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HIN UND HER
Ein Buch fuer die Kinder
Zusammengestellt von H. H. FICK
Supervisor of German, Cincinnati Public Schools
Die Erd' erwacht, die Sonne lacht
Sie an mit hellem Schein
Und ruft ihr zu: komm aus der Ruh',
Der ganze Tag ist dein.
Guten Morgen.
Es ist dunkel. Am Himmel leuchten die Sterne. Zwischen ihnen steht der Mond. Nun wird es langsam heller. Im Osten zeigt sich ein lichter Schein. Das ist die Morgendaemmerung. Die meisten Leute schlafen noch fest, aber der Hahn ist wach und kraeht ganz laut. Bald steigt die Sonne empor. Dann ist es Tag. Die Voegel sind erwacht und zwitschern. Jetzt stehen auch die Menschen von ihrem Lager auf und gehen gestaerkt an die Arbeit. Die Tiere im Freien suchen ihre Nahrung und das Vieh im Hofe bekommt sein Futter. Im Garten und auf den Wiesen glaenzt der Tau. Alles ist neubelebt.
[Illustration]
Im ersten Hofe kraeht der Hahn,
Da faengt auch gleich der zweite an
Und denkt: “Haett' ich's zuerst getan!”
Doch, wie der zweite kaum beginnt,
Kraeht schon der dritte Hahn geschwind.
Der viert' und fuenfte faul nicht sind
Und fallen schnell ins Lied mit ein,
Denn jeder will der erste sein,
Und jeder will am schoensten schrei'n.—
Bald rufen alle in der Rund',
Als staenden sie zusamm' im Bund,
Und tun die Morgenstunde kund
Aus voller Kehle laut und schnell:
“Die Nacht entweicht, der Tag wird hell.
Kikeriki! Kikeriki! Wir sind zur Stell'!”
So soll'n auch wir in allen Sachen,
Wo's gilt, zum guten zu erwachen,
Es wie der Hahn am Morgen machen.
Mutter: Papa, Karl, Emma und Klara, hurtig, kommt zu Tisch! Das Fruehstueck ist aufgetragen!
Papa: Sieh! Da bin ich schon. Guten Morgen!
Emma und Klara: Liebe Mama und lieber Papa, Wir sind auch bereit und wuenschen euch einen recht guten Morgen!
Mutter und Vater: Vielen Dank, ihr Kinder! Wo steckt aber der Karl?
Emma und Klara: Da kommt er!
Karl: Seid nicht boese, liebe Eltern, ich habe mich verschlafen. Es soll aber gewiss nicht wieder geschehen!
Mutter: Schon gut! Setzt euch alle. Schaut, dass der Papa bedient wird! Emma, reiche doch das Brot herueber und gib mir die Butter. Nun, trinkt eure Milch! Klara und Emma, fuer euch habe ich ein Stueck Kuchen.
Karl: Bekomme ich nicht auch eins?
Mutter: Du bist zu spaet gekommen! Dafuer musst du Strafe leiden. Heute ist fuer dich nur Brot vorhanden.
Karl: Ach, liebe Mama! Ich bin so hungrig!
Mutter: Ei! Hungern sollst du nicht. Da ist eine Semmel und dann habe ich auch noch ein Ei fuer dich. Aber der Kuchen ist nur fuer die puenktlichen Leute da, merke dir das! So, seid ihr nun alle fertig?
Kinder: Jawohl, Mama!
Mutter: Stellt eure Stuehle an ihre Plaetze! Jetzt koennt ihr gehen! Du, Karl, holst dem Vater noch die Zeitung herein!
Karl: Gerne, liebe Mutter!
Kinder: Ade, Papa! Leb wohl, Mama! Heute mittag sehen wir uns wieder!
Nun hurtig vom Stuhle
Und schnell in die Schule;
Es ist an der Zeit.
Holt Huete und Kappen,
Bringt Tafeln und Mappen;
Nehmt auch fuer die Pause
Euch etwas zum Schmause;
So, Kinder, jetzt seid
Zur Arbeit bereit!
Es ist Morgen. Die Nacht hindurch hat es geregnet und immer noch fallen einzelne Tropfen. Seit einigen Tagen besucht der kleine Wilhelm die Schule. Er hat einen neuen Anzug, eine huebsche Muetze und einen bunten Schulsack erhalten. Wie leid tut es ihm, dass alles vom Regen soll nass werden. Da kommt die gute Schwester Emilie. Sie muss fuer die Mutter noch einen Gang auf den Markt machen. Nun will sie den Bruder unter den Schirm nehmen und ihn bis an das Schulgebaeude begleiten. Wilhelm fasst die Schwester am Kleide, und sie treten in die Tuere. Aber, siehe da, der Regen hoert auf und als Emilie vorsichtig die Hand ausstreckt, kann sie kein Troepfchen mehr spueren. Da darf auch der zottige Spitz mit ins Freie.
[Illustration]
Herr Specht! so frueh schon klopfest du!
Was stoerte dich denn aus der Ruh'?
Es herrscht noch Stille im Erdenraum—
Du haemmerst schon am Fichtenbaum.
“Ist es auch frueh, ist's nie zu frueh,
An Arbeit fehlt's dem Fleiss'gen nie,—
Wer Tages etwas will gewinnen,
Der muss recht fruehe schon beginnen.”
Eben hatte es sieben geschlagen. Die Mutter ging in die Kammer, um den kleinen Leo zu wecken. Der war aber schon wach und sass aufrecht im Bette. “Ei, Leo!” sagte die Mutter, “Wie kommt denn das? Sonst muss ich dich viele Male rufen und schuetteln, und heute bist du ganz munter!” “Ach, denke nur, liebe Mama,” sagte Leo, “ich War ja auch noch so muede und haette gerne laenger geschlafen. Aber da hatte auf einmal die grosse Uhr dort an der Wand ein Gesicht wie ein Mensch, und machte immerfort: Auf! raus! Auf! raus! Nun hatte ich Angst, liegen zu bleiben und wollte aufstehen. Jetzt hoerte ich die Uhr ganz deutlich sagen: Recht so! Recht so! und sie sah wieder freundlich aus!”
[Illustration]
Im Winter, wenn es frieret,
Im Winter, wenn es schneit,
Dann ist der Weg zur Schule
Fuerwahr noch mal so weit.
Und wenn der Kuckuck rufet,
Dann ist der Fruehling da,
Dann ist der Weg zur Schule
Fuerwahr noch mal so nah.
Wer aber gerne lernet,
Dem ist kein Weg zu fern;
Im Fruehling, wie im Winter,
Geht er zur Schule gern.
[Illustration]
Im Wasser schwimmt es, gross und klein.
Nun rat' einmal, was das mag sein!
Wer waescht sich so rein
Und haelt sich so fein
Und braucht doch kein Handtuechelein?
Ich weiss ein kleines, weisses Haus,
Hat nichts von Fenstern, Tueren, Toren;
Und will sein kleiner Wirt hinaus,
So muss er erst die Wand durchbohren.
Hinter dem Hause ist ein Hof. Da haben viele Tiere Platz. In einer Ecke steht die Hundehuette. Dort wohnt Nero. Er bewacht unser Haus. Auf der Kellertreppe sitzt Mieze. Das ist die graue Katze. Sie waescht und putzt sich gern. Im Korbe liegen ihre vier Kaetzchen. Die koennen noch nicht sehen. Mitten im Hofe geht der stolze Hahn. Er hat bunte Federn und einen roten Kamm. Bei ihm sind fuenf huebsche Hennen. Auch Tauben fliegen herbei und picken Koerner auf. Seht doch den grossen Puter da drueben! Der ist zornig und jagt die anderen Voegel fort.
Lieb Kindchen, sag mir an,
Was ein Haustier nuetzen kann!
Die Kuh gibt Milch uns, liebe Mutter,
Draus macht man Kaese, Rahm und Butter.
Das Pferd zieht fleissig deinen Wagen
Und kann dich in die Ferne tragen.
Der Hund schuetzt treu dir Hof und Haus.
Die Katze lauert auf die Maus.
Das dicke, schmutz'ge, dumme Schwein
Bringt Schinken uns und Wuerste ein.
[Illustration]
Lust und Liebe zum Dinge Macht Muehe und Arbeit geringe.
Morgen, morgen, nur nicht heute, Sagen alle traegen Leute.
Lerne Ordnung, liebe sie; Ordnung spart dir Zeit und Mueh'.
Am Montag morgen wollte Otto seinen Freund Ludwig zur Schule abholen. Als er aber in die Stube trat, war niemand da. Vorne beim Fenster stand ein Korb voll Aepfel. Die waren schoen gelb und rot. Gerne haette Otto einen genommen. Aber er dachte: “Nein, das tue ich nicht, die AEpfel gehoeren nicht mir.”
Schnell wollte er wieder zur Tuere hinaus. Da kam gerade Ludwigs Mutter herein. Die freute sich sehr, als sie Otto sah. Sie steckte ihm beide Taschen voll Aepfel. Dann rief sie Ludwig und gab den beiden Kindern noch einen Apfel mit auf den Weg. Mit frohem Herzen gingen die Knaben nun zur Schule.
Laengst ist schon die Schule aus,
Alle Kinder sind zu Haus:
Peter nur, der faule Bube,
Muss noch sitzen in der Stube,
Hat gelernt nicht, noch geschrieben,
Hat sich draussen 'rumgetrieben.
Nun geht es ihm bitterschlecht—
Faulpelz, das geschieht dir recht!
Siehst du den Knaben dort am Bache sitzen? Es ist Robert, der mit seiner armen Mutter in dem kleinen Haeuschen wohnt. Sie hatten fuer den Abend nichts zu essen. Da sagte Robert: “Mutter, ich will zum Bache gehen und einige Fische fangen.”
Hier sitzt er nun ganz stille. Zwei Fische hat er schon gefangen, und den dritten macht er eben vom Haken los. Wie wird sich die Mutter freuen, wenn Robert mit den Fischen nach Hause kommt!
[Illustration]
Hurra, die Schule ist aus! Schnell eile ich nach Hause, denn die Mutter wartet schon auf mich. Sie hat ja mancherlei Arbeit, die ich fuer sie besorgen kann. Erst bekomme ich aber ein grosses Stueck Butterbrot. Wenn ich das gegessen habe, hole ich Kleinholz aus dem Keller. Damit macht die Mutter das Feuer im Kuechenofen an fuer das Abendessen. Dann gehe ich zum Metzger, um das Fleisch heimzubringen, das der Vater am Morgen bestellt hat. Auf dem Wege bringe ich aus dem Kramladen Seife mit und Streichhoelzchen. Auch sonst muss ich der Mutter in der Kueche noch zur Hand gehen. Ich tue es gerne, denn ich habe mein Muetterlein lieb. Wenn ich alles besorgt habe, darf ich eine Weile auf der Strasse mit anderen Kindern spielen.
Bald ist es Zeit zum Abendessen geworden. Richtig, da ruft mich schon die Mutter. Der Vater ist nun auch schon nach Hause gekommen, und meine aelteren Geschwister sind ebenfalls da. Wir sitzen jetzt alle um den grossen Tisch im Esszimmer, und der Vater erzaehlt, was er waehrend des Tages in der Stadt gehoert und gesehen hat. Nach dem Essen nimmt der Vater die Zeitung, und meine kleine Schwester und ich machen unsere Schularbeiten. Da muss manchmal die liebe Mama ein wenig helfen. Spaeter liest sie uns eine schoene Geschichte vor, oder spielt mit uns Domino und Lotto.
Ich glaube, es ist nirgends schoener als abends daheim.
“Kommt, Knaben, wir wollen ein Haus bauen,” sagte Emil zu Karl und Heinrich, “Ich will den Keller ausgraben,” sprach Karl. “Und ich,” sagte Emil, “ich bin der Maurer; ich nehme Kalk und Steine und baue die Mauern.” Da meinte Karl: “Du darfst aber die Tueren und die Fenster nicht vergessen. Ohne Tueren kann man nicht in das Haus hinein, und durch die Fenster soll Luft und Licht in die Zimmer kommen.” Heinrich sagte: “Ich bin der Zimmermann; ich setze die Tueren und Fenster und lege den Fussboden. Von einem Stockwerke in das andere mache ich Treppen. Und oben auf das Haus setze ich das Dach; das schuetzt vor Regen und Schnee. Unser Haus soll ein Wohnhaus sein mit Kueche und Zimmern und einem Boden unter dem Dach.”
Ich frag' die Maus:
Wo ist dein Haus?
Die Maus darauf erwidert mir:
Sag's nicht der Katz',
So sag' ich's dir.
Treppauf, treppab,
Erst rechts, dann links,
Dann wieder rechts
Und dann grad' aus—
Das ist mein Haus;
Du wirst es schon erblicken!
Die Tuer ist klein,
Und trittst du ein,
Vergiss nicht, dich zu buecken!
[Illustration]
“Papa, darf ich ein wenig deinen Stock nehmen?”
“Ja, Karl, aber was willst du damit machen?”
“Einen Hasen will ich schiessen, Papa.”
“Dann musst du ja auf das Feld gehen.”
“O nein, dein Stock ist meine Flinte und unsere alte Katze ist der Hase.”
Der Vater gab seinem Sohne den Stock. Karl legte ihn an die rechte Wange, zielte und rief: “Piff, paff! piff, paff!” Ei, wie die Katze von dem Stuhle unter den Tisch sprang!
Karl aber lachte und rief: “Hast du nun meinen Hasen laufen sehen, Papa?”
Wer hat die schoensten Schaefchen?
Die hat der gold'ne Mond,
Der hinter unsern Baeumen
Am Himmel drueben wohnt.
Er kommt am spaeten Abend,
Wenn alles schlafen will,
Hervor aus seinem Hause
Zum Himmel leis' und still.
Dann weidet er die Schaefchen
Auf seiner blauen Flur;
Denn all' die weissen Sterne
Sind feine Schaefchen nur.
Sie tun sich nichts zuleide,
Hat eins das andre gern,
Und Schwestern sind und Brueder
Da droben Stern an Stern.
Und soll ich dir eins bringen,
So darfst du niemals schrei'n,
Musst freundlich wie die Schaefchen
Und wie ihr Schaefer sein!
[Illustration]
Ein Mueckchen flog um ein Licht, das am Abend auf dem Tische brannte. Da sagte ein Maedchen, welches nebenbei sass und strickte: “Mueckchen, bleib' von dem Lichte, sonst verbrennst du dich!” Das Mueckchen aber folgte nicht und flog so lange auf und nieder und um das Licht, bis es daran seine Fluegelchen sengte und in die Flamme fiel. “Habe ich es dir nicht gesagt?” sprach das Maedchen. “Haettest du auf mich gehoert, muesstest du jetzt nicht sterben!”
Ernst konnte das Naschen nicht lassen. Er ging oft an den Schrank, um Zucker zu naschen. Die Mutter schalt, aber es half nicht.
Eines Tages ging Ernst in die Scheune. An der Wand hing etwas Rotes. Ernst sagte: “Oh, hier hat die Mutter Zuckerzeug versteckt. Ich sollte es nicht finden!” Schnell kletterte er auf einen Stuhl, um es zu holen. Er biss gierig hinein. Aber, o weh, es verbrannte seinen Mund. Er liess das Zuckerzeug fallen und schrie laut. Nun kam die Mutter und gab ihm einen Trunk Wasser. Was Ernst naschte, war nicht Zucker gewesen. Es war roter Pfeffer.
Ernst naschte nie wieder.
Ein armer, blinder Geiger ging auf der Strasse. Er suchte den Weg mit seinem Stocke. Seine Geige trug er unter dem Arme. Bald kam er an einen Steg. Als er das merkte, getraute er sich nicht hinueberzugehen. Hans und Eugen kamen daher, und der arme Mann bat, sie moechten ihn doch ueber den Steg fuehren. Aber die mutwilligen Buben lachten den Geiger aus und liefen weg.
Da kam die kleine Lina aus der Schule. Die wartete nicht, bis sie gebeten wurde. Sie fasste den Blinden bei der Hand, brachte ihn ueber den Steg und schenkte ihm einen Cent, den sie von ihrer Mutter bekommen hatte.
[Illustration]
Im Weg das Kruemchen Brot
Tritt nicht mit deinem Fuss,
Weil's in des Hungers Not
Ein Tierlein finden muss.
Leg's auf den Stein vor'm Haus,
Und kannst du, broesel's klein:
Still dankt es dir die Maus
Und still das Voegelein.
Voeglein im hohen Baum,
Klein ist's, ihr seht es kaum,
Singt doch so schoen,
Dass wohl von nah und fern
Alle die Leute gern
Horchen und stehn.
Bluemlein im Wiesengrund
Bluehen so lieb und bunt,
Tausend zugleich;
Wenn ihr voruebergeht,
Wenn ihr die Farben seht,
Freuet ihr euch.
Waesserlein fliesst so fort
Immer von Ort zu Ort
Nieder ins Tal;
Duerstet nun Mensch und Vieh,
Kommen zum Baechlein sie,
Trinken zumal.
Habt ihr es auch bedacht,
Wer hat so schoen gemacht
Alle die drei?
Gott, der Herr, machte sie,
Dass sich nun spaet und frueh
Jedes dran freu'.
In einem Garten lebte ein Voegelein, das sehr schoen singen konnte. Es baute sich in einem Busch ein huebsches Nestchen. In dieses legte es Eier hinein und bruetete Junge aus. Einmal suchte das alte Voegelein Futter fuer seine Kinder. Da sahen zwei Buben das Nest und nahmen es samt den Jungen weg. Darueber wurde die Mutter der jungen Voegelein sehr traurig.
Sie flog hin und her und schrie, so laut sie konnte. Die Knaben machten sich aber nichts daraus. Endlich hoerte die Schwester der boesen Knaben das Voegelein schreien. Gleich ging sie hin und nahm ihren Bruedern das Nestchen Weg und trug es wieder in die Hecke. Seit dieser Zeit hatten die Voegelein das Maedchen recht lieb, und wenn es im Garten war, sangen sie noch einmal so schoen wie sonst.
Mein Bruder Karl hatte einen grossen Drachen gemacht. Er war aus holz und Papier. Um untern Ende befand sich ein langer Schwanz und am obern eine lange, duenne Schnur.
Nachmittags gingen wir hinaus auf das Feld hinter unserm Hause. Es war ein schoener Tag; die Sonne schien praechtig, und es wehte ein guter Wind. Wir liessen den Drachen steigen. Er stieg so hoch, wie die Schnur reichte. Wir konnten ihn kaum noch sehen.
So standen wir lange im Schatten neben dem Zaune. Auch unser Hund Karo kam unter dem Karren hervor. Wir waren sehr vergnuegt, bis der Abend dem Spiele ein Ende machte.
[Illustration]
Warum wohl die Voeglein fliegen koennen?
Ei, das magst du ihnen schon goennen.
Auf der Erde sind Tiere viel
Und haben hier und dort ihr Spiel.
Da war kein Platz fuer die Voegel mehr;
Das dauerte den lieben Gott so sehr,
Darum hat er ihnen Fluegel gegeben,
Dass sie dort oben in Lueften schweben;
Da koennen sie spielen den ganzen Tag
Und haben Platz, wie viel jedes mag.
Haenschen und Gretchen spielten im Garten. Da kam ein schoener Schmetterling geflogen. Gleich wollte Hans ihn fangen. Gretchen rief: “Ach, lass doch das huebsche Tierlein gehen!” Aber Hans hoerte nicht darauf. Mit dem Hute in der Hand lief er dem Schmetterlinge nach. Er schaute immer nur in die Hoehe. Patsch,—fiel er in einen tiefen Graben voller Wasser. Der Schmetterling flog munter davon. Haenschen ging weinend heim und wurde noch ausgelacht.
Ein gutes Kind gehorcht geschwind
Und folgt sofort aufs erste Wort.
Was du nicht willst, das man dir tu',
Das fueg' auch keinem andern zu.
Vorgetan und nachbedacht
Hat manchem grosses Leid gebracht.
Quaele nie ein Tier zum Scherz,
Denn es fuehlt, wie du, den Schmerz.
Die Schnecke ist gar uebel dran.
Wie muss sie sich doch plagen!
Sie muss ihr Haus
Tagein, tagaus
Auf ihrem Ruecken tragen.
Die Schnecke ist nicht uebel dran.
Sie weiss sich wohl zu schuetzen:
Nimmt sie Gefahr
Vom Feinde wahr,—
Bleibt sie im Haeuschen sitzen.
[Illustration]
Die kleine Anna hatte eine Henne zum Geschenk bekommen. Diese legte jeden Morgen ein Ei. Als nun Annas Mutter eines Tages das Nest mit zwoelf Eiern sah, nahm sie dieselben voller Freude in die Kueche. Aber siehe da! Die Henne jammerte und suchte ihr Nest. Nun fand sie in der Naehe ein Entennest, in dem auch Eier waren. Sie setzte sich darauf, bis die Jungen herauskamen. Das waren aber Entchen statt Kuechlein. Doch die Henne hatte sie so lieb, als ob es Kuechlein waeren. Sie suchte Futter mit ihnen und nahm sie unter ihre Fluegel, damit ihnen kein Leid geschehe. Doch eines schoenen Tages liefen die Kleinen davon. Wohin? In grosser Angst eilte die Henne hinterher. Die Entchen waren zum Teiche gelaufen. Umsonst warnte die Henne: “Das ist Wasser! Ihr muesst ertrinken!” Lustig schwammen die kleinen Enten schon umher, und alles Glucken der alten Henne brachte sie nicht ans Ufer zurueck.
[Illustration]
Hoch am Himmel steht die Sonne. Sie leuchtet so hell, dass man sie nicht lange ansehen kann. Wenn die Sonne morgens aufgeht, wird es auf der Erde hell. Dann sagen die Leute zu einander: “Guten Morgen!” Die Sonne steigt nun immer hoeher und hoeher, bis sie zuletzt fast ueber unserem Kopfe steht. Es ist jetzt Mittag. Wenn sich Bekannte treffen, wuenschen sie einander: “Guten Tag!” Bald darauf neigt sich die Sonne wieder abwaerts. Sie sinkt bis an den Rand des Himmels. Alsdann sieht sie wie eine grosse, feurige Kugel aus und faerbt die Wolken schoen rot. Auf einmal ist sie verschwunden. Es wird dunkler und die Nacht bricht an. Man bietet sich “Guten Abend!” und wuenscht allen vor dem Schlafengehen eine “Gute Nacht!” Nun kommt die Zeit der Ruhe.
Kind: Sag einmal, liebe Sonne, wohin gehst du, wenn es Abend wird? Es heisst dich doch niemand fortgehen. Ich meine, du koenntest immer bei uns bleiben. Das waere so schoen!
Sonne: Nein, mein Kind, das kann nicht sein! Wenn es Nacht wird, schlafen die Leute, und du schlaefst auch. Beim Schlafen braucht man mich aber nicht. Ich reise dann weit, weit fort in ein fernes Land. Dort wohnen auch Menschen: Vaeter, Muetter und viele brave Kinder. Wenn ich zu diesen komme, haben sie ausgeschlafen. Vater und Mutter stehen dann auf und arbeiten, und die groesseren Kinder gehen in die Schule, um zu lernen.
Kind: Ei, ei! Und wenn du bei diesen Menschen gewesen bist, wohin gehst du hernach?
Sonne: Wenn ich dort gewesen bin, komme ich wieder zu dir, wie an jedem Morgen. So reise ich zu allen Menschen auf der ganzen Erde.
Die Sonne sprach: “Ich will scheinen
So fort und immerfort!”
Der Regen sprach: “Ich will fallen
Ohn' Ende an jedem Ort!”
Die Sonne: “Du machst ja alles
Auf der Erde gang nass!”
Der Regen: “Du machst zu trocken,
Wenn du scheinst ohn' Unterlass!”
Die Sonne: “Ich mache fruchtbar,
Und alles freut sich mein!”
Der Regen: “Du machst zu trocken,
Dich mag man nicht allein!”
So haben sie lang gestritten,
Doch wurden sie einig zuletzt:
Sie wollten miteinander wechseln,
Und so ist es denn auch jetzt.
Ein kleiner Knabe lag einmal im Grase und schlief. Da sah er im Traum einen Engel, der eine wunderschoene Blume in der Hand trug. Der Engel sagte, dass es im Himmel viele solche Blumen gebe. Der Knabe haette sie gerne gehabt. Als er aufwachte, lagen da ein paar glaenzende Samenkoerner. Die pflanzte der Knabe in seinem Garten. Als der Herbst kam, waren aus den Samen die Blumen entstanden. Sie sahen gerade wie Sterne aus. Der Knabe rief seine Eltern. Vater und Mutter sagten: “Das sind Sternblumen oder Astern. Die sollen uns an den, Himmel droben erinnern.”
[Illustration]
Loch bei Loch,
Und haelt doch.
Was ist's?
Rat! Das Haus hat lauter Treppen,
Keine Fenster, keine Zimmer;
Wer drin wohnt, muss es immer
Auf seinem Ruecken schleppen.
Es ist ein Ding, hat Stamm und Zweig' und Blaetter,
Schuetzt dich vor Sonne und im Regenwetter.
Die Voegel, sie fliegen wie Blaetter im Wind;
Da winken die Bluemlein zum Abschied geschwind.
Es singt in den Baeumen der Herbst schon sein Lied,
Fort ziehen die Voegel, die Blumen sind mued'.
Im Sueden die Voegel, die Blumen im Schnee,
Sie warten, dass wieder der Fruehling ersteh'.
Dann lachen die Blueten, das Voegelein singt;
Dann duftet's und jubelt's, bis rings alles klingt.
Was tut ihr, wenn euch jemand etwas geschenkt hat oder recht gut gegen euch gewesen ist? Nicht wahr, ihr sagt: “Danke schoen!” Vergesset das ja nicht! Wir Menschen, gross und klein, haben fuer gar vieles dankbar zu sein. Die Kinder koennen sich freuen, wenn sie noch Eltern haben, die sie lieben und fuer sie sorgen. Erwachsene Leute sollen froh sein, wenn sie gesund sind und keine Not zu leiden brauchen. Doch das wird oft nicht bedacht. Deshalb ist ein Tag da, an dem ein jeder von feiner Arbeit ausruhen und froehlich Gott danken soll fuer allen Segen. Im Herbste, wenn die Ernte vorueber ist, kommt der Danksagungstag. Da gibt es meistens gut und reichlich zu essen und zu trinken. In den Kirchen ist Gottesdienst. Auch fuer die Armen und Ungluecklichen wird gesorgt, damit ein jeder im Herzen dankbar sein moege fuer das Gute und Schoene, was das Jahr gebracht hat.
Puter, Puter, Polterhahn,
Hast 'ne rote Weste an,
Hast 'ne rote Nasenspitze
Und 'ne rote Zipfelmuetze;
Aber das gibst du wohl zu:
Ich bin schoener doch als du!
[Illustration]
Vier schoene Brueder kenn' ich wohl,
Geschmueckt so wunderbar;
Sie kommen schon seit alter Zeit
Zu uns in jedem Jahr.
Der erste Bringt uns einen Strauss,
Streut Blumen um sich her.
Den zweiten schmueckt ein goldner Kranz
Von Aehren voll und schwer.
Der dritte reicht uns Aepfel dar
Und neuen goldnen Wein.
Der vierte ist in Pelz gehuellt
Wie Schnee so weiss und rein.
Wer nennt die schoenen Brueder mir,
Geschmueckt so wunderbar?
Sie kommen schon seit alter Zeit
Zu uns in jedem Jahr.
Gleich anfangs mit dem neuen Jahr
Erscheint der kalte Januar,
Dann kommt alsbald der zweite Mann,
Der Februar, in Eile an.
Der Maerz ist nun auch nicht mehr weit,
Und der April ist bald bereit.
Ihm folgt der wunderschoene Mai,
Der Juni kommt drauf schnell herbei,
Und ist der Juli nun erst da,
So ist auch der August schon nah;
Ihm schliesst sich der September an,
Und der Oktober folgt alsdann.
November ziehet schleunig ein,
Dezember wird her letzte sein.
Die Baeume stehen ruhig da,
Die Blaetter fluestern leise.
Hoert ihr den Wind, hei, hussassa,
Bald blaest er seine Weise.
Da braust der Wind gar wild einher
Und ruettelt an den Baeumen,
Er beugt sie hin, er beugt sie her,
Laesst keine Zeit zum Traeumen.
“Halt ein, du stuermischer Gesell',
Wir stehen fest wie Lanzen!”
Die Blaetter aber lachen hell:
“Herr Wind, wir moechten tanzen!”
“Ei,” ruft der Wind, “ein luftig Wort,
Da kann ich stark mich zeigen!”
Er Blaest die bunten Blaetter fort;
Die tanzen froh den Reigen.
Der Wind ist fort, der Tanz ist aus,
Die Blaetter sinken nieder;
Der Schnee streckt sein Decke aus,
Der Fruehling hebt sie wieder.
[Illustration]
Es gibt vier Jahreszeiten: Fruehling, Sommer, Herbst und Winter. Im Fruehling wird die Luft warm. Der Schnee schmilzt, und die Fluesse werden wieder frei vom Eise. Auf den Wiesen und in den Gaerten keimen Graeser und Kraeuter, auf den Feldern gruent die Saat, und die Baeume bekommen frisches Laub. Sie treiben Knospen und Blueten. Die Voegel, welche im Herbste in waermere Laender gezogen waren, kehren zurueck. Andere Tiere, die den Winter in ihren Hoehlen verschlafen hatten, wachen auf und kommen hervor. Mit dem Sommer werden die Tage laenger, und die Waerme nimmt zu. Das Getreide wird reif und vom Landmanne geschnitten. Auf den Sommer folgt der Herbst. Im Herbst gibt es Obst, Trauben und Kartoffeln, auch wird die Saat fuer das naechste Jahr bestellt. Das Laub der Baeume vertrocknet und faellt zur Erde nieder. Die Tage werden immer kuerzer. Oft ist es neblig und rauh. Bald wird es recht kalt; die Fluesse frieren zu, und es gibt Schnee. Die Voegel koennen draussen kein Futter finden. Sie kommen in die Strassen und vor die Tueren, um einige Koerner und Broeckchen zu suchen. Zu Hause wird eingeheizt; aber im Freien tummeln sich die Kinder, gleiten auf dem Eise, oder fahren Schlitten. Sie freuen sich darauf, einen Schneemann machen zu koennen. Bald naht auch das liebe Weihnachtsfest.
Im weissen Pelz der Winter
Steht lang' schon hinter der Tuer,
Ei, guten Tag, Herr Winter,
Das ist nicht huebsch von dir!
Wir meinten, du waerest, wer weiss wie weit,
Da kommst du mit einmal hereingeschneit.
Nun, da du hier bist, so mag's schon sein;
Aber, was bringst du Gutes uns Kindelein?
Was ich euch bringe, das sollt ihr wissen:
Froehliche Weihnacht mit Aepfeln und Nuessen
Und Schneeballen,
Wie sie fallen,
Und im Jaenner
Auch Schneemaenner!
[Illustration]
So manches Baeumchen in dem Wald
Verliert im Herbst die Blaetter,
Jedoch der liebe Tannenbaum
Der trotzet Wind und Wetter.
Ist alles draussen oed' und leer,
Steht er im gruenen Kleide
Und setzt sich stolz ein Kaepplein auf,
Ein Kaepplein weiss wie Kreide.
Das nimmt er aber artig ab
Am frohen Weihnachtsfeste,
Und gruesset liebevoll und gut
Die Kinder all' aufs Beste.
O Tannenbaum, o Tannenbaum,
Du kannst mir sehr gefallen,
Du bist der allerliebste mir
Doch von den Baeumen allen.
An das Fenster klopft es: pick, pick!
“Macht mir doch auf einen Augenblick!
Dicht faellt der Schnee, der Wind weht kalt,
Habe kein Futter, erfriere bald.
Liebe Leute, o lasst mich ein,
Will auch immer recht artig sein!”
Sie liessen ihn ein in seiner Not;
Er suchte sich manches Kruemchen Brot;
Blieb froehlich manche Woche da.
Doch als die Sonne durchs Fenster sah,
Da sass er immer so traurig dort:
Sie machten ihm auf, husch, war er fort.
[Illustration]
Es war Winter. Da kam ein Knabe an einem Teiche vorbei. Der Teich war zugefroren. Der Knabe hatte grosse Lust, auf das Eis zu gehen. Der Vater aber hatte es ihm verboten. Das Eis war noch nicht stark genug. Der ungehorsame Knabe wagte sich dennoch auf das Eis. Er hackte darauf mit seinen Stiefeln. Auf einmal krachte das Eis. Der Knabe fiel in das Wasser hinein und schrie laut um Hilfe. Ein Mann eilte herbei und zog ihn heraus. Ganz durchnaesst musste der Knabe nach Hause laufen. Die Mutter brachte ihn in das Bett, und dazu wurde er noch von seinem Vater bestraft.
Weiss wie Kreide,
Leicht wie Flaum,
Weich wie Seide,
Feucht wie Schaum.
Wer baut wohl die billigste Bruecke?
Wer reisst sie nieder und schlaegt sie in Stuecke?
Was moegen das fuer Blumen sein,
Die unsre Fenster zieren,
Wenn drauss' vor Kaelte Stein und Bein
Im rauhen Winter frieren?
Sie sind nicht rot und blau gemalt,
Wie Blumen auf den Wiesen,
Und wenn die liebe Sonne scheint,
In Wasser sie zerfliessen.
Am Abend vor Weihnachten kam Else zur Mutter gelaufen und rief: “Denke nur, Anna Maurer hat mir heute ins Ohr gesagt, sie haetten seit gestern kein Holz, kein Brot und keine Milch. Und sie haben doch ein kleines Kind, und die Grossmutter ist krank. Darf ich der Anna heute Abend mein Brot geben?”
“O, gewiss,” sagte die Mutter, “geh nur gleich hin. Bringe ihnen auch diese Kanne voll Milch. Robert soll seinen kleinen Schlitten voll Holz laden und es hinfahren.” Wie freuten sich die Kinder, dass sie den armen Leuten helfen durften.
Aber Robert wollte noch mehr tun. Er bat den Vater um ein ganz kleines Tannenbaeumchen. Das schmueckte er mit farbigen Sternen und Lichtlein. Dann suchte er seine warme Kappe fuer Maurers Karl und nahm ein Saecklein voll Nuesse. Else holte eine ihrer Puppen. Alles das packten sie in einen Korb.
Als es dunkel war, nahm Robert das Baeumchen und Else den Korb. Sie gingen hin und stellten die Sachen leise vor Maurers Tuer. Dann klopften sie und eilten davon.
Wie sich da die armen Leute freuten! Aber auch Robert und Else meinten, noch nie so schoene Weihnachten gehabt zu haben, wie diesmal.
Olga: Komm, liebe Mama, komm geschwind! Ich hab' dir etwas mitgebracht. Rate, was es ist!
Mutter: Nun, was mag das wohl sein! Blumen, Obst oder gar Kuchen?
Olga: O, nein, nein; ganz etwas anderes. Schoene, weisse Sterne sind es. Sieh her, hier hab' ich sie in meiner Schuerze!
Mutter: Wo sind sie denn? Ich kann nichts sehen.
Olga: Ach, Mama! Sie sind nun fort, und ich habe mich doch so gefreut, sie dir zu bringen. Es sind nur noch kleine Tropfen auf meiner Schuerze. Ich moechte weinen!
Mutter: Weine nicht, liebe Olga: Solche Sterne koennen nicht bleiben. Die Waren einmal Wasser, und die Kaelte machte sie zu Schnee. Da sehen sie gerade wie kleine, blitzende Sterne aus. Nachher werden sie wieder zu Wasser. Menschen, Tiere und Pflanzen trinken das Wasser. Nach und nach holt die Sonne auch viele Tropfen hinauf zu den Wolken. Ohne Wasser koennten wir gar nicht leben.
[Illustration]
Daheim, am 1. Januar 1913.
Liebe Kinder!
Mein Vetter, der Neujahrsbote, bringt Euch meine Gruesse und Wuensche. Eure Bitten habe ich, wie Ihr wisset, erfuellt. Erfreuet Euch nur recht an den Geschenken.
Wenn nun heute mein Baum noch einmal strahlt und glitzert, dann nehmt Euch vor, auch in diesem Jahre immer lieb und brav zu sein. Ihr koennt Euren Eltern und mir keine groessere Freude machen. Schreibt mir zur rechten Zeit wieder, ob Ihr Wort gehalten habt. Dann schenke ich Euch das naechste Mal, was Ihr als gute Kinder verdient.
Euer Freund
Der Weihnachtsmann.
Noch nicht erwachsen bin ich,
Drum wuensch' ich kurz, doch innig:
Ein glueckliches Neujahr!
Und was euch freut, das weiss ich:
Wenn brav ich bin und fleissig,
Mehr als ich sonst es war.
Gesundheit, Freude, Frieden
Sei allen euch beschieden,
Wie heut, so immerdar.
Er ritt auf einem Rappen aus,
Da kam etwas vom Himmel,
Und als er wieder kam nach Haus,
Da war der Rapp' ein Schimmel.
Verstehst du das?
Es hatte geschneit. Dick lag der Schnee auf Strassen und Plaetzen. Die Knaben wollten sehen, wie tief er wohl sei. Sie wateten hindurch, dass der Schnee in die Stiefel fiel. “Heute wollen wir einen Schneemann bauen!” So riefen Fritz, Karl und Otto. Schnell machten sie einen grossen Schneeball und waelzten ihn im tiefen Schnee herum. Bald wurde der Ball so gross, dass ihn die Knaben nicht mehr fortbringen konnten. Nun waelzten sie einen neuen Ball heran, den setzten sie auf den ersten. Oben darauf kam ein kleiner Ball, das war der Kopf des Schneemannes. In den Kopf steckte Fritz zwei Kohlen, das waren die Augen. Auch Nase und Mund, ja sogar die Rockknoepfe des Mannes wurden aus Kohlen gemacht. Nun bekam der Schneemann noch zwei Arme. In den einen Arm legten ihm die Knaben einen grossen Stock.
Da stand er nun und drohte. Aber der arme Mann konnte nicht schlagen. Fortlaufen konnte er auch nicht, als ihn die jungen mit Schneebaellen warfen. Doch das war noch das Schlimmste nicht! Auf einmal guckte die liebe Sonne ueber das Dach. Da fing der Schneemann an zu weinen. Traenen liefen ihm ueber das Gesicht und den weissen Pelzrock. Es war gut, dass die Sonne heute nicht noch laenger schien, sonst waere er ganz zu Wasser geworden. Morgen aber oder uebermorgen wird's wohl so kommen.
[Illustration]
Nach vielen trueben Tagen sehen wir den blauen Himmel wieder. Manchmal scheint auch schon die Sonne freundlich auf die Erde herab. Da muss der Winter weichen. Der Schnee faengt an, zu schmelzen, und nur noch des Nachts gibt es ein wenig Eis. An schoenen Tagen laesst sich vielleicht ein Vogel hoeren, und ein fleissiges Bienchen fliegt umher. Auf dem Felde und im Wald sieht es aber noch recht oede aus. Nur die Weiden und Birken haben graue Kaetzchen, und an den Zweigen der Ulme sind kleine Blueten. Die Kinder gehen ins Freie; sie spielen Ball oder lassen den Drachen steigen.
Das Haeschen im Walde eilt hin und her,
Nach Eiern ist heute ein grosses Begehr.
Es borgt bei der Henne, es borgt bei dem Spatz
Und sucht fuer die Nester den passenden Platz.
Ein artiges Kindlein erhaelt heut' sein Ei.
Es schleppen die Haeschen die Eier herbei;
Und bist du am Ostermorgen erwacht,
Hat Haeschen die Nester gefuellt ueber Nacht.
Bald ist es Ostern. O, wie freue ich mich, denn es kommt der Osterhase! Der bringt schoene, bunte Eier. Wir wollen ihm deshalb ein Nest zurecht machen. Oft versteckt der Osterhase die Eier. Dann muessen wir sie suchen. Zuweilen legt er sie in Huete, Schuhe oder Koerbe. Auch unter den Schrank hat er sie schon gelegt. Ja, er steckt sie uns wohl gar in die Taschen. Welche Freude, wenn wir sie finden! Erst zaehlen wir sie und spielen damit. Spaeter essen wir sie; sie schmecken gut. In Washington werden am Ostermontage viele Kinder zum Praesidenten eingeladen. Sie koennen lange auf dem Rasen bei dem grossen Hause spielen. Da gibt es dann viele und sehr schoene Ostereier. Die werden hin und her gerollt und schliesslich verzehrt. Ihr moechtet auch dabei sein, nicht wahr?
[Illustration]
Neben dem Gemuese und den Blumen ist oft ein Platz, auf dem nur Gras und Obstbaeume wachsen, es ist der Obstgarten. Welche Pracht, wenn die Baeume im Fruehlinge bluehen! Der Kirschbaum kommt zuerst mit seinen weissen Blueten. Dann ziehen der Birnbaum und der Pflaumenbaum ihr weisses Kleid an. Am schoensten aber Bluehen der Apfelbaum und der Pfirsichbaum, die bluehen schoen rot. Das Obst ist zuerst gruen; dann, wenn die Sonne recht heiss scheint, wird es gelb, rot oder blau. Ah, Wie schmecken Kirschen und Pflaumen so gut! Wenn sie nur schon reif waeren!
Was Haenschen nicht lernt,
Lernt Hans nimmermehr.
Gute Sprueche, weise Lehren
Muss man ueben, nicht bloss hoeren.
Frage nicht, was and're machen,
Sieh auf deine eig'nen Sachen.
Im Winter sind nur wenige Voegel Bei uns. Wo sind die andern? Sie sind fortgezogen nach waermeren Laendern. Jetzt wird es aber auch hier bei uns warm, und die Voegel kehren zurueck. Bald werdet ihr sie singen hoeren. Fleissig fliegen sie zum Baume. Sie arbeiten. Im Schnabel tragen sie Stroh, Heu, Pferdehaare oder auch kleine Zweige herbei; damit bauen sie ihre Nester.
[Illustration]
Huehnchen: Hier ist ein Weizenkorn. Wer wird mir helfen, es zu pflanzen? Bitte, hilf du mir, Frau Gans.
Gans: Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht helfen.
Huehnchen: Bitte, hilf du mir, Frau Ente.
Ente: O, ich kann dir heute nicht helfen. Ich habe so viel mit meinen Kindern zu tun.
Huehnchen: Nun, dann hilf du mir, alte Katze.
Katze: Ich kann dir auch nicht helfen. Ich muss meine Kaetzchen waschen.
Huehnchen: Willst du mir denn nicht helfen, kleines Schwein?
Schwein: Ich kann keinen Weizen pflanzen. Ich bin zu muede. Pflanz du ihn selber.
Huehnchen: Das will ich auch tun! Ich lege dich in die Erde, Koernchen, und die Sonne, der Regen und der Wind werden dich wachsen lassen.
* * * * *
Huehnchen: Jetzt ist der Weizen reif. Wer wird ihn nach der Muehle fahren? Willst du es tun, Frau Gans?
Gans: Es tut mir recht leid, Huehnchen, aber heute kann ich nicht nach der Muehle fahren. Ich habe Rueckenschmerzen.
Huehnchen: Willst du es tun, Frau Ente?
Ente: Nein, ich kann auch nicht fort. Ich muss jetzt schwimmen.
Huehnchen: So tu du es, alte Katze!
Katze: Sch! Sch! Ruhig! Ich laure auf eine Maus. Ich kann diesmal nicht gehen.
Huehnchen: Bitte, tu du es doch, kleines Schwein.
Schwein: Ach was! Es ist gerade Zeit fuer mein Mittagsschlaefchen. Du kannst den Weizen selber zur Muehle fahren.
Huehnchen: Das werde ich auch tun.
* * * * *
Huehnchen: Hier ist Mehl. Wer wird Brot daraus backen? Willst du das Brot backen, Frau Gans?
Gans: Ei, nein! Ich habe in meinem Leben noch kein Brot gebacken.
Huehnchen: Willst du das Brot backen, Frau Ente?
Ente: Ich! Brot backen? Nein, das kann ich wirklich nicht tun.
Huehnchen: Backe du das Brot, alte Katze!
Katze: Ich tue alles andere auf der Welt lieber als backen.
Huehnchen: Wach auf, kleines Schwein, und back du das Brot.
Schwein: Ach! lass mich in Ruhe. Ich will dir beim Essen helfen, wenn es gebacken ist.
Huehnchen: Gut; da backe ich es selbst.
* * * * *
Huehnchen: So, jetzt ist das Brot gebacken. Sechs schoene, braune Laibe. Wer will helfen essen?
Gans, Ente, Katze, Schwein: Wir wollen dir helfen!
Huehnchen: O, nein! Nun brauch' ich euch auch nicht. Ich werde es essen, und meine Kuechlein sollen mir helfen. Gluck, gluck, gluck!
Rate flink:
Ein kleines Ding,
Duenn und spitz;
Sticht wie der Blitz.
Zwei sind's, die nebeneinander steh'n
Und alles ganz gut und deutlich seh'n,
Nur immer eines das andre nicht,
Und waer' es beim hellsten Tageslicht.
In einem Stalle wohnten fuenf kleine Hunde mit ihrer Mutter. Alle waren schoen weiss mit braunen Flecken. Sie spielten lustig umher und lernten auch von der Mutter Ratten und Maeuse fangen.
Nur einer der Kleinen wollte nicht folgen. Er wollte auch nicht mit seinen Geschwistern spielen, sondern trieb sich lieber draussen herum. Einmal war Bello—so hiess der kleine—wieder hinausgeschlichen. Bei der Tuere stand ein Topf voll schwarzer Farbe. Bello wollte gerne wissen, was darin waere, und so steckte er seine Nase hinein. Aber, o weh! er kam mit dem Kopfe zu Weit hinein und warf den Topf um. Jetzt war er ueber und ueber mit schwarzer Farbe bedeckt. Langsam ging er zurueck und blieb mit haengendem Kopf auf der Tuerschwelle sitzen. Seine Mutter und seine Geschwister schaemten sich des schmutzigen, naseweisen Bello.
Hoch die Fahnen,
Sie gemahnen
An das teure Vaterland.
Rot und weiss die Streifen winken,
Licht im Blau die Sterne blinken,
Sind der Freiheit Unterpfand.
Freudig singen
Wir und bringen
Gruesse viel von fern und nah.
Wo die Flaggen munter wehen,
Stolz wir, sie beschuetzend, stehen,
Deiner wert, Amerika!
[Illustration]
Es waren einmal zwei Kinder, ein Knabe und ein Maedchen. Das Maedchen hiess Silie, der Knabe Peter. Die Kinder konnten sich gar nicht miteinander vertragen. Sobald sie zusammenkamen, stritten sie und schlugen einander. Dies machte den Eltern viel Kummer. Das aergerte den Paten der Kinder, der ein Zauberer war. Er sprach zu den beiden: “Hoere ich euch wieder zanken, so lasse ich euch zur Strafe zusammenwachsen.”
Es dauerte gar nicht lange, so war wieder Streit; Silie schlug den Peter, und Peter schlug Silie. Da kam der Zauberer durch die Luft gefahren und ruehrte beide mit seinem Stabe an. Nun waren sie verwandelt. Peter wuchs in die Erde hinein als Wurzel, und oben auf ihm Silie als gruenes Kraut. Der Zauberer nannte sie nun zusammen: Petersilie.
68. DAS KIND UND SEIN BLUEMCHEN.
Ward ein Bluemchen mir geschenket,
Hab's gepflanzt und hab's getraenket.
Voegel, kommt und gebet acht!
Gelt, ich hab' es recht gemacht?
Sonne, lass mein Bluemchen spriessen!
Wolke, komm es zu begiessen!
Richt' empor dein Angesicht,
Liebes Bluemchen, fuercht' dich nicht!
Und ich kann es kaum erwarten,
Taeglich geh' ich in den Garten,
Taeglich frag' ich: Bluemchen, sprich,
Bluemchen, bist du boes auf mich?
Sonne liess mein Bluemchen spriessen,
Wolke kam, es zu begiessen;
Jedes hat sich brav bemueht,
Und mein liebes Bluemchen blueht.
Wie's vor lauter Freuden weinet,
Freut sich, dass die Sonne scheinet;
Schmetterlinge, fliegt herbei,
Sagt ihm doch, wie schoen es sei!
[Illustration]
Eine fleissige Mutter baute in ihrem Garten Gemuese aller Art. Eines Tages sagte sie zu ihrer kleinen Tochter: “Lieschen, sieh da an der untern Seite des Kohlblattes die kleinen, netten, gelben Tuepfelchen! Das sind die Eier, aus denen die schoenfarbigen, aber verderblichen Raupen kommen. Suche diesen Nachmittag alle Blaetter ab und zerdruecke die Eier, so wird unser Kohl gruen und unversehrt bleiben.”
Lieschen meinte, zu dieser Arbeit sei es immer noch Zeit, und dachte am Ende gar nicht mehr daran. Die Mutter war einige Wochen krank und kam nicht in den Garten. Als sie aber wieder gesund war, nahm sie das saumselige Maedchen bei der Hand und fuehrte es zu den Kohlbeeten, und siehe! aller Kohl war von den Raupen abgefressen. Man sah nichts mehr als die Stengel und Gerippe der Blaetter. Das erschrockene und beschaemte Maedchen weinte ueber seine Nachlaessigkeit. Die Mutter aber sprach: “Tu' kuenftig das, was heute geschehen kann, sogleich heute und verschiebe es niemals auf morgen!”
Ratet, ratet, was ist das:
Es ist kein Fuchs und ist kein Has'.
Es hat zwei Augen und kann nicht sehen.
Es hat zwei Fuesse und kann nicht gehen.
Es hat zwei Ohren und kann nicht hoeren.
Es hat zwei Haende und kann sich nicht wehren.
Es ist ein Maedchen huebsch und fein,
Tut niemals zanken und niemals schrei'n.
Was fuer ein Maedchen mag das sein?
[Illustration]
“Wenn ich ein Koenig waere,” sagte ein Kind, “liesse ich mir ein Schloss bauen bis an die Wolken!”
“Und ich,” sagte ein anderes, “truege nur Kleider von Silber und Gold!”
“Und ich,” rief ein dicker Bube, “ich aesse nur Kuchen und Wurst!”
“Ich,” sagte ein kleines Maedchen und wurde ein wenig rot, “ich gaebe allen armen Kindern Geld, dass sie sich Brot und Kleider kaufen koennten!”
Ella: In fuenf Minuten ist Essenszeit,
Noch schnell was zu spielen, das waere gescheit!
Toni: Ei! Jede holt ihre Puppe heraus,
Wir tragen sie etwas spazieren ums Haus.
Ella: Das Puppenholen haelt aber doch auf!
Komm, spielen wir haschen; ich fange dich, lauf!
Toni: Beim Haschen kommt man ja gar nicht zur Ruh'.
Ach! spielen wir lieber Blindekuh!
Ella: Bei Blindekuh komme ich immer zu Fall.
Topp! Weisst du was, spielen wir Fangeball!
Toni: Ach was, das Ballspiel machte mir niemals Spass;
Reifentreiben, das waere noch was!
Ella: Die Reifen, die sind auch drinnen im Haus.
Was meinst du, wir suchen Mama einen Strauss!
Toni: Wir duerfen ja nicht auf dem Rasen springen.
So lass uns lieber ein Liedchen singen!
Ella: Ich habe den Husten, faellt eben mir ein!
Toni: Na, gut! So spiele ich fuer mich allein!
Ella: Ganz alleine? O, das waere nicht schlecht:
Dir ist ja auch nimmer ein Vorschlag recht!
Toni: Was spiele ich nun?—Die Zeit geht vorbei—
Zum Wettelaufen gehoeren doch zwei!
Ella: Mir ist nicht sehr zum Spielen zu Mut—
Alleine tanzen geht auch nicht gut!
Toni: Mama ruft zum Essen! Wir muessen ins Haus!
Ach, Ella, nun ist mit dem Spielen es aus!
Ella: Wie ist die Zeit nur so hingegangen!
Wir haben ja nicht einmal angefangen!
Toni: Ja! weisst du, das Ueberlegen und Streiten!
Es war doch wirklich recht dumm von uns beiden!
Ella: Wir haben recht kindisch uns angestellt!
Toni: Nach Tische spielen wir—
Ella: Was dir gefaellt!
Die Nachbarin hatte einen zahmen Zeisig, den sie oft aus dem Kaefig liess. Dann huepfte das Tierchen in der Stube umher und suchte Krumen am Boden. Die alte Katze war immer sehr freundlich mit dem Voegelchen. Vor einigen Tagen aber erfasste sie ploetzlich den Zeisig, nahm ihn ins Maul und sprang mit ihm auf den Tisch.
Die Nachbarin erschrak und glaubte, die Katze wolle ihr liebes Voegelein auffressen. Da sah sie jedoch, dass die Stubentuere offen war und eine fremde Katze sich ins Zimmer geschlichen hatte. Schnell jagte sie diese hinaus, und sieh, die alte Hauskatze sprang sogleich vom Tische herab und liess den Zeisig auf den Boden fallen, ohne ihm etwas zuleide getan zu haben. Hat die alte Katze nicht klug gehandelt?
Es sassen zehn Sperlinge auf dem Dach;
Da kam der Jaeger und schoss danach;
Er traf davon nur vier.
Wie viel bleiben sitzen?
Das sage mir.
Ich bin wohl ein gemeiner Wicht,
Das Singen, das versteh' ich nicht,
In schoenen Kleidern geh' ich nicht;
Es sieht mich auch der Mann kaum an;
Nur boese Buben dann und wann,
Die werfen mich mit Steinen;
Und dennoch will mir's scheinen,
Als sei so schoen die ganze Welt,
So blau die Luft, so gruen das Feld—
Zip, zip, zip! Ich hab' die Welt so lieb!
Einst schleppte ein Esel eine schwere Last. Neben ihm ging ein lediges Pferd. Der Esel bat das Pferd, es moege ihm doch helfen; allein es hoerte nicht auf seine Bitte. Zuletzt konnte der Esel nicht mehr weiter; er fiel zu Boden und starb.
Nun lud der Treiber die ganze Last dem Pferde auf. Er zog dem toten Tiere die Haut ab, und das Pferd musste dieselbe noch obendrein tragen. Hilf deinem Naechsten in der Not.
Ein durstiger Star wollte aus einer Wasserflasche trinken. Er konnte aber das Wasser mit seinem kurzen Schnabel nicht erreichen. Da hackte er damit aufs dicke Glas; doch er vermochte nicht, es zu zerbrechen. Dann stemmte er sich gegen die Flasche und wollte sie umwerfen. Aber dazu war er nicht stark genug.
Was tat der kluge Star zuletzt? Er las kleine Steinchen mit seinem Schnabel zusammen und warf eines nach dem andern in die Flasche. Dadurch stieg das Wasser endlich so hoch, dass er es erreichen konnte. Jetzt loeschte er seinen Durst.
[Illustration]
Der Apfelbaum, das ist ein Mann!
Kein andrer gibt so gern wie der.
Im Winter, wenn man schuettelt dran,
Da gibt er Schnee die Fuelle her.
Im Fruehling wirft er Blueten nieder.
Im Sommer herbergt er die Finken.
Jetzt streckt er seine Zweige nieder,
Die voller Frucht zur Erde sinken.
Drum kommt und schuettelt, was ihr koennt!
Ich weiss gewiss, dass er's euch goennt.
[Illustration]
Ein Hase und ein Fuchs machten im Winter eine Reise. Alles war mit Schnee bedeckt. Der Hunger plagte sie sehr. Da sahen sie ein Maedchen mit einem Korbe kommen, darin war Brot. Das merkte der Fuchs und sagte zu dem Hasen: “Lege dich wie tot auf den Boden, dann wird das Maedchen den Korb niederstellen, um dich aufzuheben. Ich nehme den Korb weg und mache mich schnell davon. Du eilst mir nach, und dann lassen wir es uns wohl sein.” Das war dem Hasen recht.
Der Fuchs verbarg sich hinter einem Haufen Schnee, und der Hase legte sich nieder. Das Maedchen stellte den Korb richtig hin und griff nach dem Hasen. Da schlich der Fuchs hervor und machte sich mit dem Korb so schnell davon, dass das Maedchen ihm nicht nachkam. Unser Hase aber eilte ihm in grossen Saetzen nach. An einem Wasser hielten sie still. Weil aber der Fuchs nicht teilen wollte, so sagte der Hase: “Brot haben wir, jetzt sollten wir auch noch Fische haben. Dann haetten wir ein Essen wie die grossen Herren. Stecke deinen Schwanz ins Wasser, so werden sich die Fische daran haengen, denn die haben jetzt auch nicht viel zu beissen.”
Der Fuchs ging an den Weiher hin und hing seinen Schwanz in das Wasser. Es dauerte aber nicht lange, so war er im Eise festgefroren. Der Fuchs konnte ziehen und zappeln, wie er wollte—das Eis liess ihn nicht los. Er musste nun zusehen, wie der Hase ein Brot nach dem andern verzehrte. Dann rief der listige Hase dem Fuchs zu: “Im Fruehjahr sehen wir uns wieder. Lass dir die Zeit nicht zu lang werden, bis das Eis auftaut.”
Wer andern eine Grube graebt,
Faellt selbst hinein.
Wer redet, was er nicht sollte,
Muss hoeren, was er nicht wollte.
Kein besseres Kissen in Freude und Schmerz,
Als gutes Gewissen und froehliches Herz.
Ein flinker Hase forderte einst die langsame Schildkroete zum Wettlauf auf. Sie willigte ein, und eine grosse Eiche im Walde sollte das Ziel sein.
Mit den ersten Sonnenstrahlen machte sich die Schildkroete auf den Weg, der Hase aber hatte keine grosse Eile. Er spielte lange im Grase umher, ehe er ans Laufen dachte. Endlich sprang er fort und holte die Schildkroete wirklich ein. Da er jedoch sah, wie muehsam sie vorwaerts kroch, legte er sich im Schatten eines Baumes nieder und schlief fest ein.
Als er erwachte, war es schon lange nach Mittag. Da rannte er, so rasch er konnte, den Weg entlang. Aber, siehe da, als er die Eiche erblickte, sass die Schildkroete schon darunter und lachte den Hasen, der seine Zeit verspielt und verschlafen hatte, tuechtig aus.
[Illustration]
Auf dem Dach viel blanke Zapfen,
Zu dem Schnee viel kleine Tapfen,
Alle laufen nach dem Kohl!
Haeschen, das gefaellt dir wohl?
Naechtlich, bei des Mondes Schimmer,
Sitzt es dort zu schmausen immer;
Knusperknaeuschen, gar nicht faul:
Ei, du kleines Leckermaul!
Haeschen ist es schlecht bekommen;
Vater hat's Gewehr genommen;
Eines Abends ging es: bumm!
Bautz! da fiel das Haeschen um.
Kannst du wohl das Ende raten?
Heute gibt es Hasenbraten,
Apfelmus mit Zimt dazu.
Ach, du armes Haeschen du!
[Illustration]
Bei einem Teiche wohnten viele Gaense. In der Naehe hatte auch ein Fuchs seinen Bau. Gar oft versuchte er, sich eine Gans oder ein Gaensekuechlein zu fangen. Daher fuerchteten sich diese sehr vor dem braunen Gesellen. Einst war der Fuchs sehr hungrig. “Heute muss ich mir einen fetten Braten holen!” sagte er zu sich selber.
Er streckte sich, so lang er war, im Grase aus und ruehrte kein Glied. Als die Gaense den Raeuber so liegen sahen, kamen sie naeher und erhoben ein freudiges Geschnatter. “Jetzt werden wir Ruhe haben!” sprachen sie. “Unser Feind ist nicht mehr am Leben!”
Schnell sprang der Fuchs auf, erwischte den Gaenserich beim Fluegel und trug ihn in seine Hoehle.
[Illustration]
Berta: Geschwind, geschwind, Mama!
Mutter: Was fehlt dir? Wer hat dir etwas zuleide getan?
Berta: Sieh nur, was mir unser Spitz in den Schoss fallen liess!
Mutter: Einen kleinen Frosch! Und deshalb bist du so erschrocken? Rasch, nimm den kleinen Burschen und setze ihn in das Gemuesebeet!
Berta: Tragen soll ich das haessliche Tier? Ich wuerde es um alles in der Welt nicht in die Hand nehmen!
Mutter: Nun, dann muss ich es tun! Schau, wie ich jetzt das Tierchen anfasse und es ins Beet huepfen lasse. Hopp, da sitzt es schon drinnen.
Berta: O, Mama, was tust du? Warum hast du den Frosch nicht getoetet?
Mutter: Weil er ein sehr nuetzliches Tier ist. Freust du dich nicht, wenn es im Garten die zarten Ruebchen und die suessen Erbsen gibt, die Papa jedes Fruehjahr pflanzt?
Berta: Gewiss, Mama! Ich esse beides sehr gerne; aber was hat das mit dem Frosch zu tun?
Mutter: Hoere nur, du wirst es gleich erfahren. Den Raupen und Kaefern schmecken diese Gemuese auch gut, gerade wie dir. Im Fruehlinge stellen sich diese Insekten ein und fressen die Blaettchen ab, so dass die Pflaenzchen sterben muessten, wenn der Frosch nicht zur Hand waere. Der glatte Bursche huepft dann durch den Garten, faengt die Raupen, Fliegen und Kaefer, und die Pflaenzchen wachsen wieder. Soll ich den Frosch zum Dank dafuer toeten, Berta?
Berta: Nein, liebe Mama; und wenn ich wieder sehe, dass ein Knabe einen Frosch quaelt, will ich ihm sagen, was ich heute von dir gelernt habe.
[Illustration]
Klaus ist in den Wald gegangen,
Weil er will die Voeglein fangen;
Auf den Busch ist er gestiegen,
Weil er will die Voeglein kriegen.
Doch im Nestchen sitzt das alte
Voegelein just vor der Spalte,
Schaut und zwitschert: “Ei, der Taus!
Kinderlein, es kommt der Klaus,
Hu, mit einem grossen Pruegel,
Kinderlein, wohl auf die Fluegel!”
Brr, da flattert's: husch, husch, husch!
Leer das Nest, und leer der Busch.
Und die Voeglein lachen Klaus
Mit dem grossen Pruegel aus,
Dass er wieder heimgegangen
Zornig, weil er nichts gefangen;
Dass er wieder heimgestiegen,
Weil er konnt' kein Voeglein kriegen.
Zwei Knaben, Albert und Paul, suchten im Walde Nuesse. Da bemerkte Paul eine grosse Walnuss unter einem Baume und rief seinem Kameraden zu: “O, sieh dort vor dir die Walnuss!” Albert hob sie schnell auf und steckte sie in seine Tasche. Damit war aber Paul nicht zufrieden; er sagte: “Die Nuss gehoert mir, ich habe sie zuerst gesehen!” “Und ich habe sie aufgehoben,” erwiderte Albert trotzig; “ich gebe sie nicht her!” So stritten sie heftig, und schon wollten die toerichten Knaben einander schlagen, als Georg, ein aelterer Junge, herbeikam, der im Walde Eichhoernchen schoss. Albert und Paul baten den grossen Knaben, er solle entscheiden, wem die Nuss gehoere. Was tat Georg? Er zerbrach die Nuss mit einem Steine und gab jedem der beiden Streitenden ein Stueck von der Schale. “Den Kern,” sprach er, “behalte ich als Lohn dafuer, dass ich euer Richter war!” Dann ging er lachend fort.
[Illustration]
Ein Bauer hat ein Haus gehabt,
Und auf dem Haus ein Dach.
Zur Nachtzeit kam der Wind getrabt,
Da ward der Bauer wach.
Wie's heulte, krachte, klirrte, klang!
Der arme Bauer flehte bang:
“Ich bitt' dich, lass' dein Toben,
Und lass' mein Dach dort oben,
Herr Wind! Herr Wind!”
Des Daches Luken schlossen gut
Der Bauer und sein Knecht.
Da ward der Wind voll Trotz und Wut
Und kreischte: “Nun erst recht!”
Herr Wind! Herr Wind! du boeser Wind,
Du bist wie manche Kinder sind,
Die das just haben wollen,
Was sie nicht haben sollen.
Herr Wind! Herr Wind!
Mit Draeuen draengt der Wind und drueckt
Mit Groll und grausem Krach;
Er zieht und zerrt und ruettelt, rueckt
Und reisst vom Haus das Dach.
Zerstoert ist herzlos Heim und Haus;
Der Bauer sieht so traurig aus,
Sein Weib und seine Kleinen,
Sie stehen da und weinen.
Herr Wind! Herr Wind!
Hast du's gehoert, mein liebes Kind?
Sei freundlich, friedlich, froh!
Denn wuerdest du ein solcher Wind,
Dann spraech' man von dir so:
Du bist nicht gut, du tust nicht gut,
Du bist ein wild und trotzig Blut,
Das stets gern haben wollte,
Was es nicht haben sollte!——
Herr Wind! Herr Wind!
[Illustration]
Das Kind hatte mit dem Fuenkchen gespielt, obgleich seine Mutter es schon oft verboten hatte. Da war das Fuenkchen fortgeflogen und hatte sich ins Stroh versteckt. Das Stroh fing an zu brennen, und es entstand eine Flamme, ehe das Kind daran dachte. Da wurde es dem Kinde bange, und es lief fort, ohne jemandem etwas von der Flamme zu sagen. Und da niemand Wasser darauf schuettete, ging die Flamme nicht aus, sondern breitete sich im ganzen Hause aus. Als sie an die Fenstervorhaenge kam, wurde sie noch groesser, und das Bett, worin die Leute nachts schliefen, brannte hell auf, und die Tische und die Stuehle und die Schraenke und alles, was der Vater und die Mutter hatten, das wurde vom Feuer erfasst, und die Flamme wurde so hoch wie der Kirchturm. Da schrieen die Leute vor Schrecken, die Glocken laeuteten; es war fuerchterlich zu hoeren, und die Flamme war schrecklich zu sehen. Nun fing man an zu loeschen, indem man Wasser in das Feuer schuettete und spritzte; aber es half nichts; das Haus brannte ganz ab, und nur noch ein wenig Kohlen und ein bisschen Asche blieben uebrig. Da hatten nun die Eltern des Kindes kein Haus mehr und kein Plaetzchen, wo sie wohnen und wo sie schlafen konnten, und auch kein Geld, um sich ein neues Haus und neue Betten und Tische und Stuehle zu kaufen. Ach, wie weinten die armen Eltern! Und das Kind, das mit dem Fuenkchen gespielt hatte, war schuld daran.
Kennt ihr die Blume, in guter Ruh'
Dreht sie sich immer der Sonne zu;
Sie hat viel Samenkoerner schoen,
Wie Strahlen ihre Blaettchen stehn.
Erst weiss wie Schnee,
Dann gruen wie Klee,
Drauf rot wie Blut,
Dann schmeckt es gut.
[Illustration]
Die Rose feierte einmal ihren Geburtstag. Sie stand mitten im Garten, und alle Blumen kamen zu ihr, um ihr Glueck zu wuenschen. Zuerst kamen die stolze Lilie und die praechtige Tulpe, hernach kamen die kleinen Blumen. Alle neigten sich vor der Rose und sagten: “Wir wuenschen dir Glueck, liebe Rose.”
[Illustration]
Aber ein kleines, weisses Bluemchen getraute sich nicht, nahe an die Rose heranzutreten, weil es so schuechtern und bescheiden war. Es blieb von ferne stehen und fluesterte nur: “Ich wuensche dir auch Glueck, liebe Rose!” Die Rose hatte das Bluemchen aber gesehen und winkte ihm, naeher heranzutreten. “Komm doch naeher, liebe kleine Schwester,” sagte die Rose guetig. Als nun das Bluemchen naeher herangetreten war, fragte die Rose: “Wie heisst du denn, liebe Kleine?” Da sprach es ganz leise: “Ich heisse Gaensebluemchen.”
[Illustration]
“Aber, liebes Gaensebluemchen,” sagte die Rose freundlich, “du bist ja tausendmal schoener als alle andern Blumen. Du sollst jetzt nicht mehr Gaensebluemchen, sondern Tausendschoen heissen, weil du tausendmal schoener bist als alle.” Darueber freute sich das gute Gaensebluemchen so sehr, dass es ueber und ueber rot ward, und seit der Zeit haben alle Gaensebluemchen—rote Ohrlaeppchen.
[Illustration]
Ich weiss euch eine schoene Stadt,
Die lauter gruene Haeuser hat.
Die Haeuser, die sind gross und klein,
Und wer nur will, der darf hinein.
Die Strassen, die sind freilich krumm,
Sie fuehren hier und dort herum;
Doch stets gerade fort zu gehn,
Wer findet das wohl allzuschoen!
Die Wege, die sind weit und breit
Mit bunten Blumen ueberstreut.
Das Pflaster, das ist sanft und weich,
Und seine Farb' den Haeusern gleich.
Es wohnen viele Leute dort,
Und alle lieben ihren Ort.
Ganz deutlich sieht man dies daraus,
Dass jeder singt in seinem Haus.
Die Leute, die sind alle klein,
Denn es sind lauter Voegelein;
Und meine ganze gruene Stadt
Ist, was den Namen “Wald” sonst hat.
[Illustration]
Weit weg von hier liegt Deutschland. Das ist ein schoenes Stueck Erde. Zu Deutschland gehoeren Preussen, Sachsen, Bayern, Baden und andere kleinere oder groessere Staaten. Dort gibt es breite und tiefe Fluesse. Der Rhein, die Elbe und die Donau sind am bekanntesten. Daneben finden sich weite Ebenen, hohe Berge und dichte Waelder. Auch fehlt es nicht an Staedten, in denen viele fleissige Leute leben. Berlin, Muenchen, Koeln, Dresden, Frankfurt und manche andere sind bemerkenswert. Ueberall hat man praechtige Wohnhaeuser, reiche Kirchen und herrliche oeffentliche Gebaeude. Alles wird sehr sauber und ordentlich gehalten. Von Hamburg und Bremen aus fahren maechtige Dampfschiffe und Segler nach allen Gegenden der Welt. Deutschland besitzt auch zahlreiche grosse Fabriken. Die Felder werden auf das Beste bestellt. Die deutsche Fahne ist schwarz, weiss und rot gestreift. An der Spitze des Reiches steht der deutsche Kaiser.
Sonnenschein,
Klar und rein,
Leuchtest in die Welt hinein;
Machst so hell, so warm und schoen
In den Taelern, auf den Hoeh'n,
Die du alle ueberstrahlst
Und so hold und lieblich malst.
Sonnenschein,
Klar und rein,
Kehre auch ins Herz mir ein!
Wenn ich habe heitern Sinn,
Gut und froh und freundlich bin,
Dann ist's in dem Herzen mein
Wunderbarer Sonnenschein.
Vor hundert Jahren lebte in Preussen eine Koenigin, namens Luise. Sie war jung und schoen, aber auch ebenso gut. Ein jeder liebte sie. Schon als kleines Kind hatte sie ihre Mutter verloren und wurde von ihrer Grossmutter einfach erzogen. So war sie zu einer echten, deutschen Jungfrau herangewachsen, als der Kronprinz und spaetere Koenig von Preussen, Friedrich Wilhelm, sie kennen lernte. Bald darauf wurde sie seine Frau. Eine grosse Freude hatte sie an ihren Kindern, zwei Knaben, mit denen sie gerne lernte und spielte. Aber da gab es einen schrecklichen Krieg mit dem Kaiser von Frankreich, Napoleon. Die Feinde waren staerker als die Preussen und besiegten sie. Das tat dem Koenige und der guten Koenigin sehr weh. Es kam so weit, dass sie ihr Schloss in Berlin verlassen mussten. Als die koenigliche Familie endlich wieder zurueckkehren konnte, herrschte grosser Jubel. Die Freude sollte aber nicht lange dauern, denn bald darauf wurde die edle Koenigin schwer krank und erholte sich nicht mehr. Als sie starb, war die Trauer allgemein. Noch heute ist die Koenigin Luise unvergessen.
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“Willst du eine Prinzessin sein?” So fragte ein Knabe seine kleine Schwester. Die lachte ihn aus. Er sagte aber: “Ja, ich kann ein Koenig und du kannst eine Prinzessin werden. Du bekommst ein schoenes, neues Kleid und einen silbernen Thron. Ich bekomme einen roten Mantel, eine goldene Krone und einen goldenen Thron.” Die Schwester glaubte das nicht und sagte: “Unsere Eltern sind ja so arm.” Der Knabe erzaehlte dann: “Letzte Nacht im Traume kam ein kleiner Mann zu mir. Er fragte mich: 'Willst du ein Koenig sein und in einem goldenen Schlosse wohnen?' Ich sagte, ja. Da sprach der Kleine: 'Komm in den Wald mit deiner Schwester, wenn der Mond scheint. Bei der grossen Tanne warte auf mich. Aber spaeter im goldenen Schlosse darf keine Traene auf den Boden fallen. Wenn eine Traene auf den Boden faellt, muesst ihr wieder heim.'“ Jetzt glaubte die Schwester, was der Bruder sagte. Sie wollte gerne mit ihm gehen.
Am Abend schien der Mond sehr hell. Da gingen Bruder und Schwester hin zu der grossen Tanne im Walde. Das Maennlein war noch nicht da. Die Kinder setzten sich ins Moos, um zu warten. Sie waren muede und schliefen bald ein. Auf einmal wachten sie auf. Verwundert schauten sie um sich. Sie hatten schoene neue Kleider an. Der Bruder hatte einen roten Mantel und trug eine goldene Krone. Die Schwester hatte ein himmelblaues Kleid mit silbernen Sternen. Auf ihren Haaren war ein Kranz von Diamanten. Der kleine Mann kam und rief: “Willkommen, willkommen!” Dann kamen noch viele kleine Maennlein mit einem goldenen und einem silbernen Wagen. Der Bruder musste sich in den goldenen Wagen und die Schwester in den silbernen Wagen setzen. Die Maennlein zogen die Wagen und fuhren durch den Wald an einen Berg. Im Berge war eine grosse, hohe Halle, und darin stand ein goldenes Schloss. Die kleinen Maenner fuehrten die Geschwister in dieses Schloss. Dann holten sie einen goldenen und einen silbernen Thron. Der goldene Thron war fuer den Bruder und der silberne fuer die Schwester. Die kleinen Maenner stellten sich vor sie hin und riefen: “Hoch lebe unser Koenig und auch die Prinzessin!” Dann gab es zu essen, lauter gute Sachen.
Nach dem Essen wollten die Kinder schlafen, denn es war schon spaet. Im Schlafzimmer standen zwei Betten, ein goldenes und ein silbernes. Der Koenig legte sich in das goldene, die Prinzessin in das silberne Bett. Da fragte der Bruder: “Schwesterchen, wie gefaellt dir das goldene Schloss?” Sie antwortete: “Schoen ist es schon hier; wenn nur der Vater und die Mutter auch hier waeren!” Der Bruder sagte: “Das moechte ich auch haben. Was werden die Eltern jetzt machen?” Die Schwester meinte: “Sie werden uns suchen und weinen, weil sie uns nicht finden koennen.” “Ja,” war des Bruders Antwort, “sie werden denken, der Wolf habe uns gefressen.” Das konnte die Schwester nicht anhoeren. Sie fing an zu weinen. Da warnte der Bruder: “Nicht weinen, sonst fallen deine Traenen auf den Boden!” “Nein,” sagte die Schwester, “ich hab' sie mit der Hand aufgefangen. Aber ich muss weinen.” Nun wurde auch der Bruder ganz traurig. Auch er weinte einige Traenen. Doch die Traenen fielen in das Bett. Die Schwester fragte: “Wie lange willst du noch Koenig bleiben? Ich will nicht mehr Prinzessin sein. Ich will heim!” Der Bruder sagte: “Ja, zu Hause bei Vater und Mutter ist es doch schoener!” Da liessen sie beide grosse Traenen auf den Boden fallen. Es donnerte, und die Kinder fielen aus den Betten.
Nun kamen die kleinen Maenner wieder. Sie waren sehr traurig und brachten die Geschwister zurueck zu der grossen Tanne im Wald. Da schliefen Bruder und Schwester bald ein. Als sie die Augen oeffneten, war es heller Tag, aber der rote Mantel und das himmelblaue Kleid Waren verschwunden.
Da kamen auch schon die Eltern. Die freuten sich sehr, ihre Kinder wieder zu haben. Die Geschwister waren ebenso froh und versprachen, nie mehr fortgehen zu wollen.
Drei Kinder sollten nach der Schule gehen, aber sie sprachen: “Was kann das Lernen helfen! Lasst uns in den Wald laufen; da spielen die Tierlein, und wir wollen mit ihnen spielen.”
Als die Kinder nun im Walde waren, luden sie zuerst die Kaefer zu ihrem Spiele ein. Da summten die Kaefer um die Koepfe der Kinder, und der eine sprach: “Ich habe keine Zeit, ich muss Holz saegen!” Der andere sprach: “Ich muss ein Loch graben!” Noch andere riefen: “Wir muessen uns ein Huettlein aus Gras bauen!”
Nun kamen die Kinder an einen Ameisenhaufen. Hier lief eine ganze Menge von Ameisen aus und ein. Jedes dieser winzigen Tierchen hatte etwas in seine Wohnung zu tragen; und wo es dem einen zu schwer ward, sprach es zum andern: “Komm', hilf mir!”
Die Kinder schlichen vorbei und fanden Bienlein auf den Blumen. Die waren so eilig und mochten gar nicht zu den Kindern aufsehen. Sie sammelten Honig und Bluetenstaub und flogen dann flink davon.
Da hoerten die Kinder einen Vogel singen. Es war ein Fink. “Du kannst so schoen singen,” riefen sie, “und hast auch gewiss Lust, mit uns zu spielen.” Allein der Fink sagte: “Pink, pink! Flink, flink! Ich muss Muecken fangen fuer meine Jungen und dann die Kleinen in den Schlaf singen. Auch muss ich mich fleissig im Singen ueben, damit ich dem Wanderer schoene Lieder vorsingen kann.” Und fort war er.
Auf einmal rasselte es im Busche. Die Kinder erschraken. Eins sagte: “Wenn nur ein Eichhoernchen kaeme und mit uns spielte!” Da lief auch schon eines aus dem Busche und kletterte auf einen Baum. Es kicherte und rief: “Ich suche Knospen und Nuesse!” Die Kinder baten: “Komm' und bring' uns auch schoene Nuesse!” Aber das Tierchen zischte und knurrte nur.
Bald darauf hoerten sie ein Baechlein plaetschern, und nun riefen sie froehlich: “O, mit dem Baechlein moegen wir spielen! Kommt!”
Sie liefen geschwind hin. Aber das Baechlein sagte: “Seht doch die faulen Kinder! Ihr meint, ich haette nichts zu tun. Ich muss Tag und Nacht arbeiten; ich netze Felder und Wiesen und traenke die durstigen Tiere. Wenn ich gross und stark bin, treibe ich Muehlen und trage Schiffe. Geht, geht, ihr faulen Kinder!”
Da wurde den Kindern gar aengstlich zu Mute. Sie gingen beschaemt weg und blieben nie mehr aus der Schule.
Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern find'st du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt.
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Fuessen,
Als waer's ein Stueck von mir.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad'.
“Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib' du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!”
Eduard scherzte gerne und spielte auch gerne anderen einen Streich. Dabei kam es nicht immer darauf an, ob, was er sagte, auch der Wahrheit gemaess sei. Seine kleine Schwester Emilie, die noch nicht in die Schule ging, fragte gerne ihren Bruder, den sie fuer sehr weise hielt, ueber alles aus. Um sie schnell wieder los zu werden, sagte ihr Eduard oft Dinge, welche das Kind ganz falsch belehrten.
Eines Morgens, es war Eduards Geburtstag, sah Emilie auf dem Tische ihres Bruders ein Goldstueck liegen, das er vom Vater zum Geschenk bekommen hatte. Sie fragte ihn: “Wo waechst das Gold?”—“Es wird gesaet,” antwortete Eduard, der sich wieder einmal auf Kosten seiner Schwester einen Spass machen wollte, “dann wird ein Baum daraus, an dem wachsen die Goldstuecke.”
Als Eduard beschaeftigt war, nahm Emilie leise das Goldstueck vom Tische, eilte damit hinunter in den Garten, grub mit den Haenden ein Loch in die weiche Erde, legte das Goldstueck hinein und bedeckte es wieder mit Erde.
Eine Weile spaeter sprang sie in Eduards Zimmer und rief: “Jetzt wirst du bald viele, viele Goldstuecke haben! Ich habe deines im Garten gepflanzt.”
Umsonst bekannte Eduard, er habe nur gescherzt, und umsonst suchte und grub er im Garten nach seinem Golde. Emilie wusste die Stelle nicht anzugeben, wo sie es eingegraben hatte.
Der Vater kam hinzu und sagte: “Es war unklug von Emilie, das Goldstueck pflanzen zu wollen; du aber, Eduard, hast gefehlt, da du ihr, wenn auch im Scherze, eine Unwahrheit sagtest.”
“Rasch, Ernst, kleide dich an, und komme sogleich herunter!”
“Was ist geschehen, Vater?”
“Geschwind, mein Junge! Der Ohio ist ueber Nacht gestiegen, das Dorf ist unter Wasser, und wir muessen unser Haus verlassen.”
Mit einem Satz war Ernst aus dem Bette und fuhr wie der Blitz in seine Kleider. Dann lief er die Treppe hinunter in die Wohnstube. Hier stand das Wasser schon ueber zwei Fuss hoch. Auf einem Tische am Fenster war der Vater mit den Seinen. Die Mutter hielt die kleine Rosa an der Hand und trug das Juengste, ein herziges Bueblein, auf dem Arme. Sie hatte Traenen im Auge, der Vater aber sprach ihr Mut zu. Endlich kam ein Mann in einem Kahn, alle stiegen hinein, und durch dieselben Strassen, durch welche gestern noch Leute gegangen und Wagen gefahren waren, ruderten sie jetzt im Rachen dem Lande zu. Nachdem sie eine hochgelegene Stelle erreicht hatten, stiegen sie aus. Der Bootsmann ging mit dem Vater, der Mutter und den zwei Kleinen den Huegel hinauf nach einem Hause. Dort wollten sie ein Unterkommen suchen.
“Du kannst dableiben und auf meinen Kahn achtgeben,” sagte der Bootsmann zu Ernst. Das war dem Knaben gerade recht. Jetzt erst schaute er sich um. Welch ein Anblick! Nach dem Flusse zu sah man nur Wasser. So weit das Auge reichte, schien alles ein grosser See zu sein. Drueben am anderen Ufer, ganz in der Ferne guckten die Wipfel der Baeume und die Schornsteine aus der Flut empor. Ganz in der Naehe stand das Bretterhaus der alten Frau Werner, welche sehr arm war und von guten Leuten unterstuetzt wurde. Schon hatte das Wasser den zweiten Stock erreicht und stieg immer hoeher und hoeher.
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Waehrend Ernst das Haeuschen der Frau Werner betrachtete, kam es ihm vor, als rufe jemand um Hilfe. Richtig, jetzt oeffnete die alte Frau einen Laden und schaute heraus. Als sie ringsum nichts als Wasser erblickte, klagte und jammerte sie laut und rang die Haende.
Ernst sah alles und dachte nach, was er wohl tun koenne. Ja, so ging es! Er wollte rasch den Huegel hinauflaufen und den Vater und den Bootsmann rufen. Aber siehe da! Die Flut trieb einen maechtigen Baumstamm gerade auf das Haeuschen zu. Wenn er gegen dasselbe stiess, loeste es sich gewiss los, schwamm in der Stroemung fort, und dann waere die alte Frau verloren.
Da sprang Ernst in den Kahn, stiess vom Ufer und steuerte nach dem Haeuschen. Frau Werner stieg aus dem Fenster in den Rachen, und der Knabe ruderte, so rasch er konnte, an das Ufer zurueck. Als er sich demselben naeherte, kam sein Vater gerade wieder vom Huegel herab.
“Hurra, wir sind gerettet!” rief Ernst, als der Kahn ans Land stiess. Mit Traenen des Dankes im Auge drueckte die alte Frau dem Knaben die Haende. Der Vater aber schloss ihn an seine Brust und sprach: “Das war wie ein braver Mann gehandelt, mein Sohn!”
Erfuellte Pflicht
macht froh Gesicht.
Die traege Hand sei noch so glatt und weiss,
Der fleissigen allein gebuehrt der Preis.
Traegt einer gar so hoch den Kopf,
So ist er wohl ein eitler Tropf.
Allen Leuten recht getan,
Ist eine Kunst, die niemand kann.