Japanischer Fruehling

Hans Bethge

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  • Japanischer Fruehling
           Nachdichtungen Japanischer Lyrik
    Produced by Juliet Sutherland, Charlie Kirschner and Distributed Proofreaders






    JAPANISCHER FRUEHLING


    NACHDICHTUNGEN JAPANISCHER LYRIK



    HANS BETHGE





    DIE SEELE JAPANS


    WOMIT VERGLEICH ICH JAPANS SEELE WOHL
    AM TREFFENDSTEN? MIT DEM GEHEIMEN DUFT
    DER KIRSCHENBLUeTE. WENN DIE GOLDNE SONNE
    DES MORGENS SIEGHAFT AUS DER DAEMMRUNG STEIGT


    MOTOORI NORINAGA






    DIE SCHOeNE NUNA-KAWA-HIME SPRICHT ZUM GOTT DER ACHTMALTAUSEND SPEERE


    AUS ARCHAISCHER ZEIT


    Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand,
    In rabenschwarzer Nacht komm ich heraus,
    Und du wirst nahen wie die Morgenroete,
    Mit Laecheln und mit strahlendem Gesicht.
    Und deine Arme, die so schimmernd weiss
    Wie Taku-Rinde glaenzen, wirst du zaertlich
    Auf meinen Busen legen, der dem Schnee
    An Zartheit gleicht. Und eng verschlungen werden
    Wir liegen und uns kosen und die Arme
    Als Kissen unters Haupt uns betten, waehrend
    Die Schenkel nahe beieinander ruhn.


    Sprich mir von Liebessehnsucht nicht zu sehr,
    Du grosser Gott der achtmaltausend Speere!


    Wenn erst die Sonne hinterm Berg verschwand,
    Komm ich heraus.






    DIE WARTENDE


    KAISERIN IWA NO HIME


    Bis dass der weisse Reif des Alters sich
    Auf meine rabenschwarzen Haare legt.
    Will ich mein ganzes langes Leben durch
    Nichts weiter tun als warten, warten, warten
    Auf dich, den meine ganze Seele liebt.

    LIEBESWERBUNG


    KAISER YURYAKU


    Du schoenes, schlankes Maedchen mit dem Korbe,
    Du schoenes, schlankes Maedchen mit dem Spaten,
    Das dort am Huegel emsig Kraeuter pflueckt!


    Sag mir, wo ragt dein Haus, ich bitte dich,
    Und nenne deinen Namen mir! Im ganzen,
    Vom Himmel treu geliebten Lande Japan.


    Bin ich der Herrscher! Und mein Herz wuenschtinnig.
    Dich als Gemahlin heimzufuehren, Holde!
    Ich bitte dich, wer bist du,—sag es mir!

    DER GLUECKLICHE


    MUNETO


    Ihr sagt, dass ich ein Wilder sei. Nun gut.
    Ich bin den Voegeln im Gebuesch befreundet
    Und kenne alle Baeume. Und die Blumen.


    Auf bunter Bergflur bluehen nur fuer mich,
    Und das Geraun des Waldes kuendet mir
    Geheimnisvoll die Wunder der Natur.


    Ja, ich bin reich! Dich neid ich nimmermehr,
    Geschmeidiger Hofmann in dem seidnen Kleide,
    Denn du hast nichts, was meinem Gluecke gleicht.

    IN ERWARTUNG


    PRINZESSIN NUKADA


    Ich wartete auf dich, von Sehnsucht fast
    Verzehrt,—da, ein Geraeusch: du nahst! du nahst!


    Zu frueh gejubelt, sehnsuchtsbanges Herz!
    Es war der truegerische Wind des Herbstes,
    Der raschelnd durch den Bambusvorhang fuhr.

    DAS ELEND DER WELT


    OKURA


    Die Welt ist elend, jammervoll
    Und nimmer wert, dass wir sie lieben.
    O weh, dass ich kein Vogel bin!
    Ich wuenschte, dass ich Fluegel haette,
    Um ihr fuer immer zu entfliehn.

    EINSAM


    HITOMARO


    Trostlos, allein zu schlafen diese Nacht,
    Die endlos lang ist, wie der lange Schweif
    Des Goldfasanen, dessen helle Stimme
    Ich von dem Berg herueberklingen hoere.

    DIE GELIEBTE IM SEGELBOOT


    HITOMARO


    Rings um die Kueste braut der Morgennebel
    Und huellt in graue Daemmerung Land und Meer.


    Mit neidischem Sinn verbirgt er meinen Augen
    Das Segelboot, nach dem mein Herz sich sehnt.


    Voll unruhvollen Klopfens: denn ich weiss,
    Dass meine Liebste darin kommen wird.

    KRIEGSZUG


    HITOMARO


    Da tat der Held das Schwert um seinen Leib
    Und nahm den Bogen in die feste Hand
    Und schritt dem Heer des Kaisers stolz voran.


    Und alle Trommeln fingen an zu droehnen
    Wie Donnergroll, und die Drommeten klangen,
    Dass man erschrak wie vor des Tigers Schrei.
    Und hoch wie Feuerzungen flatterten
    Die Fahnen,—ja, wie Feuer auf dem Felde
    In Fruehlingsnaechten, von dem Wind entfacht,
    So lohten flammend sie zum Himmel auf.
    Und in der Hand der Krieger schwirrten jetzt
    So fuerchterlich die Bogen, dass man glaubte,
    Ein grimmer Sturmwind jage mit Gebruell
    Durch den verschneiten winterlichen Wald;
    Und so wie wilder Schneefall in der Luft
    Sich ineinander schuettet,—also schwirrten
    Die Pfeile durcheinander, dicht an dicht.

    TRUEBES LIED


    OZI


    Die Blueten rieseln nieder. Dichter Nebel
    Verbirgt den See. Die wilden Gaense rufen
    Erschreckt am heiligen Teich von Iware.


    Duestere Traeume schatten um mein Haupt.
    Mein Herz ist schwer. Wenn uebers Jahr die Gaense
    Von neuem rufen, hoer ich sie nicht mehr.

    AN DEN SCHNEE


    KAISER MOMMU


    Die Wolken sind von Flocken ganz erfuellt,
    Der Wald scheint voll von weissen Weidenkaetzchen,
    Das ganze Firmament ist schimmernd hell,
    Vom Wind getrieben weht der Schnee am Flusse,—
    Wenn ich die weissbedeckten Pflaumenbaeume
    In meinem Garten sehe, moecht ich glauben,
    Sie bluehten schon vom Fruehling ganz und gar.

    DER FUJI-YAMA


    AKAHITO


    Zum Himmel schauend, sehe ich den Gipfel
    Des Fuji-Yama gross und feierlich
    Ins Ewige schimmern; also ragt er schon
    Seit jenen Zeiten, da die Erde sich
    Vom Himmel schied; blick ich zu ihm empor,
    So ist mir, dass der Glanz der Sonne sich
    Verdunkelt, und der milde Schein des Mondes
    Verschwindet ganz; die weissen Wolken aber
    Tragen Bedenken, ueber seinen Gipfel
    Dahinzuschweben, und es sinkt der Schnee
    Mit stiller Ehrfurcht sanft auf ihn hinab.


    O Fuji-Yama, deine Herrlichkeit
    Wird man noch preisen in den fernsten Tagen;
    Bis zu der Dichter spaetesten Geschlechtern
    Wird deines Ruhmes Glanz nicht untergehn.

    BETRACHTUNG


    AKAHITO


    Wenn stets der Kirschenbaum so wundervoll
    Wie jetzt auf allen Hoehen bluehen wuerde,
    Wir liebten seine schneeige Schoenheit dann
    Nicht so wie jetzt, da nur den Lenz sie ziert.

    DIE TRAUERWEIDE


    MUSHIMARO


    Die Trauerweide auf dem Grab des Maedchens
    Laesst ihre Zweige nur nach einer Seite
    Hinueberhangen. Eines Juenglings Huegel
    Erhebt sich dort. Wer moechte nun noch zweifeln,
    Wem jenes toten Maedchens Liebe galt?

    DER MOND


    EDELDAME ISHIKAWA


    Seht, wie er sieghaft durch die Wolken bricht!
    Sein wunderbarer Glanz flicht Silbernetze,
    Die ueber Land und Meer sich schimmernd breiten,
    Auch ueber meinen Strand, wo nun die Steinchen
    Des Sandes klar wie Diamanten schimmern.

    FRUEHLINGS ENDE


    KIBINO


    Der Wind trieb alle Bluetenblaetter von
    Den Zweigen weg. Der Fruehling, der schon lange
    Kraenklich und blass war, ist geschwunden. Nur
    Der suesse Duft der Pflaumenbluete blieb
    Am Aermel meines seidenen Gewandes
    Gleich einem schoenen, mueden Traum zurueck.

    FRUEHLINGS ENDE


    OKISHIMA


    Im Bambushaine meines Gartens hoer ich
    Die Nachtigall mit mueder Stimme klagen,—
    Sie trauert, weil die weissen Pflaumenblueten
    In Scharen von den Baeumen niederfallen,
    Weil nun der Lenz mit seinen Wundern flieht.

    IN DER FREMDE


    YAKAMOCHI


    Verbannt von meinem Kaiser, leb ich nun
    Fuenf Jahre schon in fremdem, wildem Lande,
    Entbehrend deinen Anblick, suesses Weib.


    Nie darf ich mehr zur Nacht mein muedes Haupt
    Auf deinem lieben, weichen Arme betten;
    Hoer, was ich tat in meiner Einsamkeit:


    Ich saete Nelken aus in meinem Garten;
    Wenn sie in Bluete stehn, so denk ich immer
    An dich, die meine schoenste Nelke war.


    Dies ist der einzige Trost, geliebtes Weib,
    In meiner oeden Fremde. Ohne ihn
    Wuerf ich mein Leben unbedenklich ab.

    HEIMWEH


    YAKAMOCHI


    Wenn sich der Abend niedersenkt und Nebel
    Eintoenig wallen uebers graue Meer,
    Und wenn die Kraniche mit mueder Stimme
    Ins Dunkel rufen, traurig anzuhoeren,—
    Dann denk ich meiner Heimat, schmerzdurchweht.

    DER BLUETENZWEIG


    FUJIWARA NO HIROTSUGU


    Nimm diesen Bluetenzweig! In jedem Blatte
    Der zarten Blueten schlummert hundertfach
    Ein Liebeswort aus unruhvoller Brust.


    O weise meine Liebe nicht zurueck!

    DER FREUND DES WEINES


    TABITO


    Wenn ich nicht waere, was ich bin: ein Mensch,—
    Ich moechte eine Reisweinflasche sein,
    Um recht nach Herzenslust in meinen Hals
    Den edeln Saft zu saugen, den ich liebe.

    AM UFER


    UNBEKANNTER DICHTER


    Von jenem Ufer winkt mir die Geliebte,
    Hier stehe ich, mit ruhelosem Sinn,
    Das Herz erfuellt von ungestuemer Sehnsucht,
    Und seufze, seufze endlos. Haett ich doch
    Ein rotlackiertes Schifflein jetzt zur Hand
    Und auch ein Ruder, voller Kunst besetzt
    Mit Edelsteinen,—hurtig wie der Wind
    Lenkt ich hinueber, um mit ihr zu plaudern,
    Und schmiegte gluecklich mich an ihre Brust!

    BITTE AN DEN HUND


    UNBEKANNTE DICHTERIN


    Wenn mein Geliebter in der Nacht
    Den Binsenzaun durchbricht und leise
    Zu mir hereinsteigt,—Hund, ich rate
    Dir ernstlich: huelle dich in Schweigen,
    Verrate ihn den Leuten nicht,—
    Es soll dir gut gehn, lieber Hund!

    DER TEICH


    UNBEKANNTER DICHTER


    Dir, Teich von Miminaschi, gilt mein Hass,
    Denn meine Liebste hat verzweifelnd sich
    In dich gestuerzt und ist in dir ertrunken.
    Warum bist du nicht schnell vertrocknet, als
    Die Holde kam, in dir den Tod zu finden?
    Ich hasse dich, erbarmungsloser Teich!

    TRENNUNG


    UNBEKANNTER DICHTER


    Trotz aller Hindernisse,
    Die dem eilenden Flusse
    Entgegentreten:
    Alle Wasser, die sich trennen,
    Um Baenke und Riffe herum,
    Stroemen doch endlich.
    Endlich wieder
    Jubelnd zusammen!

    VERTRAUEN


    UNBEKANNTE DICHTERIN


    Die Mutter hat aufs strengste mir verboten,
    An deiner Brust zu schlafen, mein Geliebter,
    Obwohl mir das Orakel klar verhiess,
    Dass ich dereinst die Deine werden soll.
    So lauter wie das nie getruebte Wasser
    Des Teiches von Kiyosmi ist mein Herz
    Und ist so tief auch wie der Grund des Teiches,
    Und immer wird es deiner treu gedenken
    Und wird vertrauend harren in Geduld,
    Bis dass ich ganz mit dir vereinigt bin.

    UEBER DIE HEIDE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Was fuer ein Mensch ist das, um dessentwillen
    Du, schoene Frau, mit Muehe und voll Sehnsucht
    Die Heide von Miyake ueberquerst?


    Beschwerlich ists, durch das Gestruepp zu wandern.
    Qualvoll ist dieser Gang fuer Frauenlenden,
    Weh, wenn dich deine Eltern saehen, Kind!


    So zart wie weisses Linnen glaenzt dein Antlitz,
    Dein langes Haar ist dunkel wie das Innre
    Der Mina-Muscheln, die das Meer ausspeit.


    Ein Kamm aus Buchsbaum steckt in deinen Haaren.
    Wem eilst du zu? Wer bist du, holdes Wesen?
    O Goetterlust, mein Weib eilt zu mir her.


    Da sie die Sehnsucht nicht ertragen kann!

    BANGNIS


    UNBEKANNTE DICHTERIN


    Ich lehne mich an deine Brust, Geliebter,
    Und das Vertrauen, das ich in dich setze,
    Ist so, als ob ich einem grossen Schiff
    Mich anvertraute. Lang und immer laenger
    Denk ich an dich, so wie die Efeuranken
    Hinkriechen an der Mauer, lang und laenger.
    O waeren wir vor Unheil stets bewahrt!
    Ich schlinge meinen Aermel um die Schultern
    Und stelle fromme Weihgefaesse auf
    Und flehe zu den Goettern, die im Himmel
    Und auf der Erde walten, dass sie dir
    Und mir und unsrer Liebe gnaedig seien!

    DIE SCHOeNE KURTISANE


    UNBEKANNTER DICHTER


    O liebliche Tamana, laechelnde
    Verfuehrerin, die Schlankheit deiner Lenden
    Ist dem geschmeidigen Leib der Biene gleich.


    Dein Busen ist von edler Form, du stehst
    Wie eine Blume da, du hast ein Laecheln,
    Dass alle Leute, die voruebergehn,


    Die Schritte hemmen. Ungerufen naht sich
    Die Schar der Maenner, steht vor deinem Tore,
    Von dir berauscht und voll Begehr nach dir.


    Im Hause, das dem deinen nahe liegt,
    Macht sich der Gatte von der Gattin frei
    Und steckt dir zu den Schluessel seiner Tuere.


    Vernarrt in dich ist alles. Du verstehst es,
    Die Herzen zu gewinnen durch ein Laecheln,
    Und UEppigkeit und Wollust sind dein Teil.

    QUALVOLLE EIFERSUCHT


    UNBEKANNTE DICHTERIN


    Ich habe heut den ganzen langen Tag,
    Seitdem die Sonne ueberm Horizont
    Heraufkam, und die ganze lange Nacht,
    In der ich schlaflos in das Dunkel starrte,
    Getobt vor Jammer und geweint vor Wut!


    Denn du, ich weiss es, hast in einer Huette
    (Ich moechte sie den Flammen uebergeben!)
    Auf alten, schlechten, strohgeflochtnen Matten
    (Die wert sind auf dem Kehricht zu vermodern!)
    Die plumpen Wangen einer Bauerndirne
    Gestreichelt und gekuesst, und hast in Liebe
    Bei ihr geweilt die ganze lange Nacht!

    VERGEBENES BEMUEHEN


    UNBEKANNTER DICHTER


    Dass wir uns lieben, hab ich abgestritten,
    Mit heftigen Worten hab ich es geleugnet,
    Ich habe mich so angestrengt mit Leugnen,
    Wie man sich anstrengt, wenn man einen Lastkahn
    Am Kap des leuchtenden Naniwa-Hafens
    Mit einem Seile muehevoll dahinzieht,—
    Und dennoch bin ich, nichts hat mir genuetzt,
    In das Gerede aller Welt gekommen!


    WUNSCH


    UNBEKANNTER DICHTER


    Nicht wertvoll scheint das Leben mir; jedoch
    Da ich so sehr dich liebe, wuensch ich wohl,
    Dass ich noch lange, lange leben moege,
    Um lang noch meine Liebe zu geniessen.

    DIE TRAeUME


    FRAU KOMACHI


    Seit ich im Traum den Mann seh, den ich liebe,—
    Seit jener Zeit erst liebe ich der Traeume
    Buntfarbene Falter als das koestlichste
    Geschenk der Nacht, das ich nicht missen moechte.

    EINSAM


    FRAU KOMACHI


    Der Blueten holde Schoenheit ist entwichen,
    Der rauhe Regen hat sie ganz zerstoert,
    Indessen ich, zwecklos in diesem Dasein,
    Einsam den Blick ins Leere schweifen liess.

    DAS LOTUSBLATT


    HENJO


    Ganz ohne Makel, weiss und leuchtend, blueht
    Das Lotusblatt. Es scheint ganz ohne Trug—
    Und dennoch luegt es: denn das eitle will
    Uns glauben machen, dass im edeln Schmucke
    Von Diamanten es erstrahle,—und
    Es sind doch Tropfen Taus nur, die es zieren!

    FAMILIENSTOLZ


    HENJO


    Die Meinen sind so stolz, dass sie verlangen:
    Der Name, den wir tragen, solle immer
    So voellig unverfaelscht sein wie die dunkle,
    Von kuenstlichen Essenzen nicht beruehrte
    Nachtfarbe meines ungekaemmten Haars.

    SCHWERMUT


    PRINZ NARIHIRA


    Wenn nie die Blueten auf den Kirschenbaeumen
    Erstuenden, brauchte unser Herz auch nie
    Zu klagen, wenn die holden Blueten sterben.


    Dir gilt mein Hass, o Mond. Denn viele Monde,
    Die sich allmaehlich aneinanderfuegen,
    Berauben mich der Wonnen meiner Jugend.


    Ich weine meine Aermel feucht bei Nacht,
    Sie werden feuchter als vom Tau des Herbstes,
    Denn du bist fern, der meine Sehnsucht gilt.

    TAGELIED EINES MAeDCHENS


    PRINZ NARIHIRA


    Nimm dich in acht, o Hahn, der kraehend von
    Der Liebe Bett uns aufscheucht! Wenn der Tag
    Erschienen ist, so schleudr ich in den Rachen
    Des Fuchses dich, damit er dich vertilgt.
    Der du den Liebsten mir so schnell, so schnell
    Entfuehrst durch dein abscheuliches Geschrei!

    LIEBESKUMMER


    PRINZ NARIHIRA


    Da ich am Morgen durch die Buesche ging
    Des taubenetzten, herbstlichen Gefildes,
    Naesst ich den Aermel mir. Doch ganz durchfeuchtet
    Ward er erst nachts von meinen vielen Traenen,
    Da jene mich allein liess, die ich liebe.

    SEHNSUCHT NACH DER NACHTIGALL


    TOMONORI


    Ich will den Fruehlingswind, o Nachtigall,
    Mit weichen Blumendueften zu dir senden,
    Damit sie dir den Weg herueberweisen
    In unsre Flur,—wir warten schon so lang!

    DAUER IM WECHSEL


    TOMONORI


    Der Kirschbaum stand in Blueten. Schwarz und jung
    Fiel mir das Haar vom Haupt, indes ich tanzte.


    Der Kirschbaum stand in Blueten. Frisch und jung
    Erglaenzten sie,—mein Haar war grau geworden.


    Heut wieder blueht der Kirschbaum. Himmlisch jung
    Wie immer laecheln seine Blueten nieder,—


    Mein Haar ward weiss, ich stehe sinnend da.

    GLEICHE SEHNSUCHT


    TOMONORI


    Der Abend kommt herab. Nun wandr ich an
    Den Sao-Fluss, im Windhauch seines Ufers
    Die Freundin zu erwarten. Was erklingt
    Im Dunkel so voll Sehnsucht? Horch, das ist
    Der einsam-schwermutvolle Ruf der Moewe,
    Die sich nach der Gefaehrtin sehnt, wie ich.

    DIE WILDGANS


    OCHI


    Vorueber ist die boese Winternacht.
    Der Lenz zog ein. Dort durch die Silberwolken
    Breitet die Wildgans kreischend ihre Fluegel.


    Sie strebt nach Norden, wo seit Monden schon
    Das Maedchen weilt, nach dem mein Herz sich sehnt.
    O Wildgans, nimm mich mit auf deinen Fluegeln!

    FRUEHLINGSREGEN


    OTOMO KURONUSHI


    Sie weinen alle, da die Kirschenblueten
    Zur Erde rieseln. Dieses faellt mir ein:
    Ob wohl der Regen, der im Fruehling faellt,
    Die Traenenflut der trauernden Menschen ist?

    BETRACHTUNG


    FRAU ISE


    Am Ufer von Naniwas Seebucht seh ich Rohr
    Mit kleinen Spannen schwanken in dem feinen Windhauch.


    Gelehnt an deine liebe Schulter, muss ich denken,
    Ob ich wohl leben koennte, wenn mich das Geschick.


    Die allerkleinste Spanne Zeit von dir entfernt
    Zu weilen zwaenge, mein zu sehr Geliebter!

    TRUEBSINN


    MITSUNE


    Du flohest in die Berge, voller Hass
    Gegen die Welt. Wenn in den Bergen nun
    Dich auch der dunkle Truebsinn ueberfaellt,—
    Wohin dann willst du weiter fliehn, o Freund?

    HEUTE!


    MITSUNE


    Bald wird der Sturmwind durch die Fluren heulen
    Und Laub und Fruechte von den Baeumen schuetteln
    Und Blueten knicken, wo er immer weht.
    Drum, willst du Blueten pfluecken,—tu es heute!
    Vielleicht, vielleicht ists morgen schon zu spaet.

    AN EINEN FREUND


    MITSUNE


    Du kommst nur, um die Blumen bluehn zu sehen
    Bei meinem Hause. Sind sie erst verwelkt,
    So weiss ich wohl, dass ich mich Tag fuer Tag
    Umsonst nach deinem Kommen sehnen werde.

    ERINNERUNG


    TADAMINE


    Da ich von ihr auf ewig schied, stand fuehllos
    Und blass der Mond am Morgenhimmel da.


    Nichts quaelt mich schrecklicher seit jenem Morgen,
    Als wenn ich in der Fruehe, mued erwacht,
    Den Mond in fahler Daemmerung haengen seh.

    FROMMER WUNSCH


    TADAMINE


    Ich wuenschte wohl, dass ich in Mondschein mich
    Verwandeln koennte. Endlich wuerde dann
    Das Maedchen, das ich so voll Inbrunst liebe.
    Mit schmachtendem Gefuehle mich betrachten,
    Waehrend es jetzt nur grausam zu mir ist.

    HALTLOS


    TADAMINE


    So wie die Wasserlinsen auf dem Fluss
    Ganz wurzellos und ohne jeden Halt
    Hierhin und dahin ziehn: so treib auch ich
    Haltlos umher im Strome meiner Liebe.

    DAS KLAGENDE HERZ


    FUKAYOBU


    Vergleichbar einer Wildgans ist mein Herz,
    Das krank von Sehnsucht dir entgegenschlaegt.
    Es irrt umher und klagt voll banger Unruh,
    So wie die Wildgans in dem Meer der Luft.

    DIE ALLERERSTEN BLUETEN


    MASAZUMI


    Froh sprudeln durch die Ritzen nun des Eises,
    Das vor dem Lenz zergeht, die weissen Wellen
    Des Giessbachs auf: die ersten weissen Blueten
    Des lieben Fruehlings moechten sie uns sein.

    DAUERNDE ERINNERUNG


    KI NO ARITOMO


    Ich wuensche ein Gewand mir von der Farbe
    Der Kirschenblueten. Wenn die Blueten dann
    Schon lang verwelkt sind, werd ich immer doch
    Durch mein Gewand an ihre Lust gemahnt.


    JUBEL


    TSURAYUKI


    Was seh ich Helles dort? Aus allen Gruenden
    Zwischen den Bergen quellen weisse Wolken
    Verlockend auf,—die Kirschen sind erblueht!
    Der Fruehling ist gekommen, wunderbar!

    BLUETEN UND HERZEN


    TSURAYUKI


    Ihr meint, zu balde weht die Kirschenbluete
    Im Wind dahin? Ach, fluechtiger ist manches.
    Veraendert sich das Herz des Menschen nicht
    Oft schneller, als ein Windhauch sich erhebt?

    SCHNEE IM FRUEHLING


    TSURAYUKI


    Der Fruehling naht mit seinem Dunst. Die Baeume
    Setzen schon Knospen an. Doch von dem Himmel
    Faellt Schnee auf Schnee, als wollt er nimmer enden.
    Wie sonderbar,—nun sinken Blueten nieder,
    Obwohl der Lenz noch keine Blueten schuf.

    BLUETENSCHNEE


    TSURAYUKI


    Leis senkt sich Schnee auf uns herab, und dennoch
    Weht lauer Windhauch zart an unsre Stirnen.
    Geschah ein Wunder denn? O welch ein Schnee,
    Des Heimat nie der Himmel war! Es ist ja
    Der holde, duftgeborene Fruehlingsschnee
    Der Kirschenblueten!

    SEITDEM ICH DICH LIEBE


    ATSUTADA


    Seitdem ich dich liebe,
    Vergleiche ich meine Gefuehle
    Und meine kuehnen Gedanken
    Mit jenen, die ich frueher hegte.


    Und ich erkenne,
    Dass ich frueher
    Ganz gedankenlos
    Und, ach, ganz fuehllos war.

    GESTEIGERTE SEHNSUCHT


    ATSUTADA


    Sehr gross war meine Sehnsucht, eh ich zur
    Geliebten kam. Doch jetzt, da ich bei ihr
    Glueckselige Zeit verbringen durfte, bin ich
    Wohl ganz beschwichtigt und gestillt? O nein!
    Viel maechtiger ist meine Sehnsucht nun,
    Viel ungebaendigter als je zuvor!

    ANKUNFT DES FRUEHLINGS


    UNBEKANNTER DICHTER


    Noch glaenzt der Schnee hernieder von den Bergen,
    Doch regt sich schon der Fruehling in dem Tal.
    Die Traenen, die die Nachtigall geweint hat.


    Und die zu Eis gefroren waren, tauen
    Allmaehlich auf. Im holden Duft der Tage
    Erklingt nun bald das Lied der Fruehlingsbraut.


    Der Nebel, der noch um die Buesche schleift.
    Ist nur ein leichtes, schmaechtiges Gewebe,—
    Ein Windhauch durch die Flur—und er zerstiebt.


    Wie herrlich glaenzt die Weide schon am Bach!
    Auf ihrem duennen, wallenden Gezweige
    Reiht sich der Tau zu silbernen Perlen auf.


    Und gar der Pflaumenbaum! Er steht schon prunkend
    Im Kleide seiner weissen Blueten da,
    Verklaerend jedes Auge, das ihn schaut.


    Welch holdes Wesen war es, das ihn leise
    Gestreift hat mit dem seidnen Saum des Aermels,
    Da es versonnen ihm vorueberging?

    LIEBE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Die Liebe rast durch meine Brust,
    So wie durch weite, dunkle Waelder
    Ein Berggewaesser unterm Laub
    Der ungeheuren Baeume rast.


    Die Fichte trotzt auf Felsenhoehen
    Fast ohne Nahrung Wind und Wetter.
    Die Liebe braucht noch weniger Reichtum,
    Um froh zu trotzen aller Welt!

    DAS ALTER


    UNBEKANNTER DICHTER


    Wenn ich erfuehre, dass das Alter mich
    Besuchen wollte,—flugs schloess' ich die Tuer,
    Und “Ich bin nicht zu Hause!” wuerd ich rufen,
    Und nimmermehr liess ichs zu mir herein.

    LIEBEN UND STERBEN


    UNBEKANNTER DICHTER


    Wer hat der Liebe denn den Namen “Liebe"
    Dereinst gegeben? Viel bezeichnender
    Haett er den Namen “Sterben” ihr verliehn,
    Denn Lieben, das ist Sterben,—wahrlich, wahrlich!

    DAS MAeDCHEN AUF DER BRUECKE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Das rauschende Gewaesser Katashiwas
    Ist ueberwoelbt von einer schoenen Bruecke,
    Der purpurroter Lack zum Schmuck gereicht.
    Ein zartes Maedchen wandelt unbegleitet
    Mit kleinen Fuessen trippelnd drueber hin;
    Ein blaues Kleid mit rotem Rande schmiegt sich
    An ihre feinen Hueften wohlig an.
    O wuesste ich, ob ihre Hand noch frei ist,
    Ob nicht ein andrer schon dies Herz gewann!
    Schnell sagt mir, wo sie wohnt! Ich wills versuchen,
    Ob ich sie noch fuer mich gewinnen kann!

    LIEBESQUALEN


    UNBEKANNTER DICHTER


    Die Aermel meines Kleides sind durchfeuchtet
    Von vielen Traenen. Allen, die mich fragen,
    Sag ich, dass es vom Fruehlingsregen sei.


    Ich meinte immer, dass das Kraut Vergessen
    Auf Beeten wachse. Nun hab ich erfahren,
    Dass es in liebelosen Herzen blueht.


    Unsinnig ist es, Worte hinzuschreiben
    In fliessendes Gewaesser. Doch der Gipfel
    Des Wahnsinns ist es: seine Liebestraeume.


    Zu widmen einer Frau, die fuehllos ist.

    HERBST


    UNBEKANNTER DICHTER


    Die Graeser und die Baeume und die Blumen
    Veraenderten die Farben ganz und gar,—
    Nur an des grossen Meeres Wellenblumen,
    Den immer gleichen, kannst du nicht erkennen,
    Dass nun der bunte Herbst gekommen ist.

    SCHATTEN


    UNBEKANNTER DICHTER


    Ich bin vor lauter Sehnsucht abgemagert
    Gleich einem Schatten. Koennt ich wenigstens
    Ersetzen nun den Schatten der Geliebten,
    Dass ich zu ihren Fuessen weilen duerfte!


    Jedoch auch dieser Dienst bleibt mir versagt.

    SCHNEE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Wenn so wie dort der Schnee gewaltig anwaechst,
    Sich auch die oeden Naechte mehren wuerden,
    Da du mir fern bist,—o ich wuenschte wohl,
    Dass mich das Dasein laenger nicht bedruecke,
    Dass ich so bald hinschwaende wie der Schnee.

    IMMER WIEDER


    UNBEKANNTER DICHTER


    Ich weiss es: alle Muehe ist umsonst,
    Dir zu begegnen. Dennoch, immer wieder.
    Geh ich hinaus und hoffe dich zu finden,—
    Wie koennt ich ruhn, da ich voll Sehnsucht bin!

    SCHLAFLOS


    UNBEKANNTER DICHTER


    In schlafgemiedner Nacht hoer ich die Rufe
    Des Kuckucks aus den Bergen klingen. Ach,
    Bist du von Liebesschmerzen auch geplagt,
    Dass du nicht schlafen kannst, o ferner Vogel?

    UNERWIDERTE LIEBE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Ich wuenschte, dass es moeglich sei, die Herzen
    Der Menschen zu vertauschen. Dann, o Freund,
    Nachdem mein armes Herz du eingetauscht.
    Wuerdest auch du einmal begreifen lernen,
    Wie Liebe quaelt, die nicht erwidert wird.

    SEHNSUECHTIGER GEDANKE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Wenn du zur Bluete spraechest: Welke nicht,
    Bleib an dem Zweige haften, den du zierst,—
    Und es geschaehe wirklich, was du wuenschest,—
    Gaeb es wohl Holderes in dieser Welt?

    DER DUFTENDE AeRMEL


    UNBEKANNTER DICHTER


    Mein Aermel duftet koestlich, da ich Blueten
    Vom Pflaumenbaume pflueckte. Dicht bei mir
    Hebt ploetzlich eine Nachtigall melodisch
    Zu singen an, vom Duft herbeigelockt:
    Die Holde meint, hier sei ein Baum erblueht.

    DAS KOPFKISSEN


    KANEMORI


    O Fuerst, Ihr bietet Euren Arm mir an
    Als Kissen fuer die Nacht? Ich wag es nicht,—
    Denn sicher: Eure Liebe waer verrauscht,
    Bevor die Nacht noch in den Tag verrinnt;
    Ich aber, recht entflammt erst, wuerde nimmer
    Vor Liebesschmerz und Sehnsucht meine Ruhe
    Zurueckgewinnen,—darum quaelt mich nicht.

    HEIMLICHE LIEBE


    KANEMORI


    Obgleich ich mir die groesste Muehe gebe,
    Mein leidenschaftlich Fuehlen zu verbergen,
    Ist doch mein Angesicht so sehr verwandelt,
    Dass jeder, den ich treffe, mich mit Schrecken
    Befragt, welch eine Krankheit in mir wuehle,
    Da ich so ganz und gar veraendert sei.

    BEI BETRACHTUNG DES MONDES


    UNBEKANNTE KURTISANE


    Sehr weit von dir entfernt, betracht ich mit
    Verliebtem Auge den gestirnten Himmel.


    O! wenn der Mond sich jetzt in einen Spiegel
    Verwandeln wuerde, mir dein Bild zu zeigen!


    Doch er bleibt Mond und lacht nur meiner Qual.

    UNMOeGLICHKEIT


    OKI KASSI


    Wie koennt ich deine wundervolle Schoenheit,
    Die allzu sproede, die ich ohne Hoffnung
    Anbete, aus dem wirren Sinn mir reissen,
    Da sie mir jede Nacht im Traum erscheint,
    Um mir zu sagen, dass ich hoffen solle!

    SCHWERMUT


    TERANGE


    Ich armer Tropf! Ein anderer besitzt
    Das Herz des schoenen Maedchens, das ich liebe.


    Mir kommt die Trauerweide in den Sinn
    Am Rande meines Gartens. Mir gehoert.


    Die Weide zwar, doch ihre Zweige schmuecken
    Des Nachbars Garten und den meinen nicht.

    VERZWEIFLUNG


    SIGEYUKI


    So wie die Woge
    Im Sturmwind
    Am felsigen Ufer zerbricht,—
    So zerschellt meine Liebe
    An deines Hochmuts
    Trotzigen Felsen,
    Kalte Geliebte.

    DIE VERLASSENE


    UNBEKANNTE DICHTERIN


    Freund, ahnst du nicht,
    Wie unendlich traurig und lang
    Die Nacht ist, vom Abend her
    Bis zur schimmernden Morgenroete,
    Wenn ich einsam, einsam, einsam
    Seufzend daliege
    Auf meiner traenenbefeuchteten
    Binsenmatte?


    Ahnst du das nicht?

    NOCH EINMAL


    FRAU IZUMI SHIKIBU


    Noch einmal lass mich, o Geliebter,
    Bevor ich diese Welt verlasse,
    Dein liebes Antlitz wiedersehen,
    Dass ich es tief in meine Seele
    Einpraege und es mit mir nehme
    Ins dunkle Land der Ewigkeit.

    DIESELBE NACHT


    FRAU INNO BETTO


    Wie kommt es,
    Dass ein und dieselbe durchwachte Nacht
    Deinem Herzen die Ruhe gab.
    Waehrend sie mich
    Fuer den Rest meines Lebens
    Mit ganz wahnsinniger
    Liebe erfuellt hat?

    ERREGUNG


    FRAU HORIKAWA


    O Gott, ob er mir treu bleibt? Himmel! Himmel!
    Ich weiss es nicht; ich weiss nur, dass mein Hirn,
    Seitdem das Morgenrot ihn von mir riss,
    So ganz verwirrt ist wie mein dunkles Haar,
    Das seine Wildheit mir so wirr gemacht.

    JAMMER DER ERDE


    FUJIWARA NO TOSHINARI


    Auf dieser Erde ward kein Weg gebahnt,
    Dem Kummer und dem Elend zu entfliehn.


    Selbst wenn ich in die tiefen Berge streife,
    Wohin mich eine alte Sehnsucht zieht,
    Toent das Geschrei der abendlichen Hirsche
    Wehklagend melancholisch an mein Ohr.

    GEDANKEN


    SAIGYO


    So wie der Rauch des Fuji-Yama blass
    Und ziellos in die windigen Luefte steigt.
    Um dann zu sterben an dem weiten Himmel:
    So steigen die Gedanken, die ich hege,
    Ziellos und zwecklos und auf fluechtigen Pfaden
    Ins Blau hinein und schwinden spurlos hin.

    SCHWERMUT


    SAIGYO


    Und wer in seinem Herzen noch so sehr
    Verhaertet ist: ein Weh durchschauert ihn,
    Und Schwermut senkt sich tief in sein Gemuet,
    Wenn er zur Daemmrung aus den sumpfigen Wiesen
    Die Schnepfen in den Abend steigen sieht.

    VOM MOND


    SAIGYO


    Vom Mond soll ich in Versen zu euch reden?
    O zwecklos. Denn wer koennte das begreifen,
    Was mich erfuellt, was mich im Innersten
    Bewegt und in mir aufblueht tief und dunkel.
    Wenn sich mein Herz in unruhvollen Naechten
    Zu dir emporhebt, o geliebter Mond?

    ABSCHIED VON DEN BLUETEN


    SAIGYO


    So innig hab ich mit den holden Blueten
    Des Fruehlings mich befreundet, dass mir scheint,
    Wir seien eins geworden, sie und ich.
    Da sie nun welken, von der Zeit bezwungen.
    Und traurig hingehn, mich alleine lassend.
    Fuellt sich mein Herz mit namenlosem Jammer,
    Und schluchzend nehm ich Abschied, fassungslos.

    BLUETEN


    SAIGYO


    Wie kommt es, dass die Blueten nimmermehr
    Aufhoeren, meine Seele zu entzuecken?
    Ich habe laengst mich von der ganzen Welt
    Zurueckgezogen; alles ist mir gleich.—
    Wie aber kommt es, dass ich ganz beglueckt
    Beim Anblick einer schoenen Bluete bin?

    DAS ALTER


    KIUTSUNE


    Einst lagen volle Blumen, wie der Schnee so weiss.
    Auf meinem schwarzen Haar; sie leuchteten
    Und waren koestlich, doch der Sturm hat sie verweht.


    Die weissen Blueten, die das Haupt mir heute zieren,
    Sind nicht von jenen, die der Wind verweht.
    Des Alters Blumen sind erblueht in meinem Haar.

    STEUERLOS


    SONE NO YOSHITAKA


    So wie der Schiffer, der sein Steuerruder
    Verlor auf wilder See, nun der Gewalt
    Der Elemente preisgegeben hintreibt:
    So fuehl ich meine Liebe steuerlos
    Hintreiben auf dem Meere des Gefuehls.

    AN DIE KIRSCHENBLUETEN


    SAKINO DAISOJO GYOSON


    Duftige Kirschenblueten! Liebliche
    Mitwisser meiner Qual! Zeigt doch ein wenig
    Mitleid mit diesem Herzen,—denn nur ihr
    Kennt ja mein grosses Weh; den andern allen
    Muss ichs verschweigen, dass ich elend bin.

    AN DIE WILDGAeNSE


    PRINZ MUNENAGA


    Eilt nicht so sehr, Wildgaense dort am Himmel,
    In eure alte Heimat heimzukehren,—
    Wisst ihr denn nicht, dass eurer Heimat Berge
    Euch laengst vergassen, da ihr ferne wart?

    LIEBESBRIEF


    UNBEKANNTE DICHTERIN


    Gross ist mein Wunsch, dein Angesicht zu schauen.
    Und gross ist meine Lust, mit dir zu plaudern,—
    Doch muss ich solcher Freuden mich enthalten.


    Denn wenn durch Zufall einer von den Meinen
    Oder auch einer von den Nachbarn nur
    Erfuehre, dass wir beieinander waren,


    Ich wuerde Qualen leiden wegen des
    Geschwaetzes, das man fuehrte. Dass mein Ruf,
    Mein guter Ruf verloren ginge, war.


    Mir voellig gleich. Doch wuerd ich trostlos sein,
    Wenn des verlornen guten Rufes wegen
    Du weniger mich liebtest als zuvor.

    VERGEBENES WARTEN
    AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA


    Ich harre meiner Liebsten in der Nacht.
    Ich hoere, wie die Glocke Stund um Stunde
    Ins Dunkel ruft. Abscheulich ist fuerwahr
    Der Schrei des Hahns, wenn er die Liebenden,
    Die sich umarmen, auseinanderreisst.
    Doch er bedeutet nichts, verglichen mit
    Der fuerchterlichen Qual, da man umsonst
    Mit wilder Sehnsucht auf die Liebste harrt!

    UM MIT DIR ZU LEBEN


    VOLKSLIED


    Um mit dir zu leben, die ich liebe,
    Waere es mir recht,
    In aermlicher Huette zu hausen,
    Mich am Webstuhl zu muehen
    Oder am Spinnrad.


    Um mit dir zu leben, die ich liebe.
    Waere es mir recht,
    Die Waesche zu waschen
    Im fliessenden Fluss
    Oder das Gras in der Sonne zu schneiden.

    DER LIEBESLAUT


    KURTISANE SEGAWA


    Da traf ein Laut, ein zarter Liebeslaut,
    Der aus dem ersten Stockwerk kam, mein Ohr:
    Und das war suess und lieblich wie das Saeuseln
    Der Fruehlingsblumen, die um Mitternacht
    Am More-Flusse ihren Duft verstreun.

    DIE WEIDE IM WIND


    UNBEKANNTER DICHTER


    Die Sommerweide
    Zeigt ihren schlanken Stamm,
    Wenn der wehende Wind
    Durch ihre feinen Zweige faehrt.


    Deine schlanken Fuesse, meine Weide,
    Sah ich heute,
    Da der verliebte Wind
    Kosend durch deine Kleider fuhr.

    NACH DEM BADE


    UNBEKANNTER DICHTER


    Wenn sie dem Bad entsteigt, so flammt
    Ihr schoenes Antlitz feurig auf,
    Dass sie dem roten Ahorn gleicht,
    Der herrlich durch den Herbsttag glaenzt.

    BESCHRAeNKUNG


    AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA


    Ach, eng begrenzt ist der Besitz, den uns
    Das Schicksal schenkt. Zuerst geht unsre Sehnsucht
    Nach einem ragenden Gebirg. Sodann
    Scheint uns ein Berg genug,—dann gar ein Huegel,
    Und wird auch der uns nicht zuteil, so sind
    Zufrieden wir mit einem Bluetenbusch.

    LEICHTES SPIEL


    UNBEKANNTER DICHTER


    Nichts leichter, als ein Maedchenherz
    Beim milden Duft der Pflaumenblueten
    Bis in die Tiefen zu betoeren
    Durch Liebessang und Floetenspiel!

    DIE MORGENGLOCKE


    SANDARA


    Wenn du, erbarmungslose Morgenglocke,
    Den Schmerz der Liebestrennung ahnen wuerdest.
    Du wuerdest nicht die wahre Stunde rufen
    Beim Morgengrauen,—sondern wuerdest gerne
    Bereit sein, luegnerisch die Zeit zu kuenden.

    TAeUSCHUNG


    YORIKITO


    Ich glaubte, dass die weissen Blueten
    Des Fruehlings mir entgegentrieben.


    Ich irrte mich. Es war das Glaenzen,
    Das Liebesglaenzen deiner Schoenheit.


    GELEITWORT
    ANMERKUNGEN
    ANORDNUNG

    GELEITWORT


    Die japanische Lyrik laesst sich gut mit den japanischen
    Tuschzeichnungen vergleichen: sie gibt, gleich jenen, mehr Andeutung
    als Ausfuehrung, sie will in aller Kuerze einen fest umrissenen Eindruck
    erreichen, sie hat einen vorwiegend impressionistischen Charakter. Wir
    finden in ihr, gerade wie in den japanischen Zeichnungen, vor allem
    die Liebe fuer das Zarte und Bluetenhafte, fuer Fruehling, Blumen und
    feinen Duft. Die einzelnen Persoenlichkeiten treten in dieser lyrischen
    Kunst nicht stark hervor, im Gegensatz zur chinesischen.


    Japan ist das Land der Gelegenheitsdichter. Wir besitzen Gedichte von
    Kaisern und Kaiserinnen, Hofleuten, Gelehrten und Kurtisanen. Im
    zehnten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung war die Dichtkunst in Japan so
    verbreitet, dass sich der Kaiser Daigo veranlasst sah, ein
    “Ministerium fuer poetische Angelegenheiten", wie wir heute sagen
    wuerden, einzusetzen. Ein solches Ministerium gibt es jetzt nicht mehr,
    aber die Freude an der Formung kleiner Gedichte ist in Japan noch
    heute allgemein.


    Seit alters her gibt es fuer das japanische lyrische Gedicht nur eine
    einzige, streng bewahrte, klassische Form: Tanka oder Uta genannt. Ein
    solches Tanka besteht immer aus einunddreissig Silben, die sich auf
    die fuenf Zeilen des Gedichtes folgendermassen verteilen: 5-7-5-7-7.


    Das Tanka ist reimlos. Die japanische Sprache ist fuer den Reim nicht
    geschaffen, denn saemtliche Worte endigen auf einen der fuenf Vokale a,
    e, i, o, u. Wollte man also reimen, so muesste man immer wieder zu den
    gleichen monotonen Reimen einfacher Vokale greifen, und das waere auf
    die Dauer mehr grotesk als schoen. Nein, die Aufgabe des japanischen
    Dichters ist es im Gegenteil, die einzelnen Zeilen seines Tanka
    moeglichst auf verschiedene Vokale endigen zu lassen, um so eine
    moeglichst grosse Reichhaltigkeit an Klaengen zu erzielen.


    Die Regeln des Tanka wurden schon 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung
    durch Sosano-Ono-Mikoto, einen Dichter des heroischen Zeitalters,
    fixiert. Im Jahre 905 nach Christi Geburt wurden sie durch den Dichter
    Tsurayuki, den ersten Minister der Poesie unter Kaiser Daigo, in der
    Vorrede zu jener beruehmten ersten grossen Anthologie, welche sich
    Manyoshu nennt, befestigt. Diese Regeln wurden nie einer Veraenderung
    unterworfen und sind heute genau dieselben wie vor 2600 Jahren. In
    alten Zeiten pflegte man auch mehrere Utas zu laengeren Gedichten
    zusammenzusetzen (Naga-Uta). Seit dem sechzehnten Jahrhundert
    beschraenkte man sich, besonders in Scherzgedichten, nicht selten auf
    die ersten drei Zeilen eines Uta, um Gedichte von besonders
    epigrammatischer Kuerze zu bilden. Das sind die einzigen Varianten der
    alten Form,—wenn man von Formvarianten hier ueberhaupt sprechen kann.


    Die ausserordentliche Kuerze des Uta oder Tanka hat ihre Nachteile. Die
    Dichter wollen moeglichst viel in einem solchen Kurzgedicht ausdruecken
    und werden nicht selten dunkel durch uebertriebene Kondensierung.
    Kommentatoren haben alte beruehmte Tankas immer wieder ausgelegt, und
    ueber den Sinn so mancher Gedichte aus klassischer Zeit hat man sich
    bis heute nicht einig werden koennen.


    Die Bluetezeit der japanischen Lyrik liegt weit zurueck. Die erste
    klassische Epoche wird repraesentiert durch die schon erwaehnte grosse
    Anthologie Manyoshu (“Sammlung der Myriaden Blaetter"), die vermutlich
    durch den Sammeleifer des Dichters Yakamochi zusammengebracht und im
    Jahre 759 abgeschlossen wurde. Sie vereinigt in 20 Buechern 4500
    Gedichte; aus der grossen Zahl der in ihr vertretenen Dichter ragen
    neben Yakamochi vor allem der Elegiker Hitomaro, der Landschafter
    Akahito und der Realist Okura hervor. Hitomaro gilt in Japan als der
    groesste Dichter der Nation. Man hat ihm Tempel errichtet, und sein
    Leben, von dem man wenig weiss, ist durch die Legende phantastisch
    ausgeschmueckt worden. Es geht das Geruecht, ein Poet brauche nur
    Hitomaro anzurufen, um ein gutes Gedicht bilden zu koennen.


    Die Dichter der bald folgenden zweiten, “goldenen” klassischen Epoche
    sind uns in einer anderen, 1100 Gedichte umschliessenden Anthologie,
    im Kokinshu (“Sammlung alter und neuer Gedichte") erhalten, das im
    Auftrage des Kaisers Daigo durch den Dichter Tsurayuki gesammelt und
    im Jahre 905 beendet wurde. Hier sind neben dem zarten Tsurayuki
    besonders der mannhafte Henjo und der schwermuetige Prinz Narihira zu
    nennen, dessen hervorragende koerperliche Schoenheit noch heute
    sprichwoertlich in Japan ist.


    Manyoshu und Kokinshu sind die wichtigsten aller japanischen
    Anthologien, deren spaeter, zumeist auf Veranlassung der Kaiser, noch
    viele hergestellt wurden. Auch die Lieder unseres Buches gehen zum
    grossen Teil auf jene beiden unerreichten klassischen Sammlungen
    zurueck.


    Der Bluete folgte ein trostloser Verfall. Hundert Jahre etwa hielt sich
    die Dichtung noch auf einem wuerdigen Niveau, dann gelangte ein oeder,
    pedantischer Formalismus zur Herrschaft und legte alle freien
    poetischen Regungen jahrhundertelang in Fesseln. Das Versemachen wurde
    als eine erlernbare Beschaeftigung betrachtet, die man nach bestimmten
    starren Zunftgesetzen auszuueben hatte, wie es ja auch in Deutschland
    eine Zeitlang Sitte war. Auch in Japan wurden, genau wie bei uns,
    Saengerwettstreite (Uta-Awase) veranstaltet, die sich uebrigens bis in
    die neueste Zeit erhalten haben und die eine allgemeine Veredelung der
    Poesie im Lande bezwecken sollten, waehrend sie in Wirklichkeit gerade
    das Gegenteil zur Folge hatten. Sogar den Frauen wurden solche
    Sangeswettstreite eingeraeumt, auf denen zumeist recht alberne Themata
    zu Utas poetisch “verarbeitet” wurden. Der Preis der Sieger bestand
    darin, dass ihre Poesien dem Kaiserpaare vorgelesen und zugleich mit
    den eigenen Gedichten des Kaisers oder der Kaiserin veroeffentlicht
    wurden.


    Die eigentliche Entwickelung der japanischen Literatur seit der
    klassischen Zeit bis heute hat dem Roman und dem Drama gegolten, aber
    nicht der Lyrik. Motoori Norinaga, eine energische Kaempfernatur, die
    man etwa mit Lessing vergleichen kann, hat sich gegen Ende des
    achtzehnten Jahrhunderts leidenschaftlich bemueht, dem schrecklichen
    Formelwesen der japanischen Liederdichtung ein Ende zu bereiten; sein
    Streben war auch von einigen Erfolgen begleitet, aber eine wirkliche
    Bluete hat die japanische Lyrik bis heute nicht wieder zu erreichen
    vermocht, auch nicht durch jene von Europa beeinflussten
    revolutionaeren Versuche, dem Versbau neue Formen zu erschliessen, die
    von einigen kuehnen Dichtern der letzten Zeit ausgegangen sind.


    Was die Nachdichtungen des vorliegenden Bandes angeht, so habe ich,
    obwohl ein Freund konzentrierten Ausdrucks, erst in zweiter Linie auf
    Knappheit der Form gehalten und vor allem der Klarheit und
    Durchsichtigkeit mich befleissigt. Haette ich ueberall die Knappheit der
    Originale beibehalten wollen, so waere ich oft gezwungen gewesen, den
    Gedichten erklaerende Fussnoten beizugeben, und auf diese Weise waere
    die Lektuere recht umstaendlich und ueberhaupt eine andere geworden, als
    ich mir fuer diese Verse wuenschte. Mir lag daran, Gedichte zu bilden,
    die durch sich selbst einen poetischen Reiz ausueben sollten, und ich
    moechte hoffen, dass von der japanischen Farbe wenigstens so viel auf
    sie uebergegangen ist, wie man bei derartigen Nachbildungen verlangen
    muss.


    Die Vorbilder fuer meine Nachdichtungen sind vor allem in der
    Geschichte der japanischen Literatur von Karl Florenz zu finden; auch
    die kleinen Buecher von Enderling, Hauser, Kurth und Lange habe ich
    verwertet.


    Hans Bethge

    ANMERKUNGEN


    Zur Aussprache: ch lautet wie tsch, j wie dsch, y wie deutsches j,
    sh wie sch; s ist scharfer dentaler Zischlaut (wie in Hast), z weicher
    dentaler Zischlaut (wie in Sohn): r ist Zungen-r.—Die Vokale sind
    kurz; ei lautet wie e.


    Seite 5. Fragment eines groesseren Gedichtes.


    Seite 7. Dies Gedicht steht an der Spitze der Sammlung Manyoshu.


    Seite 8. Muneto soll Ainos zu Vorfahren gehabt haben. Er wurde deshalb
    von den Hoeflingen gehaenselt und richtete dieses Gedicht an sie.


    Seite 13. Fragment eines laengeren Gedichtes an den Prinzen Takechi.


    Seite 14. Ozi wurde, da er Ansprueche auf den Thron geltend machte,
    gefangen genommen und auf Befehl der Kaiserin Taizyo hingerichtet, im
    Alter von vierundzwanzig Jahren. Das “Truebe Lied” soll er im Angesicht
    des Todes gedichtet haben.


    Seite 16. Akahito steht in der Schaetzung der Japaner gleich neben
    Hitomaro. Die beiden beruehmten Dichter werden “die beiden Weisen"
    genannt.


    Seite 35. Naniwa, von je wichtig fuer die Schiffahrt, ist das jetzige
    Osaka.


    Seite 37, 38. Frau Onono Komachi war ebenso beruehmt durch ihre
    Dichtungen wie durch ihre Schoenheit und ihren Leichtsinn.


    Seite 49. Frau Ise war die Geliebte des Kaisers Uda, dem sie auch
    ins Exil folgte; sie soll nach dem Tode ihres Freundes im Elend
    gestorben sein.


    Seite 105. Das Yehon Chitoseyama, erschienen 1740, ist eine Sammlung
    didaktisch-moralischer Gedichte.

    ANORDNUNG


    CHRONOLOGISCH


    MOTOORI NORINAGA (1730-1801)
      Die Seele Japans. Als Motto
    AUS ARCHAISCHER ZEIT
      Die schoene Nuna-Kawa-Hime
    KAISERIN IWA NO HIME (4. Jahrhundert nach Chr.)
      Die Wartende
    KAISER YURYAKU (451-479 nach Chr.)
      Liebeswerbung
    MUNETO (7. Jahrhundert nach Chr.)
      Der Glueckliche
    PRINZESSIN NUKADA (2. Haelfte des 7. Jahrhunderts)
      In Erwartung
    OKURA (etwa 660-733)
      Das Elend der Welt
    HITOMARO (etwa 662-709)
      Einsam
      Die Geliebte im Segelboot
      Kriegszug
    OZI (663-687)
      Truebes Lied
    KAISER MOMMU (697-707)
      An den Schnee
    AKAHITO (Mitte des 8. Jahrhunderts)
      Der Fuji-Yama
      Betrachtung
    MUSHIMARO
      Die Trauerweide
    EDELDAME ISHIKAWA (8. Jahrhundert)
      Der Mond
    KIBINO (gestorben 775)
      Fruehlings Ende
    OKISHIMA (8. Jahrhundert)
      Fruehlings Ende
    YAKAMOCHI (gestorben 785)
      In der Fremde
      Heimweh
    FUJIWARA NO HIROTSUGU
      Der Bluetenzweig
    TABITO
      Der Freund des Weines
    UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung MANYOSHU
        (abgeschlossen im Jahre 759):
      Am Ufer
      Bitte an den Hund
      Der Teich
      Trennung
      Vertrauen
      UEber die Heide
      Bangnis
      Die schoene Kurtisane
      Qualvolle Eifersucht
      Vergebenes Bemuehen
      Wunsch
    FRAU KOMACHI (gestorben etwa 870)
      Die Traeume
      Einsam
    HENJO (815-890)
      Das Lotusblatt
      Familienstolz
    PRINZ NARIHIRA (825-880)
      Schwermut
      Tagelied eines Maedchens
      Liebeskummer
    TOMONORI (845-905)
      Sehnsucht nach der Nachtigall
      Dauer im Wechsel
      Gleiche Sehnsucht
    OCHI (9. Jahrhundert)
      Die Wildgans
    OTOMO KURONUSHI (2. Haelfte des 9. Jahrhunderts)
      Fruehlingsregen
    FRAU ISE (um 900)
      Betrachtung
    MITSUNE (859-907)
      Truebsinn
      Heute!
      An einen Freund
    TADAMINE (868-965)
      Erinnerung
      Frommer Wunsch
      Haltlos
    FUKAYOBU
      Das klagende Herz
    MASAZUMI
      Die allerersten Blueten
    KI NO ARITOMO
      Dauernde Erinnerung
    TSURAYUKI (882-946)
      Jubel
      Blueten und Herzen
      Schnee im Fruehling
      Bluetenschnee
    ATSUTADA (gestorben 943)
      Seitdem ich dich liebe
      Gesteigerte Sehnsucht
    UNBEKANNTE DICHTER aus der Sammlung KOKINSHU
      (abgeschlossen im Jahre 905):
      Ankunft des Fruehlings
      Liebe
      Das Alter
      Lieben und Sterben
      Das Maedchen auf der Bruecke
      Liebesqualen
      Herbst
      Schatten
      Schnee
      Immer wieder
      Schlaflos
      Unerwiderte Liebe
      Sehnsuechtiger Gedanke
      Der duftende Aermel
    KANEMORI (10. Jahrhundert)
      Das Kopfkissen
      Heimliche Liebe
    UNBEKANNTE KURTISANE
      Bei Betrachtung des Mondes
    OKI KASSI
      Unmoeglichkeit
    TERANGE
      Schwermut
    SIGEYUKI
      Verzweiflung
    UNBEKANNTE DICHTERIN (10. Jahrhundert)
      Die Verlassene
    FRAU IZUMI SHIKIBU (um 1000)
      Noch einmal
    FRAU INNO BETTO (12. Jahrhundert)
      Dieselbe Nacht
    FRAU HORIKAWA (12. Jahrhundert)
      Erregung
    FUJIWARA NO TOSHINARI (1113-1204)
      Jammer der Erde
    SAIGYO (1118-1190)
      Gedanken
      Schwermut
      Vom Mond
      Abschied von den Blueten
      Blueten
    KIUTSUNE (13. Jahrhundert)
      Das Alter
    SONE NO YOSHITAKA
      Steuerlos
    SAKINO DAISOJO GYOSON
      An die Kirschenblueten
    PRINZ MUNENAGA (1312-1385)
      An die Wildgaense
    UNBEKANNTE DICHTERIN (16. Jahrhundert)
      Liebesbrief
    AUS DEM SINGSPIEL MIIDERA (17. Jahrhundert)
      Vergebenes Warten
    VOLKSLIED
      Um mit dir zu leben
    KURTISANE SEGAWA (18. Jahrhundert)
      Der Liebeslaut
    UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert)
      Die Weide im Wind
    UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert)
      Nach dem Bade
    AUS DEM BUCHE YEHON CHITOSEYAMA (18. Jahrhundert)
      Beschraenkung
    UNBEKANNTER DICHTER (18. Jahrhundert)
      Leichtes Spiel
    SANDARA (18. Jahrhundert)
      Die Morgenglocke
    YORIKITO (19. Jahrhundert)
      Taeuschung