Gespraeche fuer Freimaurer

Gotthold Ephraim Lessing

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Gespraeche fuer Freimaurer

Gotthold Ephraim Lessing

ERSTES GESPRAECH

ERNST

Woran denks du, Freund?

FALK

An nichts.

ERNST

Aber du bist so still.

FALK

Eben darum. Wer dekt, wenne er geniesst? Und ich geniesse des erquickenden Morgens.

ERNST

Du hast recht; und du haettest mir meine Frage nur zurueckgeben duerfen.

FALK

Wenn ich an etwas daechte, wuerde ich darueber sprechen. Nichts geht ueber das laut denken mit einem Freund.

ERNST

Gewiss.

FALK

Hast du des schoenen Morgens schon genug genossen, faellt dir etwas ein: so sprich du Mir faellt nichts ein.

ERNST

Gut das!—Mir faellt ein, dass ich dich schon laengst um tewas fragen wollen.

FALK

So frage doch.

ERNST

Ist es wahr, Freund, dass du ein Freimaeurer bist?

FALK

Die Frage ist eines, der keiner ist.

ERNST

Freilich!—Aber antworte mir geradezu.—Bist du ein Freimaeurer?

FALK

Ich glaube es zu sein.

ERNST

Die Antwort ist eines, der seiner Sache eben nicht gewiss ist.

FALK

O doch! Ich bin meiner Sache so ziemlich gewiss.

ERNST

Denn du wirst ja wohl wissen, ob und wenn und wo und von wem du aufgenommen worden.

FALK

Das weiss ich allerdings; aber das wuerde so viel nicht sagen wollen.

ERNST

Nicht?

FALK

Wer nimmt nicht auf, und wer wird nicht aufgenommen!

ERNST

Erklaere dich.

FALK

Ich glaube ein Freimaeurer zu sein; nicht sowohl, weil ich von aelteren Maurern in einer gesetzlichen Loge aufgenommen worden: sondern weil ich einsehe und erkenne, was und warum die Freimaeurerei ist, wenn und wo sie gewesen, wie und wodurch sie befoerdet oder gehindert wird.

ERNST

Und drueckst dich gleichwohl so zweifelhaft aus?—“Ich glaube einer zu sein!”

FALK

Dieses Ausdruecks bin ich nun so gewohnt. Nicht zwar, als ob ich Mangel an eigner Ueberzeugung haette: sondern weil ich nicht gern mich jemanden gerade in den Weg stellen mag.

ERNST

Du antwortest mir als einem Fremden.

FALK

Fremder oder Freund!

ERNST

Du bist aufgenommen, du weisst alles.

FALK

Andere sind auch aufgenommen und glauben zu wissen.

ERNST

Koenntest du denn aufgenommen sein, ohne zu wissen, was du weisst?

FALK

Leider!

ERNST

Wieso?

FALK

Weil viele, welche aufnehmen, es selbst nicht wissen, die wenigen aber, die es wissen, es nicht sagen koennen.

ERNST

Und koenntest du denn wissen, was du weiszt, ohne aufgenommen zu sein?

FALK

Warum nicht?—Die Freimaeurerei ist nichts Willkuerliches, nichts Entbehrliches, sondern etwas Notwendiges, das in dem Wesen des Menschen und der buergerlichen Gesellschaft gegruendet ist. Folglich muss man auch durch eignes Nachdenken ebensowohl darauf verfallen koennen, als man durch Anleitung darauf gefuehret wird.

ERNST

Die Freimaeurerei waere nichts Willkuerliches?—Hat sie nicht Worte und Zeichen und Gebraeuche, welche alle anders sein koennten und folglich willkuerlich sind?

FALK

Das hat sie. Aber diese Worte und diese Zeichen und Gebraeuche sind nicht die Freimaeurerei.

ERNST

Die Freimaeurerei waere nichts Entbehrliches?—Wie machten es denn die Menschen, als die Freimaeurerei noch nicht war?

FALK

Die Freimaeurerei war immer.

ERNST

Nun, was ist sie denn, diese notwendige, diese untentbehrliche Freimaeurerei?

FALK

Wie ich dir schon zu verstehen gegeben: Etwas das selbst die, die es wissen, nicht sagen koennen.

ERNST

Also ein Unding.

FALK

Uebereile dich nicht.

ERNST

Wovon ich einen Begriff habe, das kann ich auch mit Worten ausdruecken.

FALK

Nicht immer; und oft wenigsten nicht so, dass andere durch Worte volkommen ebendenselben Begriff bekommen, den ich dabei habe.

ERNST

Wenn nicht vollkommen ebendenselben, doch einen etwanigen.

FALK

Der etwanige Begriff waere hier unnuetz oder gefaehrlich. Unnuetz, wenn er nicht genug, und gefaehrlich, wenn er das geringste zu viel enthielte.

ERNST

Sonderbar! Da also selbst die Freimaeurer, welche das Geheimnis ihres Ordens wissen, es nicht woertlich mitteilen koennen, wie breiten sie denn gleichwohl ihren Orden aus?

FALK

Durch Taten. Sie lassen gute Maenner und Junglinge, die sie ihres naehern Umgangs wuerdigen, ihre Taten vermuten, erraten, sehen, soweit sie zu sehen sind; diese finden Geschmack daran und tun aehnliche Taten.

ERNST

Taten? Taten der Freimaeurer? Ich kenne keine andere als ihre Reden und Lieder, die meistenteils schoener gedruckt als gedacht und gesagt sind.

FALK

Das haben sie mit mehrern Reden und Liedern gemein.

ERNST

Oder soll ich das fuer ihre Taten nehmen, was sie in diesen Reden und Liedern von sich ruehmen?

FALK

Wenn sie es nicht bloss von sich ruehmen.

ERNST

Und was ruehmen sie denn von sich?—Lauter Dinge, die man von jedem guten Menschen, von jedem rechschaffnen Buerger erwartet.—Sie sind so freundlich, so guttaetig, so gehorsam, so voller Vaterlandsliebe!

FALK

Ist denn das nichts?

ERNST

Nichts!—um sich dadurch von andern Menschen auszusondern.—Wer soll das nicht sein?

FALK

Soll!

ERNST

Wer hat, dieses zu sein, nicht, auch ausser der Freimaeurerei, Antrieb und Gelegenheit genug?

FALK

Aber doch in ihr und durch sie eine Antrieb mehr.

ERNST

Sage mir nichts von der Menge der Antriebe. Lieber einem einzigen Antriebe alle moegliche intensive Kraft gegeben!—Die menge solcher Antriebe ist wie die Menge der Raeder in einer Maschine. Je mehr Raeder: desto wandelbarer.

FALK

Ich kann dir das nicht widersprechen.

ERNST

Und was fuer einen Antrieb mehr!—Der alle andre Antriebe verkleinert, verd"chtig macht! sich selbst fuer den staerksten und besten ausgibt!

FALK

Freund, sei billig!—Hyperbel, Quidproquo jener schalen Reden und Lieder! Proberwerk! Juengerarbeit!

ERNST

Das will sagen: Bruder Redner ist ein Schwaetzer.

FALK

Das will nur sagen: was Bruder Redner an den Freimaeurern preiset, das sind nun freilich ihre Taten eben nicht. Denn Bruder Redner ist wenigstens kein Plauderer; und Taten sprechen von selbst.

ERNST

Ja, nun merke ich, worauf du zielest. Wie konnten sie mir nicht gleich einfallen, diese Taten, diese sprechende Taten. Fast moechte ich sie schreiende nennen. Nicht genug, dass sich die Freimaeurer einer den andern unterstuetzen, auf das kraefstigste unterstuetzen: denn das waere nur die notwendige Eigenschaft einer jeden Bande. Was tun sie nicht fuer das gesamte Publikum eines jeden Staats, dessen Glieder sie sind!

FALK

Zum Exempel?—Damit ich doch hoere, ob du auf der rechten Spur bist.

ERNST

Zum Exempel die Freimaeurer in Stockholm!—Haben sie nicht ein grosses Findelhaus errichtet?

FALK

Wenn die Freimaeurer in Stockholm sich nur auch bei einer andern Gelegenheit taetig erwiesen haben.

ERNST

Bei welchem andern?

FALK

Bei sonst andern, meine ich.

ERNST

Und die Freimaeurer in Dresden, die arme junge Maedchen mit Arbeit beschaeftigen, sie kloeppeln und stuekken lassen—damit das Findelhaus nur kleiner sein duerfe.

FALK

Ernst! Du weisst wohl, wenn ich dich deines Namens erinnere.

ERNST

Ohne alle Glossen dann. Und die Freimaeurer in Braunschweig, die arme faehige Knaben im Zeichnen unterrichten lassen.

FALK

Warum nicht?

ERNST

Und die Freimaeurer in Berlin, die das Basedowsche Philanthropin unterstuetzen.

FALK

Was sagst du?—Die Freimaeurer? Das Philanthropin? unterstuetzen?—Wer hat dir das aufgebunden?

ERNST

Die Zeitung hat es ausposaunet.

FALK

Die Zeitung!—Da muesste ich Basedows eigenhaendige Quittung sehen. Und muesste gewiss sein, dass die Quittung nicht an Freimaeurer in Berlin, sondern an die Freimaeurer gerichtet waere.

ERNST

Was ist das?—Billigest du denn Basedows Institut nicht?

FALK

Ich nicht? Wer kann es mehr billigen?

ERNST

So wirst du ihm ja diese Unterstuetzung nicht misgoennen?

FALK

Misgoennen?—Wer kann ihm alles Gutes mehr goennen als ich?

ERNST

Nun dann!—Du wirst mir unbegreiflich.

FALK

Ich glaube wohl. Dazu habe ich unrecht.—Denn auch die Freimaeurer koennen etwas tun, was sie nicht als Freimaeurer tun.

ERNST

Und soll das an allen auch ihren uebrigen guten taten gelten?

FALK

Vielleicht!—Vielleicht, dass alle die guten Taten, die du mir da genammt hast, um mich eines scholastischen Ausdruckes der Kuerze wegen zu bedienen, nur ihre Taten ad extra sind.

ERNST

Wie meinst du das?

FALK

Nur ihre Taten, die dem Volke in die Augen fallen;—nur Taten, die sie bloss deswegen tun, damit sie dem Volk in die Augen fallen sollen.

ERNST

Um Achtung und Duldung zu geniessen?

FALK

Koennte wohl sein.

ERNST

Aber ihre wahre Taten denn?—Du schweigst?

FALK

Wenn ich dir schon geantwortet haette?—Ihre wahre Taten sind ihr Geheimnis.

ERNST

Ha! ha! Also auch nicht erklaerbar durch Worte?

FALK

Nicht wohl!—Nur so viel kann und darf ich dir sagen: die wahren Taten die Freimaeurer sind so gross, so weit aussehend, dass ganze Jahrhunderte vergehen koennen, ehe man sagen kann: das haben sie getan! Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was noch in der Welt werden wird—merke wohl, in der Welt.

ERNST

O geh! Du hast mich zum besten.

FALK

Wahrlich nicht—Aber sieh! dort fliegt ein Schmetterling, den ich haben muss. Es ist der von der Wolfmichsraupe.—Geschwind sage ich dir nur noch: die wahren Taten der Freimaeurer zielen dahin, um groesstenteils alles, was man gemeinlich gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen.

ERNST

Und sind doch auch gute Taten?

FALK

Es kann keine bessere geben.—Denke einen Augenblick darueber nach. Ich bin gleich wieder bei dir.

ERNST

Gute Taten, welche darauf zielen, gute taten entbehrlich zu machen?— Das ist ein Raetsel. Und ueber ein Raetsel denke ich nicht nach.—Lieber lege ich mich indes unter den Baum und sehe den Ameisen zu.

ZWEITES GESPRAECH

ERNST

Er lockte mich von Strauch bis an den Bach.—Auf einmal war er herueber.

ERNST

Ja, ja. Es gibt solche Locker!

FALK

Hast du nachgedacht?

ERNST

Ueber was? Ueber deine Raetsel?—Ich werde ihn auch nicht fangen, den schoenen Schmetterling! Darum soll er mir aber auch weiter keine Muehe machen.—Einmal von der Freimaeurern mit dir gesprochen und nie wieder. Denn ich sehe ja wohl; du bist wie sie alle.

FALK

Wie sie alle? Das sagen diese alle nicht.

ERNST

Nicht? So gibt es ja wohl auch Ketzer unter den Freimaeurern? Und du waerest einer.—Doch alle Ketzer haben mit den Rechtglaeubingen immer noch etwas gemein. Und davon sprach ich.

FALK

Wovon sprachst du?

ERNST

Rechtglaeubinge oder ketzerische Freimaeurer—sie alle spielen mit Worten und lassen sich fragen und antworten, ohne zu antworten.

FALK

Meinst du?—Nun wohl, so lass uns von etwas andern reden. Denn einmal hast du mich aus dem behaglichen Zustande des stummen Staunens gerissen.

ERNST

Nichts ist leichter, als dich in diesen Zustand wieder zu versetzen.— Lass dich nur hier bei mir nieder und sieh!

FALK

Was denn?

ERNST

Das Leben und Weben auf und in und um diesen Ameisenhaufen. Welche Geschaeftigkeit und doch welche Ordnung! Alles traegt und schleppt und schiebt; und keines ist dem andern hinderlich. Sieh nur? Sie helfen einander sogar.

FALK

Die Ameisen leben in Gesellschaft wie die Bienen.

ERNST

Und in einer noch wunderbarern Gesellschaft als die die Bienen. Denn sie haben niemand unter sich, der sie zusammenhaelt und regieret.

FALK

Ordnung muss also doch auch ohne Regierung bestehen koennen.

ERNST

Wenn jedes einzelne sich selbst zu regieren weiss: warum nicht?

FALK

Ob es wohl auch einmal mit den Menschen dahin kommen wird?

ERNST

Wohl schwerlich!

FALK

Schade!

ERNST

Jawohl!

FALK

Steh auf und lass uns gehen. Denn sie werden dich bekriechen, die Ameisen; und eben faellt auch mir etwas bei, was ich bei dieser Gelegenheit dich doch fragen muss.—Iche kenne deine Gesinnungen darueber noch gar nicht.

ERNST

Worueber?

FALK

Ueber die buergerliche Gesellschaft des Menschen ueberhaupt.—Wofuer haelst du sie?

ERNST

Fuer etwas sehr Gutes.

FALK

Ohnestreitig.—Aber haelst du sie fuer Zweck oder Mittel?

ERNST

Ich verstehe dich nicht.

FALK

Glaubst du, dass die Menschen fuer die Staaten erschaffen werden? Oder dass die Staaten fuer die Menschen sind?

ERNST

Jenes scheinen einige behaupten zu wollen. Dieses aber mag wohl das Wahrere sein.

FALK

So denke ich auch.—Die Staaten vereinigen die Menschen, damit durch diese und in dieser Vereinigung jeder einzelme Mensch seinen Teil von Glueckseligkeit desto besser und sichrer geniessen koenne.—Das Totale der einzeln Glueckseligkeiten aller Glieder ist die Glueckseligkeit des Staats, bei welcher auch noch so wenig einzelme Glieder leiden und leiden muessen, ist Bemaentelung der Tyrannei. Anders nichts!

ERNST

Ich moechte das nicht so laut sagen.

FALK

Warum nicht?

ERNST

Eine Wahrheit, die jeder nach seiner eignen Lage beurteilet, kann leicht gemissbraucht werden.

FALK

Weisst du, Freund, dass du schon ein halber Freimaeurer bist?

ERNST

Ich?

FALK

Du. Denn du erkennst ja schon Wahrheiten, die man besser verschweigt.

ERNST

Aber doch sagen koennte.

FALK

Der Weise kann nicht sagen, was er besser verschweigt.

ERNST

Nun, wie du wilst!—Lass uns auf die Freimaeurer nicht wieder zurueckkommen. Ich mag ja von ihnen weiter nichts wissen.

FALK

Verzeih!—Du siehst wenigstens meine Bereitwilligkeit, dir mehr von ihnen zu sagen.

ERNST

Du spottest!—Gut! das buergerliche Leben des Menschen, alle Staatsverfassungen sind nichts als Mittel zur menschlichen Glueckseligkeit. Was weiter?

FALK

Nichts als Mittel! Und Mittel menschlicher Erfindung; ob ich gleich nicht leugnen will, dass die Natur alles so eingerichtet, dass der Mensch, sehr bald auf diese Erfindung geraten muessen.

ERNST

Nun? wo bleibst du denn? Und hast den Schmeterling doch nicht?

FALK

Dieses hat denn auch gemacht, dass einige die buergerliche Gesellschaft fuer Zweck der Natur gehalten. Weil alles, unsere Leidenschaften und unsere Beduerfnisse, alles darauf fuehre, sei sie folglich das letzte, worauf die Natur gehe. So schlossen sie. Als ob die Natur nicht auch die Mittel zweckmaessig hervorbringen muessen! Als ob die Natur mehr die Glueckseligkeit eines abgezogenen Begriffs—wie Staat,, Vaterland und dergleichen sind—als die Glueckseligkeit jedes wirklichen einzeln Wesens zur Absicht gehabt haette!

FALK

Sehr gut! Du koemmst mir auf dem rechten Wege entgegen. Denn nun sage mir; wenn die Staatsverfassungen Mittel, Mittel menschlicher Erfindungen sind; sollten sie allein von dem Schicksale menschlicher Mittel ausgenommen sein?

ERNST

Was nennst du Schicksale menschlicher Mittel?

FALK

Das, was unzertrennlich mit menschlichen Mitteln verbunden ist; was sie von goettlichen unfehlbaren Mitteln unterscheidet.

ERNST

Was ist das?

FALK

Das sie nicht unfehlbar sind. Dass sie ihrer Absicht nicht allein oefters nicht entsprechen, sondern auch wohl gerade das gegenteil davon bewirken.

ERNST

Ein Beispiel! wenn dir eines einfaellt

FALK

So sind Schiffahrt und Schiffe Mittel, in entlegene Laender zu kommen; und werden Ursache, dass viele Menschen nimmermehr dahin gelangen.

ERNST

Die naemlich Schiffbruch leiden und ersaufen. Nun glaube ich dich zu verstehen.—Aber man weiss ja wohl, woher es koemmt, wenn so viel einzelne Menschen durch die Staatsverfassung an ihrer Glueckseligkeit nichts gewinnen. Der Staatsverfassungen sind viele; eine ist also besser als die andere; manche ist sehr fehlerhaft, mit ihrer Absicht ofenbar streitend; und die beste soll vielleicht noch erfunden werden.

FALK

Das ungerechnet! Setze die beste Staatsverfassung, die sich nur denken laesst, schon erfunden; setze, dass alle Menschen in der ganzen Welt diese beste Staatsverfassung angenommen haben: meinst du nicht, dass auch dann noch, slebst aus dieser besten Staatsverfassung, Dinge entspringen muessen, welche der menschlichen Glueckseligkeit hoechst nachteilig sind, und wovon der mensch in dem Stande der Natur schlechterdings nichts gewusst haette?

ERNST

Ich meine, wenn dergleichen Dinge aus der besten Staatsverfassung entspraengen, dass es sodann die beste Staatsverfassung nicht waere.

FALK

Und eine bessere moeglich waere?—Nun, so nehme ich diese bessere als die beste an: und frage das naemliche.

ERNST

Du scheinest mir hier bloss von vorneherein aus dem angenommenen Begriffe zu vernuenfieln, dass jedes Mittel menschlicher Erfindung, wofuer du die Staatsverfassungen samt und sonders erklaerest, nicht anders als mangelhaht sein koenne.

FALK

Nicht bloss.

ERNST

Und es wuerde dir schwer werden, eins von jenen nachteiligen Dingen zu nennen.

FALK

Die auch aus der besten Staatsverfassung notwending entspringen muessen?—O zehne fuer eines.

ERNST

Nur eines erst.

FALK

Wir nehmen also die beste Staatsverfassung fuer erfunden an; wir nehmen an, dass alle Menschen in der Welt in dieser besten Staatsverfassung leben: wuerden deswegen alle Menschen in der Welt nur einen Staat ausmachen?

ERNST

Wohl schwerlich. Ein so ungeheurer Staat wuerde keiner Verwaltung faehig sein. Er muesste sich also in mehrere kleine Staaten verteilen, die alle nach den namlichen Gesetzen verwaltet wuerden.

FALK

Das ist: die Menschen wuerden auch dann noch Deutsche und Franzosen, Hollaender und Spanier, Russen und Schweden sein, oder wie sie sonst heissen wuerden.

ERNST

Ganz gewiss!

FALK

Nun, da haben wir ja schon eines. Denn nicht wahr, jeder dieser kleinern Staaten haette sein eignes Interesse? und jedes Glied derselben haette das Interesse seines Staats?

ERNST

Wie anders?

FALK

Diese verschiedene Interesse wuerden oefters in Kolision kommen, so wie itzt: und zwei Glieder aus zwei verschiedenen Staaten wuerden einander ebensowenig mit unbefangenem Gemuet begegnen koennen, als itzt ein Deutscher einem Franzose, ein Franzose einem Englaender begegnet.

ERNST

Seht wahrscheinlich!

FALK

Das ist: wenn itzt ein Deutscher einem Franzosen, ein Franzose einem Englaender oder umgekehrt begegnet, so begegnet nicht mehr ein blosser Mensch einem blossen Menschen die vermoege ihrer gleichen Natur gegeneinander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiednen Tendenz sich bewusst sind, welches sie gegeneinander kalt, zurueckhaltend, misstrauisch macht, noch ehe sie fuehr ihre einzelne Person das geringste miteinander zu schaffen und zu teilen haben.

ERNST

Das ist leider wahr.

FALK

Nun, so ist es denn auch wahr, dass das Mittel, welches die Menschen vereiniget, um sie durch diese Vereinigung ihres Glueckes zu versichern, die Menschen zugleich trennet.

ERNST

Wenn du es so verstehest.

FALK

Tritt einen Schritt weiter. Viele von den kleinern Staaten wuerden ein ganz verschiedenes Klima, folglich ganz verschiedene Beduerfnisse und Befriedigungen, folglich ganz verschiedene Gewohnheiten und Sitten, folglich ganz verschiedene Sittenlehren, folglich ganz verschiedene Religionen haben. Meinst du nicht?

ERNST

Das ist ein gewaltiger Schritt!

FALK

Die Menschen wuerden auch dann noch Juden und Christen und Tuerken und dergleichen sein.

ERNST

Ich getraue mir nicht nein zu sagen.

FALK

Wuerden sie das, so wuerden sie auch, sie moechten heissen, wie sie wollten, sich untereinander nicht anders verhalten, als sich unsere Christen und Juden und Tuerken von jeher untereinander verhalten haben. Nicht als blosse Menschen gegen blosse Menschen, sondern als solche Menschen gegen solche Menschen, die sich einen gewissen geistigen Vorzug streitig machen und darauf Rechte gruenden, die dem natuerlichen Menschen nimmermehr einfallen koennten.

ERNST

Das ist sehr traurig, aber leider doch sehr vermutlich.

FALK

Nur vermutlich?

ERNST

Denn allenfalls daechte ich doch, so wie du angenommen hast, das alle Staaten einerlei Verfassung haetten, dass sie auch wohl eine einerlei Religion haben koennten. Ja, ich begreife nicht, wie einerlei Staatsverfassung ohne einerlei Religion auch nur moeglich ist.

FALK

Ich ebensowenig.—Auch nahm ich jenes nur an, um deine Ausflucht abzuschneiden. Eines ist zuverlaessig ebenso unmoeglich als das andere. Ein Staat: mehrere Staaten. Mehrere Staaten: mehrere Staatverfassungen. Mehrere Staatverfassungen: mehrere Religionen.

ERNST

Ja, ja, so scheint es.

FALK

So ist es.—Nun sieh da das zweite Unheil, welches die buergerliche Gesellschaft, ganz ihrer Absicht entgegen, verursacht. Sie kann die Menschen nicht vereinigen, ohne sie zu trennen; nicht trennen, ohne Kluefte zwischen ihnen zu befestigen, ohne Scheidemauern durch sie hinzuziehen.

ERNST

Und wie schrecklich diese Kluefte sind! wie unuebersteiglich oft diese Scheidemauern!

FALK

Lass mich noch das dritte hinzufuegen. Nicht genug, dass die buergerliche Gesellschaft die Menschen in verschiedene Voelker und Religionen teilet und trennet.—Diese Trennung in wenige grosse Teile, deren jeder fuer sich ein Ganzes waere, waere doch immer noch besser als gar kein Ganzes. Nein, die buergerliche Gesellschaft setzt ihre Trennung auch in jedem dieser Teile gleichsam bis ins Unendliche fort.

ERNST

Wieso?

FALK

Oder meinest du, dass ein Staat sich ohne Verscheidenheit von Staenden denken laesst? Er sei gut oder schlecht, der Vollkommenheit mehr oder weiniger nahe: unmoeglich koennen alle Glieder desselben unter sich das naemliche Verhaeltnis haben.—Wenn sie auch alle an der Gestzgebung Anteil haben, so koennen sie doch nict gleichen Anteil haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Anteil. Es wird also vornehmere und geringere Glieder geben.—Wenn anfangs auch alle Besitzungen des Staats unter sie gleich verteilet worden, so kann diese gleiche Verteilung doch keine zwei Menschenalter bestehen. Einer wird sein Eigentum besser zu nutzen wissen als der andere. Einer wird sein schlechter genutztes Eigentum gleichwohl unter mehrere Nachkommen zu verteilen haben als der andere. Es wird also reichere und aermere Glieder geben.

ERNST

Das versteht sich.

FALK

Nun ueberlege, wieviel Uebel es in der Welt wohl gibt, das in dieser Verschiedenheit der Staende seinen Grund nicht hat.

ERNST

Wenn ich dir doch widersprechen koennte!—Aber was hatte ich fuer Ursache, dir ueberhaupt zu widersprechen?—Nun ja, die Menschen sind nur durch Trennung zu vereinigen! nur durch unaufhoerliche Trennung in Vereinigung zu erhalten! Das ist nun einmal so. Das kann nun nicht anders sein.

FALK

Das sage ich eben!

ERNST

Also, was willst du damit? Mir das buergerliche Leben dadurch verleiden? Mich wuenschen machen, dass den Menschen der Gedanke, sich in Staaten zu vereinigen, nie moege gekommen sein?

FALK

Verkennst du mich so weit?—Wenn die buergerliche Gesellschaft auch nur das Gute haette, dass allein in ihr die menschliche Vernunft angebauet werden kann: ich wuerde sie auch bei weit groessern Uebeln noch segnen.

ERNST

Wer des Feuers geniessen will, sagt das Sprichwort, muss sich den Rauch gefallen lassen.

FALK

Allerdings!—Aber weil der Rauch bei dem Feuer unvermeidlich ist: durfte man darum keinen Rauchfang erfinden? Und der den Rauchfang erfand, war der darum ein Feind des Feuers?—Sieh, dahin wollte ich.

ERNST

Wohin?—Ich verstehe dich nicht.

FALK

Das Gleichnis war doch sehr passend.—Wenn die Menschen nicht anders in Staaten vereiniget werden konnten als durch jene Trennungen: werden sie darum gut, jene trennungen?

ERNST

Das wohl nicht.

FALK

Werden sie darum heilig, jene Trennungen?

ERNST

Wie heilig?

FALK

Dass er verboten sein sollte, Hand an sie zu legen?

ERNST

In Absicht?...

FALK

In Absicht, sie nicht groesser einreissen zu lassen, als die Notwendigkeit erfordert. In Absicht, ihre Folgen so unschaedlich zu machen als moeglich.

ERNST

Wie koennte das verboten sein?

FALK

Aber geboten kann es doch auch nicht sein; durch buergerliche Gesetze nicht geboten!—Denn buergerliche Gesetze erstrecken sich nie ueber die grenzen ihres Staats. Und dieses wuerde nun gerade ausser den Grenzen aller und jeder Staaten liegen.—Folglich kann es nur ein Opus supererogatum sein: und es waere bloss zu wuenschen, dass sich die Weisesten und Besten eines jeden Staats diesem Operi superogato freiwillig unterzoegen.

ERNST

Bloss zu wuenschen; aber recht sehr zu wuenschen.

FALK

Ich daechte! Recht sehr zu wuenschen, dass es in jedem Staate Maenner geben moechte, die ueber die Vorurteile des Voelkerschaft hinweg waeren und genau wuessten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhoeret.

ERNST

Recht sehr zu wuenschen!

FALK

Recht sehr zu wuenschen, dass es in jedem Staate Maenner geben moechte, die dem Vorurteile ihrer angebornen Religion nicht unterlaegen; nicht glaubten, dass alles notwendig gut und wahr sein muesse, was sie fuer gut und wahr erkennen.

ERNST

Recht sehr zu wuenschen!

FALK

Recht sehr zu wuenschen, dass es in jedem Staate Maenner geben moechte, welche buergerliche Hoheit nicht blendet und buergerliche Geringfuegigkeit nicht ekelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herablaesst und der Geringe sich dreist erhebet.

ERNST

Recht sehr zu wuenschen!

FALK

Und wenn er erfuellt waere, dieser Wunsch?

ERNST

Erfuellt?—Es wird freilich hier und da, dann und wann einen solchen Mann geben.

FALK

Nicht bloss hier und da; nicht bloss dann und wann.

ERNST

Zu gewissen Zeiten, in gewissen Laendern auch mehrere.

FALK

Wie, wenn es dergleichen Maenner itzt ueberall gaebe? zu allen Zeiten nun ferner geben muesste?

ERNST

Wollte Gott!

FALK

Und diese Maenner nicht in einer unwirksamen Zerstreuung lebten? nicht immer in einer unsichtbaren Kirche?

ERNST

Schoener Traum!

FALK

Dass ich es kurz mache.—Und diese Maenner die Freimaeurer waeren?

ERNST

Was sagst du?

FALK

Wie, wenn es die Freimaeurer waeren, die sich mit zu ihrem Geschaefte gemacht haetten, jene Trennungen, wodurch die Menschen einander so fremd werden, so eng als moeglich wieder zusammenzuziehen?

ERNST

Die Freimaeurer?

FALK

Ich sage: mit zu ihrem Geschaefte.

ERNST

Die Freimaeurer?

FALK

Ach! verzih!—Ich hatt' es schon wieder vergessen, dass du von den Freimaeurern weiter nicht hoeren willst—Dort winkt man uns eben zum Fruehstuecke. Komm!

ERNST

Nicht doch!—Noch einen Augenblick!—Die Freimaeurer, sagst du—

FALK

Das gespraech brachte mich wider Willen auf sie zurueck. Verzeih!—Komm! Dort in der groessern Gesellschaft werden wir bald Stoff zu einer tauglichern Unterredung finden. Komm!

DRITTES GESPRAECH

ERNST

Du bist mir den ganzen Tag im Gedraenge der Gesellschaft ausgewichen. Aber ich verfolge dich in dein Schlafzimmer.

FALK

Hast du mir so etwas Wichtiges zu sagen? Der blossen Unterhaltung bin ich auf heute muede.

ERNST

Du spottest meiner Neugierde.

FALK

Deiner Neugierde?

ERNST

Die du diesen Morgen so meisterhaft zu erregen ,wusstest.

FALK

Wovon spachen wir diesen Morgen?

ERNST

Von den Freimaeurern.

FALK

Nun?—Ich habe dir im Rausche des Pyrmonter doch nicht das Geheimnis verraten?

ERNST

Das man, wie du sagst, nicbt verraten kann.

FALK

Nun freilich; das beruhigt mich wieder.

ERNST

Aber du hast mir doch ueber die Freimaeurer etwas gesagt, das mir unerwartet war; das mir auffiel; das mich denken rnachte.

FALK

Und was war das?

ERNST

0 quaele mich nicht!—Du erinnerst dich dessen gewiss.

FALK

Ja, es faellt mir nach und nach wieder ein.—Und das war es, was dich den ganzen langen Tag unter deinen Freunden und Freundinnen so abwesend machte?

ERNST

Das war es!—Und ich kann nicht einschlafen, wenn du mir wenigstens nicht noch eine Frage beantwortest.

FALK

Nach dem die Frage sein wird.

ERNST

Woher kannst du mir aber beweisen, wenigstens nur wahrscheinlich machen, dass die Freimaeurer wirklich jene grosse und wuerdige Absichten haben?

FALK

Halbe ich dir von ihren Absichten gesprochen? lch wuesste nicht.— Sondern da du dir gar keinen Begriff von den wahren Taten der Freimaeurer machen konntest, habe ich dich bloss auf einen Punkt aufmerksam machen wollen, wo noch so vieles geschehen kann, wovon sich unsere staatsklugen Koepfe gar nichts traeumen lassen.—Vielleicht, dasz die Freimaeurer da herum arheiten. Vielleicht!—da herum!—Nur um dir dein Vorurteil zu benehmen, dass alle baubeduerftigen Plaetze schon ausgefunden und besetzt, alle noetige Arbeiten schon unter die erforderlichen Haende verteilet waeren.

ERNST

Wende dich itzt, wie du willst—Genug, ich denke mir nun aus deinen Reden die Freimaurer als Leule, die es freiwillig ueber sich genommen haben, den unvermeidlich en Uebeln des Staats entgegenzuarbeiten.

FALK

Dieser Begriff kann den Freimaeurern wenigstens keine Schande machen.— Bleib dabei!—Nur fasse ihn recht. Menge nichts hinein, was nicht hineingehoeret.—Den unvermeidlichen Uebeln des Staats!—Nicht dieses und jenes Staats. Nicht den unvermeidlichen Uebeln, welche, eine gewisse Staatsverfassung einmal angenommen, aus dieser angenommenen Staatsverfassung nun totwendig folgen. Mit diesen gibt sich der Freimaeurer niemals ab; wenigstens nicht als Freimaeurer. Die Linerung und Heilung dieser ueberlaesst er dem Buerger, der sich nach seiner Einsicht, nach seinem Mute, auf seine Gefahr damit befassen mag. Uebel ganz andrer Art, ganz hoeherer Art sind der Gegenstand seiner Wirksamkeit.

ERNST

Ich habe das sehr wohl begriffen.—Night Uebel, welche den missvergnuegten Buerger machen, sondern Uebel, ohne welche auch der gluecklichste Buerger nicht ein kann.

FALK

Recht! Diesen entgegen—wie sagtest du?—entgegenzuarbeiten?

ERNST

Ja!

FALK

Das Wort sagt ein wenig viel.—Entgegenarbeiten!—Um sie voe11ig zu heben?—Das kann nicht sein. Denn man wuerde den Staat selbst mit ihnen zugleich vernichten.—Sie muessen nicht einmal denen mit eins merklich gemacht werden, die noch gar keine Empfindung davon haben. Hoechstens diese Empfindung in dem Menschen von weitem veranlassen, ihr Aufkeimen beguelnstigen, ihre Pflanzen versetzen, begaeten beblatten— kann hier entgegenarbeiten heissen.—Begreifst du nun, warum ich sagte, ob die Freimaeurer schon immer taetig waeren, dass Jahrhunderte dennoch vergehen koennten, ohne dass.slch sagen lasse: das haben sie getan.

ERNST

Und verstehe auch nun den zweiten Zug des Raetsels—Gute Taten, welche gute Taten entbehrlich machen sollen.

FALK

Wohl!—Nun geh und studiere jene Uebel und lerne sie alle kennen und waege all ihre Einfluesse gegeneinander ab, und sei versichert, dass dir dieses Studium Dinge aufschliessen wird, die in Tagen der Schwermut die niederschlagendsten, unaufloeslichsten Einwuerfe wider Vorsehung und Tugend zu sein scheinen. Dieser Aufschluss, diese Erleuchtung wird dich ruhig und gluecklich machen—auch ohne Freimaurer zu heissen

ERNST

Du legest auf dieses heissen so viel Nachdruck.

FALK

Weil man etwas sein kann, ohne es zu heissen

ERNST

Gut das! ich versteh'—Aber auf meine Frage wieder zu kommen, die ich nur ein wenig anders einkleiden muss. Da ich sie doch nun kenne, die Uebel, gegen welcbe die Freimaeurerei angehet.

FALK

Du kennest sie?

ERNST

Hast du mir sie nicht selbst genannt?

FALK

Icb habe dir einige zut Probe namhaft gemacht. Nur einige von denen, die auch dem kurzsichtigsten Auge einleuchten; nur einige von den unstreitigsten, weitumfassendsten.—Aber wie viele sind nicht noch uebrig, die, ob sie schon nicht so einleuchten, nicht so unstreitig sind, nicht so viel umfassen, dennoch nicht weniger gewiss, nicht weniger notwendig sind!

ERNST

So lass mich meine Frage denn bloss auf diejeniten Stuecke einschraenken, die du mir selbst namhaft gemacht hast.—Wie beweisest du mir auch nur von diesen Stuecken, dass die Freimaeurer wirklich ihr Ahsehen darauf haben?—Du schweigst?—Du sinnest nach?

FALK

Wahrlich nicht dem, was ich auf diese Frage zu antworten haette!—Aber ich weiss nicht, was ich mir fuer Ursachen denken so11, warum du mir diese Frage tust.

ERNST

Und du willst mir meine Frage beantworten, wenn ich dir die Ursachen derselben sage?

FALK

Das verspreche ich dir.

ERNST

Ich kenne und fuerchte deinen Scharfsinn.

FALK

Meinen Scharfsinn?

ERNST

Ich fuerchte, du verkaufst mir deine Spekulation fuer Tatsache.

FALK

Sehr verbunden!

ERNST

Be1eidiget dich das?

FALK

Vielmehr muss ich dir danken, dass du Scharfsinn nennest, was du ganz anders haettest benennen koennen.

ERNST

Gewiss nicht. Sondern ich weiss, wie leicht der Scharfsinnige sich selbst betriegt; wie leicht er andern Leuten Plaene und Absichten leihet und unterlegt, an die sie nie gedacht haben.

FALK

Aber woraus schliesst man auf der Leute Plaene und Absichten? Aus ihren einzeln Handlungen doch wohl?

ERNST

Woraus sonst?—Und hier bin ich wieder bei meiner Frage.—Aus welchen einzeln, unstreitigen Handlungen der Freimaurer ist abzunehmen, dass es auch nur mit ihr Zweck ist, jene von dir benannte Trennung, welche Staat und Staaten unter den Menschen notwendig machen muessen, durch sich und in sich wieder zu vereinigen?

FALK

Und zwar ohne Nachteil dieses Staats und dieser Staaten.

ERNST

Desto besser!—Es brauchen auch vielleicht nicht Handlungen zu sein, woraus jenes abzunehmen. Wenn es nur gewisse Eigentuemlichkeiten, Besonderheiten sind, die dahin leiten oder daraus entspringen.—Von: dergleichen muesstest du sogar in deiner Spekulation ausgegangen sein; gesetzt, dass dein System nur Hypothese waere.

FALK

Dein Misstrauen aeussert sich noch.—Aber ich hoffe, es soll sich verlieren, wenn ich dir ein Grundgesetz der Freimaeurer zu Gemuete fuehre.

ERNST

Und welches?

FALK

Aus welchem sie nie ein Geheimnis gemacht haben. Nach welchem sie immer vor den Augen der ganzen Welt gehandelt haben.

ERNST

Das ist?

FALK

Das ist, jeden wuerdigen Mann von gehoeriger Anlage, ohne Unterschied des Vaterlandes, ohne Unterchied der Religion, ohne Unterschied seines buergerlichen Standes in ihren Orden aufzunehmen.

ERNST

Wahrhaftig!

FALK

Freilich scheint dieses Grundgesetze dergleichen Maenner, die ueber jene Trennungen hinweg sind, vielmehr bereits vorauszusetzen als die Absicht zu haben, sie zu bilden. Allein das Nitrum muss ja wohl in der Luft sein, ehe es sich als Salpeter an den Waenden anlegt.

ERNST

O ja!

FALK

Und warum sollten die Freimaeurer sich nicht hier einer gewoehnlichen List haben bedienen duerfen?—Dass man einen Teil seiner geheimen Absichten ganz offenbar treibt, um den Argwohn irrezufuehren, der immer ganz etwas anders vermutet, als er sieht.

ERNST

Warum nicht?

FALK

Warum sollte der Kuenstler, der Silber machen kann, nicht mit altem Bruchsilber handeln, damit man so weniger argwohne, dass er es machen kann?

ERNST

Warum nicht?

FALK

Ernst!—Hoerst du mich?—Du antwortest im Traume, glaub' ich.

ERNST

Nein, Freund! Aber ich habe genug; genug auf diese Nacht. Morgen mit dem fruehsten kehre ich wieder nach der Stadt.

FALK

Schon? Und warum so bald?

ERNST

Du kennst mich, und fragst? Wie lange dauert deine Brunnenkur noch?

FALK

Ich habe sie vorgestern erst angefangen.

ERNST

So sehe ich dich vor dem Ende derselben noch wieder.—Lebe wohl! gute Nacht!

FALK

Gute Nacht! lebe wohl!