wohl hierzulande keine Suende, aus Sachsen zu sein?

    Wirt
    Eine Suende? Behuete! das waere ja eine ganz neue Suende!—Aus Sachsen also? Ei, ei! aus Sachsen! Das liebe Sachsen!—Aber wo mir recht ist, gnaediges Fraeulein, Sachsen ist nicht klein und hat mehrere—wie soll ich es nennen?—Distrikte, Provinzen.—Unsere Polizei ist sehr exakt, gnaediges Fraeulein.—

    Fraeulein
    Ich verstehe: von meinen Guetern aus Thueringen also.

    Wirt
    Aus Thueringen! Ja, das ist besser, gnaediges Fraeulein, das ist genauer. —(Schreibt und liest.) “Das Fraeulein von Barnhelm, kommend von ihren Guetern aus Thueringen, nebst einer Kammerfrau und zwei Bedienten”—

    Franziska
    Einer Kammerfrau? das soll ich wohl sein?

    Wirt
    Ja, mein schoenes Kind.—

    Franziska
    Nun, Herr Wirt, so setzen Sie anstatt Kammerfrau Kammerjungfer.—Ich hoere, die Polizei ist sehr exakt; es moechte ein Missverstaendnis geben, welches mir bei meinem Aufgebote einmal Haendel machen koennte. Denn ich bin wirklich noch Jungfer und heisse Franziska; mit dem Geschlechtsnamen Willig; Franziska Willig. Ich bin auch aus Thueringen. Mein Vater war Mueller auf einem von den Guetern des gnaedigen Fraeuleins. Es heisst Klein-Rammsdorf. Die Muehle hat jetzt mein Bruder. Ich kam sehr jung auf den Hof und ward mit dem gnaedigen Fraeulein erzogen. Wir sind von einem Alter, kuenftige Lichtmess einundzwanzig Jahr. Ich habe alles gelernt, was das gnaedige Fraeulein gelernt hat. Es soll mir lieb sein, wenn mich die Polizei recht kennt.

    Wirt
    Gut, mein schoenes Kind, das will ich mir auf weitere Nachfrage merken. —Aber nunmehr, gnaediges Fraeulein, Dero Verrichtungen allhier?—

    Fraeulein
    Meine Verrichtungen?

    Wirt
    Suchen Ihro Gnaden etwas bei des Koenigs Majestaet?

    Fraeulein
    O nein!

    Wirt
    Oder bei unsern hohen Justizkollegiis?

    Fraeulein
    Auch nicht.

    Wirt
    Oder—

    Fraeulein
    Nein, nein. Ich bin lediglich in meinen eigenen Angelegenheiten hier.

    Wirt
    Ganz wohl, gnaediges Fraeulein, aber wie nennen sich diese eigne Angelegenheiten?

    Fraeulein
    Sie nennen sich—Franziska, ich glaube, wir werden vernommen.

    Franziska
    Herr Wirt, die Polizei wird doch nicht die Geheimnisse eines Frauenzimmers zu wissen verlangen?

    Wirt
    Allerdings, mein schoenes Kind: die Polizei will alles, alles wissen; und besonders Geheimnisse.

    Franziska
    Ja nun, gnaediges Fraeulein; was ist zu tun?—So hoeren Sie nur, Herr Wirt—aber dass es ja unter uns und der Polizei bleibt!—

    Fraeulein
    Was wird ihm die Naerrin sagen?

    Franziska
    Wir kommen, dem Koenige einen Offizier wegzukapern—

    Wirt
    Wie? was? Mein Kind! mein Kind!—

    Franziska
    Oder uns von dem Offiziere kapern zu lassen. Beides ist eins.

    Fraeulein
    Franziska, bist du toll?—Herr Wirt, die Nasenweise hat Sie zum besten. —

    Wirt
    Ich will nicht hoffen! Zwar mit meiner Wenigkeit kann sie scherzen so viel, wie sie will; nur mit einer hohen Polizei—

    Fraeulein
    Wissen Sie was, Herr Wirt?—Ich weiss mich in dieser Sache nicht zu nehmen. Ich daechte, Sie liessen die ganze Schreiberei bis auf die Ankunft meines Oheims. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt, warum er nicht mit mir zugleich angekommen. Er verunglueckte zwei Meilen von hier mit seinem Wagen und wollte durchaus nicht, dass mich dieser Zufall eine Nacht mehr kosten sollte. Ich musste also voran. Wenn er vierundzwanzig Stunden nach mir eintrifft, so ist es das laengste.

    Wirt
    Nun ja, gnaediges Fraeulein, so wollen wir ihn erwarten.

    Fraeulein
    Er wird auf Ihre Fragen besser antworten koennen. Er wird wissen, wem und wie weit er sich zu entdecken hat; was er von seinen Geschaeften anzeigen muss und was er davon verschweigen darf.

    Wirt
    Desto besser! Freilich, freilich kann man von einem jungen Maedchen (die Franziska mit einer bedeutenden Miene ansehend) nicht verlangen, dass es eine ernsthafte Sache mit ernsthaften Leuten ernsthaft traktiere—

    Fraeulein
    Und die Zimmer fuer ihn sind doch in Bereitschaft, Herr Wirt?

    Wirt
    Voellig, gnaediges Fraeulein, voellig; bis auf das eine—

    Franziska
    Aus dem Sie vielleicht auch noch erst einen ehrlichen Mann vertreiben muessen?

    Wirt
    Die Kammerjungfern aus Sachsen, gnaediges Fraeulein, sind wohl sehr mitleidig.—

    Fraeulein
    Doch, Herr Wirt, das haben Sie nicht gut gemacht. Lieber haetten Sie uns nicht einnehmen sollen.

    Wirt
    Wieso, gnaediges Fraeulein, wieso?

    Fraeulein
    Ich hoere, dass der Offizier, welcher durch uns verdraengt worden—

    Wirt
    Ja nur ein abgedankter Offizier ist, gnaediges Fraeulein.—

    Fraeulein
    Wenn schon!—

    Wirt
    Mit dem es zu Ende geht.—

    Fraeulein
    Desto schlimmer! Es soll ein sehr verdienter Mann sein.

    Wirt
    Ich sage Ihnen ja, dass er abgedankt ist.

    Fraeulein
    Der Koenig kann nicht alle verdiente Maenner kennen.

    Wirt
    O gewiss, er kennt sie, er kennt sie alle.—

    Fraeulein
    So kann er sie nicht alle belohnen.

    Wirt
    Sie waeren alle belohnt, wenn sie darnach gelebt haetten. Aber so lebten die Herren waehrend des Krieges, als ob ewig Krieg bleiben wuerde; als ob das Dein und Mein ewig aufgehoben sein wuerde. Jetzt liegen alle Wirtshaeuser und Gasthoefe von ihnen voll, und ein Wirt hat sich wohl mit ihnen in acht zu nehmen. Ich bin mit diesem noch so ziemlich weggekommen. Hatte er gleich kein Geld mehr, so hatte er doch noch Geldeswert, und zwei, drei Monate haette ich ihn freilich noch ruhig koennen sitzen lassen. Doch besser ist besser.—Apropos, gnaediges Fraeulein; Sie verstehen sich doch auf Juwelen?—

    Fraeulein
    Nicht sonderlich.

    Wirt
    Was sollten Ihro Gnaden nicht?—Ich muss Ihnen einen Ring zeigen, einen kostbaren Ring. Zwar gnaediges Fraeulein haben da auch einen sehr schoenen am Finger, und je mehr ich ihn betrachte, je mehr muss ich mich wundern, dass er dem meinigen so aehnlich ist.—Oh! sehen Sie doch, sehen Sie doch! (Indem er ihn aus dem Futteral herausnimmt und dem Fraeulein zureicht.) Welch ein Feuer! der mittelste Brillant allein wiegt ueber fuenf Karat.

    Fraeulein
    (ihn betrachtend). Wo bin ich? Was seh ich? Dieser Ring—

    Wirt
    Ist seine fuenfzehnhundert Taler unter Bruedern wert.

    Fraeulein
    Franziska!—Sieh doch!—

    Wirt
    Ich habe mich auch nicht einen Augenblick bedacht, achtzig Pistolen darauf zu leihen.

    Fraeulein
    Erkennst du ihn nicht, Franziska?

    Franziska
    Der naemliche!—Herr Wirt, wo haben Sie diesen Ring her?—

    Wirt
    Nun, mein Kind? Sie hat doch wohl kein Recht daran?

    Franziska
    Wir kein Recht an diesem Ringe?—Inwaerts auf dem Kasten muss des Fraeuleins verzogener Name stehn.—Weisen Sie doch, Fraeulein.

    Fraeulein
    Er ist's er ist's!—Wie kommen Sie zu diesem Ringe, Herr Wirt?

    Wirt
    Ich? auf die ehrlichste Weise von der Welt.—Gnaediges Fraeulein, gnaediges Fraeulein, Sie werden mich nicht in Schaden und Unglueck bringen wollen? Was weiss ich, wo sich der Ring eigentlich herschreibt? Waehrend des Krieges hat manches seinen Herrn sehr oft, mit und ohne Vorbewusst des Herrn, veraendert. Und Krieg war Krieg. Es werden mehr Ringe aus Sachsen ueber die Grenze gegangen sein.—Geben Sie mir ihn wieder, gnaediges Fraeulein, geben Sie mir ihn wieder!

    Franziska
    Erst geantwortet: von wem haben Sie ihn?

    Wirt
    Von einem Manne, dem ich so was nicht zutrauen kann, von einem sonst guten Manne—

    Fraeulein
    Von dem besten Manne unter der Sonne, wenn Sie ihn von seinem Eigentuemer haben.—Geschwind, bringen Sie mir den Mann! Er ist es selbst, oder wenigstens muss er ihn kennen.

    Wirt
    Wer denn? wen denn, gnaediges Fraeulein?

    Franziska
    Hoeren Sie denn nicht? unsern Major.

    Wirt
    Major? Recht, er ist Major, der dieses Zimmer vor Ihnen bewohnt hat, und von dem ich ihn habe.

    Fraeulein
    Major von Tellheim.

    Wirt
    Von Tellheim, ja! Kennen Sie ihn?

    Fraeulein
    Ob ich ihn kenne? Er ist hier? Tellheim ist hier? Er? er hat in diesem Zimmer gewohnt? Er, er hat Ihnen diesen Ring versetzt? Wie kommt der Mann in diese Verlegenheit? Wo ist er? Er ist Ihnen schuldig?—Franziska, die Schatulle her! Schliess auf! (Indem sie Franziska auf den Tisch setzet und oeffnet.) Was ist er Ihnen schuldig? Wem ist er mehr schuldig? Bringen Sie mir alle seine Schuldner. Hier ist Geld. Hier sind Wechsel. Alles ist sein!

    Wirt
    Was hoere ich?

    Fraeulein
    Wo ist er? wo ist er?

    Wirt
    Noch vor einer Stunde war er hier.

    Fraeulein
    Haesslicher Mann, wie konnten Sie gegen ihn so unfreundlich, so hart, so grausam sein?

    Wirt
    Ihro Gnaden verzeihen—

    Fraeulein
    Geschwind, schaffen Sie mir ihn zur Stelle.

    Wirt
    Sein Bedienter ist vielleicht noch hier. Wollen Ihro Gnaden, dass er ihn aufsuchen soll?

    Fraeulein
    Ob ich will? Eilen Sie, laufen Sie; fuer diesen Dienst allein will ich es vergessen, wie schlecht Sie mit ihm umgegangen sind.—

    Franziska
    Fix, Herr Wirt, hurtig, fort, fort! (Stoesst ihn heraus.)


    3. Szene

    (Das Fraeulein. Franziska)

    Fraeulein
    Nun habe ich ihn wieder, Franziska! Siehst du, nun habe ich ihn wieder! Ich weiss nicht, wo ich vor Freuden bin! Freue dich doch mit, liebe Franziska. Aber freilich, warum du? Doch du sollst dich, du musst dich mit mir freuen. Komm, Liebe, ich will dich beschenken, damit du dich mit mir freuen kannst. Sprich, Franziska, was soll ich dir geben? Was steht dir von meinen Sachen an? Was haettest du gern? Nimm, was du willst, aber freue dich nur. Ich sehe wohl, du wirst dir nichts nehmen. Warte! (sie fasst in die Schatulle) da, liebe Franziska (und gibt ihr Geld), kaufe dir, was du gern haettest. Fordere mehr, wenn es nicht zulangt. Aber freue dich nur mit mir. Es ist so traurig, sich allein zu freuen. Nun, so nimm doch—

    Franziska
    Ich stehle es Ihnen, Fraeulein; Sie sind trunken, von Froehlichkeit trunken.—

    Fraeulein
    Maedchen, ich habe einen zaenkischen Rausch, nimm oder—(Sie zwingt ihr das Geld in die Hand.) Und wenn du dich bedankest!—Warte; gut, dass ich daran denke. (Sie greift nochmals in die Schatulle nach Geld.) Das, liebe Franziska, stecke beiseite, fuer den ersten blessierten armen Soldaten, der uns anspricht.—


    4. Szene

    (Der Wirt. Das Fraeulein. Franziska.)

    Fraeulein
    Nun? Wird er kommen?

    Wirt
    Der widerwaertige, ungeschliffene Kerl!

    Fraeulein
    Wer?

    Wirt
    Sein Bedienter. Er weigert sich, nach ihm zu gehen.

    Franziska
    Bringen Sie doch den Schurken her.—Des Majors Bediente kenne ich ja wohl alle. Welcher waere denn das?

    Fraeulein
    Bringen Sie ihn geschwind her. Wenn er uns sieht, wird er schon gehen. (Der Wirt geht ab.)


    5. Szene

    (Das Fraeulein. Franziska.)

    Fraeulein
    Ich kann den Augenblick nicht erwarten. Aber, Franziska, du bist noch immer so kalt? Du willst dich noch nicht mit mir freuen?

    Franziska
    Ich wollte von Herzen gern, wenn nur—

    Fraeulein
    Wenn nur?

    Franziska
    Wir haben den Mann wiedergefunden; aber wie haben wir ihn wiedergefunden? Nach allem, was wir von ihm hoeren, muss es ihm uebel gehn. Er muss ungluecklich sein, das jammert mich.

    Fraeulein
    Jammert dich?—Lass dich dafuer umarmen, meine liebste Gespielin! das will ich dir nie vergessen!—Ich bin nur verliebt, und du bist gut.—


    6. Szene

    (Der Wirt. Just. Die Vorigen.)

    Wirt
    Mit genauer Not bring ich ihn.

    Franziska
    Ein fremdes Gesicht! Ich kenne ihn nicht.

    Fraeulein
    Mein Freund, ist Er bei dem Major von Tellheim?

    Just
    Ja.

    Fraeulein
    Wo ist Sein Herr?

    Just
    Nicht hier.

    Fraeulein
    Aber Er weiss ihn zu finden?

    Just
    Ja.

    Fraeulein
    Will Er ihn nicht geschwind herholen?

    Just
    Nein.

    Fraeulein
    Er erweiset mir damit einen Gefallen.—

    Just
    Ei!

    Fraeulein
    Und Seinem Herrn einen Dienst.—

    Just
    Vielleicht auch nicht.—

    Fraeulein
    Woher vermutet Er das?

    Just
    Sie sind doch die fremde Herrschaft, die ihn schon diesen Morgen komplimentieren lassen?

    Fraeulein
    Ja.

    Just
    So bin ich schon recht.

    Fraeulein
    Weiss Sein Herr meinen Namen?

    Just
    Nein; aber er kann die allzu hoeflichen Damen ebensowenig leiden als die allzu groben Wirte.

    Wirt
    Das soll wohl mit auf mich gehn?

    Just
    Ja.

    Wirt
    So lass Er es doch dem gnaedigen Fraeulein nicht entgelten, und hole Er ihn geschwind her.

    Fraeulein
    (leise zur Franziska). Franziska, gib ihm etwas—

    Franziska
    (die dem Just Geld in die Hand druecken will). Wir verlangen Seine Dienste nicht umsonst.—

    Just
    Und ich Ihr Geld nicht ohne Dienste.

    Franziska
    Eines fuer das andere.

    Just
    Ich kann nicht. Mein Herr hat mir befohlen, auszuraeumen. Das tu ich jetzt, und daran bitte ich, mich nicht weiter zu verhindern. Wenn ich fertig bin, so will ich es ihm ja wohl sagen, dass er herkommen kann. Er ist nebenan auf dem Kaffeehause; und wenn er da nichts Bessers zu tun findet, wird er auch wohl kommen. (Will fortgehen.)

    Franziska
    So warte Er doch.—Das gnaedige Fraeulein ist des Herrn Majors— Schwester.—

    Fraeulein
    Ja, ja, seine Schwester.

    Just
    Das weiss ich besser, dass der Major keine Schwestern hat. Er hat mich in sechs Monaten zweimal an seine Familie nach Kurland geschickt.— Zwar es gibt mancherlei Schwestern—

    Franziska
    Unverschaemter!

    Just
    Muss man es nicht sein, wenn einen die Leute sollen gehn lassen? (Geht ab.)

    Franziska
    Das ist ein Schlingel!

    Wirt
    Ich sagt' es ja. Aber lassen Sie ihn nur! Weiss ich doch nunmehr, wo sein Herr ist. Ich will ihn gleich selbst holen.—Nur, gnaediges Fraeulein, bitte ich untertaenigst, sodann ja mich bei dem Herrn Major zu entschuldigen, dass ich so ungluecklich gewesen, wider meinen Willen einen Mann von seinen Verdiensten—

    Fraeulein
    Gehen Sie nur geschwind, Herr Wirt. Das will ich alles wieder gutmachen. (Der Wirt geht ab und hierauf) Franziska, lauf ihm nach: er soll ihm meinen Namen nicht nennen! (Franziska, dem Wirte nach.)


    7. Szene

    (Das Fraeulein und hierauf Franziska)

    Fraeulein
    Ich habe ihn wieder!—Bin ich allein?—Ich will nicht umsonst allein sein.(Sie faltet die Haende.) Auch bin ich nicht allein! (Und blickt aufwaerts.) Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel ist das willkommenste Gebet!—Ich hab ihn, ich hab ihn! (Mit ausgebreiteten Armen.) Ich bin gluecklich! und froehlich! Was kann der Schoepfer lieber sehen als ein froehliches Geschoepf!—(Franziska koemmt.) Bist du wieder da, Franziska?—Er jammert dich? Mich jammert er nicht. Unglueck ist auch gut. Vielleicht, dass ihm der Himmel alles nahm, um ihm in mir alles wiederzugeben!

    Franziska
    Er kann den Augenblick hier sein.—Sie sind noch in Ihrem Neglige, gnaediges Fraeulein. Wie, wenn Sie sich geschwind ankleideten?

    Fraeulein
    Geh! ich bitte dich. Er wird mich von nun an oeftrer so als geputzt sehen.

    Franziska
    Oh, Sie kennen sich, mein Fraeulein.

    Fraeulein
    (nach einem kurzen Nachdenken). Wahrhaftig, Maedchen, du hast es wiederum getroffen.

    Franziska
    Wenn wir schoen sind, sind wir ungeputzt am schoensten.

    Fraeulein
    Muessen wir denn schoen sein?—Aber dass wir uns schoen glauben, war vielleicht notwendig.—Nein, wenn ich ihm, ihm nur schoen bin!— Franziska, wenn alle Maedchens so sind, wie ich mich jetzt fuehle, so sind wir—sonderbare Dinger.—Zaertlich und stolz, tugendhaft und eitel, wolluestig und fromm—Du wirst mich nicht verstehen. Ich verstehe mich wohl selbst nicht.—Die Freude macht drehend, wirblicht.—

    Franziska
    Fassen Sie sich, mein Fraeulein; ich hoere kommen—

    Fraeulein
    Mich fassen? Ich sollte ihn ruhig empfangen?


    8. Szene

    (v. Tellheim. Der Wirt. Die Vorigen.)

    Tellheim
    (tritt herein, und indem er sie erblickt, flieht er auf sie zu). Ah! meine Minna!—

    Fraeulein
    (ihm entgegenfliehend). Ah! mein Tellheim!—

    Tellheim
    (stutzt auf einmal und tritt wieder zurueck). Verzeihen Sie, gnaediges Fraeulein—das Fraeulein von Barnhelm hier zu finden—

    Fraeulein
    Kann Ihnen doch so gar unerwartet nicht sein?—(Indem sie ihm naeher tritt und er mehr zurueckweicht.) Verzeihen? Ich soll Ihnen verzeihen, dass ich noch Ihre Minna bin? Verzeih' Ihnen der Himmel, dass ich noch das Fraeulein von Barnhelm bin!—

    Tellheim
    Gnaediges Fraeulein—(Sieht starr auf den Wirt und zuckt die Schultern.)

    Fraeulein
    (wird den Wirt gewahr und winkt der Franziska). Mein Herr—

    Tellheim
    Wenn wir uns beiderseits nicht irren—Franziska. Je, Herr Wirt, wen bringen Sie uns denn da? Geschwind, kommen Sie, lassen Sie uns den Rechten suchen.

    Wirt
    Ist es nicht der Rechte? Ei ja doch!

    Franziska
    Ei nicht doch! Geschwind, kommen Sie; ich habe Ihrer Jungfer Tochter noch keinen guten Morgen gesagt.

    Wirt
    Oh! viel Ehre—(Doch ohne von der Stelle zu gehn.)

    Franziska
    (fasst ihn an). Kommen Sie, wir wollen den Kuechenzettel machen.— Lassen Sie sehen, was wir haben werden—

    Wirt
    Sie sollen haben, vors erste—

    Franziska
    Still, ja stille! Wenn das Fraeulein jetzt schon weiss, was sie zu Mittag speisen soll, so ist es um ihren Appetit geschehen. Kommen Sie, das muessen Sie mir allein sagen. (Fuehret ihn mit Gewalt ab.)


    9. Szene

    (v. Tellheim. Das Fraeulein)

    Fraeulein
    Nun? irren wir uns noch?

    Tellheim
    Dass es der Himmel wollte!—Aber es gibt nur eine, und Sie sind es.—

    Fraeulein
    Welche Umstaende! Was wir uns zu sagen haben, kann jedermann hoeren.

    Tellheim
    Sie hier? Was suchen Sie hier, gnaediges Fraeulein?

    Fraeulein
    Nichts suche ich mehr. (Mit offnen Armen auf ihn zugehend.) Alles, was ich suchte, habe ich gefunden.

    Tellheim
    (zurueckweichend). Sie suchten einen gluecklichen, einen Ihrer Liebe wuerdigen Mann, und finden—einen Elenden.

    Fraeulein
    So lieben Sie mich nicht mehr?—Und lieben eine andere?

    Tellheim
    Ah! der hat Sie nie geliebt, mein Fraeulein, der eine andere nach Ihnen lieben kann.

    Fraeulein
    Sie reissen nur einen Stachel aus meiner Seele.—Wenn ich Ihr Herz verloren habe, was liegt daran, ob mich Gleichgueltigkeit oder maechtigere Reize darum gebracht?—Sie lieben mich nicht mehr: und lieben auch keine andere?—Ungluecklicher Mann, wenn Sie gar nichts lieben!—

    Tellheim
    Recht, gnaediges Fraeulein; der Unglueckliche muss gar nichts lieben. Er verdient sein Unglueck, wenn er diesen Sieg nicht ueber sich selbst zu erhalten weiss; wenn er es sich gefallen lassen kann, dass die, welche er liebt, an seinem Unglueck Anteil nehmen duerfen.—Wie schwer ist dieser Sieg!—Seitdem mir Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen: was fuer Muehe habe ich angewandt! Eben wollte ich anfangen zu hoffen, dass diese Muehe nicht ewig vergebens sein wuerde:—und Sie erscheinen, mein Fraeulein!—

    Fraeulein
    Versteh ich Sie recht?—Halten Sie, mein Herr; lassen Sie sehen, wo wir sind, ehe wir uns weiter verirren!—Wollen Sie mir die einzige Frage beantworten?

    Tellheim
    Jede, mein Fraeulein—

    Fraeulein
    Wollen Sie mir auch ohne Wendung, ohne Winkelzug antworten? Mit nichts als einem trockenen Ja oder Nein?

    Tellheim
    Ich will es—wenn ich kann.

    Fraeulein
    Sie koennen es.—Gut: ohngeachtet der Muehe, die Sie angewendet, mich zu vergessen—lieben Sie mich noch, Tellheim?

    Tellheim
    Mein Fraeulein, diese Frage—

    Fraeulein
    Sie haben versprochen, mit nichts als Ja oder Nein zu antworten.

    Tellheim
    Und hinzugesetzt: wenn ich kann.

    Fraeulein
    Sie koennen; Sie muessen wissen, was in Ihrem Herzen vorgeht.—Lieben Sie mich noch, Tellheim?—Ja oder Nein.

    Tellheim
    Wenn mein Herz—

    Fraeulein
    Ja oder Nein!

    Tellheim
    Nun, Ja!

    Fraeulein
    Ja?

    Tellheim
    Ja, ja!—Allein—

    Fraeulein
    Geduld!—Sie lieben mich noch: genug fuer mich.—In was fuer einen Ton bin ich mit Ihnen gefallen! ein widriger, melancholischer, ansteckender Ton.—Ich nehme den meinigen wieder an.—Nun, mein lieber Ungluecklicher, Sie lieben mich noch und haben Ihre Minna noch und sind ungluecklich? Hoeren Sie doch, was Ihre Minna fuer ein eingebildetes, albernes Ding war—ist. Sie liess, sie lasst sich traeumen, Ihr ganzes Glueck sei sie.—Geschwind, kramen Sie Ihr Unglueck aus. Sie mag versuchen, wieviel sie dessen aufwiegt.—Nun?

    Tellheim
    Mein Fraeulein, ich bin nicht gewohnt zu klagen.

    Fraeulein
    Sehr wohl. Ich wuesste auch nicht, was mir an einem Soldaten, nach dem Prahlen, weniger gefiele als das Klagen. Aber es gibt eine gewisse kalte, nachlaessige Art, von seiner Tapferkeit und von seinem Ungluecke zu sprechen—

    Tellheim
    Die im Grunde doch auch geprahlt und geklagt ist.

    Fraeulein
    Oh, mein Rechthaber, so haetten Sie sich auch gar nicht ungluecklich nennen sollen.—Ganz geschwiegen oder ganz mit der Sprache heraus.— Eine Vernunft, eine Notwendigkeit, die Ihnen mich zu vergessen befiehlt?—Ich bin eine grosse Liebhaberin von Vernunft, ich habe sehr viel Ehrerbietung fuer die Notwendigkeit.—Aber lassen Sie doch hoeren, wie vernuenftig diese Vernunft, wie notwendig diese Notwendigkeit ist.

    Tellheim
    Wohl denn; so hoeren Sie, mein Fraeulein.—Sie nennen mich Tellheim; der Name trifft ein.—Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in Ihrem Vaterlande gekannt haben; der bluehende Mann, voller Ansprueche, voller Ruhmbegierde; der seines ganzen Koerpers, seiner ganzen Seele maechtig war, vor dem die Schranken der Ehre und des Glueckes eroeffnet standen, der Ihres Herzens und Ihrer Hand, wenn er schon Ihrer noch nicht wuerdig war, taeglich wuerdiger zu werden hoffen durfte.—Dieser Tellheim bin ich ebensowenig, als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen.—Ich bin Tellheim, der Verabschiedete, der an seiner Ehre Gekraenkte, der Krueppel, der Bettler.—Jenem, mein Fraeulein, versprachen Sie sich: wollen Sie diesem Wort halten?—

    Fraeulein
    Das klingt sehr tragisch!—Doch, mein Herr, bis ich jenen wiederfinde— in die Tellheims bin ich nun einmal vernarret—, dieser wird mir schon aus der Not helfen muessen.—Deine Hand, lieber Bettler! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)

    Tellheim
    (der die andere Hand mit dem Hute vor das Gesicht schlaegt und sich von ihr abwendet). Das ist zu viel!—Wo bin ich?—Lassen Sie mich, Fraeulein! Ihre Guete foltert mich!—Lassen Sie mich.

    Fraeulein
    Was ist Ihnen? Wo wollen Sie hin?

    Tellheim
    Von Ihnen!—

    Fraeulein
    Von mir? (Indem sie seine Hand an ihre Brust zieht.) Traeumer!

    Tellheim
    Die Verzweiflung wird mich tot zu Ihren Fuessen werfen.

    Fraeulein
    Von mir?

    Tellheim
    Von Ihnen.—Sie nie, nie wiederzusehen.—Oder doch so entschlossen, so fest entschlossen—keine Niedertraechtigkeit zu begehen—Sie keine Unbesonnenheit begehen zu lasen.—Lassen Sie mich, Minna! (Reisst sich los und ab.)

    Fraeulein
    (ihm nach). Minna Sie lasen? Tellheim! Tellheim!


    3. Akt


    1. Szene

    (Die Szene: Der Saal.) (Just, einen Brief in der Hand)

    Just
    Muss ich doch noch einmal in das verdammte Haus kommen!—Ein Briefchen von meinem Herrn an das gnaedige Fraeulein, das seine Schwester sein will.—Wenn sich nur da nichts anspinnt!—Sonst wird des Brieftragens kein Ende werden.—Ich waer es gern los, aber ich moechte auch nicht gern ins Zimmer hinein.—Das Frauenszeug fragt so viel, und ich antworte so ungern!—Ha, die Tuere geht auf. Wie gewuenscht! das Kammerkaetzchen!


    2. Szene

    (Franziska. Just)

    Franziska
    (zur Tuere herein, aus der sie koemmt). Sorgen Sie nicht; ich will schon aufpassen.—Sieh! (indem sie Justen gewahr wird) da stiesse mir ja gleich was auf. Aber mit dem Vieh ist nichts anzufangen.

    Just
    Ihr Diener, Jungfer—

    Franziska
    Ich wollte so einen Diener nicht—

    Just
    Nu, nu, verzeih Sie mir die Redensart!—Da bring ich ein Briefchen von meinem Herrn an Ihre Herrschaft, das gnaedige Fraeulein—Schwester.— War's nicht so? Schwester.

    Franziska
    Geb Er her! (Reisst ihm den Brief aus der Hand.)

    Just
    Sie soll so gut sein, laesst mein Herr bitten, und es uebergeben. Hernach soll Sie so gut sein, laesst mein Herr bitten—dass Sie nicht etwa denkt, ich bitte was!—

    Franziska
    Nun denn?

    Just
    Mein Herr versteht den Rummel. Er weiss, dass der Weg zu den Fraeuleins durch die Kammermaedchen geht:—bild ich mir ein!—Die Jungfer soll also so gut sein—laesst mein Herr bitten—und ihm sagen lassen, ob er nicht das Vergnuegen haben koennte, die Jungfer auf ein Viertelstuendchen zu sprechen.

    Franziska
    Mich?

    Just
    Verzeih Sie mir, wenn ich Ihr einen unrechten Titel gebe.—Ja, Sie!— Nur auf ein Viertelstuendchen; aber allein, ganz allein, insgeheim, unter vier Augen. Er haette Ihr was sehr Notwendiges zu sagen.

    Franziska
    Gut! ich habe ihm auch viel zu sagen.—Er kann nur kommen, ich werde zu seinem Befehle sein.

    Just
    Aber, wenn kann er kommen? Wenn ist es Ihr am gelegensten, Jungfer? So in der Daemmerung?—

    Franziska
    Wie meint Er das?—Sein Herr kann kommen, wenn er will—und damit packe Er sich nur!

    Just
    Herzlich gern! (Will fortgehen.)

    Franziska
    Hoer Er doch; noch auf ein Wort.—Wo sind denn die andern Bedienten des Majors?

    Just
    Die andern? Dahin, dorthin, ueberallhin.

    Franziska
    Wo ist Wilhelm?

    Just
    Der Kammerdiener? den laesst der Major reisen.

    Franziska
    So? Und Philipp, wo ist der?

    Just
    Der Jaeger? den hat der Herr aufzuheben gegeben.

    Franziska
    Weil er jetzt keine Jagd hat, ohne Zweifel.—Aber Martin?

    Just
    Der Kutscher? der ist weggeritten.

    Franziska
    Und Fritz?

    Just
    Der Laeufer? der ist avanciert.

    Franziska
    Wo war Er denn, als der Major bei uns in Thueringen im Winterquartiere stand? Er war wohl noch nicht bei ihm?

    Just
    O ja, ich war Reitknecht bei ihm, aber ich lag im Lazarett.

    Franziska
    Reitknecht? Und jetzt is Er?

    Just
    Alles in allem; Kammerdiener und Jaeger, Laeufer und Reitknecht.

    Franziska
    Das muss ich gestehen! So viele gute, tuechtige Leute von sich zu lassen und gerade den Allerschlechtesten zu behalten! Ich moechte doch wissen, was Sein Herr an Ihm faende!

    Just
    Vielleicht findet er, dass ich ein ehrlicher Kerl bin.

    Franziska
    Oh, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist als ehrlich.—Wilhelm war ein andrer Mensch—Reisen laesst ihn der Herr?

    Just
    Ja, er laesst ihn—da er's nicht hindern kann.

    Franziska
    Wie?

    Just
    Oh, Wilhelm wird sich alle Ehre auf seinen Reisen machen. Er hat des Herrn ganze Garderobe mit.

    Franziska
    Was? Er ist doch nicht damit durchgegangen?

    Just
    Das kann man nun eben nicht sagen; sondern als wir von Nuernberg weggingen, ist er uns nur nicht damit nachgekommen.

    Franziska
    Oh, der Spitzbube!

    Just
    Es war ein ganzer Mensch! Er konnte frisieren und rasieren und parlieren—und scharmieren—Nicht wahr?

    Franziska
    Sonach haette ich den Jaeger nicht von mir getan, wenn ich wie der Major gewesen waere. Konnte er ihn schon nicht als Jaeger nuetzen, so war es doch sonst ein tuechtiger Bursche.—Wem hat er ihn denn aufzuheben gegeben?

    Just
    Dem Kommandanten von Spandau.

    Franziska
    Der Festung? Die Jagd auf den Waellen kann doch da auch nicht gross sein.

    Just
    Oh, Philipp jagt auch da nicht.

    Franziska
    Was tut er denn?

    Just
    Er karrt.

    Franziska
    Er karrt?

    Just
    Aber nur auf drei Jahr. Er machte ein kleines Komplott unter des Herrn Kompanie und wollte sechs Mann durch die Vorposten bringen.—

    Franziska
    Ich erstaune, der Boesewicht!

    Just
    Oh, es ist ein tuechtiger Kerl! Ein Jaeger, der funfzig Meilen in der Runde durch Waelder und Moraeste alle Fusssteige, alle Schleifwege kennt. Und schiessen kann er!

    Franziska
    Gut, dass der Major nur noch den braven Kutscher hat!

    Just
    Hat er ihn noch?

    Franziska
    Ich denke, Er sagte, Martin waere weggeritten? So wird er doch wohl wiederkommen?

    Just
    Meint Sie?

    Franziska
    Wo ist er denn hingeritten?

    Just
    Es geht nun in die zehnte Woche, da ritt er mit des Herrn einzigem und letztem Reitpferde—nach der Schwemme.

    Franziska
    Und ist noch nicht wieder da? Oh, der Galgenstrick!

    Just
    Die Schwemme kann den braven Kutscher auch wohl verschwemmt haben!—Es war gar ein rechter Kutscher! Er hatte in Wien zehn Jahre gefahren. So einen kriegt der Herr gar nicht wieder. Wenn die Pferde im vollen Rennen waren, so durfte er nur machen: “Burr!” und auf einmal standen sie wie die Mauern. Dabei war er ein ausgelernter Rossarzt!

    Franziska
    Nun ist mir fuer das Avancement des Laeufers bange.

    Just
    Nein, nein, damit hat's seine Richtigkeit. Er ist Trommelschlaeger bei einem Garnisonregimente geworden.

    Franziska
    Dacht ich's doch!

    Just
    Fritz hing sich an ein liederliches Mensch, kam des Nachts niemals nach Hause, machte auf des Herrn Namen ueberall Schulden und tausend infame Streiche. Kurz, der Major sahe, dass er mit aller Gewalt hoeher wollte: (das Haengen pantomimisch anzeigend) er brachte ihn also auf guten Weg.

    Franziska
    Oh, der Bube!

    Just
    Aber ein perfekter Laeufer ist er, das ist gewiss. Wenn ihm der Herr funfzig Schritte vorgab, so konnte er ihn mit seinem besten Renner nicht einholen. Fritz hingegen kann dem Galgen tausend Schritte vorgeben und, ich wette mein Leben, er holt ihn ein.—Es waren wohl alles Ihre guten Freunde, Jungfer? Der Wilhelm und der Philipp, der Martin und der Fritz?—Nun, Just empfiehlt sich! (Geht ab.)


    3. Szene

    (Franziska und hernach der Wirt.)

    Franziska
    (die ihm ernsthaft nachsieht). Ich verdiene den Biss!—Ich bedanke mich, Just. Ich setzte die Ehrlichkeit zu tief herab. Ich will die Lehre nicht vergessen.—Ah! der unglueckliche Mann! (Kehrt sich um und will nach dem Zimmer des Fraeuleins gehen, indem der Wirt koemmt.)

    Wirt
    Warte Sie doch, mein schoenes Kind.

    Franziska
    Ich habe jetzt nicht Zeit, Herr Wirt—

    Wirt
    Nun ein kleines Augenblickchen!—Noch keine Nachricht weiter von dem Herrn Major? Das konnte doch unmoeglich sein Abschied sein!—

    Franziska
    Was denn?

    Wirt
    Hat es Ihr das gnaedige Fraeulein nicht erzaehlt?—Als ich Sie, mein schoenes Kind, unten in der Kueche verliess, so kam ich von ungefaehr wieder hier in den Saal—

    Franziska
    Von ungefaehr, in der Absicht, ein wenig zu horchen.

    Wirt
    Ei, mein Kind, wie kann Sie das von mir denken? Einem Wirte laesst nichts uebler als Neugierde.—Ich war nicht lange hier, so prellte auf einmal die Tuere bei dem gnaedigen Fraeulein auf. Der Major stuerzte heraus, das Fraeulein ihm nach, beide in einer Bewegung, mit Blicken, in einer Stellung—so was laesst sich nur sehen. Sie ergriff ihn, er riss sich los, sie ergriff ihn wieder. “Tellheim!”—Fraeulein, lassen Sie mich!”—“Wohin?”—So zog er sie bis an die Treppe. Mir war schon bange, er wuerde sie mit herabreissen. Aber er wand sich noch los. Das Fraeulein blieb an der obersten Schwelle stehn, sah ihm nach, rief ihm nach, rang die Haende. Auf einmal wandte sie sich um, lief nach dem Fenster, von dem Fenster wieder zur Treppe, von der Treppe in dem Saale hin und wider. Hier stand ich, hier ging sie dreimal bei mir vorbei, ohne mich zu sehen. Endlich war es, als ob sie mich saehe, aber, Gott sei bei uns! ich glaube, das Fraeulein sahe mich fuer Sie an, mein Kind. “Franziska", rief sie, die Augen auf mich gerichtet, “bin ich nun gluecklich?” Darauf sahe sie steif an die Decke und wiederum: “Bin ich nun gluecklich?” Darauf wischte sie sich Traenen aus dem Auge und laechelte und fragte mich wiederum: “Franziska, bin ich nun gluecklich?”—Wahrhaftig, ich wusste nicht, wie mir war. Bis sie nach ihrer Tuere lief, da kehrte sie sich nochmals nach mir um: “So komm doch, Franziska; wer jammert dich nun?”—Und damit hinein.

    Franziska
    Oh, Herr Wirt, das hat Ihnen getraeumt.

    Wirt
    Getraeumt? Nein, mein schoenes Kind, so umstaendlich traeumt man nicht.— Ja, ich wollte wieviel drum geben—ich bin nicht neugierig—aber ich wollte wieviel drum geben, wenn ich den Schluessel dazu haette.

    Franziska
    Den Schluessel? zu unsrer Tuere? Herr Wirt, der steckt innerhalb; wir haben ihn zur Nacht hereingezogen; wir sind furchtsam.

    Wirt
    Nicht so einen Schluessel; ich will sagen, mein schoenes Kind, den Schluessel, die Auslegung gleichsam, so den eigentlichen Zusammenhang von dem, was ich gesehen.—

    Franziska
    Ja so!—Nun, adieu, Herr Wirt. Werden wir bald essen, Herr Wirt?

    Wirt
    Mein schoenes Kind, nicht zu vergessen, was ich eigentlich sagen wollte.

    Franziska
    Nun? aber nur kurz—

    Wirt
    Das gnaedige Fraeulein hat noch meinen Ring; ich nenne ihn meinen—

    Franziska
    Er soll Ihnen unverloren sein.

    Wirt
    Ich trage darum auch keine Sorge; ich will's nur erinnern, sieht Sie, ich will ihn gar nicht einmal wiederhaben. Ich kann mir doch wohl an den Fingern abzaehlen, woher sie den Ring kannte, und woher er dem ihrigen so aehnlich sah. Er ist in ihren Haenden am besten aufgehoben. Ich mag ihn gar nicht mehr und will indes die hundert Pistolen, die ich darauf gegeben habe, auf des gnaedigen Fraeuleins Rechnung setzen. Nicht so recht, mein schoenes Kind?


    4. Szene

    (Paul Werner. Der Wirt. Franziska.)

    Werner
    Da ist er ja!

    Franziska
    Hundert Pistolen? Ich meinte, nur achtzig.

    Wirt
    Es ist wahr, nur neunzig, nur neunzig. Das will ich tun, mein schoenes Kind, das will ich tun.

    Franziska
    Alles das wird sich finden, Herr Wirt.

    Werner
    (der ihnen hinterwaerts naeher koemmt und auf einmal der Franziska auf die Schulter klopft). Frauenzimmerchen! Frauenzimmerchen!

    Franziska
    (erschrickt). He!

    Werner
    Erschrecke Sie nicht!—Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, ich sehe, Sie ist huebsch und ist wohl gar fremd—Und huebsche fremde Leute muessen gewarnet werden—Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, nehm Sie sich vor dem Manne in acht! (Auf den Wirt zeigend.)

    Wirt
    Je, unvermutete Freude! Herr Paul Werner! Willkommen bei uns, willkommen!—Ah, es ist doch immer noch der lustige, spasshafte, ehrliche Werner!—Sie soll sich vor mir in acht nehmen, mein schoenes Kind! Ha, ha, ha!

    Werner
    Geh Sie ihm ueberall aus dem Wege!

    Wirt
    Mir! mir!—Bin ich denn so gefaehrlich?—Ha, ha, ha! Hoer' Sie doch, mein schoenes Kind! Wie gefaellt Ihr der Spass?

    Werner
    Dass es doch immer Seinesgleichen fuer Spass erklaeren, wenn man ihnen die Wahrheit sagt.

    Wirt
    Die Wahrheit! ha, ha, ha!—Nicht wahr, mein schoenes Kind, immer besser! Der Mann kann spassen! Ich gefaehrlich?—ich?—So vor zwanzig Jahren war was dran. Ja, ja, mein schoenes Kind, da war ich gefaehrlich; da wusste manche davon zu sagen; aber jetzt—

    Werner
    Oh, ueber den alten Narrn!

    Wirt
    Da steckt's eben! Wenn wir alt werden, ist es mit unsrer Gefaehrlichkeit aus. Es wird Ihm auch nicht besser gehen, Herr Werner!

    Werner
    Potz Geck und kein Ende!—Frauenzimmerchen, so viel Verstand wird Sie mir wohl zutrauen, dass ich von der Gefaehrlichkeit nicht rede. Der eine Teufel hat ihn verlassen, aber es sind dafuer sieben andre in ihn gefahren—

    Wirt
    Oh, hoer Sie doch, hoer Sie doch! Wie er das nun wieder so herumzubringen weiss!—Spass ueber Spass und immer was Neues! Oh, es ist ein vortrefflicher Mann, der Herr Paul Werner!—(Zur Franziska, als ins Ohr.) Ein wohlhabender Mann und noch ledig. Er hat drei Meilen von hier ein schoenes Freischulzengerichte. Der hat Beute gemacht im Kriege!—Und ist Wachtmeister bei unserm Herrn Major gewesen. Oh, das ist ein Freund von unserm Herrn Major! das ist ein Freund! der sich fuer ihn totschlagen liesse!—

    Werner
    Ja! und das ist ein Freund von meinem Major! das ist ein Freund!— den der Major sollte totschlagen lassen.

    Wirt
    Wie? was?—Nein, Herr Werner, das ist nicht guter Spass.—Ich kein Freund vom Herrn Major?—Nein, den Spass versteh ich nicht.

    Werner
    Just hat mir schoene Dinge erzaehlt.

    Wirt
    Just? Ich dacht's wohl, dass Just durch Sie spraeche. Just ist ein boeser, garstiger Mensch. Aber hier ist ein schoenes Kind zur Stelle; das kann reden; das mag sagen, ob ich kein Freund von dem Herrn Major bin? Ob ich ihm keine Dienste erwiesen habe? Und warum sollte ich nicht sein Freund sein? Ist er nicht ein verdienter Mann? Es ist wahr, er hat das Unglueck gehabt, abgedankt zu werden: aber was tut das? Der Koenig kann nicht alle verdiente Maenner kennen, und wenn er sie auch alle kennte, so kann er sie nicht alle belohnen.

    Werner
    Das heisst Ihn Gott sprechen!—Aber Just—freilich ist an Justen auch nicht viel Besonders, doch ein Luegner ist Just nicht; und wenn das wahr waere, was er mir gesagt hat—

    Wirt
    Ich will von Justen nichts hoeren! Wie gesagt: das schoene Kind hier mag sprechen! (Zu ihr ins Ohr.) Sie weiss, mein Kind, den Ring!— Erzaehl' Sie es doch Herrn Wernern. Da wird er mich besser kennenlernen. Und damit es nicht herauskoemmt, als ob Sie mir nur zu Gefallen rede, so will ich nicht einmal dabei sein. Ich will nicht dabei sein; ich will gehn; aber Sie sollen mir es wiedersagen, Herr Werner, Sie sollen mir es wiedersagen, ob Just nicht ein garstiger Verleumder ist.


    5. Szene

    (Paul Werner. Franziska)

    Werner
    Frauenzimmerchen, kennt Sie denn meinen Major?

    Franziska
    Den Major von Tellheim? Jawohl kenn ich den braven Mann.

    Werner
    Ist es nicht ein braver Mann? Ist Sie dem Manne wohl gut?—

    Franziska
    Vom Grund meines Herzens.

    Werner
    Wahrhaftig? Sieht Sie, Frauenzimmerchen; nun koemmt Sie mir noch einmal so schoen vor.—Aber was sind denn das fuer Dienste, die der Wirt unserm Major will erwiesen haben?

    Franziska
    Ich wuesste eben nicht; es waere denn, dass er sich das Gute zuschreiben wollte, welches gluecklicherweise aus seinem schurkischen Betragen entstanden.

    Werner
    So waere es ja wahr, was mir Just gesagt hat?—(Gegen die Seite, wo der Wirt abgegangen.) Dein Glueck, dass du gegangen bist!—Er hat ihm wirklich die Zimmer ausgeraeumt?—So einem Manne so einen Streich zu spielen, weil sich das Eselsgehirn einbildet, dass der Mann kein Geld mehr habe! Der Major kein Geld?

    Franziska
    So? Hat der Major Geld?

    Werner
    Wie Heu! Er weiss nicht, wieviel er hat. Er weiss nicht, wer ihm alles schuldig ist. Ich bin ihm selber schuldig und bringe ihm hier ein altes Restchen. Sieht Sie, Frauenzimmerchen, hier in diesem Beutelchen (das er aus der einen Tasche zieht) sind hundert Louisdor und in diesem Roellchen (das er aus der andern zieht) hundert Dukaten. Alles sein Geld!

    Franziska
    Wahrhaftig? Aber warum versetzt denn der Major? Er hat ja einen Ring versetzt—

    Werner
    Versetzt! Glaub Sie doch so was nicht. Vielleicht, dass er den Bettel hat gern wollen los sein.

    Franziska
    Es ist kein Bettel! Es ist ein sehr kostbarer Ring, den er wohl noch dazu von lieben Haenden hat.

    Werner
    Das wird's auch sein. Von lieben Haenden; ja, ja! So was erinnert einen manchmal, woran man nicht gern erinnert sein will. Drum schafft man's aus den Augen.

    Franziska
    Wie?

    Werner
    Dem Soldaten geht's in Winterquartieren wunderlich. Da hat er nichts zu tun und pflegt sich und macht vor langer Weile Bekanntschaften, die er nur auf den Winter meinet und die das gute Herz, mit dem er sie macht, fuer zeitlebens annimmt. Husch ist ihm denn ein Ringelchen an den Finger praktiziert; er weiss selbst nicht, wie es dran koemmt. Und nicht selten gaeb' er gern den Finger mit drum, wenn er es nur wieder loswerden koennte.

    Franziska
    Ei! und sollte es dem Major auch so gegangen sein?

    Werner
    Ganz gewiss. Besonders in Sachsen; wenn er zehn Finger an jeder Hand gehabt haette, er haette sie alle zwanzig voller Ringe gekriegt.

    Franziska
    (beiseite). Das klingt ja ganz besonders und verdient untersucht zu werden.—Herr Freischulze oder Herr Wachmeister—

    Werner
    Frauenzimmerchen, wenn's Ihr nichts verschlaegt:—Herr Wachtmeister, hoere ich am liebsten.

    Franziska
    Nun, Herr Wachtmeister, hier habe ich ein Briefchen von dem Herrn Major an meine Herrschaft. Ich will es nur geschwind hereintragen und bin gleich wieder da. Will Er wohl so gut sein und so lange hier warten? Ich moechte gar zu gern mehr mit Ihm plaudern.

    Werner
    Plaudert Sie gern, Frauenzimmerchen? Nun meinetwegen: geh Sie nur; ich plaudre auch gern; ich will warten.

    Franziska
    Oh, warte Er doch ja! (Geht ab.)


    6. Szene

    (Paul Werner.)

    Werner
    Das ist kein unebenes Frauenzimmerchen!—Aber ich haette ihr doch nicht versprechen sollen zu warten.—Denn das Wichtigste waere wohl, ich suchte den Major auf.—Er will mein Geld nicht und versetzt lieber?— Daran kenn ich ihn.—Es faellt mir ein Schneller ein.—Als ich vor vierzehn Tagen in der Stadt war, besuchte ich die Rittmeisterin Marloff. Das arme Weib lag krank und jammerte, dass ihr Mann dem Major vierhundert Taler schuldig geblieben waere, die sie nicht wuesste, wie sie sie bezahlen sollte. Heute wollte ich sie wieder besuchen—ich wollte ihr sagen, wenn ich das Geld fuer mein Guetchen ausgezahlt kriegte, dass ich ihr fuenfhundert Taler leihen koennte.—Denn ich muss ja wohl was davon in Sicherheit bringen, wenn's in Persien nicht geht.— Aber sie war ueber alle Berge. Und ganz gewiss wird sie dem Major nicht haben bezahlen koennen.—Ja, so will ich's machen; und das je eher, je lieber.—Das Frauenzimmerchen mag mir's nicht uebelnehmen; ich kann nicht warten. (Geht in Gedanken ab und stoesst fast auf den Major, der ihm entgegenkoemmt.)


    7. Szene

    (v. Tellheim. Paul Werner)

    Tellheim
    So in Gedanken, Werner?

    Werner
    Da sind Sie ja! ich wollte eben gehen und Sie in Ihrem neuen Quartiere besuchen, Herr Major.

    Tellheim
    Um mir auf den Wirt des alten die Ohren vollzufluchen. Gedenke mir nicht daran.

    Werner
    Das haette ich beiher getan; ja. Aber eigentlich wollte ich mich nur bei Ihnen bedanken, dass Sie so gut gewesen und mir die hundert Louisdor aufgehoben. Just hat mir sie wiedergegeben. Es waere mir wohl freilich lieb, wenn Sie mir sie noch laenger aufheben koennten. Aber Sie sind in ein neu Quartier gezogen, das weder Sie noch ich kennen. Wer weiss, wie's da ist. Sie koennten Ihnen da gestohlen werden, und Sie muessten mir sie ersetzen; da huelfe nichts davor. Also kann ich's Ihnen freilich nicht zumuten.

    Tellheim
    (laechelnd). Seit wenn bist du so vorsichtig, Werner?

    Werner
    Es lernt sich wohl. Man kann heutezutage mit seinem Gelde nicht vorsichtig genug sein.—Darnach hatte ich noch was an Sie zu bestellen, Herr Major; von der Rittmeisterin Marloff; ich kam eben von ihr her. Ihr Mann ist Ihnen ja vierhundert Taler schuldig geblieben; hier schickt sie Ihnen auf Abschlag hundert Dukaten. Das uebrige will sie kuenftige Woche schicken. Ich mochte wohl selber Ursache sein, dass sie die Summe nicht ganz schickt. Denn sie war mir auch ein Taler achtzig schuldig; und weil sie dachte, ich waere gekommen, sie zu mahnen—wie's denn auch wohl wahr war—, so gab sie mir sie und gab sie mir aus dem Roellchen, das sie fuer Sie schon zurechtgelegt hatte.—Sie koennen auch schon eher Ihre hundert Taler ein acht Tage noch missen als ich meine paar Groschen.—Da nehmen Sie doch! (Reicht ihm die Rolle Dukaten.)

    Tellheim
    Werner!

    Werner
    Nun? Warum sehen Sie mich so starr an?—So nehmen Sie doch, Herr Major!—

    Tellheim
    Werner!

    Werner
    Was fehlt Ihnen? Was aergert Sie?

    Tellheim
    (bitter, indem er sich vor die Stirne schlaegt und mit dem Fusse auftritt). Dass es—die vierhundert Taler nicht ganz sind!

    Werner
    Nun, nun, Herr Major! Haben Sie mich denn nicht verstanden?

    Tellheim
    Eben weil ich dich verstanden habe!—Dass mich doch die besten Menschen heut am meisten quaelen muessen!

    Werner
    Was sagen Sie?

    Tellheim
    Es geht dich nur zur Haelfte an!—Geh, Werner! (Indem er die Hand, mit der ihm Werner die Dukaten reichet, zurueckstoesst.)

    Werner
    Sobald ich das los bin!

    Tellheim
    Werner, wenn du nun von mir hoerst, dass die Marloffin heute ganz frueh selbst bei mir gewesen ist?

    Werner
    So?

    Tellheim
    Dass sie mir nichts mehr schuldig ist?

    Werner
    Wahrhaftig?

    Tellheim
    Dass sie mich bei Heller und Pfennig bezahlt hat: was wirst du denn sagen?

    Werner
    (der sich einen Augenblick besinnt). Ich werde sagen, dass ich gelogen habe, und dass es eine hundsfoett'sche Sache ums Luegen ist, weil man drueber ertappt werden kann.

    Tellheim
    Und wirst dich schaemen? Aber er, der mich so zu luegen zwingt, was sollte der? Sollte der sich nicht auch schaemen? Sehen Sie, Herr Major, wenn ich sagte, dass mich Ihr Verfahren nicht verdroesse, so haette ich wieder gelogen, und ich will nicht mehr luegen.—

    Tellheim
    Sei nicht verdriesslich, Werner! Ich erkenne dein Herz und deine Liebe zu mir. Aber ich brauche dein Geld nicht.

    Werner
    Sie brauchen es nicht? Und verkaufen lieber und versetzen lieber und bringen sich lieber in der Leute Maeuler?

    Tellheim
    Die Leute moegen es immer wissen, dass ich nichts mehr habe. Man muss nicht reicher scheinen wollen, als man ist.

    Werner
    Aber warum aermer?—Wir haben, solange unser Freund hat.

    Tellheim
    Es ziemt sich nicht, dass ich dein Schuldner bin.

    Werner
    Ziemt sich nicht?—Wenn an einem heissen Tage, den uns die Sonne und der Feind heiss machte, sich Ihr Reitknecht mit den Kantinen verloren hatte, und Sie zu mir kamen und sagten: “Werner, hast du nichts zu trinken?” und ich Ihnen meine Feldflasche reichte, nicht wahr, Sie nahmen und tranken?—Ziemte sich das?—Bei meiner armen Seele, wenn ein Trunk faules Wasser damals nicht oft mehr wert war als alle der Quark! (Indem er auch den Beutel mit den Louisdoren herauszieht und ihm beides hinreicht.) Nehmen Sie, lieber Major! Bilden Sie sich ein, es ist Wasser. Auch das hat Gott fuer alle geschaffen.

    Tellheim
    Du marterst mich; du hoerst es ja, ich will dein Schuldner nicht sein.

    Werner
    Erst ziemte es sich nicht; nun wollen Sie nicht? Ja, das ist was anders. (Etwas aergerlich.) Sie wollen mein Schuldner nicht sein? Wenn Sie es denn aber schon waeren, Herr Major? Oder sind Sie dem Manne nichts schuldig, der einmal den Hieb auffing, der Ihnen den Kopf spalten sollte, und ein andermal den Arm vom Rumpfe hieb, der eben losdruecken und Ihnen die Kugel durch die Brust jagen wollte?—Was koennen Sie diesem Manne mehr schuldig werden? Oder hat es mit meinem Halse weniger zu sagen als mit meinem Beutel?—Wenn das vornehm gedacht ist, bei meiner armen Seele, so ist es auch sehr abgeschmackt gedacht!

    Tellheim
    Mit wem sprichst du so, Werner? Wir sind allein; jetzt darf ich es sagen; wenn uns ein Dritter hoerte, so waere es Windbeutelei. Ich bekenne es mit Vergnuegen, dass ich dir zweimal mein Leben zu danken habe. Aber, Freund, woran fehlte mir es, dass ich bei Gelegenheit nicht ebensoviel fuer dich wuerde getan haben? He!

    Werner
    Nur an der Gelegenheit! Wer hat daran gezweifelt, Herr Major? Habe ich Sie nicht hundertmal fuer den gemeinsten Soldaten, wenn er ins Gedraenge gekommen war, Ihr Leben wagen sehen?

    Tellheim
    Also!

    Werner
    Aber—

    Tellheim
    Warum verstehst du mich nicht recht? Ich sage: es ziemt sich nicht, dass ich dein Schuldner bin; ich will dein Schuldner nicht sein. Naemlich in den Umstaenden nicht, in welchen ich mich jetzt befinde.

    Werner
    So, so! Sie wollen es versparen bis auf bessre Zeiten; Sie wollen ein andermal Geld von mir borgen, wenn Sie keines brauchen, wenn Sie selbst welches haben und ich vielleicht keines.

    Tellheim
    Man muss nicht borgen, wenn man nicht widerzugeben weiss.

    Werner
    Einem Manne wie Sie kann es nicht immer fehlen.

    Tellheim
    Du kennst die Welt!—Am wenigsten muss man sodann von einem borgen, der sein Geld selbst braucht.

    Werner
    O ja, so einer bin ich! Wozu braucht' ich's denn?—Wo man einen Wachtmeister noetig hat, gibt man ihm auch zu leben.

    Tellheim
    Du brauchst es, mehr als Wachtmeister zu werden, dich auf einer Bahn weiterzubringen, auf der ohne Geld auch der Wuerdigste zurueckbleiben kann.

    Werner
    Mehr als Wachtmeister zu werden? Daran denke ich nicht. Ich bin ein guter Wachtmeister und duerfte leicht ein schlechter Rittmeister und sicherlich noch ein schlechtrer General werden. Die Erfahrung hat man.

    Tellheim
    Mache nicht, dass ich etwas Unrechtes von dir denken muss, Werner! Ich habe es nicht gern gehoert, was mir Just gesagt hat. Du hast dein Gut verkauft und willst wieder herumschwaermen. Lass mich nicht von dir glauben, dass du nicht sowohl das Metier als die wilde, liederliche Lebensart liebest, die ungluecklicherweise damit verbunden ist. Man muss Soldat sein fuer sein Land oder aus Liebe zu der Sache, fuer die gefochten wird. Ohne Absicht heute hier, morgen da dienen, heisst wie ein Fleischerknecht reisen, weiter nichts.

    Werner
    Nun ja doch, Herr Major, ich will Ihnen folgen. Sie wissen besser, was sich gehoert. Ich will bei Ihnen bleiben.—Aber, lieber Major, nehmen Sie doch auch derweile mein Geld. Heut oder morgen muss Ihre Sache aus sein. Sie muessen Geld die Menge bekommen. Sie sollen mir es sodann mit Interessen wiedergeben. Ich tu es ja nur der Interessen wegen.

    Tellheim
    Schweig davon!

    Werner
    Bei meiner armen Seele, ich tu es nur der Interessen wegen!—Wenn ich manchmal dachte: Wie wird es mit dir aufs Alter werden? wenn du zuschanden gehauen bist? wenn du nichts haben wirst? wenn du wirst betteln gehen muessen? so dachte ich wieder: Nein, du wirst nicht betteln gehn; du wirst zum Major Tellheim gehn; der wird seinen letzten Pfennig mit dir teilen; der wird dich zu Tode fuettern; bei dem wirst du als ein ehrlicher Kerl sterben koennen.

    Tellheim
    (indem er Werners Hand ergreift). Und, Kamerad, das denkst du nicht noch?

    Werner
    Nein, das denk ich nicht mehr.—Wer von mir nichts nehmen will, wenn er's bedarf, und ich's habe, der will mir auch nichts geben, wenn er's hat, und ich's bedarf.—Schon gut! (Will gehen.)

    Tellheim
    Mensch, mache mich nicht rasend! Wo willst du hin? (Haelt ihn zurueck.) Wenn ich dich nun auf meine Ehre versichere, dass ich noch Geld habe; wenn ich dir auf meine Ehre verspreche, dass ich dir es sagen will, wenn ich keines mehr habe; dass du der erste und einzige sein sollst, bei dem ich mir etwas borgen will:—bist du dann zufrieden?

    Werner
    Muss ich nicht?—Geben Sie mir die Hand darauf, Herr Major.

    Tellheim
    Da, Paul!—Und nun genug davon. Ich kam hieher, um ein gewisses Maedchen zu sprechen—


    8. Szene

    (Franziska, aus dem Zimmer des Fraeuleins. v. Tellheim. Paul Werner.)

    Franziska
    (im Hereintreten). Sind Sie noch da, Herr Wachtmeister?—(Indem sie den Tellheim gewahr wird.) Und Sie sind auch da, Herr Major?—Den Augenblick bin ich zu Ihren Diensten. (Geht geschwind wieder in das Zimmer.)


    9. Szene

    (v. Tellheim. Paul Werner.)

    Tellheim
    Das war sie!—Aber ich hoere ja, du kennst sie, Werner?

    Werner
    Ja, ich kenne das Frauenzimmerchen.—

    Tellheim
    Gleichwohl, wenn ich mich recht erinnere, als ich in Thueringen Winterquartier hatte, warst du nicht bei mir?

    Werner
    Nein, da besorgte ich in Leipzig Mundierungsstuecke.

    Tellheim
    Woher kennst du sie denn also?

    Werner
    Unsere Bekanntschaft ist noch blutjung. Sie ist von heute. Aber junge Bekanntschaft ist warm.

    Tellheim
    Also hast du ihr Fraeulein wohl auch schon gesehen?

    Werner
    Ist ihre Herrschaft ein Fraeulein? Sie hat mir gesagt, Sie kennten ihre Herrschaft.

    Tellheim
    Hoerst du nicht? aus Thueringen her.

    Werner
    Ist das Fraeulein jung?

    Tellheim
    Ja.

    Werner
    Schoen?

    Tellheim
    Sehr schoen.

    Werner
    Reich?

    Tellheim
    Sehr reich.

    Werner
    Ist Ihnen das Fraeulein auch so gut wie das Maedchen? Das waere ja vortrefflich!

    Tellheim
    Wie meinst du?


    10. Szene

    (Franziska wieder heraus, mit einem Brief in der Hand. v Tellheim. Paul Werner.)

    Franziska
    Herr Major—

    Tellheim
    Liebe Franziska, ich habe dich noch nicht willkommen heissen koennen.

    Franziska
    In Gedanken werden Sie es doch schon getan haben. Ich weiss, Sie sind mir gut. Ich Ihnen auch. Aber das ist gar nicht artig, dass Sie Leute, die Ihnen gut sind, so aengstigen.

    Werner
    (vor sich). Ha, nun merk ich. Es ist richtig!

    Tellheim
    Mein Schicksal, Franziska!—Hast du ihr den Brief uebergeben?

    Franziska
    Ja, und hier uebergebe ich Ihnen—(Reicht ihm den Brief.)

    Tellheim
    Eine Antwort?—

    Franziska
    Nein, Ihren eignen Brief wieder.

    Tellheim
    Was? Sie will ihn nicht lesen?

    Franziska
    Sie wollte wohl, aber—wir koennen Geschriebenes nicht gut lesen.

    Tellheim
    Schaekerin!

    Franziska
    Und wir denken, dass das Briefschreiben fuer die nicht erfunden ist, die sich muendlich miteinander unterhalten koennen, sobald sie wollen.

    Tellheim
    Welcher Vorwand! Sie muss ihn lesen. Er enthaelt meine Rechtfertigung— alle die Gruende und Ursachen—

    Franziska
    Die will das Fraeulein von Ihnen selbst hoeren, nicht lesen.

    Tellheim
    Von mir selbst hoeren? Damit mich jedes Wort, jede Miene von ihr verwirre; damit ich in jedem ihrer Blicke die ganze Groesse meines Verlusts empfinde?—

    Franziska
    Ohne Barmherzigkeit!—Nehmen Sie! (Sie gibt ihm den Brief.) Sie erwartet Sie um drei Uhr. Sie will ausfahren und die Stadt besehen. Sie sollen mit ihr fahren?

    Tellheim
    Mit ihr fahren?

    Franziska
    Und was geben Sie mir, so lass ich Sie beide ganz allein fahren? Ich will zu Hause bleiben.

    Tellheim
    Ganz allein?

    Franziska
    In einem schoenen verschlossnen Wagen.

    Tellheim
    Unmoeglich!

    Franziska
    Ja, ja; im Wagen muss der Herr Major Katz aushalten; da kann er uns nicht entwischen. Darum geschieht es eben.—Kurz, Sie kommen, Herr Major; und Punkte drei.—Nun? Sie wollten mich ja auch allein sprechen. Was haben Sie mir denn zu sagen?—Ja so, wir sind nicht allein. (Indem sie Wernern ansieht.)

    Tellheim
    Doch, Franziska, wir waeren allein. Aber da das Fraeulein den Brief nicht gelesen hat, so habe ich dir noch nichts zu sagen.

    Franziska
    So? waeren wir doch allein? Sie haben vor dem Herrn Wachtmeister keine Geheimnisse?

    Tellheim
    Nein, keine.

    Franziska
    Gleichwohl, duenkt mich, sollten Sie welche vor ihm haben.

    Tellheim
    Wie das?

    Werner
    Warum das, Frauenzimmerchen?

    Franziska
    Besonders Geheimnisse von einer gewissen Art.—Alle zwanzig, Herr Wachtmeister? (Indem sie beide Haende mit gespreizten Fingern in die Hoehe haelt.)

    Werner
    St! st! Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen!

    Tellheim
    Was heisst das?

    Franziska
    Husch ist's am Finger, Herr Wachtmeister? (Als ob sie einen Ring geschwind ansteckte.)

    Tellheim
    Was habt ihr?

    Werner
    Frauenzimmerchen, Frauenzimmerchen, Sie wird ja wohl Spass verstehn?

    Tellheim
    Werner, du hast doch nicht vergessen, was ich dir mehrmal gesagt habe, dass man ueber einen gewissen Punkt mit dem Frauenzimmer nie scherzen muss?

    Werner
    Bei meiner armen Seele, ich kann's vergessen haben!—Frauenzimmerchen, ich bitte—

    Franziska
    Nun, wenn es Spass gewesen ist; dasmal will ich es Ihm verzeihen.

    Tellheim
    Wenn ich denn durchaus kommen muss, Franziska: so mache doch nur, dass das Fraeulein den Brief vorher noch lieset. Das wird mir die Peinigung ersparen, Dinge noch einmal zu denken, noch einmal zu sagen, die ich so gern vergessen moechte. Da, gib ihr ihn! (Indem er den Brief umkehrt und ihr ihn zureichen will, wird er gewahr, dass er erbrochen ist.) Aber sehe ich recht? Der Brief, Franziska, ist ja erbrochen.

    Franziska
    Das kann wohl sein. (Besieht ihn.) Wahrhaftig, er ist erbrochen. Wer muss ihn denn erbrochen haben? Doch gelesen haben wir ihn wirklich nicht, Herr Major, wirklich nicht. Wir wollen ihn auch nicht lesen, denn der Schreiber koemmt selbst. Kommen Sie ja; und wissen Sie was, Herr Major? Kommen Sie nicht so, wie Sie da sind, in Stiefeln, kaum frisiert. Sie sind zu entschuldigen, Sie haben uns nicht vermutet. Kommen Sie in Schuhen, und lassen Sie sich frisieren.—So sehen Sie mir gar zu brav, gar zu preussisch aus!

    Tellheim
    Ich danke dir, Franziska.

    Franziska
    Sie sehen aus, als ob Sie vorige Nacht kampiert haetten.

    Tellheim
    Du kannst es erraten haben.

    Franziska
    Wir wollen uns gleich auch putzen und sodann essen. Wir behielten Sie gern zum Essen, aber Ihre Gegenwart moechte uns an dem Essen hindern; und sehen Sie, so gar verliebt sind wir nicht, dass uns nicht hungerte.

    Tellheim
    Ich geh! Franziska, bereite sie indes ein wenig vor, damit ich weder in ihren noch in meinen Augen veraechtlich werden darf.—Komm, Werner, du sollst mit mir essen.

    Werner
    An der Wirtstafel hier im Hause? Da wird mir kein Bissen schmecken.

    Tellheim
    Bei mir auf der Stube.

    Werner
    So folge ich Ihnen gleich. Nur noch ein Wort mit dem Frauenzimmerchen.

    Tellheim
    Das gefaellt mir nicht uebel! (Geht ab.)


    11. Szene

    (Paul Werner. Franziska.)

    Franziska
    Nun, Herr Wachtmeister?—

    Werner
    Frauenzimmerchen, wenn ich wiederkomme, soll ich auch geputzter kommen?

    Franziska
    Komm Er, wie Er will, Herr Wachtmeister; meine Augen werden nichts wider Ihn haben. Aber meine Ohren werden desto mehr auf ihrer Hut gegen Ihn sein muessen.—Zwanzig Finger, alle voller Ringe! Ei, ei, Herr Wachtmeister!

    Werner
    Nein, Frauenzimmerchen; eben das wollt' ich Ihr noch sagen: die Schnurre fuhr mir mir so heraus! Es ist nichts dran. Man hat ja wohl an einem Ringe genug. Und hundert—und aberhundertmal habe ich den Major sagen hoeren: “Das muss ein Schurke von einem Soldaten sein, der ein Maedchen anfuehren kann!”—So denk ich auch, Frauenzimmerchen. Verlass Sie sich darauf!—Ich muss machen, dass ich ihm nachkomme.—Guten Appetit, Frauenzimmerchen! (Geht ab.)

    Franziska
    Gleichfalls, Herr Wachtmeister!—Ich glaube, der Mann gefaellt mir! (Indem sie hineingehen will, koemmt ihr das Fraeulein entgegen.)


    12. Szene

    (Das Fraeulein. Franziska.)

    Fraeulein
    Ist der Major schon wieder fort?—Franziska, ich glaube, ich waere jetzt schon wieder ruhig genug, dass ich ihn haette hierbehalten koennen.

    Franziska
    Und ich will Sie noch ruhiger machen.

    Fraeulein
    Desto besser! Sein Brief, oh, sein Brief! Jede Zeile sprach den ehrlichen, edlen Mann. Jede Weigerung, mich zu besitzen, beteuerte mir seine Liebe.—Er wird es wohl gemerkt haben, dass wir den Brief gelesen.—Mag er doch, wenn er nur koemmt. Er koemmt doch gewiss?—Bloss ein wenig zu viel Stolz, Franziska, scheint mir in seiner Auffuehrung zu sein. Denn auch seiner Geliebten sein Glueck nicht wollen zu danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz! Wenn er mir diesen zu stark merken laesst, Franziska—

    Franziska
    So wollen Sie seiner entsagen?

    Fraeulein
    Ei, sieh doch! Jammert er dich nicht schon wieder? Nein, liebe Naerrin, eines Fehlers wegen entsagt man keinem Manne. Nein, aber ein Streich ist mir beigefallen, ihn wegen dieses Stolzes mit aehnlichem Stolze ein wenig zu martern.

    Franziska
    Nun, da muessen Sie ja recht sehr ruhig sein, mein Fraeulein, wenn Ihnen schon wieder Streiche beifallen.

    Fraeulein
    Ich bin es auch; komm nur. Du wirst deine Rolle dabei zu spielen haben. (Sie gehen herein.)


    4. Akt


    1. Szene

    (Die Szene: Das Zimmer des Fraeuleins.) (Das Fraeulein voellig und reich, aber mit Geschmack gekleidet. Franziska. Sie stehen vom Tische auf, den ein Bedienter abraeumt.)

    Franziska
    Sie koennen unmoeglich satt sein, gnaediges Fraeulein.

    Fraeulein
    Meinst du, Franziska? Vielleicht, dass ich mich nicht hungrig niedersetzte.

    Franziska
    Wir hatten ausgemacht, seiner waehrend der Mahlzeit nicht zu erwaehnen. Aber wir haetten uns auch vornehmen sollen, an ihn nicht zu denken.

    Fraeulein
    Wirklich, ich habe an nichts als an ihn gedacht.

    Franziska
    Das merkte ich wohl. Ich fing von hundert Dingen an zu sprechen, und Sie antworteten mir auf jedes verkehrt. (Ein andrer Bedienter traegt Kaffee auf.) Hier koemmt eine Nahrung, bei der man eher Grillen machen kann. Der liebe melancholische Kaffee!

    Fraeulein
    Grillen? Ich mache keine. Ich denke bloss der Lektion nach, die ich ihm geben will. Hast du mich recht begriffen, Franziska?

    Franziska
    O ja; am besten aber waere es, er ersparte sie uns.

    Frauelein
    Du wirst sehen, dass ich ihn von Grund aus kenne. Der Mann, der mich jetzt mit allen Reichtuemern verweigert, wird mich der ganzen Welt streitig machen, sobald er hoert, dass ich ungluecklich und verlassen bin.

    Franziska
    (sehr ernsthaft). Und so was muss die feinste Eigenliebe unendlich kitzeln.

    Fraeulein
    Sittenrichterin! Seht doch! Vorhin ertappte sie mich auf Eitelkeit, jetzt auf Eigenliebe.—Nun, lass mich nur, liebe Franziska. Du sollst mit deinem Wachtmeister auch machen koennen, was du willst.

    Franziska
    Mit meinem Wachtmeister?

    Fraeulein
    Ja, wenn du es vollends leugnest, so ist es richtig.—Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber aus jedem Worte, das du mir von ihm gesagt hast, prophezeie ich dir deinen Mann.


    2. Szene

    (Riccaut de la Marliniere. Das Fraeulein. Franziska.) Riccaut (noch innerhalb der Szene). Est-il permis, Monsieur le Major?

    Franziska
    Was ist das? Will das zu uns? (Gegen die Tuere gehend.)

    Riccaut
    Parbleu! Ik bin unriktig.—Mais non—Ik bin nit unriktig—C'est sa chambre—

    Franziska
    Ganz gewiss, gnaediges Fraeulein, glaubt dieser Herr, den Major von Tellheim noch hier zu finden.

    Riccaut
    Iss so!—Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui que je cherche. Ou est-il?

    Franziska
    Er wohnt nicht mehr hier.

    Riccaut
    Comment? nok vor vier un swansik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

    Fraeulein
    (die auf ihn zukoemmt). Mein Herr-Riccaut. Ah, Madame—Mademoiselle— Ihro Gnad verzeih—

    Fraeulein
    Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben und Ihre Verwunderung sehr natuerlich. Der Herr Major hat die Guete gehabt, mir als einer Fremden, die nicht unterzukommen wusste, sein Zimmer zu ueberlassen.

    Raccaut
    Ah, voila de ses politesses! C'est un tres galant-homme que ce Major!

    Fraeulein
    Wo er indes hingezogen—wahrhaftig, ich muss mich schaemen, es nicht zu wissen.

    Riccaut
    Ihro Gnad nit wiss? C'est dommage; j'en suis fache.

    Fraeulein
    Ich haette mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden ihn seine Freunde noch hier suchen.

    Riccaut
    Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad—

    Fraeulein
    Franziska, wisst du es nicht?

    Franziska
    Nein, gnaediges Fraeulein.

    Riccaut
    Ik haett ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine Nouvelle, davon er sehr froelik sein wird.

    Fraeulein
    Ich bedauere um so viel mehr.—Doch hoffe ich, vielleicht bald ihn zu sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute Nachricht erfaehrt, so erbiete ich mich, mein Herr—

    Riccaut
    Ik versteh.—Mademoiselle parle francais? Mais sans doute; telle que je la vois!—La demande etait bien impolie; vous me pardonnerez, Mademoiselle.—

    Fraeulein
    Mein Herr—

    Riccaut
    Nit? Sie sprek nit Franzoesisch, Ihro Gnad?

    Fraeulein
    Mein Herr, in Frankreich wuerde ich es zu sprechen suchen. Aber warum hier? Ich hoere ja, dass Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiss auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen beliebt.

    Riccaut
    Gutt, gutt! Ik kann auk mik auf Deutsch explizier.—Sachez donc, Mademoiselle—Ihro Gnad soll also wiss, dass ik komm von die Tafel bei der Minister—Minister von—Minister von—wie heiss der Minister da drauss?—in der lange Strass?—auf die breite Platz?—

    Fraeulein
    Ich bin hier noch voellig unbekannt.

    Riccaut
    Nun, die Minister von der Kriegsdepartement.—Da haben ik zu Mittag gespeisen—ik speisen a l'ordinaire bei ihm—und da iss man gekommen reden auf der Major Tellheim; et le ministre m'a dit en confidence, car Son Excellence est de mes amis, et il n'y a point de mysteres entre nous—Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, dass die Sak von unserm Major sei auf den Point zu enden und gutt zu enden. Er habe gemakt ein Rapport an den Koenik, und der Koenik habe darauf resolvier, tout-a-fait en faveur du Major.—Monsieur, m'a dit Son Excellence, vous comprenez bien, que tout depend de la maniere, dont on fait envisager les choses au roi, et vous me connaissez. Cela fait un tres joli garcon que ce Tellheim, et ne sais-je pas que vous l'aimez? Les amis de mes amis sont aussi les miens. Il coute un peu cher au roi ce Tellheim, mais est-ce que l'on sert les rois pour rien? Il faut s'entr'aider en ce monde; et quand il s'agit de pertes, que ce soit le roi, qui en fasse, et non pas un honnete-homme de nous autres. Voila le principe, dont je ne me depars jamais.—Was sag Ihro Gnad hierzu? Nit wahr, das iss ein brav Mann? Ah que Son Excellence a le coer bien place! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une Lettre de la main—eine Koenikliken Handbrief, dass er heut infailliblement muesse bekommen einen.

    Fraeulein
    Gewiss, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim hoechst angenehm sein. Ich wuenschte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen nennen zu koennen, der so viel Anteil an seinem Gluecke nimmt—

    Riccaut
    Mein Namen wuenscht Ihro Gnad?—Vous voyez en moi—Ihro Gnad seh in mik le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de la branche de Prensd'or.—Ihro Gnad? steh verwundert, mik aus so ein gross, gross Familie zu hoeren, qui est veritablement du sang Royal.—Il faut le dire; je suis sans doute le cadet le plus avantureux, que la maison a jamais eu.—Ik dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Papstliken Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen und den Staaten- General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah, Mademoiselle, que je voudrais n'avoir jamais vu ce pays-la! Haette man mik gelass im Dienst von den Staaten-General, so muesst ik nun sein aufs wenikst Oberst. Aber so hier immer und ewik Capitaine geblieben, und nun gar sein ein abgedankte Capitaine—

    Fraeulein
    Das ist viel Unglueck.

    Riccaut
    Qui, Mademoiselle, me voila reforme, et par-la mis sur le pave!

    Fraeulein
    Ich beklage sehr.

    Riccaut
    Vous etes bien bonne, Mademoiselle.—Nein, man kenn sik hier nit auf den Verdienst. Einen Mann wie mik su reformir! Einen Mann, der sik nok dasu in diesem Dienst hat rouinir!—Ik haben dabei sugesetzt mehr als swansik tausend Livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot; je n'ai pas le sou, et me voila exactement vis-a-vis du rien.—

    Fraeulein
    Es tut mir ungemein leid.

    Riccaut
    Vous etes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg su sagen: ein jeder Unglueck schlepp nak sik seine Bruder; qu'un malheur ne vient jamais seul: so mit mir arrivir. Was ein Honnete-homme von mein Extraction kann anders haben fuer Ressource als das Spiel? Nun hab ik immer gespielen mit Glueck, solang ik hatte nit vonnoeten der Glueck. Nun ik ihr haette vonnoeten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iss vergangen keine, wo sie mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je sais bien, qu'il y avait quelque chose de plus que le jeu. Car parmi mes pontes se trouvaient certaines dames—Ik will niks weiter sag. Man muss sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir su geben revanche; mais—vous m'entendez, Mademoiselle.—Man muss erst wiss, wovon leben, ehe man haben kann, wovon su spielen—

    Fraeulein
    Ich will nicht hoffen, mein Herr—

    Riccaut
    Vous etes bien bonne, Mademoiselle—

    Fraeulein
    (nimmt die Franziska beiseite). Franziska, der Mann dauert mich im Ernste. Ob er mir es wohl uebelnehmen wuerde, wenn ich ihm etwas anboete?

    Franziska
    Der sieht mir nicht darnach aus.

    Fraeulein
    Gut!—Mein Herr, ich hoere—dass Sie spielen, dass Sie Bank machen; ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muss Ihnen bekennen, dass ich—gleichfalls das Spiel sehr liebe—

    Riccaut
    Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux! Tous les gens d'esprit aiment le jeu a la fureur.

    Fraeulein
    Dass ich sehr gern gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Mann wage, der—zu spielen weiss.—Waeren Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in Gesellschaft zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank zu goennen?

    Riccaut
    Comment, Mademoiselle, vous voulez etre de moitie avec moi? De tout mon coeur.

    Fraeulein
    Vors erste nur mit einer Kleinigkeit—(Geht und langt Geld aus ihrer Schatulle.)

    Riccaut
    Ah, Mademoiselle, que vous etes charmante!—

    Fraeulein
    Hier habe ich, was ich ohnlaengst gewonnen, nur zehn Pistolen—ich muss mich zwar schaemen, so wenig—

    Riccaut
    Donnez toujours, Mademoiselle, donnez. (Nimmt es.)

    Fraeulein
    Ohne Zweifel, dass Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist—

    Riccaut
    Jawohl, sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihr Gnad soll sein dafuer interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf ein Dreiteil sollen sein—etwas mehr. Dok mit einer schoene Damen muss man es nehmen nit so genau. Ik gratulir mik, su kommen dadurk in liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence a bien augurer de ma fortune.

    Fraeulein
    Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.

    Riccaut
    Was brauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike Leut untereinander.

    Fraeulein
    Wenn wir gluecklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen Anteil schon bringen. Sind wir aber ungluecklich—

    Riccaut
    So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?

    Fraeulein
    Auf die Laenge duerften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser Geld daher ja wohl, mein Herr.

    Riccaut
    Wofuer seh mik Ihro Gnad an? Fuer ein Einfalspinse? fuer ein dumme Teuf?

    Fraeulein
    Verzeihen Sie mir—

    Riccaut
    Je suis des bons, Mademoiselle. Savez-vous ce que cela veut dire? Ik bin von die Ausgelernt—

    Fraeulein
    Aber doch wohl, mein Herr—

    Riccaut
    Je sais monter un coup—

    Fraeulein
    (verwundernd). Sollten Sie?

    Riccaut
    Je file la carte avec une adresse—

    Fraeulein
    Nimmermehr!

    Riccaut
    Je fais sauter la coupe avec une dexterite—

    Fraeulein
    Sie werden doch nicht, mein Herr?—

    Riccaut
    Was nit? Ihro Gnade, was nit? Donnez-moi un pigeonneau a plumer, et—

    Fraeulein
    Falsch spielen? betruegen?

    Riccaut
    Comment, Mademoiselle? Vous appellez cela betruegen? Corriger la fortune, l'enchainer sous ses doigts, etre sur de son fait, das nenn die Deutsch betruegen? Betruegen! Oh, was ist die deutsch Sprak fuer ein arm Sprak! fuer ein plump Sprak!

    Fraeulein
    Nein, mein Herr, wenn Sie so denken—

    Riccaut
    Laissez-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik! Was gehn Sie an, wie ik spiel?—Gnug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit—Votre tres-humble, Mademoiselle, votre tres-humble—(Eilends ab.)

    Fraeulein
    (die ihm mit Erstaunen und Verdruss nachsieht). Ich wuensche das letzte, mein Herr, das letzte!


    3. Szene

    (Das Fraeulein. Franziska)

    Franziska
    (erbittert). Kann ich noch reden? O schoen! o schoen!

    Fraeulein
    Spotte nur; ich verdiene es. (Nach einem kleinen Nachdenken und gelassener.) Spotte nicht, Franziska; ich verdiene es nicht.

    Franziska
    Vortrefflich! Da haben Sie etwas Allerliebstes getan, einen Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.

    Fraeulein
    Es war einem Ungluecklichen zugedacht.

    Franziska
    Und was das beste dabei ist: der Kerl haelt Sie fuer seinesgleichen.—Oh, ich muss ihm nach und ihm das Geld wieder abnehmen. (Will fort.)

    Fraeulein
    Franziska, lass den Kaffee nicht vollends kalt werden, schenk ein.

    Franziska
    Er muss es Ihnen wiedergeben; Sie haben spielen. Zehn Pistolen! Sie hoerten ja, Fraeulein, dass es ein Bettler war! (Das Fraeulein schenkt indes selbst ein.) Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den Mildtaetigen, der den Bettler aus Grossmut verkennen will, verkennt der Bettler wieder. Nun moegen Sie es haben, Fraeulein, wenn er Ihre Gabe, ich weiss nicht wofuer, ansieht.—(Und reicht der Franziska eine Tasse.) Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag nicht trinken. (Das Fraeulein setzt sie wieder weg.) “Parbleu, Ihro Gnad, man kenn sik hier nit auf den Verdienst.” (In dem Tone des Franzosen.) Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen herumlaufen laesst.

    Fraeulein
    (kalt und nachdenkend, indem sie trinkt). Maedchen, du verstehst dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die schlechten ertragen lernen?—Und sie sind doch auch Menschen.—Und oefters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen.—Man muss ihre gute Seite nur aufsuchen.—Ich bilde mir ein, dieser Franzose ist nichts als eitel. Aus blosser Eitelkeit macht er sich zum falschen Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen, er will sich den Dank ersparen. Vielleicht, dass er nun hingeht, seine kleine Schulden bezahlt, von dem Reste, soweit er reicht, still und sparsam lebt und an das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so lass ihn Rekruten holen, wenn er will.—(Gibt ihr die Tasse.) Da, setz weg!— Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?

    Franziska
    Nein, gnaediges Fraeulein, ich kann beides nicht, weder an einem schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die boese Seite aufsuchen.

    Fraeulein
    Er koemmt doch ganz gewiss?—

    Franziska
    Er sollte wegbleiben!—Sie bemerken an ihm, dem besten Manne, ein wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?

    Fraeulein
    Koemmst du da wieder hin?—Schweig, das will ich nun einmal so. Wo du mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir es abgeredet haben!—Ich will dich schon allein mit ihm lassen, und dann— Jetzt koemmt er wohl.


    4. Szene

    (Paul Werner (der in einer steifen Stellung, gleichsam im Dienste, hereintritt). Das Fraeulein. Franziska.)

    Franziska
    Nein, es ist nur sein lieber Wachtmeister.

    Fraeulein
    Lieber Wachtmeister? Auf wen bezieht sich dieses Lieber?

    Franziska
    Gnaediges Fraeulein, machen Sie mir den Mann nicht verwirrt.—Ihre Dienerin, Herr Wachtmeister; was bringen Sie uns?

    Werner
    (geht, ohne auf die Franziska zu achten, an das Fraeulein). Der Major von Tellheim laesst an das gnaedige Fraeulein von Barnhelm durch mich, den Wachtmeister Werner, seinen untertaenigen Respekt vermelden und sagen, dass er sogleich hier sein werde.

    Fraeulein
    Wo bleibt er denn?

    Werner
    Ihro Gnaden werden verzeihen; wir sind noch vor dem Schlage drei aus dem Quartier gegangen, aber da hat ihn der Kriegszahlmeister unterwegens angeredt, und weil mit dergleichen Herren des Redens immer kein Ende ist: so gab er mir einen Wink, dem gnaedigen Fraeulein den Vorfall zu rapportieren.

    Fraeulein
    Recht wohl, Herr Wachtmeister. Ich wuensche nur, dass der Kriegszahlmeister dem Major etwas Angenehmes moege zu sagen haben.

    Werner
    Das haben dergleichen Herren den Offizieren selten.—Haben Ihro Gnaden etwas zu befehlen? (Im Begriffe wieder zu gehen.)

    Franziska
    Nun, wo denn schon wieder hin, Herr Wachtmeister? Haetten wir denn nichts miteinander zu plaudern?

    Werner
    (sachte zur Franziska und ernsthaft). Hier nicht, Frauenzimmerchen. Es ist wider den Respekt, wider die Subordination.—Gnaediges Fraeulein—

    Fraeulein
    Ich danke fuer Seine Bemuehung, Herr Wachtmeister.—Es ist mir lieb gewesen, Ihn kennenzulernen. Franziska hat mir viel Gutes von Ihm gesagt. (Werner macht eine steife Verbeugung und geht ab.)


    5. Szene

    (Das Fraeulein. Franziska.)

    Fraeulein
    Das ist dein Wachtmeister, Franziska?

    Franziska
    Wegen des spoettischen Tones habe ich nicht Zeit, dieses dein nochmals aufzumutzen.—Ja, gnaediges Fraeulein, das ist mein Wachtmeister. Sie finden ihn ohne Zweifel ein wenig steif und hoelzern. Jetzt kam er mir fast auch so vor. Aber ich merke wohl, er glaubte, vor Ihro Gnaden auf die Parade ziehen zu muessen. Und wenn die Soldaten paradieren—ja freilich scheinen sie da mehr Drechslerpuppen als Maenner. Sie sollten ihn hingegen nur sehn und hoeren, wenn er sich selbst gelassen ist.

    Fraeulein
    Das muesste ich denn wohl!

    Franziska
    Er wird noch auf dem Saale sein. Darf ich nicht gehn und ein wenig mit ihm plaudern?

    Fraeulein
    Ich versage dir ungern dieses Vergnuegen. Du musst hierbleiben, Franziska. Du muss bei unserer Unterredung gegenwaertig sein!—Es faellt mir noch etwas bei. (Sie zieht ihren Ring vom Finger.) Da, nimm meinen Ring, verwahre ihn, und gib mir des Majors seinen dafuer.

    Franziska
    Warum das?

    Fraeulein
    (indem Franziska den andern Ring holt). Recht weiss ich es selbst nicht, aber mich duenkt, ich sehe so etwas voraus, wo ich ihn brauchen koennte.—Man pocht—Geschwind gib her! (Sie steckt ihn an.) Er ist's!


    6. Szene

    (v. Tellheim in dem naemlichen Kleide, aber sonst so, wie es Franziska verlangt. Das Fraeulein. Franziska.)

    Tellheim
    Gnaediges Fraeulein, Sie werden mein Verweilen entschuldigen—

    Fraeulein
    Oh, Herr Major, so gar militaerisch wollen wir es miteinander nicht nehmen. Sie sind ja da! Und ein Vergnuegen erwarten, ist auch ein Vergnuegen.—Nun? (indem sie ihm laechelnd ins Gesicht sieht) lieber Tellheim, waren wir nicht vorhin Kinder?

    Tellheim
    Jawohl, Kinder, gnaediges Fraeulein; Kinder, die sich sperren, wo sie gelassen folgen sollten.

    Fraeulein
    Wir wollen ausfahren, lieber Major—die Stadt ein wenig zu besehen—, und hernach meinem Oheim entgegen.

    Tellheim
    Wie?

    Fraeulein
    Sehen Sie, auch das Wichtigste haben wir einander noch nicht sagen koennen. Ja, er trifft noch heut hier ein. Ein Zufall ist schuld, dass ich einen Tag frueher ohne ihn angekommen bin.

    Tellheim
    Der Graf von Bruchsall? Ist er zurueck?

    Fraeulein
    Die Unruhen des Krieges verscheuchten ihn nach Italien; der Friede hat ihn wieder zurueckgebracht.—Machen Sie sich keine Gedanken, Tellheim. Besorgten wir schon ehemals das staerkste Hindernis unsrer Verbindung von seiner Seite—

    Tellheim
    Unserer Verbindung?

    Fraeulein
    Er ist Ihr Freund. Er hat von zu vielen zu viel Gutes von Ihnen gehoert, um es nicht zu sein. Er brennet, den Mann von Antlitz zu kennen, den seine einzige Erbin gewaehlt hat. Er koemmt als Oheim, als Vormund, als Vater, mich Ihnen zu uebergeben.

    Tellheim
    Ah, Fraeulein, warum haben Sie meinen Brief nicht gelesen? Warum haben Sie ihn nicht lesen wollen?

    Fraeulein
    Ihren Brief? Ja, ich erinnere mich, Sie schickten mir einen. Wie war es denn mit diesem Briefe, Franziska? Haben wir ihn gelesen, oder haben wir ihn nicht gelesen? Was schrieben Sie mir denn, lieber Tellheim?—

    Tellheim
    Nichts, als was mir die Ehre befiehlt.

    Fraeulein
    Das ist, ein ehrliches Maedchen, die Sie liebt, nicht sitzen zu lassen. Freilich befiehlt das die Ehre. Gewiss, ich haette den Brief lesen sollen. Aber was ich nicht gelesen habe, das hoere ich ja.

    Tellheim
    Ja, Sie sollen es hoeren—

    Fraeulein
    Nein, ich brauch es auch nicht einmal zu hoeren. Es versteht sich von selbst. Sie koennten eines so haesslichen Streiches faehig sein, dass Sie mich nun nicht wollten? Wissen Sie, dass ich auf Zeit meines Lebens beschimpft waere? Meine Landsmaenninnen wuerden mit Fingern auf mich weisen.—“Das ist sie", wuerde es heissen, “das ist das Fraeulein von Barnhelm, die sich einbildete, weil sie reich sei, den wackern Tellheim zu bekommen: als ob die wackern Maenner fuer Geld zu haben waeren!” So wuerde es heissen: denn meine Landsmaenninnen sind alle neidisch auf mich. Dass ich reich bin, koennen sie nicht leugnen; aber davon wollen sie nichts wissen, dass ich auch sonst noch ein ziemlich gutes Maedchen bin, das seines Mannes wert ist. Nicht wahr, Tellheim?

    Tellheim
    Ja, ja, gnaediges Fraeulein, daran erkenne ich Ihr Landsmanninnen. Sie werden Ihnen einen abgedankten, an seiner Ehre gekraenkten Offizier, einen Krueppel, einen Bettler, trefflich beneiden.

    Fraeulein
    Und das alles waeren Sie? Ich hoerte so was, wenn ich mich nicht irre, schon heute vormittage. Da ist Boeses und Gutes untereinander. Lassen Sie uns doch jedes naeher beleuchten.—Verabschiedet sind Sie? So hoere ich. Ich glaubte, Ihr Regiment sei bloss untergesteckt worden. Wie ist es gekommen, dass man einen Mann von Ihren Verdiensten nicht beibehalten?

    Tellheim
    Es ist gekommen, wie es kommen muessen. Die Grossen haben sich ueberzeugt, dass ein Soldat aus Neigung fuer sie ganz wenig, aus Pflicht nicht viel mehr, aber alles seiner eignen Ehre wegen tut. Was koennen sie ihm also schuldig zu sein glauben? Der Friede hat ihnen mehrere meinesgleichen entbehrlich gemacht, und am Ende ist ihnen niemand unentbehrlich.

    Fraeulein
    Sie sprechen, wie ein Mann sprechen muss, dem die Grossen hinwiederum sehr entbehrlich sind. Und niemals waren sie es mehr als jetzt. Ich sage den Grossen meinen grossen Dank, dass sie ihre Ansprueche auf einen Mann haben fahren lassen, den ich doch nur sehr ungern mit ihnen geteilet haette.—Ich bin Ihre Gebieterin, Tellheim; Sie brauchen weiter keinen Herrn.—Sie verabschiedet zu finden, das Glueck haette ich mir kaum traeumen lassen!—Doch Sie sind nicht bloss verabschiedet: Sie sind noch mehr. Was sind Sie noch mehr? Ein Krueppel: sagten Sie? Nun (indem sie ihn von oben bis unten betrachtet), der Krueppel ist doch noch ziemlich ganz und gerade; scheinet doch noch ziemlich gesund und stark.—Lieber Tellheim, wenn Sie auf den Verlust Ihrer gesunden Gliedmassen betteln zu gehen denken: so prophezeie ich Ihnen voraus, dass Sie vor den wenigsten Tueren etwas bekommen werden; ausgenommen vor den Tueren der gutherzigen Maedchen wie ich.

    Tellheim
    Jetzt hoere ich nur das mutwillige Maedchen, liebe Minna.

    Fraeulein
    Und ich hoere in Ihrem Verweise nur das Liebe Minna—Ich will nicht mehr mutwillig sein. Denn ich besinne mich, dass Sie allerdings ein kleiner Krueppel sind. Ein Schuss hat Ihnen den rechten Arm ein wenig gelaehmt.—Doch alles wohl ueberlegt: so ist auch das so schlimm nicht. Um soviel sichrer bin ich vor Ihren Schlaegen.

    Tellheim
    Fraeulein!

    Fraeulein
    Sie wollen sagen: Aber Sie um soviel weniger vor meinen. Nun, nun, lieber Tellheim, ich hoffe, Sie werden es nicht dazu kommen lassen.

    Tellheim
    Sie wollen lachen, mein Fraeulein. Ich beklage nur, dass ich nicht mitlachen kann.

    Fraeulein
    Warum nicht? Was haben Sie denn gegen das Lachen? Kann man denn auch nicht lachend sehr ernsthaft sein? Lieber Major, das Lachen erhaelt uns vernuenftiger als der Verdruss. Der Beweis liegt vor uns. Ihre lachende Freundin beurteilet Ihre Umstaende weit richtiger als Sie selbst. Weil Sie verabschiedet sind, nennen Sie sich an Ihrer Ehre gekraenkt; weil Sie einen Schuss in dem Arme haben, machen Sie sich zu einem Krueppel. Ist das so recht? Ist das keine Uebertreibung? Und ist es meine Einrichtung, dass alle Uebertreibungen des Laecherlichen so faehig sind? Ich wette, wenn ich Ihren Bettler nun vornehme, dass auch dieser ebensowenig Stich halten wird. Sie werden einmal, zweimal, dreimal Ihre Equipage verloren haben; bei dem oder jenem Bankier werden einige Kapitale jetzt mitschwinden; Sie werden diesen und jenen Vorschuss, den Sie im Dienste getan, keine Hoffnung haben wiederzuerhalten: aber sind Sie darum ein Bettler? Wenn Ihnen auch nichts uebriggeblieben ist, als was mein Oheim fuer Sie mitbringt—

    Tellheim
    Ihr Oheim, gnaediges Fraeulein, wird fuer mich nichts mitbringen.

    Fraeulein
    Nichts als die zweitausend Pistolen, die Sie unsern Staenden so grossmuetig vorschossen.

    Tellheim
    Haetten Sie doch nur meinen Brief gelesen, gnaediges Fraeulein!

    Fraeulein
    Nun ja, ich habe ihn gelesen. Aber was ich ueber diesen Punkt darin gelesen, ist mir ein wahres Raetsel. Unmoeglich kann man Ihnen aus einer edlen Handlung ein Verbrechen machen wollen.—Erklaeren Sie mir doch, lieber Major—

    Tellheim
    Sie erinnern sich, gnaediges Fraeulein, dass ich Ordre hatte, in den Aemtern Ihrer Gegend die Kontribution mit der aeussersten Strenge bar beizutreiben. Ich wollte mir diese Strenge ersparen und schoss die fehlende Summe selbst vor.—

    Fraeulein
    Jawohl erinnere ich mich.—Ich liebte Sie um dieser Tat willen, ohne Sie noch gesehen zu haben.

    Tellheim
    Die Staende gaben mir ihren Wechsel, und diesen wollte ich bei Zeichnung des Friedens unter die zu ratihabierende Schulden eintragen lassen. Der Wechsel ward fuer gueltig erkannt, aber mir ward das Eigentum desselben streitig gemacht. Man zog spoettisch das Maul, als ich versicherte, die Valute bar hergegeben zu haben. Man erklaerte ihn fuer eine Bestechung, fuer das Gratial der Staende, weil ich so bald mit ihnen auf die niedrigste Summe einig geworden war, mit der ich mich nur im aeussersten Notfalle zu begnuegen Vollmacht hatte. So kam der Wechsel aus meinen Haenden, und wenn er bezahlt wird, wird er sicherlich nicht an mich bezahlt.—Hierdurch, mein Fraeulein, halte ich meine Ehre fuer gekraenkt; nicht durch den Abschied, den ich gefordert haben wuerde, wenn ich ihn nicht bekommen haette.—Sie sind ernsthaft, mein Fraeulein? Warum lachen Sie nicht? Ha, ha, ha! Ich lache ja.

    Fraeulein
    Oh, ersticken Sie dieses Lachen, Tellheim! Ich beschwoere Sie! Es ist das schreckliche Lachen des Menschenhasses! Nein, Sie sind der Mann nicht, den eine gute Tat reuen kann, weil sie ueble Folgen fuer ihn hat. Nein, unmoeglich koennen diese ueble Folgen dauren! Die Wahrheit muss an den Tag kommen. Das Zeugnis meines Oheims, aller unsrer Staende—

    Tellheim
    Ihres Oheims! Ihrer Staende! Ha, Ha, ha!

    Fraeulein
    Ihr Lachen toetet mich, Tellheim! Wenn Sie an Tugend und Vorsicht glauben, Tellheim, so lachen Sie so nicht! Ich habe nie fuerchterlicher fluchen hoeren, als Sie lachen.—Und lassen Sie uns das Schlimmste setzen! Wenn man Sie hier durchaus verkennen will: so kann man Sie bei uns nicht verkennen. Nein, wir koennen, wir werden Sie nicht verkennen, Tellheim. Und wenn unsere Staende die geringste Empfindung von Ehre haben, so weiss ich, was sie tun muessen. Doch ich bin nicht klug: was waere das noetig? Bilden Sie sich ein, Tellheim, Sie haetten die zweitausend Pistolen an einem wilden Abende verloren. Der Koenig war eine unglueckliche Karte fuer Sie: die Dame (auf sich weisend) wird Ihnen desto guenstiger sein.—Die Vorsicht, glauben Sie mir, haelt den ehrlichen Mann immer schadlos; und oefters schon im voraus. Die Tat, die Sie einmal um zweitausend Pistolen bringen sollte, erwarb mich Ihnen. Ohne diese Tat wuerde ich nie begierig gewesen sein, Sie kennenzulernen. Sie wissen, ich kam uneingeladen in die erste Gesellschaft, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich kam bloss Ihrentwegen. Ich kam in dem festen Vorsatze, Sie zu lieben—ich liebte Sie schon!—in dem festen Vorsatze, Sie zu besitzen, wenn ich Sie auch so schwarz und haesslich finden sollte als den Mohr von Venedig. Sie sind so schwarz und haesslich nicht; auch so eifersuechtig werden Sie nicht sein. Aber Tellheim, Tellheim, Sie haben doch noch viel Aehnliches mit ihm! Oh, ueber die wilden, unbiegsamen Maenner, die nur immer ihr stieres Auge auf das Gespenst der Ehre heften! fuer alles andere Gefuehl sich verhaerten!—Hierher Ihr Auge! auf mich, Tellheim! (Der indes vertieft und unbeweglich mit starren Augen immer auf eine Stelle gesehen.) Woran denken Sie? Sie hoeren mich nicht?

    Tellheim
    (zerstreut). O ja! Aber sagen Sie mir doch, mein Fraeulein: wie kam der Mohr in venetianische Dienste? Hatte der Mohr kein Vaterland? Warum vermietete er seinen Arm und sein Blut einem fremden Staate?—

    Fraeulein
    (erschrocken). Wo sind Sie, Tellheim?—Nun ist es Zeit, dass wir abbrechen.—Kommen Sie! (Indem sie ihn bei der Hand ergreift.)— Franziska, lass den Wagen vorfahren.

    Tellheim
    (der sich von dem Fraeulein losreisst und der Franziska nachgeht). Nein, Franziska, ich kann nicht die Ehre haben, das Fraeulein zu begleiten.— Mein Fraeulein, lassen Sie mir noch heute meinen gesunden Verstand, und beurlauben Sie mich. Sie sind auf dem besten Wege, mich darum zu bringen. Ich stemme mich, soviel ich kann.—Aber weil ich noch bei Verstande bin: so hoeren Sie, mein Fraeulein, was ich fest beschlossen habe, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll.—Wenn nicht noch ein gluecklicher Wurf fuer mich im Spiele ist, wenn sich das Blatt nicht voellig wendet, wenn—

    Fraeulein
    Ich muss Ihnen ins Wort fallen, Herr Major.—Das haetten wir ihm gleich sagen sollen, Franziska. Du erinnerst mich auch an gar nichts.—Unser Gespraech wuerde ganz anders gefallen sein, Tellheim, wenn ich mit der guten Nachricht angefangen haette, die Ihnen der Chevalier de la Marliniere nur eben zu bringen kam.

    Tellheim
    Der Chevalier de la Marliniere? Wer ist das?

    Franziska
    Es mag ein ganz guter Mann sein, Herr Major, bis auf—

    Fraeulein
    Schweig, Franziska!—Gleichfalls ein verabschiedeter Offizier, der aus hollaendischen Diensten—

    Tellheim
    Ha! der Leutnant Riccaut!

    Fraeulein
    Er versicherte, dass er Ihr Freund sei.

    Tellheim
    Ich versichere, dass ich seiner nicht bin.

    Fraeulein
    Und dass ihm, ich weiss nicht welcher Minister, vertrauet habe, Ihre Sache sei dem gluecklichsten Ausgange nahe. Es muesse ein koenigliches Handschreiben an Sie unterwegens sein—

    Tellheim
    Wie kaemen Riccaut und ein Minister zusammen?—Etwas zwar muss in meiner Sache geschehen sein. Denn nur jetzt erklaerte mir der Kriegszahlmeister, dass der Koenig alles niedergeschlagen habe, was wider mich urgieret worden, und dass ich mein schriftlich gegebenes Ehrenwort, nicht eher von hier zu gehen, als bis man mich voellig entladen habe, wieder zurueck- nehmen koenne.—Das wird es aber auch alles sein. Man wird mich wollen laufen lassen. Allein man irrt sich; ich werde nicht laufen. Eher soll mich hier das aeusserste Elend vor den Augen meiner Verleumder verzehren—

    Fraeulein
    Hartnaeckiger Mann!

    Tellheim
    Ich brauche keine Gnade, ich will Gerechtigkeit. Meine Ehre—

    Fraeulein
    Die Ehre eines Mannes wie Sie—

    Tellheim
    (hitzig). Nein, mein Fraeulein, Sie werden von allen Dingen recht gut urteilen koennen, nur hierueber nicht. Die Ehre ist nicht die Stimme unsers Gewissen, nicht das Zeugnis weniger Rechtschaffnen—

    Fraeulein
    Nein, nein, ich weiss wohl.—Die Ehre ist—die Ehre.

    Tellheim
    Kurz, mein Fraeulein—Sie haben mich nicht ausreden lassen.—Ich wollte sagen: wenn man mir das Meinige so schimpflich vorenthaelt, wenn meiner Ehre nicht die vollkommenste Genugtuung geschieht, so kann ich, mein Fraeulein, der Ihrige nicht sein. Denn ich bin es in den Augen der Welt nicht wert zu sein. Das Fraeulein von Barnhelm verdienet einen unbescholtenen Mann. Es ist eine nichtswuerdige Liebe, die kein Bedenken traegt, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen. Es ist ein nichtswuerdiger Mann, der sich nicht schaemet, sein ganzes Glueck einem Frauenzimmer zu verdanken, dessen blinde Zaertlichkeit—

    Fraeulein
    Und das ist Ihr Ernst, Herr Major?—(Indem sie ihm ploetzlich den Ruecken wendet.) Franziska!

    Tellheim
    Werden Sie nicht ungehalten, mein Fraeulein—

    Fraeulein
    (beiseite zur Franziska). Jetzt waere es Zeit! Was raetst du mir, Franziska?—

    Franziska
    Ich rate nichts. Aber freilich macht er es Ihnen ein wenig zu bunt.—

    Tellheim
    (der sie zu unterbrechen koemmt). Sie sind ungehalten, mein Fraeulein—

    Fraeulein
    (hoehnisch). Ich? im geringsten nicht.

    Tellheim
    Wenn ich Sie weniger liebte, mein Fraeulein—

    Fraeulein
    (noch in diesem Tone). O gewiss, es waere mein Unglueck!—Und sehen Sie, Herr Major, ich will Ihr Unglueck auch nicht.—Mann muss ganz uneigennuetzig lieben.—Ebensogut, dass ich nicht offenherziger gewesen bin! Vielleicht wuerde mir Ihr Mitleid gewaehret haben, was mir Ihre Liebe versagt.—(Indem sie den Ring langsam vom Finger zieht.)

    Tellheim
    Was meinen Sie damit, Fraeulein?

    Fraeulein
    Nein, keines muss das andere weder gluecklicher noch ungluecklicher machen. So will es die wahre Liebe! Ich glaube Ihnen, Herr Major; und Sie haben zuviel Ehre, als dass Sie die Liebe verkennen sollten.

    Tellheim
    Spotten Sie, mein Fraeulein?

    Fraeulein
    Hier! Nehmen Sie den Ring wieder zurueck, mit dem Sie mir Ihre Treue verpflichtet. (Ueberreicht ihm den Ring.) Es sei drum! Wir wollen einander nicht gekannt haben!

    Tellheim
    Was hoere ich?

    Fraeulein
    Und das befremdet Sie?—Nehmen Sie, mein Herr.—Sie haben sich doch wohl nicht bloss gezieret?

    Tellheim
    (indem er den Ring aus ihrer Hand nimmt). Gott! So kann Minna sprechen!—

    Fraeulein
    Sie koennen der Meinige in einem Falle nicht sein: ich kann die Ihrige in keinem sein. Ihr Unglueck ist wahrscheinlich; meines ist gewiss.— Leben Sie wohl! (Will fort.)

    Tellheim
    Wohin, liebste Minna?

    Fraeulein
    Mein Herr, Sie beschimpfen mich jetzt mit dieser vertraulichen Benennung.

    Tellheim
    Was ist Ihnen, mein Fraeulein? Wohin?

    Fraeulein
    Lassen Sie mich.—Meine Traenen vor Ihnen zu verbergen, Verraeter! (Geht ab.)


    7. Szene

    (v. Tellheim. Franziska.)

    Tellheim
    Ihre Traenen? Und ich sollte sie lassen? (Will ihr nach.)

    Franziska
    (die ihn zurueckhaelt). Nicht doch, Herr Major! Sie werden ihr ja nicht in ihr Schlafzimmer folgen wollen?

    Tellheim
    Ihr Unglueck? Sprach sie nicht von Unglueck?

    Franziska
    Nun freilich, das Unglueck, Sie zu verlieren, nachdem—

    Tellheim
    Nachdem? was nachdem? Hierhinter steckt mehr. Was ist es, Franziska? Rede, sprich—

    Franziska
    Nachdem sie, wollte ich sagen—Ihnen so vieles aufgeopfert.

    Tellheim
    Mir aufgeopfert?

    Franziska
    Hoeren Sie nur kurz.—Es ist fuer Sie recht gut, Herr Major, dass Sie auf diese Art von ihr losgekommen sind.—Warum soll ich es Ihnen nicht sagen? Es kann doch laenger kein Geheimnis bleiben.—Wir sind entflohen!—Der Graf von Bruchsall hat das Fraeulein enterbt, weil sie keinen Mann von seiner Hand annehmen wollte. Alles verliess, alles verachtete sie hierauf. Was sollten wir tun? Wir entschlossen uns, denjenigen aufzusuchen, dem wir—

    Tellheim
    Ich habe genug!—Komm, ich muss mich zu ihren Fuessen werfen.

    Franziska
    Was denken Sie? Gehen Sie vielmehr und danken Ihrem guten Geschicke—

    Tellheim
    Elende! fuer wen haeltst du mich?—Nein, liebe Franziska, der Rat kam nicht aus deinem Herzen. Vergib meinem Unwillen!

    Franziska
    Halten Sie mich nicht laenger auf. Ich muss sehen, was sie macht. Wie leicht koennte ihr etwas zugestossen sein.—Gehen Sie! Kommen Sie lieber wieder, wenn Sie wiederkommen wollen. (Geht dem Fraeulein nach.)


    8. Szene

    (v. Tellheim)

    Tellheim
    Aber, Franziska!—Oh, ich erwarte euch hier!—Nein, das ist dringender! —Wenn sie Ernst sieht, kann mir ihre Vergebung nicht entstehen.—Nun brauch ich dich, ehrlicher Werner!—Nein, Minna, ich bin kein Verraeter! (Eilends ab.)


    5. Akt


    1. Szene

    (Die Szene: Der Saal.) (v. Tellheim von der einen und Werner von der andern Seite.)

    Tellheim
    Ha, Werner! ich suche dich ueberall. Wo steckst du?

    Werner
    Und ich habe Sie gesucht, Herr Major; so geht's mit dem Suchen.—Ich bringe Ihnen gar eine gute Nachricht.

    Tellheim
    Ah, ich brauche jetzt nicht deine Nachrichten: ich brauche dein Geld. Geschwind, Werner, gib mir, soviel du hast; und denn suche so viel aufzubringen, als du kannst.

    Werner
    Herr Major?—Nun, bei meiner armen Seele, habe ich's doch gesagt: er wird Geld von mir borgen, wenn er selber welches zu verleihen hat.

    Tellheim
    Du suchst doch nicht Ausfluechte?

    Werner
    Damit ich ihm nichts vorzuwerfen habe, so nimmt er mir's mit der Rechten und gibt mir's mit der Linken wieder.

    Tellheim
    Halte mich nicht auf, Werner!—Ich habe den guten Willen, dir es wiederzugeben, aber wenn und wie?—Das weiss Gott!

    Werner
    Sie wissen es also noch nicht, dass die Hofstaatskasse Ordre hat, Ihnen Ihre Gelder zu bezahlen? Eben erfuhr ich es bei—

    Tellheim
    Was plauderst du? Was laessest du dir weismachen? Begreifst du denn nicht, dass, wenn es wahr waere, ich es doch wohl am ersten wissen muesste?—Kurz, Werner, Geld! Geld!

    Werner
    Je nu, mit Freuden! hier ist was!—das sind die hundert Louisdor und das die hundert Dukaten. / (gibt ihm beides.)

    Tellheim
    Die hundert Louisdor, Werner, geh und bringe Justen. Er soll sogleich den Ring wieder einloesen, den er heute frueh versetzt hat.—Aber wo wirst du mehr hernehmen, Werner?—Ich brauche weit mehr.

    Werner
    Dafuer lassen Sie mich sorgen.—Der Mann, der mein Gut gekauft hat, wohnt in der Stadt. Der Zahlungstermin waere zwar erst in vierzehn Tagen, aber das Geld liegt parat, und ein halb Prozentchen Abzug—

    Tellheim
    Nun ja, lieber Werner!—Siehst du, dass ich meine einzige Zuflucht zu dir nehme?—Ich muss dir auch alles vertrauen. Das Fraeulein hier—du hast sie gesehn—ist ungluecklich—

    Werner
    O Jammer!

    Tellheim
    Aber morgen ist sie meine Frau—

    Werner
    O Freude!

    Tellheim
    Und uebermorgen geh ich mit ihr fort. Ich darf fort, ich will fort. Lieber hier alles im Stiche gelassen! Wer weiss, wo mir sonst ein Glueck aufgehoben ist. Wenn du willst, Werner, so komm mit. Wir wollen wieder Dienste nehmen.

    Werner
    Wahrhaftig?—Aber doch wo's Krieg gibt, Herr Major?

    Tellheim
    Wo sonst?—Geh, lieber Werner, wir sprechen davon weiter.

    Werner
    O Herzensmajor!—Uebermorgen? Warum nicht lieber morgen?—Ich will schon alles zusammenbringen—In Persien, Herr Major, gibt's einen trefflichen Krieg; was meinen Sie?

    Tellheim
    Wir wollen das ueberlegen; geh nur, Werner!—

    Werner
    Juchhe! es lebe der Prinz Heraklius! (Geht ab.)


    2. Szene

    (v. Tellheim)

    Tellheim
    Wie is mir?—Meine ganze Seele hat neue Triebfedern bekommen. Mein eignes Unglueck schlug mich nieder, machte mich aergerlich, kurzsichtig, schuechtern, laessig: ihr Unglueck hebt mich empor, ich sehe wieder frei um mich und fuehle mich willig und stark, alles fuer sie zu unternehmen— Was verweile ich? (Will nach dem Zimmer des Fraeuleins, aus dem ihm Franziska entgegenkoemmt.)


    3. Szene

    (Franziska. v. Tellheim.)

    Franziska
    Sind Sie es doch?—Es war mir, als ob ich Ihre Stimme hoerte.—Was wollen Sie, Herr Major?

    Tellheim
    Was ich will?—Was macht dein Fraeulein?—Komm!—

    Franziska
    Sie will den Augenblick ausfahren.

    Tellheim
    Und allein? ohne mich? wohin?

    Franziska
    Haben Sie vergessen, Herr Major?—

    Tellheim
    Bist du nicht klug, Franziska?—Ich habe sie gereizt, und sie ward empfindlich: ich werde sie um Vergebung bitten, und sie wird mir vergeben.

    Franziska
    Wie?—Nachdem Sie den Ring zurueckgenommen, Herr Major?

    Tellheim
    Ha!—Das tat ich in der Betaeubung.—Jetzt denk ich erst wieder an den Ring.—Wo habe ich ihn hingesteckt?—(Er sucht ihn.) Hier ist er.

    Franziska
    Ist er das? (Indem er ihn wieder einsteckt, beiseite.) Wenn er ihn doch genauer besehen wollte!

    Tellheim
    Sie drang mir ihn auf mit einer Bitterkeit—Ich habe diese Bitterkeit schon vergessen. Ein volles Herz kann die Worte nicht waegen.—Aber sie wird sich auch keinen Augenblick weigern, den Ring wieder anzunehmen.—Und habe ich nicht noch ihren?

    Franziska
    Den erwartet sie dafuer zurueck.—Wo haben Sie ihn denn, Herr Major? Zeigen Sie mir ihn doch.

    Tellheim
    (etwas verlegen). Ich habe—ihn anzustecken vergessen.—Just—Just wird mir ihn gleich nachbringen.

    Franziska
    Es ist wohl einer ziemlich wie der andere; lassen Sie mich doch diesen sehen; ich sehe so was gar zu gern.

    Tellheim
    Ein andermal, Franziska. Jetzt komm—Franziska (beiseite). Er will sich durchaus nicht aus seinem Irrtume bringen lassen.

    Tellheim
    Was sagst du? Irrtume?

    Franziska
    Es ist ein Irrtum, sag ich, wenn Sie meinen, dass das Fraeulein doch noch eine gute Partie sei. Ihr eigenes Vermoegen ist gar nicht betraechtlich; durch ein wenig eigennuetzige Rechnungen koennen es ihr die Vormuender voellig zu Wasser machen. Sie erwartete alles von dem Oheim, aber dieser grausame Oheim—

    Tellheim
    Lass ihn doch!—Bin ich nicht Manns genug, ihr einmal alles zu ersetzen?—

    Franziska
    Hoeren Sie? Sie klingelt; ich muss herein.

    Tellheim
    Ich gehe mit dir.

    Franziska
    Um des Himmels willen nicht! Sie hat mir ausdruecklich verboten, mit Ihnen zu sprechen. Kommen Sie wenigstens mir erst nach.—(Geht herein.)


    4. Szene

    (v. Tellheim ihr nachrufend.) Melde mich ihr!—Sprich fuer mich, Franziska!—Ich folge dir sogleich!—Was werde ich ihr sagen?—Wo das Herz reden darf, braucht es keiner Vorbereitung.—Das einzige moechte eine studierte Wendung beduerfen: ihre Zurueckhaltung, ihre Bedenklichkeit, sich als ungluecklich in meine Arme zu werfen; ihre Beflissenheit, mir ein Glueck vorzuspiegeln, das sie durch mich verloren hat. Dieses Misstrauen in meine Ehre, in ihren eigenen Wert vor ihr selbst zu entschuldigen, vor ihr selbst—Vor mir ist es schon entschuldiget!—Ha! hier koemmt sie.—


    5. Szene

    (Das Fraeulein. Franziska. v. Tellheim.)

    Fraeulein
    (im Heraustreten, als ob sie den Major nicht gewahr wuerde). Der Wagen ist doch vor der Tuere, Franziska?—Meinen Faecher!

    Tellheim
    (auf sie zu). Wohin, mein Fraeulein?

    Fraeulein
    (mit einer affektierten Kaelte). Aus, Herr Major.—Ich errate, warum Sie sich nochmals herbemuehet haben: mir auch meinen Ring wieder zurueckzugeben.—Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Guete, ihn der Franziska einzuhaendigen.—Franziska, nimm dem Herrn Major den Ring ab! —Ich habe keine Zeit zu verlieren. (Will fort.)

    Tellheim
    (der ihr vortritt). Mein Fraeulein!—Ah, was habe ich erfahren, mein Fraeulein! Ich war so vieler Liebe nicht wert.

    Fraeulein
    So, Franziska? Du hast dem Herrn Major—

    Franziska
    Alles entdeckt.

    Tellheim.
    Zuernen Sie nicht auf mich, mein Fraeulein. Ich bin kein Verraeter. Sie haben um mich in den Augen der Welt viel verloren, aber nicht in den meinen. In meinen Augen haben Sie unendlich durch diesen Verlust gewonnen. Er war Ihnen noch zu neu; Sie fuerchteten, er moechte einen allzu nachteiligen Eindruck auf mich machen; Sie wollten mir ihn vors erste verbergen. Ich beschwere mich nicht ueber dieses Misstrauen. Es entsprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieses Verlangen ist mein Stolz! Sie fanden mich selbst ungluecklich; und Sie wollten Unglueck nicht mit Unglueck haeufen. Sie konnten nicht vermuten, wie sehr mich Ihr Unglueck ueber das meinige hinaussetzen wuerde.

    Fraeulein
    Alles recht gut, Herr Major! Aber es ist nun einmal geschehen. Ich habe Sie Ihrer Verbindlichkeit erlassen; Sie haben durch Zuruecknehmung des Ringes—

    Tellheim
    In nichts gewilliget!—Vielmehr halte ich mich jetzt fuer gebundener als jemals.—Sie sind die Meinige, Minna, auf ewig die Meinige. (Zieht den Ring heraus.) Hier, empfangen Sie es zum zweiten Male, das Unterpfand meiner Treue—

    Fraeulein
    Ich diesen Ring wiedernehmen? diesen Ring?

    Tellheim
    Ja, liebste Minna, ja!

    Fraeulein
    Was muten Sie mir zu? diesen Ring?

    Tellheim
    Diesen Ring nahmen Sie das erstemal aus meiner Hand, als unser beider Umstaende einander gleich und gluecklich waren. Sie sind nicht mehr gluecklich, aber wiederum einander gleich. Gleichheit ist immer das festeste Band der Liebe.—Erlauben Sie, liebste Minna!—(Ergreift ihre Hand, um ihr den Ring anzustecken.)

    Fraeulein
    Wie? mit Gewalt, Herr Major?—Nein, da ist keine Gewalt in der Welt, die mich zwingen soll, diesen Ring wieder anzunehmen!—Meinen Sie etwa, dass es mir an einem Ringe fehlt?—Oh, Sie sehen ja wohl (auf ihren Ring zeigend), dass ich hier noch einen habe, der Ihrem nicht das geringste nachgibt?—

    Franziska
    Wenn er es noch nicht merkt!—

    Tellheim
    (indem er die Hand des Fraeuleins fahren laesst). Was ist das?—Ich sehe das Fraeulein von Barnhelm, aber ich hoere es nicht.—Sie zieren sich, mein Fraeulein.—Vergeben Sie, dass ich Ihnen dieses Wort nachbrauche.

    Fraeulein
    (in ihrem wahren Tone). Hat Sie dieses Wort beleidiget, Herr, Major?

    Tellheim
    Es hat mir weh getan.

    Fraeulein
    (geruehrt). Das sollte es nicht, Tellheim.—Verzeihen Sie mir, Tellheim.

    Tellheim
    Ha, dieser vertrauliche Ton sagt mir, dass Sie wieder zu sich kommen, mein Fraeulein, dass Sie mich noch lieben, Minna.—

    Franziska
    (herausplatzend). Bald waere der Spass auch zu weit gegangen.—

    Fraeulein
    (gebieterisch). Ohne dich in unser Spiel zu mengen, Franziska, wenn ich bitten darf!

    Franziska
    (beiseite und betroffen). Noch nicht genug?

    Fraeulein
    Ja, mein Herr, es waere weibliche Eitelkeit, mich kalt und hoehnisch zu stellen. Weg damit! Sie verdienen es, mich ebenso wahrhaft zu finden, als Sie selbst sind.—Ich liebe Sie noch, Tellheim, ich liebe Sie noch, aber demohngeachtet—

    Tellheim
    Nicht weiter, liebste Minna, nicht weiter! (Ergreift ihre Hand nochmals, ihr den Ring anzustecken.)

    Fraeulein
    (die ihre Hand zurueckzieht). Demohngeachtet—um so viel mehr werde ich dieses nimmermehr geschehen lassen; nimmermehr!—Wo denken Sie hin, Herr Major?—Ich meinte, Sie haetten an Ihrem eigenen Ungluecke genug.— Sie muessen hierbleiben; Sie muessen sich die allervollstaendigste Genugtuung—ertrotzen. Ich weiss in der Geschwindigkeit kein ander Wort.—Ertrotzen—und sollte Sie auch das aeusserste Elend, vor den Augen Ihrer Verleumder, darueber verzehren!

    Tellheim
    So dacht' ich, so sprach ich, als ich nicht wusste, was ich dachte und sprach. Aergernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst in dem vollesten Glanze des Glueckes konnte sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet und alle Zugaenge meiner Seele den Eindruecken der Zaertlichkeit wiederum oeffnet. Der Trieb der Selbsterhaltung erwacht, da ich etwas Kostbarers zu erhalten habe als mich und es durch mich zu erhalten habe. Lassen Sie mich, mein Fraeulein, das Wort Mitleid nicht beleidigen. Von der unschuldigen Ursache unsers Ungluecks koennen wir es ohne Erniedrigung hoeren. Ich bin diese Ursache; durch mich, Minna, verlieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermoegen und Vaterland. Durch mich, in mir muessen Sie alles dieses wiederfinden, oder ich habe das Verderben der Liebenswuerdigsten Ihres Geschlechts auf meiner Seele. Lassen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich selbst hassen muesste. —Nein, nichts soll mich hier laenger halten. Von diesem Augenblicke an will ich dem Unrechte, das mir hier widerfaehrt, nichts als Verachtung entgegensetzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird man mir verweigern? Und muesste ich sie unter dem entferntesten Himmel suchen: folgen Sie mir nur getrost, liebste Minna; es soll uns an nichts fehlen.—Ich habe einen Freund, der mich gern unterstuetzet.


    6. Szene

    (Ein Feldjaeger. v. Tellheim. Das Fraeulein. Franziska.)

    Franziska
    (indem sie den Feldjaeger gewahr wird). St! Herr Major—

    Tellheim
    (gegen den Feldjaeger). Zu wem wollen Sie?

    Feldjaeger
    Ich suche den Herrn Major von Tellheim.—Ah, Sie sind es ja selbst. Mein Herr Major, dieses koenigliche Handschreiben (das er aus seiner Brieftasche nimmt) habe ich an Sie zu uebergeben.

    Tellheim
    An mich?

    Feldjaeger
    Zufolge der Aufschrift—

    Fraeulein
    Franziska, hoerst du?—Der Chevalier hat doch wahr geredet!

    Feldjaeger
    (indem Tellheim den Brief nimmt). Ich bitte um Verzeihung, Herr Major; Sie haetten es bereits gestern erhalten sollen, aber es ist mir nicht moeglich gewesen, Sie auszufragen. Erst heute auf der Parade habe ich Ihre Wohnung von dem Leutnant Riccaut erfahren.

    Franziska
    Gnaediges Fraeulein, hoeren Sie?—Das ist des Chevaliers Minister.—“Wie heissen der Minister da drauss auf die breite Platz?”—

    Tellheim
    Ich bin Ihnen fuer Ihre Muehe sehr verbunden.

    Feldjaeger
    Es ist meine Schuldigkeit, Herr Major. (Geht ab.)


    7. Szene

    (v. Tellheim. Das Fraeulein. Franziska.)

    Tellheim
    Ah, mein Fraeulein, was habe ich hier? Was enthaelt dieses Schreiben?

    Fraeulein.
    Ich bin nicht befugt, meine Neugierde so weit zu erstrecken.

    Tellheim
    Wie? Sie trennen mein Schicksal noch von dem Ihrigen?—Aber warum steh ich an, es zu erbrechen?—Es kann mich nicht ungluecklicher machen, als ich bin; nein, liebste Minna, es kann uns nicht ungluecklicher machen—wohl aber gluecklicher!—Erlauben Sie, mein Fraeulein! (Erbricht und lieset den Brief, indes dass der Wirt an die Szene geschlichen koemmt.)


    8. Szene

    (Der Wirt. Die Vorigen.)

    Wirt
    (gegen die Franziska). Bst! mein schoenes Kind! auf ein Wort!

    Franziska
    (die sich ihm naehert). Herr Wirt?—Gewiss, wir wissen selbst noch nicht, was in dem Briefe steht.

    Wirt
    Wer will vom Briefe wissen?—Ich komme des Ringes wegen. Das gnaedige Fraeulein muss mir ihn gleich wiedergeben. Just ist da, er soll ihn wieder einloesen.

    Fraeulein
    (das sich indes gleichfalls dem Wirte genaehert). Sagen Sie Justen nur, dass er schon eingeloeset sei; und sagen Sie ihm nur, von wem; von mir.

    Wirt
    Aber—

    Fraeulein
    Ich nehme alles auf mich; gehen Sie doch! (Der Wirt geht ab.)


    9. Szene

    (v. Tellheim. Das Fraeulein. Franziska.)

    Franziska
    Und nun, gnaediges Fraeulein, lassen Sie es mit dem armen Major gut sein.

    Fraeulein
    Oh, ueber die Vorbitterin! Als ob der Knoten sich nicht von selbst bald loesen muesste.

    Tellheim
    (nachdem er gelesen, mit der lebhaftesten Ruehrung). Ha! er hat sich auch hier nicht verleugnet!—Oh, mein Fraeulein, welche Gerechtigkeit!— welche Gnade!—Das ist mehr, als ich erwartet!—Mehr, als ich verdiene! —Mein Glueck, meine Ehre, alles ist wiederhergestellt!—Ich traeume doch nicht? (Indem er wieder in den Brief sieht, als um sich nochmals zu ueberzeugen.) Nein, kein Blendwerk meiner Wuensche!—Lesen Sie selbst, mein Fraeulein, lesen Sie selbst!

    Fraeulein
    Ich bin nicht so unbescheiden, Herr Major.

    Tellheim
    Unbescheiden? Der Brief ist an mich, an Ihren Tellheim, Minna. Er enthaelt—was Ihnen Ihr Oheim nicht nehmen kann. Sie muessen ihn lesen; lesen Sie doch!

    Fraeulein
    Wenn Ihnen ein Gefalle damit geschieht, Herr Major—(Sie nimmt den Brief und lieset.) (“Mein lieber Major von Tellheim!) Ich tue Euch zu wissen, dass der Handel, der mich um Eure Ehre besorgt machte, sich zu Eurem Vorteil aufgeklaeret hat. Mein Bruder war des naehern davon unterrichtet, und sein Zeugnis hat Euch fuer mehr als unschuldig erklaeret. Die Hofstaatskasse hat Ordre, Euch den bewussten Wechsel wieder auszuliefern und die getanen Vorschuesse zu bezahlen; auch habe ich befohlen, dass alles, was die Feldkriegskassen wider Eure Rechnungen urgieren, niedergeschlagen werde. Meldet mir, ob Euch Eure Gesundheit erlaubet, wieder Dienste zu nehmen. Ich moechte nicht gern einen Mann von Eurer Bravour und Denkungsart entbehren. Ich bin Euer wohlaffektionierter Koenig” etc.

    Tellheim
    Nun, was sagen Sie hierzu, mein Fraeulein?

    Fraeulein
    (indem sie den Brief wieder zusammenschlaegt und zurueckgibt). Ich? Nichts.

    Tellheim
    Nichts?

    Fraeulein
    Doch ja: dass Ihr Koenig, der ein grosser Mann ist, auch wohl ein guter Mann sein mag.—Aber was geht mich das an? Er ist nicht mein Koenig.

    Tellheim
    Und sonst sagen Sie nichts? Nichts in Ruecksicht auf uns selbst?

    Fraeulein
    Sie treten wieder in seine Dienste; der Herr Major wird Oberstleutnant, Oberster vielleicht. Ich gratuliere von Herzen.

    Tellheim
    Und Sie kennen mich nicht besser?—Nein, da mir das Glueck so viel zurueckgibt, als genug ist, die Wuensche eines vernuenftigen Mannes zu befriedigen, soll es einzig von meiner Minna abhangen, ob ich sonst noch jemanden wieder zugehoeren soll als ihr. Ihrem Dienste allein sei mein ganzes Leben gewidmet! Die Dienste der Grossen sind gefaehrlich und lohnen der Muehe, des Zwanges, der Erniedrigung nicht, die sie kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren Maennern nichts als den Titel und die Ehrenstelle lieben. Sie wird mich um mich selbst lieben; und ich werde um sie die ganze Welt vergessen. Ich ward Soldat aus Parteilichkeit, ich weiss selbst nicht fuer welche politische Grundsaetze, und aus der Grille, dass es fuer jeden ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit allem, was Gefahr heisst, vertraulich zu machen und Kaelte und Entschlossenheit zu lernen. Nur die aeusserste Not haette mich zwingen koennen, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser gelegentlichen Beschaeftigung ein Handwerk zu machen. Aber nun, da mich nichts mehr zwingt, nun ist mein ganzer Ehrgeiz wiederum einzig und allein, ein ruhiger und zufriedener Mensch zu sein. Der werde ich mit Ihnen, liebste Minna, unfehlbar werden; der werde ich in Ihrer Gesellschaft unveraenderlich bleiben.—Morgen verbinde uns das heiligste Band; und sodann wollen wir um uns sehen und wollen in der ganzen weiten bewohnten Welt den stillsten, heitersten, lachendsten Winkel suchen, dem zum Paradiese nichts fehlt als ein glueckliches Paar. Da wollen wir wohnen; da soll jeder unserer Tage—Was ist Ihnen, mein Fraeulein? (Die sich unruhig hin und her wendet und ihre Ruehrung zu verbergen sucht.)

    Fraeulein
    (sich fassend). Sie sind sehr grausam, Tellheim, mir ein Glueck so reizend darzustellen, dem ich entsagen muss. Mein Verlust—

    Tellheim
    Ihr Verlust?—Was nennen Sie Ihren Verlust? Alles, was Minna verlieren konnte, ist nicht Minna. Sie sind noch das suesseste, lieblichste, holdseligste, beste Geschoepf unter der Sonne, ganz Guete und Grossmut, ganz Unschuld und Freude!—Dann und wann ein kleiner Mutwille; hier und da ein wenig Eigensinn—Desto besser! desto besser! Minna waere sonst ein Engel, den ich mit Schaudern verehren muesste, den ich nicht lieben koennte. (Ergreift ihre Hand, sie zu kuessen.)

    Fraeulein
    (die ihre Hand zurueckzieht). Nicht so, mein Herr!—(Wie auf einmal so veraendert?—Ist dieser schmeichelnde, stuermische Liebhaber der kalte Tellheim?—Konnte nur sein wiederkehrendes Glueck ihn in dieses Feuer setzen?—Er erlaube mir, dass ich bei seiner fliegenden Hitze fuer uns beide Ueberlegung behalte.—Als er selbst ueberlegen konnte, hoerte ich ihn sagen, es sei eine nichtswuerdige Liebe, die kein Bedenken trage, ihren Gegenstand der Verachtung auszusetzen.—Recht, aber ich bestrebe mich einer ebenso reinen und edeln Liebe als er.—Jetzt, da ihn die Ehre ruft, da sich ein grosser Monarch um ihn bewirbt, sollte ich zugeben, dass er sich verliebten Traeumereien mit mir ueberliesse? dass der ruhmvolle Krieger in einen taendelnden Schaefer ausarte?—Nein, Herr Major, folgen Sie dem Wink Ihres bessern Schicksals—)

    Tellheim
    Nun wohl! Wenn Ihnen die grosse Welt reizender ist, Minna—wohl! so behalte uns die grosse Welt!—Wie klein, wie armselig ist diese grosse Welt!—Sie kennen sie nur erst von ihrer Flitterseite. Aber gewiss, Minna, Sie werden—Es sei! Bis dahin, wohl! Es soll Ihren Vollkommenheiten nicht an Bewundrern fehlen, und meinem Gluecke wird es nicht an Neidern gebrechen.

    Fraeulein
    Nein, Tellheim, so ist es nicht gemeint! Ich weise Sie in die grosse Welt, auf die Bahn der Ehre zurueck, ohne Ihnen dahin folgen zu wollen. —Dort braucht Tellheim eine unbescholtene Gattin! Ein saechsisches verlaufenes Fraeulein, das sich ihm an den Kopf geworfen—

    Tellheim
    (auffahrend und wild um sich sehend). Wer darf so sprechen?—Ah, Minna, ich erschrecke vor mir selbst, wenn ich mir vorstelle, dass jemand anders dieses gesagt haette als Sie. Meine Wut gegen ihn wuerde ohne Grenzen sein.

    Fraeulein
    Nun da! Das eben besorge ich. Sie wuerden nicht die geringste Spoetterei ueber mich dulden, und doch wuerden Sie taeglich die bittersten einzunehmen haben.—Kurz, hoeren Sie also, Tellheim, was ich fest beschlossen, wovon mich nichts in der Welt abbringen soll—

    Tellheim
    Ehe Sie ausreden, Fraeulein—ich beschwoere Sie, Minna!—ueberlegen Sie es noch einen Augenblick, dass Sie mir das Urteil ueber Leben und Tod sprechen!—

    Fraeulein
    Ohne weitere Ueberlegung!—So gewiss ich Ihnen den Ring zurueckgegeben, mit welchem Sie mir ehemals Ihre Treue verpflichtet, so gewiss Sie diesen naemlichen Ring zurueckgenommen: so gewiss soll die unglueckliche Barnhelm die Gattin des gluecklichern Tellheims nie werden!

    Tellheim
    Und hiermit brechen Sie den Stab, Fraeulein?

    Fraeulein
    Gleichheit ist allein das feste Band der Liebe.—Die glueckliche Barnhelm wuenschte, nur fuer den gluecklichen Tellheim zu leben. Auch die unglueckliche Minna haette sich endlich ueberreden lassen, das Unglueck ihres Freundes durch sich, es sei zu vermehren oder zu lindern. —Er bemerkte es ja wohl, ehe dieser Brief ankam, der alle Gleichheit zwischen uns wieder aufhebt, wie sehr zum Schein ich mich nur noch weigerte.

    Tellheim
    Ist das wahr, mein Fraeulein?—Ich danke Ihnen, Minna, dass Sie den Stab noch nicht gebrochen.—Sie wollen nur den ungluecklichen Tellheim? Er ist zu haben. (Kalt.) Ich empfinde eben, dass es mir unanstaendig ist, diese spaete Gerechtigkeit anzunehmen, dass es besser sein wird, wenn ich das, was man durch einen so schimpflichen Verdacht entehrt hat, gar nicht wiederverlange.—Ja, ich will den Brief nicht bekommen haben. Das sei alles, was ich darauf antworte und tue! (Im Begriffe, ihn zu zerreissen.)

    Fraeulein
    (das ihm in die Haende greift). Was wollen Sie, Tellheim?

    Tellheim
    Sie besitzen.

    Fraeulein
    Halten Sie!

    Tellheim
    Fraeulein, er ist unfehlbar zerrissen, wenn Sie nicht bald sich anders erklaeren.—Alsdann wollen wir doch sehen, was Sie noch wider mich einzuwenden haben!

    Fraeulein
    Wie? In diesem Tone?—So soll ich, so muss ich in meinen eigenen Augen veraechtlich werden? Nimmermehr! Es ist eine nichtswuerdige Kreatur, die sich nicht schaemet, ihr ganzes Glueck der blinden Zaertlichkeit eines Mannes zu verdanken!

    Tellheim
    Falsch, grundfalsch!

    Fraeulein
    Wollen Sie es wagen, Ihre eigene Rede in meinem Munde zu schelten?

    Tellheim
    Sophistin! So entehrt sich das schwaechere Geschlecht durch alles, was dem staerkern nicht ansteht? So soll sich der Mann alles erlauben, was dem Weibe geziemet? Welches bestimmte die Natur zur Stuetze des andern?

    Fraeulein
    Beruhigen Sie sich, Tellheim!—Ich werde nicht ganz ohne Schutz sein, wenn ich schon die Ehre des Ihrigen ausschlagen muss. So viel muss mir immer noch werden, als die Not erfordert. Ich habe mich bei unserm Gesandten melden lassen. Er will mich noch heute sprechen. Hoffentlich wird er sich meiner annehmen. Die Zeit verfliesst. Erlauben Sie, Herr Major—

    Tellheim
    Ich werde Sie begleiten, gnaediges Fraeulein.—

    Fraeulein
    Nicht doch, Herr Major, lassen Sie mich—

    Tellheim
    Eher soll Ihr Schatten Sie verlassen! Kommen Sie nur, mein Fraeulein, wohin Sie wollen, zu wem Sie wollen. Ueberall, an Bekannte und Unbekannte, will ich es erzaehlen, in Ihrer Gegenwart des Tages hundertmal erzaehlen, welche Bande Sie an mich verknuepfen, aus welchem grausamen Eigensinne Sie diese Bande trennen wollen—


    10. Szene

    (Just. Die Vorigen.)

    Just
    (mit Ungestuem). Herr Major! Herr Major!

    Tellheim
    Nun?

    Just
    Kommen Sie doch geschwind, geschwind!

    Tellheim
    Was soll ich? Zu mir her! Sprich, was ist's?

    Just
    Hoeren Sie nur—(Redet ihm heimlich ins Ohr.)

    Fraeulein
    (indes beiseite zur Franziska). Merkst du was, Franziska?

    Franziska
    Oh, Sie Unbarmherzige! Ich habe hier gestanden wie auf Kohlen!

    Tellheim
    (zu Justen). Was sagst du?—Das ist nicht moeglich!—Sie? (Indem er das Fraeulein wild anblickt.)—sag es laut; sag es ihr ins Gesicht!— Hoeren Sie doch, mein Fraeulein!—

    Just
    Der Wirt sagt, das Fraeulein von Barnhelm habe den Ring, welchen ich bei ihm versetzt, zu sich genommen; sie habe ihn fuer den ihrigen erkannt und wolle ihn nicht wieder herausgeben.—

    Tellheim
    Ist das wahr, mein Fraeulein?—Nein, das kann nicht wahr sein!

    Fraeulein
    (laechelnd). Und warum nicht, Tellheim?—Warum kann es nicht wahr sein?

    Tellheim
    (heftig). Nun, so sei es wahr!—Welch schreckliches Licht, das mir auf einmal aufgegangen!—Nun erkenne ich Sie, die Falsche, die Ungetreue!

    Fraeulein
    (erschrocken). Wer? wer ist diese Ungetreue?

    Tellheim
    Sie, die ich nicht mehr nennen will!

    Fraeulein
    Tellheim!

    Tellheim
    Vergessen Sie meinen Namen!—Sie kamen hierher, mit mir zu brechen. Es ist klar!—Dass der Zufall so gern dem Treulosen zustatten koemmt! Er fuehrte Ihnen Ihren Ring in die Haende. Ihre Arglist wusste mir den meinigen zuzuschanzen.

    Fraeulein
    Tellheim, was fuer Gespenster sehen Sie! Fassen Sie sich doch, und hoeren Sie mich.

    Franziska
    (vor sich). Nun mag sie es haben!


    11. Szene

    (Werner mit einem Beutel Gold. v. Tellheim. (Das Fraeulein. Franziska. Just.)

    Werner
    Hier bin ich schon, Herr Major!—

    Tellheim
    (ohne ihn anzusehen). Wer verlangt dich?—

    Werner
    Hier ist Geld! tausend Pistolen!

    Tellheim
    Ich will sie nicht!

    Werner
    Morgen koennen Sie, Herr Major, ueber noch einmal so viel befehlen.

    Tellheim
    Behalte dein Geld!

    Werner
    Es ist ja Ihr Geld, Herr Major.—Ich glaube, Sie sehen nicht, mit wem Sie sprechen?

    Tellheim
    Weg damit! sag ich.

    Werner
    Was fehlt Ihnen?—Ich bin Werner.

    Tellheim
    Alle Guete ist Verstellung, alle Dienstfertigkeit Betrug.

    Werner
    Gilt das mir?

    Tellheim
    Wie du willst!

    Werner
    Ich habe ja nur Ihren Befehl vollzogen.—

    Tellheim
    So vollziehe auch den und packe dich!

    Werner
    Herr Major! (aergerlich) ich bin ein Mensch—

    Tellheim
    Da bist du was Rechts!

    Werner
    Der auch Galle hat—

    Tellheim
    Gut! Galle ist noch das Beste, was wir haben.

    Werner
    Ich bitte Sie, Herr Major—

    Tellheim
    Wievielmal soll ich dir es sagen? Ich brauche dein Geld nicht!

    Werner
    (zornig). Nun, so brauch es, wer da will! (Indem er ihm den Beutel vor die Fuesse wirft und beiseite geht.)

    Fraeulein
    (zur Franziska). Ah, liebe Franziska, ich haette dir folgen sollen. Ich habe den Scherz zu weit getrieben.—Doch er darf mich ja nur hoeren —(Auf ihn zugehend.)

    Franziska
    (die, ohne dem Fraeulein zu antworten, sich Wernern naehert). Herr Wachtmeister!—

    Werner
    (muerrisch). Geh Sie!—

    Franziska
    Hu! was sind das fuer Maenner!

    Fraeulein
    Tellheim!—Tellheim! (Der vor Wut an den Fingern naget, das Gesicht wegwendet und nichts hoeret.)—Nein, das ist zu arg!—Hoeren Sie mich doch!—Sie betruegen sich!—Ein blosses Missverstaendnis—Tellheim!—Sie wollen Ihre Minna nicht hoeren?—Koennen Sie einen solchen Verdacht fassen?—Ich mit Ihnen brechen wollen?—Ich darum hergekommen?— Tellheim!


    12. Szene

    (Zwei Bediente nacheinander, von verschiedenen Seiten ueber den Saal laufend. Die Vorigen.)

    eine Bediente
    Gnaediges Fraeulein, Ihro Exzellenz, der Graf!—

    andere Bediente
    Er koemmt, gnaediges Fraeulein!—

    Franziska
    (die ans Fenster gelaufen). Er ist es! er ist es!

    Fraeulein
    Ist er's?—Oh, nun geschwind, Tellheim—

    Tellheim
    (auf einmal zu sich selbst kommend). Wer? wer koemmt? Ihr Oheim, Fraeulein? dieser grausame Oheim?—Lassen Sie ihn nur kommen, lassen Sie ihn nur kommen!—Fuerchten Sie nichts! Er soll Sie mit keinem Blicke beleidigen duerfen! Er hat es mit mir zu tun.—Zwar verdienen Sie es um mich nicht—

    Fraeulein
    Geschwind umarmen Sie mich, Tellheim, und vergessen Sie alles—

    Tellheim
    Ha, wenn ich wuesste, dass Sie es bereuen koennten!—

    Fraeulein
    Nein, ich kann es nicht bereuen, mir den Anblick Ihres ganzen Herzens verschafft zu haben!—Ah, was sind Sie fuer ein Mann!—Umarmen Sie Ihre Minna, Ihre glueckliche Minna; aber durch nichts gluecklicher als durch Sie! (Sie faellt ihm in die Arme.) Und nun, ihm entgegen!—

    Tellheim
    Wem entgegen?

    Fraeulein
    Dem besten Ihrer unbekannten Freunde.

    Tellheim
    Wie?

    Fraeulein
    Dem Grafen, meinem Oheim, meinem Vater, Ihrem Vater—Meine Flucht, sein Unwille, meine Enterbung—hoeren Sie denn nicht, dass alles erdichtet ist?—Leichtglaeubiger Ritter!

    Tellheim
    Erdichtet?—Aber der Ring? der Ring?

    Fraeulein
    Wo haben Sie den Ring, den ich Ihnen zurueckgegeben?

    Tellheim
    Sie nehmen ihn wieder?—Oh, so bin ich gluecklich!—Hier, Minna!—(Ihn herausziehend.)

    Fraeulein
    So besehen Sie ihn doch erst!—Oh, ueber die Blinden, die nicht sehen wollen!—Welcher Ring ist es denn? Den ich von Ihnen habe, oder den Sie von mir?—Ist es denn nicht eben der, den ich in den Haenden des Wirts nicht lassen wollen?

    Tellheim
    Gott! was seh ich? was hoer ich?

    Fraeulein
    Soll ich ihn nun wiedernehmen? soll ich?—Geben Sie her, geben Sie her! (Reisst ihn ihm aus der Hand und steckt ihn ihm selbst an den Finger.) Nun? ist alles richtig?

    Tellheim
    Wo bin ich?—(Ihre Hand kuessend.) O boshafter Engel!—mich so zu quaelen!

    Fraeulein
    Dieses zur Probe, mein lieber Gemahl, dass Sie mir nie einen Streich spielen sollen, ohne dass ich Ihnen nicht gleich darauf wieder einen spiele.—Denken Sie, dass Sie mich nicht auch gequaelet hatten?

    Tellheim
    O Komoediantinnen, ich haette euch doch kennen sollen.

    Franziska
    Nein, wahrhaftig; ich bin zur Komoediantin verdorben. Ich habe gezittert und gebebt und mir mit der Hand das Maul zuhalten muessen.

    Fraeulein
    Leicht ist mir meine Rolle auch nicht geworden.—Aber so kommen Sie doch!

    Tellheim
    Noch kann ich mich nicht erholen.—Wie wohl, wie aengstlich ist mir! So erwacht man ploetzlich aus einem schreckhaften Traume!

    Fraeulein
    Wir zaudern.—Ich hoere ihn schon.


    13. Szene

    (Der Graf von Bruchsall, von verschiedenen Bedienten und dem Wirte begleitet. Die Vorigen.)

    Graf
    (im Hereintreten). Sie ist doch gluecklich angelangt?

    Fraeulein
    (die ihm entgegenspringt). Ah, mein Vater!—

    Graf
    Da bin ich, liebe Minna! (Sie umarmend.) Aber was, Maedchen? (Indem er den Tellheim gewahr wird.) Vierundzwanzig Stunden erst hier und schon Bekanntschaft und schon Gesellschaft?

    Fraeulein
    Raten Sie, wer es ist?—

    Graf
    Doch nicht dein Tellheim?

    Fraeulein
    Wer sonst als er?—Kommen Sie, Tellheim! (Ihn dem Grafen zufuehrend.)

    Graf
    Mein Herr, wir haben uns nie gesehen, aber bei dem ersten Anblicke glaubte ich, Sie zu erkennen. Ich wuenschte, dass Sie es sein moechten.— Umarmen Sie mich.—Sie haben meine voellige Hochachtung. Ich bitte um Ihre Freundschaft.—Meine Nichte, meine Tochter liebet Sie.—

    Fraeulein
    Das wissen Sie, mein Vater!—Und ist sie blind, meine Liebe?

    Graf
    Nein, Minna, deine Liebe ist nicht blind, aber dein Liebhaber—ist stumm.

    Tellheim
    (sich ihm in die Arme werfend). Lassen Sie mich zu mir selbst kommen, mein Vater!—

    Graf
    So recht, mein Sohn! Ich hoere es; wenn dein Mund nicht plaudern kann, so kann dein Herz doch reden.—Ich bin sonst den Offizieren von dieser Farbe (auf Tellheims Uniform weisend) eben nicht gut. Doch Sie sind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken, in welchem Kleide er will, man muss ihn lieben.

    Fraeulein
    Oh, wenn Sie alles wuessten!—

    Graf
    Was hindert's, dass ich nicht alles erfahre?—Wo sind meine Zimmer, Herr Wirt?

    Wirt
    Wollen Ihro Exzellenz nur die Gnade haben, hier hereinzutreten.

    Graf
    Komm, Minna! Kommen Sie, Herr Major! (Geht mit dem Wirte und den Bedienten ab.)

    Fraeulein
    Kommen Sie, Tellheim!

    Tellheim
    Ich folge Ihnen den Augenblick, mein Fraeulein. Nur noch ein Wort mit diesem Manne! (Gegen Wernern sich wendend.)

    Fraeulein
    Und ja ein recht gutes; mich duenkt, Sie haben es noetig.—Franziska, nicht wahr? (Dem Grafen nach.)


    14. Szene

    (v. Tellheim. Werner. Just. Franziska.)

    Tellheim
    (auf den Beutel weisend, den Werner weggeworfen). Hier, Just!—Hebe den Beutel auf, und trage ihn nach Hause. Geh!—(Just damit ab.)

    Werner
    (der noch immer muerrisch im Winkel gestanden und an nichts teilzunehmen geschienen, indem er das hoert). Ja, nun!

    Tellheim
    (vertraulich auf ihn zugehend). Werner, wann kann ich die andern tausend Pistolen haben?

    Werner
    (auf einmal wieder in seiner guten Laune). Morgen, Herr Major, morgen. —

    Tellheim
    Ich brauche dein Schuldner nicht zu werden, aber ich will dein Rentmeister sein. Euch gutherzigen Leuten sollte man allen einen Vormund setzen. Ihr seid eine Art Verschwender.—Ich habe dich vorhin erzuernt, Werner!—

    Werner
    Bei meiner armen Seele, ja!—Ich haette aber doch so ein Toelpel nicht sein sollen. Nun seh ich's wohl. Ich verdiente hundert Fuchtel. Lassen Sie mir sie auch schon geben; nur weiter Keinen Groll, lieber Major!—

    Tellheim
    Groll?—(Ihm die Hand drueckend.) Lies es in meinen Augen, was ich dir nicht alles sagen kann.—Ha! wer ein besseres Maedchen und einen redlichern Freund hat als ich, den will ich sehen!—Franziska, nicht wahr? (Geht ab.)


    15. Szene

    (Werner. Franziska)

    Franziska
    (vor sich). Ja gewiss, es ist ein gar zu guter Mann!—So einer koemmt mir nicht wieder vor.—Es muss heraus! (Schuechtern und verschaemt sich Wernern naehernd.) Herr Wachtmeister!—

    Werner
    (der sich die Augen wischt). Nu?—

    Franziska
    Herr Wachtmeister—

    Werner
    Was will Sie denn, Frauenzimmerchen?

    Franziska
    Seh Er mich einmal an, Herr Wachtmeister.—

    Werner
    Ich kann noch nicht; ich weiss nicht, was mir in die Augen gekommen.

    Franziska
    So seh Er mich doch an!

    Werner
    Ich fuerchte, ich habe Sie schon zuviel angesehen, Frauenzimmerchen!— Nun, da seh ich Sie ja! Was gibt's denn?

    Franziska
    Herr Wachtmeister—braucht Er keine Frau Wachtmeisterin?

    Werner
    Ist das Ihr Ernst, Frauenzimmerchen?

    Franziska
    Mein voelliger!

    Werner
    Zoege Sie wohl auch mit nach Persien?

    Franziska
    Wohin Er will!

    Werner
    Gewiss?—Holla! Herr Major! nicht gross getan! Nun habe ich wenigstens ein ebenso gutes Maedchen und einen ebenso redlichen Freund als Sie!—Geben Sie mir Ihre Hand, Frauenzimmerchen! Topp!—Ueber zehn Jahr' ist Sie Frau Generalin oder Witwe!