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Gedichte
Paul Heyse
(1865)
alphabetisch nach Titeln sortiert:
Ueber ein Stuendlein
Auf der Heimfahrt
Novelle
Vorfruehling
Dulde, gedulde dich fein!
Ueber ein Stuendlein
ist deine Kammer voll Sonne.
Ueber den First, wo die Glocken hangen,
ist schon lange der Schein gegangen,
ging in Tuermers Fenster ein.
Wer am naechsten dem Sturm der Glocken,
einsam wohnt er, oft erschrocken,
doch am fruehsten troestet ihn Sonnenschein.
Wer in tiefen Gassen gebaut,
Huett' an Huettlein lehnt sich traut,
Glocken haben ihn nie erschuettert,
Wetterstrahl ihn nie umzittert,
aber spaet sein Morgen graut.
Hoeh' und Tiefe hat Lust und Leid.
Sag ihm ab, dem toerigen Neid:
andrer Gram birgt andre Wonne.
Dulde, gedulde dich fein!
Ueber ein Stuendlein
ist deine Kammer voll Sonne.
Es steht ein Haus im Garten,
kuehl an ein Waeldchen angelehnt.
Auf allen meinen Fahrten
hab' ich nach ihm mich heimgesehnt.
Wie suess erklang
dort Vogelsang,
wie lachten Blumen ringsumher!
Wie ging's im Lauf
die Stieg' hinauf—
Nun graut mir vor der Wiederkehr.
Im Haus, da ist ein Zimmer,
so luftig hoch, so blank und rein.
Was nur an Sonnenschimmer
ums Haeuschen streifte, drang herein.
Wie lustig klang
dort Kindersang,
kein Winkel war von Spielen leer;
dort fand ich Rast
nach Tageslast—
Nun oeffn' ich seine Tuer nicht mehr.
Im Haus erklang ein Name
von allen Lippen fort und fort,
der hatte wundersame
Gewalt, schier wie ein Zauberwort.
Auf jedem Mund
ein Laecheln stund,
als ob's des Fruehlings Namen waer'—
Jetzt geht er stumm
gespenstig um,
und wer ihn ausspricht, lacht nicht mehr.
Sie kannten sich beide von Angesicht,
Sie sprachen sich nie und liebten sich nicht.
Er nahm ein Weib, das die Mutter ihm waehlte,
Als sie sich mit einem Vetter vermaehlte.
Er war zufrieden mit seinem Los;
Sie waehnte sich recht in des Glueckes Schoss.
Nur manchmal, zur Zeit der Fliederbluete,
Was wollte da knospen in ihrem Gemuete?
Und einst nach Jahren am dritten Ort
Da sagten sie sich das erste Wort,
Am selben Tische zum ersten Male—
Der Flieder duftet' herein zum Saale.
Was er sie gefragt, was sie ihm gesagt,
Es war nicht neu und war nicht gewagt;
Doch ploetzlich, mitten im Plaudern und Scherzen,
Erschraken sie beide im tiefsten Herzen.
Sie hatten mit toedlichem Staunen erkannt,
Wie seltsam eins das andre verstand,
Auch das, was beiden im stillen Gemuete
Erwachte zur Zeit der Fliederbluete.
Sie sahen sich an einen Augenblick
Und sahn einen Abgrund von Missgeschick,
Dann blickten sie weg, und beide verstummten,
So munter rings die Gespraeche summten.
Drauf ging sie nach Haus mit dem eigenen Mann,
Er fuehrte sein Weib, so schieden sie dann
Und sagten, sie wuerden sich gluecklich schaetzen,
Die werte Bekanntschaft fortzusetzen.
Doch wie er am andern Morgen erwacht,
Was hat ihn so bitter lachen gemacht?
Und wie sie auffuhr von ihrem Kissen,
Was hat sie so heimlich weinen muessen?
Sie haben sich niemals wiedergesehn,
Sie wussten sich klug aus dem Weg zu gehn.
Nur immer zur Zeit der Fliederbluete
Wie Spaetfrost schauert's durch ihr Gemuete.
Stuerme brausten ueber Nacht,
und die kahlen Wipfel troffen.
Fruehe war mein Herz erwacht,
schuechtern zwischen Furcht und Hoffen.
Horch, ein trautgeschwaetz'ger Ton
dringt zu mir vom Wald hernieder.
Nisten in den Zweigen schon
die geliebten Amseln wieder?
Dort am Weg der weisse Streif—
Zweifelnd frag' ich mein Gemuete:
Ist's ein spaeter Winterreif
oder erste Schlehenbluete?